Archäologie als israelische Kriegswaffe: über die »Zeitbombe in Jerusalem« schreibt Johannes Zang in „publik-forum“

„Die Bibel hat doch recht“, an Werner Kellers christlich-fundamentalistischen  Bestseller, an KreuzzugsFantasien von Fahrten ins Heilige Land, (neo)kolonialer Siedlermentalität und Herrenmenschendünkel kann die israelische Propaganda nahtlos ansetzen:

»Zeitbombe in Jerusalem«
von Johannes Zang

König-David-Stadt: Archäologische Grabungen jüdischer Siedler mit dem Ziel, Palästinenser aus Ost-Jerusalem zu vertreiben

Besetztes Ost-Jerusalem, Stadtteil Silwan. Wenn der palästinensische Muslim Abu Jamil nachts um zwei Uhr sein Ohr auf den Fußboden legt, dann hört er sie: jüdische Siedler, die Israels Antikenbehörde helfen wollen, einen Tunnel vom angeblichen Palast König Davids bis zum Tempelberg zu graben. Seit Jahren vernimmt Abu Jamil, wie gegraben wird. Auch auf diese Weise zerstören Israelis die Fundamente eines palästinensischen Staates mit Hauptstadt Ost-Jerusalem.

Mit dem biblischen König David begannen tatsächlich die Schwierigkeiten für die 55000 Palästinenser im Stadtteil Silwan, nicht einmal hundert Meter von Jerusalems Altstadtmauer entfernt. Als israelische Archäologen behaupteten, sie hätten den Palast von König David gefunden, war es mit der Beschaulichkeit von Silwan im Kidrontal vorbei. Auch wenn das Urteil der jüdischen Archäologen von internationalen Fachkollegen belächelt oder infrage gestellt wurde: Von nationalistisch oder religiös motivierten jüdischen Siedlern wurde es als Auftrag zum Besiedeln aufgefasst. Ähnlich wie in Hebron 500 Siedler inmitten von 170000 Palästinensern unter großem Sicherheitsaufwand leben, nur um nahe am Grab Abrahams zu sein, so möchten immer mehr jüdisch-fundamentalistische Siedler nahe der angeblichen Davidstadt wohnen.

 Bereits 1993 machte Abu Jamil erstmals Bekanntschaft mit Siedlern, als sie behaupteten, er habe ihnen sein Land verkauft und ein entsprechendes Dokument vorlegten. Abu Jamil ging vor Gericht. Am Ende stand das Urteil: »Sein Haus ist sauber«, was übersetzt heißt: Alles in Ordnung. Doch dafür musste der sechsfache Vater 10000 US-Dollar für Rechtsanwaltskosten hinlegen. Er fragt: »Ist das nicht schlimm, ist das keine Schande?«

Nachbarn und Verwandte von Abu Jamil haben andere leidvolle Erfahrungen hinter sich. Immer wieder sind Palästinenser plötzlich durch die Fußböden ihrer Häuser gebrochen und einige Meter tiefer gestürzt, wo sie sich neben jüdischen Siedlern wiederfanden. Die durchsuchten unterirdisch auf eigene Faust das Erdreich Silwans nach Spuren der Davidstadt. Siedler besetzen Häuser von Palästinensern oder ekeln sie aus ihren eigenen vier Wänden hinaus. Zusätzlich hat die jüdische Stadtverwaltung Land enteignet, Räumungsbefehle angeordnet oder Palästinensern gleich ihr Aufenthaltsrecht widerrufen. Dutzenden von Häusern in Silwans Al-Bustan-Wohnviertel droht der Abriss, da die Stadt einen »Biblisch-archäologischen Park« errichten will. Kein Wunder, dass es bereits zu Straßenschlachten kam – mit Toten und Verletzten. Unlängst wurde ein palästinensischer Jugendlicher vom Wachmann eines jüdischen Siedlerhauses erschossen.

Friedliche Archäologie? Selbst Archäologie ist in Israel und Palästina politisch durchtränkt. Die israelisch-jüdische Friedensorganisation Ir Amim, »Stadt der Völker«, sagt klar, dass archäologische Ausgrabungen ein »wichtiges Werkzeug zur Kontrolle sind, seit Israel 1967 die Kontrolle über Ost-Jerusalem erlangte«.

Yair Zakovitch, Professor für Biblische Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem sieht das archäologische Treiben sehr kritisch, wenn er sagt: »Jerusalem ist ein sensibler Ort, und jeder bedient sich der Ausgrabungen, um das zu beweisen, was er beweisen will.« Derzeit gräbt die israelische Antikenbehörde an drei Plätzen in Silwan: in Givati, am Quellenhaus und an der Herodianischen Straße.Während manche israelische Wissenschaftler grundsätzlich in Zweifel ziehen, ob König David überhaupt gelebt hat oder nur Mythos ist, verkündet die Internetseite City of David auf Hebräisch, Englisch, Russisch, Französisch und Spanisch: »Die Stadt Davids ist der tatsächliche Ort der biblischen Stadt Jerusalem, die von König David vor über 3000 Jahren erobert wurde.« Die dahinterstehende, 1986 gegründete Stiftung Ir David fühlt sich dem Erbe von König David verpflichtet, was sich in vier Schlüssel-Aktivitäten niederschlägt: Ausgrabungen, Entwicklung des Tourismus, Bildungsprogramm und »residential revitalization«, was nichts anderes heißt als: Juden sollen dort wieder angesiedelt werden, wo seit vielen Jahrhunderten Palästinenser leben. 1991 zogen die ersten Siedler nach Silwan. Mittlerweile sind es bereits sechzig jüdische Familien. Heute, so behauptet die Internetseite von City of David, lebe dort eine »blühende jüdische Gemeinschaft«

.Eine Hölle. Dass diese das Leben der palästinensischen Mehrheit seitdem zur Hölle macht, verschweigt die Internetseite. »Wie soll es eine Lösung geben?«, fragt Abu Jamil, »wenn du mir mein Land nimmst, wenn du mich vertreiben und an meiner Stelle jemanden anderen ansiedeln willst – gegen meinen Willen?« Die Siedler nennt er ohne Umschweife einen Fremdkörper, er sagt: »Das ist ein Krebsgeschwür.«

Dabei hat der Sechzigjährige, der ein kleines Lebensmittelgeschäft keine hundert Meter unterhalb des Nationalparks City of David betreibt, seinen Kindern Nächstenliebe, Toleranz und Respekt beigebracht. »Ich persönlich möchte mit meinem Nachbarn in Frieden leben, mit dem Christen, mit dem Juden, mit dem Drusen.« Das sagt Abu Jamil mit ruhiger Stimme, und man glaubt es ihm. – Doch in Silwan herrscht Tag für Tag Kleinkrieg – die Touristen und Pilger bekommen ihn jedoch nicht zu Gesicht. Es ist ein Krieg der israelischen Bürokratie, der Antikenbehörde und der Siedlerbewegung Elad gegen die dort lebenden Palästinenser, der es – warum wohl? – nie in die deutsche Tagesschau schafft.

Der israelische Rechtsanwalt und Friedensaktivist Daniel Seidemann beobachtet die Siedleraktivitäten seit Jahren mit größter Sorge. Was er »die radikalsten Änderungen seit 1967« nennt, ist für den Gründer von Ir Amim der erbitterte Kampf um Land in Jerusalem, den jüdisch-fundamentalistische Siedlergruppen wie Ateret Cohanim und Elad führen. Sie wollen in und um die Altstadt – das sogenannte »Heilige Becken« – mit vielen eigenen Bauten eine »starke jüdische Dominanz« herstellen. Diejenigen unter ihnen mit »messianischen Absichten« wollen sogar den Dritten Tempel anstelle der Moscheen auf dem Tempelberg, obgleich der den Muslimen weltweit heilig ist«, sagt Seidemann.

Soviel Hass wie in Hebron? Schon sprechen Kenner der Lage in Silwan von einer Lage wie im hasserfüllten Hebron mit seinen Patriarchengräbern. Jochen Stoll ist einer von ihnen. Der von Pax Christi und vom Forum Ziviler Friedensdienst nach Jerusalem entsandte Friedensfachmann bilanziert nach drei Jahren vor Ort: »Es gibt ein Streben, ganze Stadtteile zu judaisieren, Palästinenser zu vertreiben und stattdessen Juden anzusiedeln. Die Juden kommen nicht als Nachbarn, sondern als Siedler, als Besatzer, als die, die die Macht haben .«Die Warnung von Daniel Seidemann, Jerusalem könne explodieren und der nationale Konflikt zu einem religiösen werden, scheint in Silwan schon Realität. Silwan in Ost-Jerusalem ist eine Zeitbombe, die von Woche zu Woche lauter tickt.

Ein Artikel aus  „Publik-Forum“  Nr. 24 vom 16. Dezember 2011

Johannes Zang, Jahrgang 1964, aus Goldbach bei Aschaffenburg, hielt sich von 1985 bis 1987 erstmals in Israel und den Besetzten Palästinensischen Gebieten auf. Er arbeitete als Zitronenpflücker in einem Kibbuz, einer `Field School´ (Naturschule) sowie einem Altenheim in Tel Aviv.Von 1999 bis 2003 unterrichtete er palästinensische Kinder in Bethlehem in Musiktheorie sowie im Klavier-, Kirchenorgel- und Gitarrenspiel. Er leitete zwei Chöre und ein Ensemble. In dieser Zeit verfasste er mit zwei Deutschen während einer israelischen Militärinvasion den Offenen Brief an Außenminister Joschka Fischer, der bundesweit Beachtung fand.

Von April 2005 bis Juli 2008 lebte Johannes Zang mit seiner Frau Janina in Jerusalem. Er unterrichtete Klavier und Orgel in fünf Kirchen der anglikanischen Diözese von Jerusalem, arbeitete als Pilgerführer und berichtete für verschiedene Zeitungen und Agenturen, darunter Die Zeit, Der Tagesspiegel, Die Presse (Wien), Freitag 23, Märkische Allgemeine, Die Tagespost, Katholische Nachrichtenagentur (KNA), KIPA (Schweiz), Das Parlament, junge Welt, Aachener Nachrichten, Münchner Merkur, Rheinischer Merkur, Main-Echo, das Vatican-Magazin und verschiedene deutsche Kirchenzeitungen. Für das Domradio Köln wurde er zu aktuellen politischen Entwicklungen, aber auch zu kirchlichem und religiösem Leben in Israel und Palästina befragt. Johannes Zang schrieb gelegentlich auch für das in Jerusalem erscheinende Monatsmagazin This Week in Palestine ……  mehr hier: http://www.jerusalam.info/page2/page2.html

Eine erste Reaktion aus dem Internet möchte ich hier gerne anfügen: der türkisch-deutsch-niederländische Historiker, Soziologe und Philosoph Samy Yildirim  schreibt:

Lieber Hartmut,
„Und die Bibel hat doch …nicht Recht!“ Zu diesem Ergebnis kamen die ersten Bibelforscher, Bibelkritiker avant la lettre, bereits in der Antike.
Dazu rechnen  der aegyptische Hohepriester Manetho, der im 3. Jahrhundert vor Beginn der ueblichen Zeitrechnung eine Geschichte Aegyptens
schrieb, und die auch heute noch von Aegyptologen verwendet wird – nicht nur seine „Liste der Herrscher, Dynastien und Reiche“. Ein anderer
kluger Kopf der Antike, der ebenfalls erkannte, dass der JHWH-Monotheismus Jahrhunderte juenger ist als er vorgibt, und dass viele in der Bibel geschilderten Ereignisse entweder ueberhaupt nicht oder nicht so stattgefunden haben koennen, war der in Alexandria [heute: Iskenderun]
lebende griechische Schriftsteller Apion. Es kommt nicht von ungefaehr, dass der bedeutendste juedische Schriftsteller der Antike, Josef ben Mattatis,
der sich dann „Flavius Josephus“ nannte, „Contra Apionem Due Libri“ [= „2 Buecher gegen Apion“] schrieb, in welchen er auf der Historizitaet der Bibel beharrte, was ihn zum ersten Young-Earth-Creationist avant la lettre machte.
In den letzten 200 Jahren haben die wissenschaftliche Bibelkritik und die biblische Archaeologie den antiken Befund von Manetho und Apion bestaetigt. Den Erkenntnisstand bis Ende 2000 fassen Israel Finkelstein und Neill Ascher Silberman zusammen in ihrem Buch „The Bibel unearthed“, das 2001 in den USA erschien, und 2002 auch in Deutschland [„Keine Posaunen vor Jericho – Die archaeologische Wahrheit ueber die Bibel“, uebersetzt von Miriam Magall]. Es sagt Einiges aus ueber den Stand und das Niveau der inner-linken Diskussion, das solche Autoren und Buecher nicht allgemein bekannt sind. PISA ist eben ueberall.
Ich wuensche Dir und allen anderen ein Frohes Schmuckfest mit vielen Jahresendfiguren und einen unfallfreien Rutsch in ein Besseres Neues Jahr 2012!
Samy Yildirim
Zaandam / Nordholland / Niederlande

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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