Liebe Freundinnen und Freunde,
junge Welt hat meinen Arbeitsvertrag gekündigt, ab April werde ich
fürs Neue Deutschland schreiben. Über die Hintergründe dieser
Zuspitzung informiert mein unten folgender Abschiedsbrief an jW vom
10. März. Da er mittlerweile ohnedies durchs Internet geistert, zum
Teil arg verkürzt, will ich auf diesem Weg dafür sorgen, daß er
wenigstens einige Menschen in meiner Originalversion erreicht.
Außerdem füge ich den letzten Kommentar an, den ich für Junge Welt
geschrieben haben, und der nach Meinung der Geschäftsführung nie hätte
erscheinen dürfen: „Rettet unsere Kohle!“ vom 23. Januar. Einige kenne
ihn schon. Im Lichte der eskalierenden Finanzkrise der letzten Tage
hat sich gezeigt, daß der Text zu hundert Prozent richtig lag. Es
handelt sich übrigens nicht, wie mir auch Wohlmeinende unterstellten,
um eine gelungene Satire. Das alles ist bitter ernst gemeint!
Wie immer bin ich für Anregungen und Kritik dankbar.
Herzliche Grüße
Jürgen Elsässer
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Jürgen Elsässer
An
Junge Welt
-Redaktion
-Verlag
-Geschäftsführung
10. März 2008
Liebe Genossinnen und Genossen,
die Geschäftsführung hat meinen Arbeitsvertrag zum 29. Februar
gekündigt. Der von ihr neu angebotene Vertrag war für mich unter
keinen Umständen annehmbar. So endete zu meinem Bedauern meine
Mitarbeit an der Zeitung zu dem von der Geschäftsführung gesetzten
Datum.
Der neue Vertrag hätte für mich wesentliche finanzielle Einbußen
bedeutet. Wichtiger noch: Er hätte meine Möglichkeiten signifikant
verschlechtert, kontroverse Denkanstöße in der Zeitung unterzubringen.
Ich hatte deshalb bereits bei Vorgesprächen darum gebeten, den alten
Vertrag beizubehalten und ggf. zu modifizieren. Leider fand ich kein
Gehör.
Im Hintergrund stehen inhaltliche Differenzen: Artikel von mir, die
die Minderheiten- und Randgruppenorientierung der Linken kritisierten
und stattdessen ein Volksfront-Konzept favorisierten, das auf die
Gewinnung von Mehrheiten in der Bevölkerung setzt, wurden im Verlauf
des letzten Jahres immer stärker geblockt. Um Mißverständnissen
vorzubeugen: Es ging mir nicht darum, den Kurs der Zeitung zu
bestimmen. Ich wollte lediglich ab und zu einen eigenen Farbtupfer auf
die Palette setzen. Wenn aber political correctness den Pinsel führen
will, wird kreatives Arbeiten unmöglich. Verantwortlich für diese
Entwicklung ist die Geschäftsführung, unterstützt vom Gros der
Mitarbeiter in Redaktion und Verlag. Demgegenüber versuchte die
Chefredaktion, den Pluralismus der Zeitung zu verteidigen, geriet
dabei aber selbst unter Druck.
Ich scheide nicht im Zorn. Eher mit Wehmut. Unterm Strich werde ich
unsere Zusammenarbeit in den letzten fünf Jahren in positiver
Erinnerung behalten. Es gibt sehr viele sehr gute Redakteure und
Autoren, zu denen ich unbedingt weiter Kontakt halten will. jW hat
eine wichtige Rolle in der Linken gespielt, und daran wird sich, so
hoffe ich, auch in Zukunft nichts ändern. Vielleicht könnte man es so
sagen: Unsere Wege trennen sich, aber wir marschieren weiter in
dieselbe Richtung. (Für diejenigen, die die Geschichte der Zeitung
kennen: Das ist der große Unterschied zum Bruch 1997.)
Ich selbst werde ab April für das Neue Deutschland arbeiten. Nach den
beeindruckenden Erfolgen bei den Landtagswahlen im Westen und im
Vorfeld der Bundestagswahlen 2009 stehen die LINKE und ihre
auflagenstärkste Zeitung vor großen Herausforderungen. Die Situation
birgt Chancen und Risiken, die sorgfältig diskutiert werden müssen.
Ich freue mich außerordentlich, daß mir die ND-Redaktion die
Möglichkeit bietet, in diesen spannenden Zeiten meinen Beitrag zu
leisten.
In diesem Zusammenhang werde ich weiter dafür werben, daß sich die
Linken nicht in fruchtlosem Gegeneinander aufreiben, sondern ihre
Differenzen produktiv austragen. Wetteifern wir also darum, wer der
gemeinsamen Sache am besten dienen kann! Dies möge, wenn ich einen
Wunsch äußern darf, auch für das Verhältnis von jW und ND gelten.
Mit solidarischen Grüßen
Jürgen Elsässer
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23.01.2008 / Ansichten / Seite 8
Rettet unsere Kohle!
Wirtschaftskrach trotz Zinssenkung
Von Jürgen Elsässer
Seit dem gestrigen Dienstag verleiht die US-Zentralbank Geld für fast
umsonst. Der Börsenkrach hat damit ein Stadium erreicht, in dem man
keine akademische Analyse mehr benötigt, sondern praktische
Handlungsvorschläge. Wenn selbst die Bild-Zeitung »das Risiko einer
globalen Krise« beschwört, braucht es keine marxistische Tageszeitung
mehr, die das nachbetet.
Beginnen wir mit einem guten Rat an unsere Leser: Legen Sie einen
größeren Batzen Geld unters Kopfkissen und lassen Sie nicht alles auf
der Bank. Bei der weiß man nämlich nicht, ob sie morgen wegen
Illiquidität ihre Automaten abschaltet – »aus technischen Gründen«
oder »vorübergehend«, wie es dann heißen wird. Sofern Sie Rücklagen
haben, sollten Sie einen Teil davon in Gold tauschen. Damit werden Sie
zwar nichts gewinnen, da dessen Kurs schon das Allzeithoch erreicht
hat, aber wenigstens werden Sie nicht alles verlieren. Die Inflation
der Papierwährungen jedenfalls wird weitergehen, und ein neues 1923
sollten wenigstens die nicht ausschließen, die ansonsten vor einem
neuen 1933 warnen.
Wenn Ihr Betrieb à la Nokia dichtmachen will, müssen Sie ihn besetzen.
Sichern Sie das Grundstück, die Immobilie, die darin vorhandenen
Maschinen und am besten auch die Konten. (Schon in Zeiten des
scheinbaren Friedens sollten Sie mit Hilfe professioneller Hacker die
Paßwörter der Buchhaltung etc. ausspähen.) Betrachten Sie diese Werte
als Faustpfand für Ihre Existenzsicherung. Setzen Sie, wenn möglich,
den Betrieb wieder in Gang oder veranstalten Sie auf dem Gelände
irgendeinen Rummel, für den Sie Eintritt verlangen können. Bitte nicht
der Gewerkschaft oder der SPD vertrauen, da besteht
Verarschungsgefahr!
Nach den Tips für den einzelnen nun die Ratschläge an die Linke,
respective Die Linke. Sie steht vor einer epochalen Herausforderung.
Die Krise bedroht nicht nur die unteren Klassen, sondern die
Produktionsbasis insgesamt, wie Anfang der dreißiger Jahre. In dieser
Situation werden sich nur noch Besserverdienende für den postmodernen
Schnullipulli – Ökologie, Feminismus, offene Grenzen, Klimaschutz –
begeistern können. Auch der simple Klassenkampf der ewigen Trotzkisten
wird nur eine kleine Minderheit ansprechen. Denn schon der
Daimler-Facharbeiter und erst recht der Mittelständler rechnen sich
gar nicht zum Proletariat. Notwendig wäre vielmehr eine »Politik für
alle« (so ein Buchtitel Lafontaines), das heißt, ein Programm zum
Schutz der Volkswirtschaft vor den Stürmen der Globalisierung. Ein
wichtiges Element davon wäre der Neuaufbau einer nationalen
Energiebasis. Wolfgang Clement hat durchaus recht, wenn er den
kohlefeindlichen Kurs der Hessen-SPD angreift – er hätte nur dazusagen
sollen, daß schon im Kabinett Schröder mit ihm als Wirtschaftsminister
das Todesurteil über die Bergwerke gesprochen wurde. Hat die Linke den
Mut, ihre Wiederöffnung zu fordern? Oder wartet sie, bis der Ölpreis
auf 200 Euro pro Barrel steigt?