Das Lied ist entstanden während der Besetzung des Maintal-Dörnigheimer Jugendzentrums. Mitgründer der späteren Rockformation „Captain Sperrmüll“, arbeitslose Jugendliche, haben es arrangiert, mit Hilfe der „Beatles-Revival-Band“ eine Studio-Aufnahme produziert und es per MCs und zahlreichen Liveauftritten im Rhein-Main-Gebiet verbreitet. Der Versuch, es über den KBW-eigenen Sendler-Verlag in Mannheim auf Platte zu publizieren, scheiterte. ((KBW = Kommunistischer Bund Westdeutschland, hauptsächlich aus der 68er Studentenbewegung (SDS) hervorgegangene Organisation, die sich als antistalinistisch und volksdemokratsich bezeichnete und sich an den chinesischen Kommunisten orientierte und deren Häuptlinge heute zu den obersten Kriegstreibern gegen die „§.Welt“ und die Schwellenländer gehören. wie Ralf Füchs Chef der Böll-Stiftung), Hans-Gerhard Schmierer, Biggi Laubach, (beide führende Köpfe im ThinkTank des AA) Horst Löchel (Prof an der private European Buissiness School Wiebaden, und KapitalismusFundi), Hans-Jörg Hager (Chef der DB-Eigenen Schenker-Spedition))))
Drei Monate nach diesem Versuch erschien im Sendler-Verlag die LP „Drum links“ mit der KBW-Linien-bereinigten Version „Lied der arbeitslosen Jugendlichen“. Text und Melodie:“Drum links“, das war die Vorzeige Musikgruppe der KBW-Zentrale. Ich war stock sauer, und die Youngsters vom JuZ hatten einen unvergesslichen Eindruck, wie Revolutions-Oberlehrer mit ihnen und ihren Initiativen umgehen. Bei der Vertonung des Anti-Franco-Liedes „Weder König, noch Bourgeoisie!“ machten sie mich auf die Zeile aufmerksam: „…da wolln die Herrn Revisionisten den Kampf des Volkes kontrolliern, rechtzeitig sich die Posten sichern überm Volk als neue Herrn!“ – ‚Das wird bei EUCH auch nicht anders und du änderst da auch nichts dran!‘-
Trotzdem ging die politisch-musikalische Zusammenarbeit weiter.
Die Arrangements fast aller folgenden Lieder aus den frühen 70ern habe ich mit den JuZ-Kids gemeinsam erarbeitet.
DER RAG DER ARBEITSLOSEN JUGENDLICHEN
Im letzten Schuljahr hast du nichts mehr gelernt
„Bei euch ist doch alles zu spät!“
hat der Rektor gesagt und uns so überzeugt,
daß es ohne Abschlußzeugnis geht
Nach der Schule fängt die Große Freiheit an
so hast du dir’s vorgestellt
doch diese Freiheit heißt, keine Ausbildung,
keine Arbeit, kein Bock, kein Geld
Refr.: Wir brauchen einen Lehrlingslohn,
von dem man leben kann
und ne Ausbildung, die uns was nützt,
die wir selbst bestimmen, Mann!
und wer von uns keine Arbeit kriegt,
braucht Arbeitslosengeld
den halben Facharbeiterlohn
weil die Hose sonst nicht hält!
Jetzt rennst du täglich zum Arbeitsamt
wart’st zwei Stunden oder drei
kommst du dran und fragst, sagt der Typ jedesmal:
„Es ist leider keine Stelle frei!“
Mit nem Lehrvertrag ist so und so nichts drin
wenn du Glück hast, kommst du vielleicht
in nen Vorbereitungslehrgang mit nem Hungerlohn
der nicht mal für die Kippen reicht.
Refr.:….
Und du liegst deinen Alten auf der Tasche,
da ist schon für die zu wenig drin,
und die Wohnung ist zu eng und du willst endlich raus
und du weißt nicht mal wohin
in den Kneipen wirst du ausgenommen
im Jugendhaus ist nichts los
und hast du irgendwie den Abend rumgebracht
geht der Scheiß am Morgen wieder los
Refr.:….
Das geht jetzt schon seit Wochen so
die Rennerei hat dir nichts eingebracht
drei Kumpels von dir hams aufgesteckt
und schon den dritten Bruch gemacht
Beim letzten Mal ham die Bullen sie
beim Ausräumen erwischt
in den Wagen geprügelt, rumgebrüllt:
„Klauen könnt ihr, doch schaffen wollt ihr nicht!“
Refr.:….
Und dann findest du nen Hilfsarbeiterjob
für ein paar lumpige Mark
und die Antreiber stehn hinter dir
und fühlen sich furchtbar stark
Sie drohen dir mit den Arbeitslosen,
die draußen Schlange stehn:
„Wenn der Lohn und das Arbeitstempo dir nicht paßt,
kannst du ja wieder gehn!“
Refr.:……
Zur Berufsschule gehst du auch nicht mehr,
für den Tag bekämst du keinen Lohn
der Unterricht wär auch zum größten Teil
nur Geseich und Religion
Fürs Schwänzen kriegst du nen Bußgeldbescheid
vom Ordnungsamt der Stadt
so zeigt sie dir, daß sie großes Intresse
an deiner Ausbildung hat.
Refr.:……
weitere Lieder aus dem JUZ Dörnigheim findet ihr hier:
26.03.1973
SCHULSTREIK
Roter Zünder
Der Zorn des Schulleiters galt einem Mitglied seines Kollegiums: dem Studienreferendar Thomas Beyerle, 25, der seit September letzten Jahres an der modernen Haupt- und Realschule unterrichtet. Gemeinsam mit einer Gruppe linksorientierter Lehrer — darunter die Jungpädagogen Hildegard Heß. 24, und Klaus-Dietmar Katarski. 31 -entwickelte Beyerle Unterrichtsformen. die gemäßigtere Kollegen in einer emsig zusammengetragenen 20-Seiten-Dokumentation als „revolutionär“ und „anarchistisch“ verwarfen.
Beyerles Schüler, so behaupten die Verfasser, bestimmten im Unterricht mit. Sie schwänzten die Religion und schwärmten von Revolution; Klassenkampf beherrsche die Klassen-Szene. So unterscheide Beyerle zwischen „Arbeiterkinder“ und „Kapitalistenkindern“ („die ewigen Sieger) und habe nach einer von ihm eingeführten Bewertungsskala — mit Noten von eins bis drei — Kinder aus der Unterschicht gegenüber sozial bessergestellten Schülern bevorzugt.
Immer häufiger führte Beyerles Bemühen um Aufklärung zu häuslichen Konflikten. Mütter entrüsteten sich über Wortfeld-Analysen, bei denen ihre Kinder Synonyme für Penis wie etwa „Pimmel“, „Fridolin“ oder „Pillermann“ notierten. Väter sahen sich wiederholt Fragen über eheliche Beischlaf-Gewohnheiten ausgesetzt. Dem Elternbeirats-Vorsitzenden Dieter Jacob klagten Elternpaare, die Kleinen würden „zusehends renitenter und aufsässiger“.
Ein Projektpapier „Sexualkunde“, von Beyerle als Unterrichtsplan erdacht und ausgearbeitet (aufwendigster Zeitbedarf mit drei Stunden: Thema Koitus), provozierte schließlich den Eklat. So las der Vorsitzende Jacob ein Elaborat, das Rektor Schwarz ihm zugespielt, die Schüler Zehn- und Elfjährige
aber nie gesehen hatten: Texte aus Protokollen über Kindererziehung, die schon vor Jahren in West-Berliner Kommunen und Kinderläden kursierten. Für Jacob war das neu etwa dieser als Kinderlied gedachte Vers:
Auf der grünen Wiese liegt der Theodor,
neben ihm die Liese fummelt am Motor;
fummelt am Vergaser, fummelt am Magnet,
bis der rote Zünder kerzengrade steht.
Liese schiebt den Gang rein, Theodor gibt Gas:
Dreimal rauf und runter, hei, wie macht das Spaß!
„Wer so etwas schreibt und Kindern erzählt“, urteilt Jacob nach eingehender Lektüre, „ist entweder ein Verbrecher oder ein Psychopath.“ Vorletzte Woche stellte der Eltern-Sprecher bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen Beyerle Strafantrag wegen „versuchter Unzucht mit Abhängigen“.
In der Kellerbar des Bankdirektors Franz Imhof auf dem als Wohngebiet bevorzugten Hexenberg formierten sich betroffene Familien zum Protest. Vorläufiger Höhepunkt der Aktion Widerstand: Vier Tage lang hielten die Eltern letzthin ihre Kinder von der Schule fern.
Weil „die Dietzenbacher Schule allmählich einem brodelnden Dampf kessel glich“, so Karl-Heinz Hofmann.
* Beim Verschenken von Hundert-Dollar-Noten.
Sprecher des Darmstädter Regierungspräsidenten, entschloß sich die vorgesetzte Schulaufsichtsbehörde“ Luft abzulassen. Thomas Beyerle sollte -„aus dienstlichen Gründen“ — ab in die Wetterau.
Die Versetzungs-Verfügung führte zum „Chaos an Hessens modernster Schule“ („Bild“). Die linken Lehrer streikten, die Schüler ersannen Protestparolen gegen den Rektor („Ich seh nicht rot, ich seh nicht blau — ich seh nur Schwarz, die alte Sau“); Stühle und Tische flogen aus den Klassenzimmern, durch Dietzenbachs Straßen zogen Demonstranten.
Südhessens SPD forderte auf ihrem Parteitag „die Rücknahme der Versetzung“. Begründung: Hier werde versucht, „Lehrer, die sich konsequent für demokratische emanzipatorische Lernziele und entsprechende Methoden im Sinne der Rahmenrichtlinien einsetzen, mundtot zu machen“.
[)och auf die neuen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre des hessischen SPD-Kultusministers Ludwig von Friedeburg kann sich Beyerle mit seiner Unterrichts-Konzeption und der schichtenspezifisch unterschiedlichen Notengebung kaum berufen (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 148). Friedeburg: „Wenn das so gehandhabt worden ist, ist das absoluter pädagogischer Unsinn.“
Noch in dieser Woche wird der Minister vor dem Landtag zum Schulstreit Stellung nehmen. Während der Elternbeirat bei „schleppender Behandlung durch die Behörde“ (Jacob) aufs neue mit Streik droht, will die FDP von der Landesregierung wissen, ob sich „der politisch-pädagogische Ansatz“ der Junglehrer „mit den hessischen Rahmenrichtlinien begründen läßt“.
Richtlinien-Mitautor Hartmut Wolf hat sich schon geäußert: Er hält Beyerles Lehrpraktiken „weder didaktisch noch politisch für vertretbar“.
DER SPIEGEL 13/1973
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG.
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen diesen Artikel jedoch gerne verlinken.
Unter http://corporate.spiegel.de finden Sie Angebote für die Nutzung von SPIEGEL-Content zur Informationsversorgung von Firmen, Organisationen, Bibliotheken und Journalisten.
Unter http://www.spiegelgruppe-nachdrucke.de können Sie einzelne Artikel für Nachdruck bzw. digitale Publikation lizenzieren.
Ach ja, auch als Eltern müssen wir irgendwann einmal unsere Kinder loslassen und können’s manchmal gar nicht fassen, dass sie eventuell das Lieben, was wir hassen. Auch wer im Schrank noch alle Tassen von Sammelservice seiner Eltern hat, kann später beim Serviern sich irrn und aus Versehen die eine oder andre (mit)gehn oder fallen lassen. Ersatz gibt’s bei Ikea nicht. Dort klingeln zwar die Kassen, doch vom richtigen Geschirr, da haben sie nicht einen blassen Dunst und für die Massen muss jetzt das IKEA-Einheitsweiß mit Namen Björn auch passen
Brief an einen toten Freund
Vom 14.01.2014
Wir waren angetreten die Welt besser zu machen. Diese große Aufgabe erschien uns damals machbar. Hierbei haben wir uns jedoch mehr mit den Kämpfen gegen die Herrschenden und gegen ihre Vollstrecker konzentriert, als dass in unserem Handeln bereits Ansätze des Neuen, des Besseren, herrschaftsfreie Verhältnisse deutlich wurden. Untereinander propagierten wir die Solidarität mit kämpfenden und unterdrückten Völkern der Welt und unter uns fehlte es all zu oft an gegenseitigem Verstehen. „Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser. Ach, wir die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein“, schreibt Brecht an die Nachgeborenen.
Wir haben zusammen gewohnt, gearbeitet und gekämpft. Wir kannten uns seit 45 Jahren.
Zwei Jahre nach Deinem Tod erhielt ich durch Zufall davon Kenntnis. Uns trennten nicht Kontinente, sondern nur ein paar Stadtteile in Frankfurt. Die Todesanzeige stand in der Rundschau, die ich seit Jahren nicht mehr regelmäßig lese. Ein Anruf oder eine schriftliche Nachricht gab es nicht. Mein letzter Versuch der Begegnung mit Dir war mein Besuch im Krankenhaus. Du warst aber gerade entlassen worden. Meine Bemühungen erschienen mir sehr einseitig. Von deiner Seite kam seit Jahren und bis zu Deinem Ende nichts. Vielleicht sind wir uns aus dem Weg gegangen, weil unsere Begegnung uns unser Scheitern zu sehr vor Augen führte. Als Löwe gesprungen und als kastrierter Kater gelandet, oder so ähnlich.
Wir, mit unseren hehren Zielen, sind heute nicht in der Lage, einfachste, menschliche Verkehrsformen einzuhalten, die, ein von uns arrogant belächelter beliebiger Kleingartenverein, vortrefflich zu praktizieren versteht.
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten! Der Lachende hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen (Brecht).
An der Welt verzweifeln heißt, oft nicht mehr zu wissen, ob man selbst oder die anderen bescheuert sind. Trifft man durch Zufall aktuell zu viele Autisten oder ist man selber einer geworden? Dies ist die Frage aller Fragen, würde der von uns Beiden, verehrte M. Belz sagen.
Dein Tod macht mich sehr traurig. Die Begleitumstände sehr betroffen.
Wenn wir uns im sozialistischen Jenseits wiedertreffen, erschrick nicht, wenn ich Dir dann freundschaftlich aber bestimmt in den Seelenarsch trete.
Dein alter Freund
Sven
Als ich vor etwa 8 Jahren Klaus zum letzten Mal getroffen habe – auf der Frankfurter Bergerstraße, haben wir in einem Café lange über die Zeit in Dörnigheim und Hanau gesprochen, und am Rande auch über den damals noch nicht als EUROfighter plakatierten Dany und den Kosovo-Befreier Tom Königs, und den Ribbentrop-Nachfolger Joschka Fischer auch, der damals schon Belgrad hatte bombardieren lassen, um ein „zweites Auschwitz zu verhindern“. Klaus war zwar nicht mehr wie früher mal KPD-ML-orientiert aber immer noch wie früher kein Bellizist und schon gar kein Euro-Zentriker, der meinte, die Welt solle am EURO-Wesen genesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Klaus sich mir gegenüber so verstellt haben soll. Es bestand dafür auch nicht der geringste Grund/Anlass. Ich vergebe keine Lehraufträge oder Professuren für Antimilitarismus. Aber Klaus war ja auch nicht auf Jobsuche.. So, und da ich nicht Moses bin und mir kein Gras in der Tasche wächst, kann ich auch nicht beschwören, dass Klaus sich in den letzten Jahren eventuell nicht doch so gewendet hat wie Gerd Könen, Horst Löchel, Joscha Schmierer, Jörg Hager, Ralph Füchs, um nicht immer von den Gleichen zu reden, z.B. vom kommenden König von Afghanistan oder dem neuen Shah von Persien, der einen Militärschlag gegen den Iran für gut heißt, ihn aber intelligenter haben möchte als den gegen Libyen – also einen Drohnen-Kolonialkrieg ohne eigene und mit etwas weniger auffälligen Kollateralschäden. Klaus Katarski in der Reihe dieser Kriegsverbrecher zu sehen, allein die Vorstellung verursacht bei mir Magengeschwüre.
Und noch einen etwas bitteren Nachsatz: wer mit Adorno-Zitatenverschnitt in Raubkriege ziehen lässt, der lässt im „VerteidigungsFalle“ am Hindukusch oder in Syrlibyran die Frauen mit Brecht-Zitaten aus der Burka in die Freiheit bomben, auch wenn sie keine tragen.
Kommentar zum Nachruf
für Klaus Katarski,
von Natalie Katarski:
„Gut gemeint ist der Gegensatz
von gut gemacht“ ( Berthold Brecht)
Der Verfasser des Nachrufes auf
meinen Vater ist mir und
meiner Familie unbekannt.
Die im Nachruf genannten Politiker
Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit
und insbesondere Tom Königs,
wurden von meinem Vater
für Ihre Arbeit und differenzierte
politische Stellungnahme bewundert
und geschätzt.
Dieser Nachruf trifft die politische
Grundhaltung meines Vaters nicht
und ich bin nicht erfreut darüber.
Natalie Katarski