Neue Gedichte Ferruccio Brugnaros, (na ja, so neu sind sie nicht, sie sind bereits als Buch bei ZAMBON erschienen) ihr werdet die linearen Übersetzungen von meinen Nachdichtungen sicher unterscheiden können. – zumal ja nur bei einem Gedicht das Original und die lineare Ubersetzung dabei sind. Ich habe mich in Ferruccios Gedichten wieder gefunden, nachdem ich mich nach schweren Schlägen schon verloren hatte. Er weckt in mir die Erinnerungen an (Halb-)Sklavenarbeit, Akkordschinderei, Abwehr-Kämpfe, Folter, Isolationshaft, und ich spüre die Nähe zwischen seinen und meinen Schreib- und Publikationsweisen. Para la gente, con la gente.
Lärm erdrosselt
Das Getriebe,
die Turbine
atemluftfressendes Trichtermaul
des Fleischwolfs mit den dreitausend Umdrehungen
Saugt mir mein Blut
Zermalmt mir die Gelenke
frisst meine Worte
Druckkessel dröhnen
Der Lärm krümmt mir den Rücken
Würgt die Stimme
erdrosselt meine Lunge
Bis Hirn und Herz erschüttert
Zweifelnd fragen
Ob in dieser Mordsmaschine
Das Leben Sterben ist
ein letzter Winkel meines Kopfes
läßt sich vom Riesenmaul nicht niederbrüllen
Der sieht und hört und fühlt und weiß
Dort draußen
Außerhalb der Mauer
Jenseits des Stacheldrahts
Grad hinterm Zaun
Einen kleinen freien Flecken
Versteckt für mich
Geschützt in Trümmern zwischen Brombeerhecken
In dieser Zeit der Rückgrad-brechenden Fabriken
und leergeschafften Augenhöhlen
Nicht unermüdlich
Kilometer
Schlangen Rohre
Sich um meinen Hals
Bagger Schaufeln
Presslufthämmern
Tag und nacht durch meinen Schädel
Stücklohn Lasten Voll
Die Conti-Schichten
Zeitdiktate im Akkord
haben mich im Halbschlaf
schon erdrückt
SekundenMesser in den BlutHundBlicken
Meiner Vorarbeiter und der Chefs
jeder Atemzug wird ausgemessen
noch der Pulsschlag automatisch
auf Reserven kontrolliert
Ich bin es müde,
so unendlich müde
Meine ausgebrauchten Hände anzusehn
Wie die toten Instrumente
Der Missachtung,
und Zerstörung meines Lebens
Mir entfremdet, feindlich
Wie sie mir
Luft und Lebenslust
abdrehn
DUE MIEI COMPAGNI ORA
Brinacelo.
E‘ un freddo incredibile.
Due miei compagni ora
a dieci metri circa di altezza
stanno saldando
attaccati a una grossa tubazione. Di tanto in tanto si rizzano
sulla schiena e si mettono attorno alla fiamma sprizzante del cannello. II
silenzio è profondo.
La vita ‚
non si muove quasi più,è lontana.
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Zwei meiner Genossen, jetzt (Ü.:Felix Ballhause)
Rauhreif um uns.
Es ist unglaublich kalt.
Zwei meiner Genossen, jetzt
In 10 Meter Höhe circa
sind am Schweißen
angeklebt an eine große Rohrleitung. Ab
und zu richten sie sich auf und rücken
dicht zur spritzenden Flamme aus dem
Brenner. Die Stille ist tief.
Das Leben
Rührt sich fast nicht mehr, es ist weit weg.
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Jetzt zwei aus meiner Kolonne
Der Morgentau
Ist schon erfroren
In klirrendem Frost
Zwei meiner Kollegen
Zehn Meter über mir
Im Schweiß erstarrt
Zu Eis
Beim Schweißen
Die Hände angefroren
An rostigen Rohren
gesichert vor dem Sturz
Bis sie der Schneidbrenner befreit
Kurz aufheizt brüllt
Erstarrtes wärmend
Ein letzter Hauch
In tiefster Stille
Rührt sich
Das Leben?
weit entfernt !
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(Linear-Übersetzung von Felix Ballhause)
L’ERBA TRA I CEMENTI
Marzo.L’erba è cresciuta dappertutto in fabbrica dove ha trovato
un pò“ di terra La più fine e luminosa è venuta su tra i cementi nelle strisce di terra grigie e nere. La più bella ha messo fuori
il capo
tra scorie di plastica e ferro. E‘ una cosa stupenda. La primavera ha portato
in fàbbrica in questi giorni la vita con tutta la sua forza e la sua gioia.
Kräuter im Zement
März. Unkraut ist gewachsen überall in der Fabrik
wo es ein wenig
Erde gefunden hat. Die feineren und
leuchtenden sind in den Fugen zwischen den Zementplatten , den grauen und schwarzen Erdstreifen gewachsen. Die schönste hat
ihr Köpfchen
zwischen den Abfällen aus Plastik und Eisen herausgeschoben. Es ist einfach
wundervoll. Der Frühling hat in diesen Tagen
das Leben in die Fabrik getragen mit all seiner
Kraft und Freude.
Unkraut zwischen Beton-Platten
Blumen blühen im Beton
März . Unkraut – Blumen wachsen überall in der Fabrik
Wo sie ein wenig Erde fanden.
Aus den gräulich schwarzen Streifen
Blühn die kleinsten
Leuchtend bunte Farben
In den Fugen
Zwischen Wand-und Bodenplatten
aus Beton. Die schönste streckt
ihr Köpfchen
durch Plastikabfall-Eisenspäne
ins Licht. Es ist einfach
wundervoll. Der Frühling hat in diesen Tagen
das Leben bis in die Fabrik getragen
voller Kraft mit all seiner Freude
((bei der letzten Zeile wollte ich unbedingt auch den leisesten Anklang von „Kraft durch Freude“ vermeiden.))
Einige Lesungen wünsche ich mir noch vor meinem 70.: in Kalamata, im historischen Stadion oder im Theater von Messene, in Distomo und Kalavrita, Athen und Monemvasia und in Thessaloniki: zusammen mit Titos Patrikios, auch weil unsere zweite gemeinsame Lesung -die erste beim 1. Europäischen Poesie Festval in Frankfurt – in Kalamata ausgerechnet an einem Streik des öffentlichen Dienstes gescheitert ist, und die in Athen wünsche ich mir zusammen mit Manolis Glezos und Mikis Theodorakis, auch wenn ich da nur einen Sechszeiler für Jannis Ritsos beitragen darf…
Zusammen mit Ferruccio Brugnaro, dem italienischen Fabrikdichter würde ich gerne in einer Fabrikhalle in Mestre bei Venedig lesen. Und die italienische Freundin Titos Patrikios würde ich bitten, meine Texte ins Italienische zu übersetzen, so wie sie seine aus dem Griechischen ins Deutsche und Italienische übersetzt hat – bei der Lesung beim 7. Europäischen Poesie-Festival im Café WIESENGRUND.
Ich bin der Meinung, dass lineare Übersetzungen nicht die Bilder herstellen in den Köpfen der Lesenden/ Hörenden, die der Dichter im Original mit seinen Worten intendiert. Es braucht Nachdichtuingen von Menschen, die in den jeweiligen Kulturkreisen ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie der Dichter selbst. Wer nicht den Druck der Akkordhetze erlebt und überlebt hat, wer nicht gefoltert wurde, wer nicht im Knast gesessen hat, wer niemals aus dem Blechnapf fraß, der kann entsprechende Prosa wie Lyrik nicht richtig übersetzen…besonders, wenn er die Texte nur technisch-linear übersetzt.
Lieber Titos, lieber Ferruccio, lieber Mikis, lieber Manolis, schreibt mir, sagt mir wann und wohin ich kommen, fliegen soll … ich lasse dafür alles stehn und liegen
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von Ferruccio Brugnaro | |
Eine Sammlung von Gedichten eines Chemiearbeiters aus Marghera (bei Venedig). Brugnaro war aktiv in der Arbeiterbewegung in den 70er Jahren. Seine Gedichte spiegeln die revolutionären Impulse, den bitteren Geschmack der Niederlage sowie die Mühe, die man aufbringen muss sich eine realistische, aber nicht resignierte, Vision der Welt anzueignen.
Die Gedichte von Ferruccio Brugnaro fordern uns heraus, sie zunächst einmal einzuordnen. Aber sie lassen sich nicht in den zahlreichen Strömungen der italienischen Literatur unterbringen. Jedwede Zuordnung in diese oder jene Strömung der italienischen Poesie wäre anzuzweifeln. Zahlreiche und teilweise lobenswerte Versuche wurden unternommen, um eine Verbindung zwischen dem Humus, in dem Brugnaros Lyrik entsteht, und den naturalistischen Erfahrungen der Nachkriegszeit (1945-1956) zu ziehen. Auch wenn diese Versuche uns als Anregung dienen, weit zu den Wurzeln einer literarischen Produktion zurückzugehen, die ab den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts sich außerhalb der Kultur der herrschenden Klasse entwickelt, überwiegen gewichtige Gründe, die uns überzeugen, dass im Rahmen der heutigen italienischen Literatur das Werk Brugnaros eine Einzelerscheinung ist.
Zweisprachige Ausgabe: Italienischer Originaltext „Un pugno di sole“ mit deutscher Übersetzung
ISBN: 978-3-88975-175-1
Sprache: Deutsch
Cover: Broschiert
Jahr: 2011