Das Vorwort stammt wie das vor meinen „unter-schlag-zeilen“ von meinen Freunden Ingrid und Gerhard Zwerenz. Ihnen beiden widme ich die Lesung am 4. September in Büchners Geburtshaus, wobei Ingrid noch mit uns auf der Erde weilt – (aber leider nicht dabei sein kann), während sich Gerhard bereits in die HömmelHille vorausgearbeitet hat. Meinen Nachruf in Gerhards HömmelHille füge ich unten an.. Hier nur der Anfang -zuvor aber jenes Testament, das ich -inspiriert durch Gerhard- 1966 bei der Bundewehr im zarten Alter von gerade 18 im Bau geschrieben habe, nachdem meine Neuvertextung des Liedes der Panzergrenadiere und des „Ich hatt einen Kameraden“ dann doch ein paar Tage Haft einbrachten. Über Wochen konnte die Standortkommandantur den Urheber der neuen Bundeswehrgesangbuch-Lieder nicht ermitteln. Nachdem ein Kamerad sich beim Morgenapell auf den Befehl des stellvertr. stellvertr. Kompanie-Chefs: „Wer hat diesen Text gesungen und geschrieben? Vortreten!“ meldete und vortrat, trat ich nach drei Sekunden auch vor, weil ich wusste, dass sie den fertigmachen würden. Dann kamen nach gefühlten 10 Minuten die drei Schützen aus Köln-Nippes, drei Kleinkriminelle, die einen schwunghaften Öl-Handel aus der Kaserne heraus entwickelt hatten. Sie waren als KFZ-Mechaniker zuständig für den Ölwechsel bei Panzern und Schützenpanzern, LKWs usw…sie waren die Leaders of the Pack und danach stand die ganze Kompanie vorne. Ich hätte damals laut losheulen wollen. Hab mirs aber verkniffen. Ich liebe Köln-Nippes.
Testament
hängend
zwischen
himmel
und hölle
weiß ich nicht
was himmel
und was
hölle ist
oft scheint
der himmel
mir als hölle
und die hölle
als der himmel
dann weiß
ich nicht
wofür ich mich
entscheiden soll:
für höllenhimmel
oder himmelhölle
weil beides
für mich nicht
das ideale ist
bleibt mir
die pflicht
mit alter
tradition
zu brechen:
nicht himmel
oder hölle
sei mein
letzter wille
hängend
zwischen
beidem
installiere ich
die HÖMMELHILLE
HaBE immer Zwerenz am Ende & Abendroth am Anfang gesucht
– ein Nachruf
Mit Gerhard Zwerenz Tod fehlt meinem politischen Alphabet jetzt das Ende. Vor 30 Jahren war Altvater kein ausreichender Ersatz für Wolfgang Abendroth. Steht jetzt bei allen unterschreibbaren Aufrufen am Anfang Altvater und zum Schluss Lukas Zeise oder Ingrid Zwerenz?
Gerhards Abschied von der Bühne hat mich in einem Tief sehr tief getroffen. Aber er bleibt und wenn ich gar zu traurig werde, schnappe ich mir meine „unter-schlag-zeilen“ und lese euer Vorwort, das mir so unendlich viel bedeutet hat und weiter bedeutet. ….. (Fortsetzung am Ende des folgnenden „Nachwortes“
70. Nachwort (warum im „poetenladen“ Gerhards Vorwort zum 70. Nachwort deklariert wird, HaBE ich mir noch nicht erschliessen können) |
Büchner und Nietzsche und wir | 1991
„Die Rede des Georg Büchner vor der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung anläßlich seiner Ablehnung als Büchnerpreisträger“ |
Gerhard Zwerenz
Büchner und Nietzsche und wir
Bei seiner vorjährigen Preisrede nutzte Dieter Hildebrandt das Prinzip des mehrfachen Anfangs, und da schon Platon seine Schrift über die REPUBLIK siebenmal angefangen hatte, was also eine Tradition begründet, die von der griechischen Antike vor zweieinhalbtausend Jahren bis zur Preisrede Hildebrandts vor einem Jahr hier in Darmstadt reicht, schließe ich mich dem an und beginne auch mindestens siebenmal. Denn das ist ein literarisches Prinzip geworden, und ein politisches. Wir möchten immer wieder gern neu anfangen. Die Pluralisierung des Anfangs kündet immerhin von unserm guten Willen.
Erster Anfang also: Schon gibt’s die Schwierigkeit mit der Anrede. Soll ich sagen: Verehrte Alternative? Oder: Hochverehrte Freunde? Aber wer nun gar kein Freund sein will? Also etwa: Liebe Freunde und Feinde? Liebe – deine Feinde? Schon wird’s zu christlich, das brachte Büchner schon gegen den tapfren Weidig vor.
Und was unterscheidet eine Alternativpreisrede von einer üblichen Preisrede? Vielleicht dies: Mach keine Sprüche, rede frei von der Leber weg und lass‘ die Luft raus.
So danke ich als erstes dem Stifter, der aus freien Stücken und ganz ohne Not und Hintergedanken mit seiner Preisstiftung den Ämtern und obwaltenden Göttern so nahe tritt, daß sie Bannkreisverletzung argwöhnen und Verlust angemaßter staatlicher Exklusivität. ja, darf der denn das ohne staatliche Erlaubnis? hätte Tucholsky ironisch gefragt.
Er darf nicht, er tut es.
Das wäre der Anfang. Und was kommt jetzt? Natürlich Büchner, der in „Dantons Tod“ seinen Helden sagen läßt: „Puppen sind wir von unbekannten Gewalten am Draht gezogen.“ Das Wort sei modifiziert. Zwar hängen wir puppengleich an Telefondrähten, Computerleitungen, Befehlssträngen, Karriereseilen, doch die Gewalten, die an uns ziehen, läßt unsere feige Trägheit unbekannt sein und unbenannt. Statt Geschichte gut zu produzieren, produzieren wir sie lieber schlecht und starten nach jedem Krieg geschichtliche Aufarbeitungs-
Nein, so hart anzufangen wäre unhöflich. Ein anderer Anfang also. Warum zwei Büchner-
Bestenfalls amüsiert er, läßt ein windeliebender postmoderner Regisseur den Woyzeck wie beschrieben auf offener Bühne furzen, was die Kritik zur Anmerkung inspiriert, endlich habe einer den Duft der Blumen des Bösen unparfümiert dargeboten. Im Rostocker Atelier-
Ein neuer Versuch des Beginns: In den siebziger Jahren hielt ich für den Übersetzer und PEN-Generalsekretär Janheinz Jahn auf dem Waldfriedhof die Totenrede. Der um Darmstadt verdiente Oberbürgermeister und Autor Heinz Winfried Sabais, der bald nachfolgte in den Tod, war dabei, Karl Krolow sprach zarte Gedichte, Wolfgang Weyrauch, der Begräbnisse scheute, hatte seine Frau geschickt, sie stand neben Ernst Kreuders Witwe. Es war ein vom Sarg ausgehender Sog zu spüren, der aristotelische Horror vacui. Wenig respektvoll dachte ich: In Darmstadt möchte einer nicht begraben sein. Daß zur selben Zeit eines meiner Bücher von der Darmstädter Jury zum „Buch des Monats“ ernannt wurde, schreckte mich auf. Was hatte ich falsch gemacht?
Der Preisstifter Walter Steinmetz und Gerhard Zwerenz
In diesen Tagen schrieb ich den Monolog, den zu Beginn Joseph Lorenz vertrug, und den ich als höfliche Bitte an die Akademie verstehe, die Mahnung des Hofpredigers in „Leonce und Lena“ zu beherzigen und, das Reich Popo wie das Reich Pipi verlassend, einen Präsidentenspruch zu dementieren, der da lautet: „Alle Untertanen werden aufgefordert, die Gefühle Ihrer Majestät zu teilen.“
Stattdessen wäre ein anderes Büchner-Wort aus „Dantons Tod“ angebracht: „ Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“
Aber nein, der Anfang mit Mord ist zu brutal. Ich versuche einen vierten: Büchner 1835 aus Straßburg an Gutzkow: „Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt … “
Ein gefährlicher, ein überholter Satz. Wir, die Reichen dieser Welt antworten den Armen, wenn und wo sie revoltieren, mit Grundgesetzänderung, mit NATO-
Und so bombardieren wir die Hütten. Und wer dazu auffordert, kriegt von der Akademie den Büchner-Preis. Stimmt da was nicht?
Nein, dieser Anfang ist zu ernst. Mein fünfter Versuch: Literatur sei nichts als Sprache, dozieren die Vorsitzenden der kakerlakischen Kunst-Industrien, die als beamtete Sprachrohre des Zeitungeistes per Sitzfleisch Karriere zu machen verstehen. Stellen wir uns Büchner vor, wie er einen sauberen Entwurf der Flugschrift einreicht beim Darmstädter Literaturfonds, mit untertäniger Bitte um Förderung, der folgsam bezopfte Stipendiat als schweißtriefender Zögling, der artig gelobt, sich modischer Ästhetik zu bedienen und durch die Blaue Blume sanft zu poetisieren. Hätte der hessische Schorsch dann nicht seinen Danton sagen lassen müssen: Was ist das, was in mir buhlt, bettelt, leugnet, nach den Krumen hascht, die von der Beamten Tische fallen? Ja hätte Büchner kürzlich vor einem Friedrich Zimmermann, diesem „Kuratoriumsmitglied“ und „Organ der Akademie“, so die offizielle Bezeichnung, den Hut ziehen sollen? Der Innenminister als Akademie-
So Zimmermann über Rudel. Nun, als Beispiel, Rudel nicht über Zimmermann, aber über seinen Führer: „… Und der Führer steht vor mir. Ich denke nur daran, daß ich kein frisches Hemd angezogen habe, mehr nicht.“ Mehr dachte er nicht. Der Rudel. Der Zimmermann. Beinamputiert oder hirnamputiert, das ist hier die Frage. Die Akademie sollte es zum Thema ihrer nächsten Tagung machen.
Ich setze zum sechsten Anfang an:
Nicht absichtslos bat ich zwei Autoren hier als Sprecher zum Pult für die montierte Laudatio. Ihre Namen: Stefan Wachtel, vormals DDR-Häftling, und Martin Rooney, ein englischer Germanist, in Bremen lebend, in deutsche Literatur und jenen Teil unserer Kultur verliebt, den wir strafbar vernachlässigen. Keiner der beiden wird von einem Kulturfonds unterstützt. Kein Wunder, sie katzbuckeln nicht vor Stipendienverwaltern, fehlen auf allen Vorschlagslisten, auf denen die immer gleichen Bettelzöglinge stehen.
Stefan Wachtels schmaler Erstling „Delikt 220“, im Greifenverlag erschienen, berichtet autobiographisch vom existentiellen Widerstand des jungen Gefangenen. Sätze, genau und kühl. Erfindungen so wenig wie im „Lenz“, die Poesie wie mit dem Skalpell aus dem Inneren des Äußeren hervorgeholt. Ich tausche gern 100 modedeutsche Weinerlichkeiten gegen diesen einen glasklaren gescheiten Existenzbefund. Das wurzelt im selben Boden wie der junge Büchner.
Und Martin Rooneys Ausgrabungen des uns unbekannt gemachten Armin T. Wegner bezeugen die Liebe eines Briten zu unserer Literatur Ich werde jetzt nicht anheben, Armin TZ Wegner zu rühmen, diesen Pazifisten und Stilisten, diesen Anti-Nazi aus Klugheit und Liebe zum Leben. Der englische Germanist Martin Rooney widmet dem großen Vergessenen alle Kraft und Energie, und da wir leider der untergegangenen DDR nicht viel Gutes nachsagen können, sei sie wenigstens dafür gerühmt, daß sie Wegner verlegte. Er starb 1978 in Rom. Die BRD hatte ihn schon jahrzehntelang durch Schweigen getötet. Dem Gedächtnis des Landes will Martin Rooney aufhelfen.
Hier nun mein siebter Anfang:
Große Zeiten stehen uns bevor, eine neue Bush-Ordnung soll geschaffen werden. Die unsere europäische Humanismustradition verleugnenden Großraumpolitiker gefallen sich in amerikanischen Gefangenschaften als wäre der bigotte Empirismus eines US-Präsidenten mehr als mühsam kaschierter Weltherrschaftswahn.
Weshalb laufen immer mehr Intellektuelle zu den Kriege vorbereitenden Machtpolitikern über? Der Verrat der Intellektuellen, von dem Julien Benda sprach, ist heute in ihrer Weigerung begründet, das 20. Jahrhundert als Tiefpunkt der Menschheitsentwicklung zu begreifen. Stattdessen rühmen sie den westlichen Fortschritt, denn natürlich ist die Fähigkeit, mit einem einzigen Schlag mehr Menschen zu eliminieren als in allen Schlachten der griechischen Antike zusammengenommen getötet wurden, eine unübertreffliche Kulturleistung.
Abend der Preisverleihung
Was wäre als Gegenkraft zu mobilisieren? Vielleicht das Weltbürgertum außerhalb der Gewaltmonopole? Büchner, Schopenhauer, Nietzsche als regionales Weltbürger-
Bietet die Dreiheit Büchner-
Unser Freund Alfred Andersch erntete als Deserteur Schimpf und Schande. Und als er in Deutschland Gasgeruch bemerkte in einem seiner letzten Gedichte, da wurde er in den Medien in effigie gelyncht. Anfang dieses Jahres 1991 stank das deutsche Gas bis in den Irak, doch Andersch durfte nicht erinnert werden, denn wer beizeiten warnt, den fressen die Hyänen unter Absingen ihre Nationalhymne.
Im letzten Weltkrieg wurden zwanzig bis dreißigtausend deutsche Deserteure geköpft, erschossen, gehenkt. Als Stalin aber vorschlug, fünfzigtausend verantwortliche deutsche Offiziere und Führer hinzurichten, schockierte er die Welt, die den Holocaust geduldig ertragen hatte. So endete nur ein kleiner Teil der Massenmörder am Galgen, denn die anderen wurden für neue Aufrüstungen benötigt. Merke: Ohne grundsätzliche kopernikanische Wende von der Kriegs- zur Friedenskultur ändert sich nichts.
Kehren wir folgerichtig zurück zu den schärfsten Geistern des vergangenen Jahrhunderts. Büchners dramaturgisches Seziermesser läßt keinen Platz für Unterdrücker und sie ermöglichende Opportunisten. Schopenhauers Desillusionierung erzwingt den Abschied von Ideologien.
Nietzsches unruhiger Scharfsinn endlich postuliert: „Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist …“
So spannt sich ein mißachteter Bogen von Büchner zu Nietzsche, zu einem Philosophen, der so verfälscht wurde, daß Hitler ihn schändlich mißverstehen konnte. Noch einmal Nietzsche: „Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lügt es auch; und diese Lüge kriecht aus seinem Munde: ›Ich, der Staat, bin das Volk.‹“
Hier höre ich den jungen Büchner im alten Nietzsche sprechen. Wie Ludwig Wilhelm Luck berichtet, grüßten Büchner und Minnigerode sich schon zu ihrer Gymnasialzeit mit: „Bonjour, citoyen“, das war ein Gruß an die Menschenrechtsrevolution, und sie entboten einander kein „Bonjour; bourgeois“, der offenbar postmodernen Gegenwartsgrußformel.
Die horrende Sprachlosigkeit unserer politischen Klasse, der gebückte Gang mit Sklavensprache der regierenden Kulturmoderatoren, die grassierende Nabelschau-Literatur mit seelischen Flohzirkus-Ausmaßen dies alles schuldet sich intellektueller Dürftigkeit. Schon fühlen die Kräfte der Verderbnis sich bestärkt: die intellektuelle Rechte rüstet auf. Ausländerfeindschaft wuchert, Überfälle auf Vietnamesen, verletzte Polen und ermordete Farbige sind keine Schlagzeile mehr wert. Nur wenn eine der Millionen Tötungswaffen, die im Land der angeborenen Unschuld produziert werden, nach hinten losgeht und einen Angehörigen der Oberklasse trifft, wird Entrüstung laut. Die tausend und abertausend Opfer unserer Rüstungsproduktion, die in ferneren Gegenden getötet werden, kümmern unsere Kulturnationalisten nicht. Dafür setzt es dann Spendenaufrufe ans liebe, gutwillige Volk..
In unseren gutdotierten Institutionen und Akademien aber herrscht der Nepotismus des Mittelmaßes, das besser der Chemie angeschlossen würde, Abteilung Schlafmittelherstellung. Die Chemie freilich würde dankend ablehnen. Bei ihr gilt Leistung. Die gilt nun auch in der Darmstädter Akademie. Man lockte jetzt gar einen Leipziger Dissidenten-
Man entscheide sich, ob man als Akademie im Schlafrock mit Filzpantoffeln Marke Leisetreter nichts als das eigene Gruppenglück betreiben will oder sich gar von der Akademie für Sklavensprache und Staatsdichtung umwandelt in eine Kriegs- und Militärakademie, in der die Aufstellung mobiler Eingreiftruppen für den nächsten Krieg am Golf und sonstwo beschönigend bedichtet wird.
Für die Ironie komme ich nicht um Vergebung ein.
Mein achter und letzter Anfang: Was ist zu tun? Können wir Büchners Gesellschaft der Menschenrechte als Weltbürgerrechts-Gesellschaft realisieren? Ist die Kriegsstrategie, zuletzt am Golf kriminell erprobt, in eine gezielte Friedensstrategie zu verkehren? Abrüstung programmiert, keine Waffen ins Ausland, Kürzung der Rüstungsausgaben pro Jahr um 5%, Finanzierung des Friedens und politischer Strategien gegen herrschende Machtgruppen und Monopolinhaber. Das sei Utopie, sagt man uns. Aber nein, das ist die Kernaussage des menschlichen Entwicklungsprogrannn der Vereinten Nationen, das gerade erst in Genf veröffentlicht wurde. Welche deutsche Partei macht sich dieses revolutionäre Friedensprogramm zu eigen? Wo sind die großen Medien, die für den UNO-Beschluß im Golfkrieg trommelten und nun ebenso lautstark für die UNO-
Verhält sich, wer das lauthals verkündete Programm künftiger „Kampfeinsätze der Bundeswehr“ in anderen Ländern akzeptiert, nicht genauso opportunistisch wie diejenigen, die Hitlers Krieg gehorsam mitführten? Wo bleibt die Anti-Kriegspartei?
· Bei Büchner, Schopenhauer, Nietzsche ist die Haltung der individuellen Revolte zu lernen, gegen die Verführungen der kollektiven Vernichtungssysteme, zu denen Theorie und Praxis der kommunistischen Diktaturen ebenso gehören wie ihre antikommunistischen Gegen- und Ebenbilder. Das alte Denken blockiert sich gegenseitig.
Dazu gehört die bei uns jetzt so beliebt gewordene Schuldzuweisung an den Osten, als wohnten im Westen lauter Engel. Auch Wolf Biermann schimpft immer lauter auf Stalinisten, als wären er und Robert Havemann nicht auch welche gewesen, zu lange, ließe sich urteilen. Gestern machte mich der Herausgeber der „europäischen Ideen“ auf Sätze aus meinem 1959 erschienenen Roman „Die Liebe der toten Männer“ aufmerksam. Es heißt darin: „Dies Buch ist gewidmet meinen Freunden Erich Loest und Günter Zehm und allen anderen in Ulbrichts Kerkern. Dies Buch ist geschrieben gegen ihre Kerkermeister und alle die das Unrecht unterstützen, verschweigen und insgeheim billigen, zur Tagesordnung übergehen, den Kaisern geben, was ihnen nicht ist, von Freiheit reden und nichts für sie tun …“
Cover zum Bühnenstück
Ich zitiere das nicht aus Rechthaberei. Die Worte aus dem Jahre 1959 trafen hier im Westen auf taube Ohren und im Osten galten sie als Kalter Krieg. Zu dieser Zeit waren Biermann und Havemann noch voll auf Parteilinie. Ich klage nicht an, rate aber: Hören wir auf mit der Beschimpferei. Dieser Kampf ist entschieden. Es ist Zeit für Vergebung.
Arthur Koestler erzählte mir einmal, wie Alfred Kantorowicz ihn nach seinem Weggang aus der DDR in London aufsuchte. Kantorowicz erzählte mir das auch, aber anders. Sicher ist nur, Koestler empfing den alten Freund mit der vorwurfsvollen Frage: „Warum kommst du erst jetzt?“ Gemeint war der späte Absprung von Stalins Partei. Kantorowicz antwortete: „Besser jetzt als gar nicht.
Die Frage bleibt: Warum erst jetzt? Vielleicht ist es für uns alle längst zu spät. Vielleicht sind die Weichen längst weltweit auf Vernichtung gestellt. Dann gilt das Trotzdem. Wer eine schäbige Existenz nicht führen will, der wird die Parteien der Diktatur ebenso verabscheuen und bekämpfen wie die angesagte okzidentale Strategie der Herrschaftserhaltung durch Kriege.
Ich bedanke mich bei Ihnen fürs geduldige Zuhören und beim Preisstifter für die Gelegenheit, frei von der Leber weg sprechen zu können wie es anderswo kaum noch möglich ist, denn der Fortschritt der Medien ist der Rückschritt des freien Wortes, das die Akademien gewiß nicht gewährleisten können, sind sie doch die institutionalisierte Angst vor dem Schmerz neuer Erkenntnisse. Der illusionslose Schopenhauer sagt in „Parerga & Paralipomena“, „der deutsche Gelehrte“ sei „meistens ein rücksichtsvoller Lump“, denn „Die Barbarei kommt wieder“ und „jedes Stück Soldatenleben“ wirke „demoralisierend“. Da hören wir unsern Büchner durch und denken an unsere großartige Gegenwart mit militärischen Konfettiparaden in Manhattan und in den Köpfen unserer Politiker.
Ich denke dagegen an die vielen Freunde bei uns und anderswo, die als Friedensaktivisten beschimpft, verdächtigt, entmutigt, behindert, verfolgt, verprügelt, bestraft wurden. Denn konkret gegen Rüstung und Krieg etwas zu tun, gilt immer noch als kriminell.
Mein sächsischer Landsmann Erich Kästner brachte auf den kürzesten Ausdruck, was ich hier vorzutragen versuchte und was etwas hochtrabend Existenzphilosophie genannt wird. Die lyrische Marginalie des Poeten von der Elbe lautet:
„Es gibt nichts Gutes, es sei denn man tut es.“
Aufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus
Nachwort zum Nachwort 70 |
Als 1989 mit der deutschen Einheit neue alte Krisen und Kriege drohten, stiftete der so wohlbetuchte wie aufrechte Darmstädter Bürger Walter Steinmetz den Alternativen Büchnerpreis – alternativ zum kommoden Akademiepreis. Die Alternative gab es fünfmal: 1989 Walter Jens – 1990 Dieter Hildebrandt – 1991 Gerhard Zwerenz – 1992 Robert Jungk – 1993 Karlheinz Deschner. Zwanzig Jahre nach meiner damaligen Rede lese ich sie als Abschiedsadresse. Bis 1989/90 gab es Alternativen in Politik und Kultur – wir nannten es 3. Weg. Inzwischen zementierte Angela Merkel ihre desaströse Wortschöpfung „alternativlos“. Ringsum herrscht das programmierte Chaos. Stolz bin ich nicht darauf, den Niedergang vorausgesagt zu haben: „Die horrende Sprachlosigkeit unserer politischen Klasse, der gebückte Gang mit Sklavensprache der regierenden Kulturmoderatoren, die grassierende Nabelschau-Literatur mit seelischen Flohzirkus-
Die Darmstädter Preis-Alternative war als Potential der Nichtintegrierbaren gedacht. Ist Büchner tot oder lebt er? Inzwischen handelten die Praktiker Kohl-
Während in der Berliner Republik Büchners Friede den Hütten, Krieg den Palästen in einen Krieg den Hütten umgedeutet wird, gibt es von auswärts freundliche Nachrichten:
HaBE immer Zwerenz am Ende & Abendroth am Anfang gesucht
– ein Nachruf
Mit Gerhard Zwerenz Tod fehlt meinem politischen Alphabet jetzt das Ende. Vor 30 Jahren war Altvater kein ausreichender Ersatz für Wolfgang Abendroth. Steht jetzt bei allen unterschreibbaren Aufrufen am Anfang Altvater und zum Schluss Lukas Zeise oder Ingrid Zwerenz?
Gerhards Abschied von der Bühne hat mich in einem Tief sehr tief getroffen. Aber er bleibt und wenn ich gar zu traurig werde, schnappe ich mir meine „unter-schlag-zeilen“ und lese euer Vorwort, das mir so unendlich viel bedeutet hat und weiter bedeutet.
Ich hoffe nur, dass Gerhard nicht noch Stunden vor seinem Tod das Umkippen Alexis Tzipras‘ mitbekommen hat.
Gerhard war es, der mich 1964 schon fast wachgerüttelt hat mit seinem „Heldengedenktag“, der Pate stand für meine Umtextung des „Ich hatt einen Kameraden“ und weitern Kriegsliedern aus dem BuWe-Gesangbuch. Gerhard war es, der mir die Dunkelheit beim Bund im Bau erhellte, wenn mich der Standort-Kommandant wegsperren ließ. So wie Wolfgang Neuss , wenn sich im Kasernenhof die Sonne verfinsterte. Die reingeschmuggelte Lektüre war da „Casanova oder der kleine Herr in Krieg und Frieden“. Ich gestehe, das war noch nicht jugendfrei und ich war noch keine 19.
Dein „Soldaten sind Mörder“ hast Du im Gegensatz zu Biermann nicht auf die Grenzsicherungstruppen bezogen, nicht auf die NVA, nicht auf die Rote Armee. Wenn mich die Unteroffiziere aus dem Panzergrenadier Bataillon in Mellrichstadt während des Unterrichts bange fragten, ob ich sie für Kriegsverbrecher hielte, habe ich mit Deinem „Heldengedenktag“ im Hinterkopf Absolution erteilt: „Ihr seid keine Kriegsverbrecher, die sitzen in Bonn und Washington, Ihr seid nur Kanonenfutter!“
Als ich Dich nach meiner Kriegsdienstverweigerung als Offiziersanwärter und Unteroffiziers-Zwangsausbilder in der Bundeswehr 1967 zum ersten Mal in Offenbach beim Ostermarsch traf, hast Du mich mit Augenzwinkern gerügt, als ich Dir sagte, ich hätte im Bau Deinen “Casanova“ gelesen. „Mit 19 ist das aber noch etwas sehr früh!“ 35 Jahre später habe ich Dich wieder getroffen, Dich und Ingrid bei meinem Kabarett-Programm im Dachcafé der EZBankfurter Kaufhof-Galeria. Da hattet ihr mir euer Vorwort schon geschrieben.
Das alles und viel mehr ist mir in Kopf und Herz von Dir geblieben. Ich werde alles weitergeben …
Nur wird es schwierig mit den vielen Resolutionen.
Bisher war klar: von A- wie Abendroth und später Altvater bis Z wie Zwerenz, da kann ich ohne viel zu zögern unterschreiben. Jetzt prüfe ich genauer und lass es manchmal bleiben.
Das nächste Mal werden wir uns nicht oben im Dach-Café sondern sicher unten treffen.
In Tübingen habe ich vergeblich nach einem Denkmal für Deinen Lehrer gesucht. Das hat mich auf die Palme gebracht. Tübingen hat den dazu passenden NATO-Oliv-GRÜNEN Bürgermeister. Das erklärt Manches. Meine Fotoausstellung zur EZB in FFM heißt “Bankfurter Loch”, weil zwischen 1928 und 1944 in der Großmarkthalle offenbar nichts Dokumentierbares passiert ist.
Für diese Zeit fehlte bei den Schautafeln am EZBauzaun jede Erklärung. Meine Reportage zu Bloch in Tübingen wird dann “Tübinger Loch” heißen.
Bis dann.
Dein HaBE
Siempre para la gente siempre con la gente oder wie das Ingrid und Gerhard Zwerenz im Vorwort zu meinen “unter-schlag-zeilen” schreiben: “Von wegen, die Menschen interessieren sich nicht für Literatur, sie tun das durchaus, wenn die Literatur sich für sie interessiert!”
Unter der Überschrift “Nur keinen Streit vermeiden” schrieben die Beiden: “Es kann einen Autor teuer zu stehen kommen, hält er sich strikt an das, was er schreibt. MundTod ist der Titel eines Gedichts von Hartmut Barth-Engelbart: »Wenn wir/ nicht früh/ genug/ den Mund/ aufmachen/ haben wir/ am Ende/ gar nichts/ mehr/ zu sagen.« Der Lyriker und Lehrer aus Hanau denkt gar nicht daran, den Mund zu halten, seine Feinde finden, er hat eine zu große Klappe. Die zitierten epigrammatischen Zeilen erinnern an Erich Fried, dem seine Verse nicht wenig Ärger eintrugen. Für Barth-Engelbart eskalierte der Ärger.
Vor einigen Monaten wurden seine Gedichte auf offener Straße verhaftet. Wie aber kamen sie dahin? Hartmut Barth-Engelbart ist das Gegenteil eines Innenweltdichters. Mit Poesie und Prosa begibt er sich mitten unter die Leute. Vom Wiener Ballhausplatz importierte er dazu die dort bereits bewährten Widerstandslesungen, denen es in Hanau und anderswo nicht an Publikum fehlt.
Von wegen, die Menschen interessieren sich nicht für Literatur, sie tun das durchaus, wenn die Literatur sich für sie interessiert. Weshalb sich Polizei und Justiz für HBE’s Verse interessierten ist eine bunte Geschichte, der Autor erzählt sie in diesem Sammelband, der Spannung aufbaut wie ein Krimi, wer die Täter sind, verraten wir nicht. … ”