schreibt der Frankfurter Professor Dr. Benjamin Ortmeyer nach seiner Analyse der Wirkens des NSLB, der Geschichte der Umwandlung der im ADGB organisierten Lehrerverbände der Weimarer Republik. Die hatten sich wie Teile des ADGB noch vor dem 1. Mai 1933 den Faschisten unterworfen und zu gemeinsamen Kundgebungen mit den Faschisten am „Tag der Arbeit“ aufgerufen, wenn auch wiederum zum Teil in der irrigen Hoffnung, dadurch die Zerschlagung der Gewerkschaften vermeiden zu können. Am 2. Mai wurden die Gewerkschaftshäuer besetzt, das Vermögen beschlagnahmt und die Gewerkschafter zu Tausenden in „Schutzhaft“ genommen.
„Wer die halbe Wahrheit sagt, lehnt sich schon weit aus dem Fenster. Wer dabei die andere Hälfte verschweigt, kann vorerst sicher sein, dass er nicht aus dem Fenster stürzt. Oder, dass aus seinem Lehrstuhl nicht plötzlich ein Leerstuhl wird.“ (alte deutsche Volksweisheit)
„Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933-1945“
ist ein längst überfälliges Buch, hat aber in der Konsequenz einen nicht unwesentlichen Schwachpunkt. Es behandelt die Rolle der Alliierten in der in der Frankfurter Rundschau hervorgehobenen „Renazifizierung“ (durch die GEW-so Orthmeyer) so gut wie nicht.
Die Entnazifizierung (u.a. durch die Spruchkammern) wurde bereits vor Gründung der GEW von den Westalliierten eingestellt bzw. wurden die Listen der Spruchkammern von den Militärregierungen und den von ihnen installierten Landesregierungen als Resevoir zur Rekrutierung von Regierungspersonal genutzt: Georg August Zinn und seine rechte Hand Walter Kölbel. Beide waren NSDAP-Mitglieder und Kölbel war NS-Jurist.
Die Einstellung der Entnazifizierung geschieht zeitgleich mit dem „Militär-Putsch“ gegen die Frankfurter Rundschau – mit dem die US-Militärregierung unter tatkräftiger Beihilfe des sozialdemokratischen Mitherausgebers Karl Gerold die beiden Mitherausgeber und Redakteure Emil Carlebach und Arno Rudert aus der FR-Redaktion hinaussäubert. Verständlich, dass da ein FR-Redakteur heute nicht bei Benjamin Ortmeyer nach dem fehlenden Kapitel in diesem Buch fragt. Mir jedoch unverständlich, dass Benjamin Ortmeyer dieses Kapitel selbst nicht erwähnt. Denn zeitgleich laufen auch entsprechende Säuberungen in den Gewerkschaften und in der SPD. Besonders in der hessischen SPD, die in Hannover darauf drängt, dass nach den Großkundgebungen Wilhelm Pieks und Otto Grotewohls auf dem Frankfurter Römerberg der Zusammenschluss mit der KPD zur SED endlich schneller vorangebracht werden soll.
Dem sich ausbreitenden Einfluss tatsächlich antifaschistischer Kräfte aus der linkssozialdemokratisch und kommunistisch orientierten FDGB-Zentrale in Stuttgart und der ebenfalls dort arbeitenden Zentrale der nach dem Buchenwaldschwur sich bildenden „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“, in der sich Sozialdemokraten und Kommunisten aus dem Untergrund-Widerstand zusammengeschlossen hatten, setzten die Alliierten die von ihnen inhaltlich und personell bestimmte Gründung des DGB und der Schumacher SPD in Hannover entgegen, die beide rechts-sozialdemokratisch orientiert waren/wurden.
Zwischen diesen Polen wurden die Einzelgewerkschaften bei ihren Nachkriegsgründungen hin und her gezogen. Ein leichter Nachhall dieser Situation ist in der GEW die Parallel-Existenz zweier Stiftungen: die von Orthmeyer scharf ob ihres Namenspatrons angegriffene „Max-Traeger-Stiftung“ (Max Traeger hat bei der „Umwandlung“ des Hamburger Lehrerverbandes in den NS-Lehrerbund eine wichtige Rolle gespielt) und der Rodenstein-Fonds.
Bei meinen Recherchen zum Roman „Der Damenschneider“ habe ich das Wirken der Alliierten auch in diesem Bereich untersucht und in vielen Regionen (Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen) die systematische Kaltstellung linker Lehrer/innen spätestens ab 1947 nachzeichnen können – bis hin zu direkten Jagden auf aus dem Exil zurückgekehrte, aus der CSSR vertriebene Sozialdemokraten und Kommunisten, auf Angehörige von NS-Opfern wie dem Neffen des hingerichteten evangelischen Widerständlers Paul Schneider. Organisiert waren diese Alt-Faschisten hauptsächlich im Beamtenbund, in Philologenverband und anderen ständischen Organisationen.
Auf die Frage der Frankfurter Rundschau (12.10.2016) : GEW-Vorsitzende Marlies Tepe hat angekündigt, dass die Gewerkschaft zu ihrer Geschichte forschen wird. Sind sie damit zufrieden?
Antwortet Benjamin Ortmeyer dem FR-Interviewer Martin Steinhagen mit süffisanter Diplomatie:
Na ja, ich freue mich immer über Ankündigungen und Versprechungen . Aber noch wichtiger ist selbstredend, dass insgesamt in der GEW diese Frage als ernste Aufgabe begriffen wird, um überhaupt ein Element der Glaubwürdigkeit gerade an jüngere GEW-Milglieder, die aktuell in Dörfern und Städten mit der Nazibewegung und deren Verharmlosern zu tun haben, weitergeben zu können. Und Glaubwürdigkeit ist eines der wesentlichsten Dinge in der Pädagogik überhaupt.
Ich kann diese Antwort Benjamin Ortmeyers als Berufsverbots-Opfer und Opfer des Unvereinbarkeitsbeschlusses der GEW, als wie Benjamin Ortmeyer Ex-Aktivist im AUSS (Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer SchülerINNEN) sehr gut verstehen.
So hat der Kollege Thöne, der Vorgänger Marlies Tepes als Bundesvorsitzender der GEW vor mehr als 4 Jahren versprochen, die Opfer von Berufsverbot und Unvereinbarkeitsbeschlüssen – nach seiner Bitte um Entschuldigung- nicht nur verbal sondern auch materiell etwas zu entschädigen: aus dem Rodenstein-Fonds sollten Mittel an Berufsverbotsopfer gezahlt werden. Die Zeitschrift Erziehung und Wissenschaft (E&W) hatte ebenfalls zugesagt, einen Grundsatz-Artikel über die Berufsverbote in diesem Zusammenhang zu veröffentlichen. Auf beides warten die Betroffenen bis heute vergeblich. Siehe dazu auch:
Berufsverbotsopfer: statt warmer Worte endlich materielle Wiedergutmachung!?
... der GEW-Bundes-Hauptvorstand hat noch unter dem Kollegen Thöne in Göttingen 2012 nach der löblichen Bitte um Entschuldigung endlich auch praktische Schritte zur materiellen Wiedergutmachung für Berufsverbots- und Unvereinbarkeitsbeschluss- und GEW-(ÖTV/IGM/IGDrupa-IG-Medien) DGB-Ausschluss-Opfer zugesagt aber bisher nicht eingehalten…
500.000,- € Verlust & Altersarmut dank Willy Brandts “Irrtum”
40 Jahre „Radikalenerlass“ – ein abgeschlossenes Kapitel?
Berufsverbote-Altersarmut-Krankheit: Entschädigung für die Opfer!
Er schreibt in der Einleitung:
1. Der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) war eine verbrecherische Organisation, die nach dem 8. Mai 1945 von den Alliierten mit gutem Grund verboten wurde. Der organisatorisch und inhaltlich an die NSDAP angeschlossene NS-Lehrerbund wirkte als Arm des Staates in Schule und Erziehungsinstitutionen. Seine
Mitglieder haben sich wissentlich und bewusst an der Unterstützung des NS-Regimes beteiligt. In der Denkschrift des Verbandes Deutscher Lehrer-Emigranten aus dem Jahre 1934 heißt es: „Aus den Schulen wurden Kasernen, aus den Lehrern Bildungsunteroffiziere.“ (zit. n. Feidel-Mertz/Schnorbach 1981, S. 117)
Im Abschnitt „Jugend unter dem Hakenkreuz“ heißt es:
„Eine der furchtbarsten Auswirkungen der unbeschränkten faschistischen Macht in Deutschland ist die systematische Verhetzung der Kinder. Die Schule ist zu einem Instrument der Nazi-Partei herabgesunken.“
(ebd., S. 130)
Insbesondere Auszüge aus der Exil-Zeitschrift „Neue Erziehung“, die in Prag erschien, dokumentieren die Einschätzung der NS-Schule und der NS-Lehrkräfte. Die emigrierten Lehrkräfte kamen bereits 1933 zu einem harten Urteil:
„Und so muss denn festgestellt werden: An der Verseuchung der Jugend mit nationalsozialistischem Gewaltgeiste tragen die Hauptschuld die von der Deutschen Republik bezahlten Lehrer. Die Geschichte wird ein hartes Urteil über sie fällen.“ (zit. n. Schnorbach 1983, S. 81)
Systematisch wurden die Schülerinnen und Schüler von den nazistischen Lehrkräften zu „Nazi-Kindern“, wie Erika Mann schreibt, erzogen. 1938 erschien in New York ihr Buch „School for Barbarians. Education under the Nazis“, das im selben Jahr in Amsterdam auch auf Deutsch herausgegeben wurde, und zwar hier noch unter dem
Titel „Die Schule der Barbaren“.1
Erika Mann berichtet zunächst in einem Prolog, wie sie in der Schweiz mit der Gattin eines Arztes zusammentrifft, die mit ihrem Mann und ihrem kleinen Kind aus Nazi-Deutschland emigrieren will – aus einem Grund: damit ihr einjähriger Sohn später nicht durch die Indoktrination in Schule und Staatsjugend zu einem
Nazi wird. Dies war offensichtlich eine realistische Einschätzung angesichts der perfiden Perfektionierung der nazistischen Erziehung, die selbst dort griff, wo die Eltern gegen das nazistische Regime eingestellt waren.2
Erika Mann weist im Abschnitt über „Die Schule“ ausdrücklich darauf hin, dass die NS-Organisation dafür gesorgt habe, dass „in sehr kurzer Zeit der Charakter der Schulen sich völlig änderte“ (Mann 1989, S. 49).
Sie schreibt, es „ist das deutsche Kind schon heute ein Nazi-Kind und nichts weiter. Die Schule, die es besucht, ist eine Nazi-Schule, die Jugendorganisation, der es angehört, ist eine Nazi-Organisation, die Filme, zu denen man es zulässt, sind Nazi-Filme, und sein Leben gehört ohne Vorbehalt dem Nazistaat.“ (ebd., S. 18)3
1
Erst 1986 wurde, wie Alfred Grosser in seinem Nachwort kritisch hervorhebt, dieses Buch in Deutschland aufgelegt und erschien als knapp 200 Seiten starke, ungekürzte Taschenbuchausgabe unter dem nun neutral gehaltenen Titel „Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich“ (München 1989). Die hier gemachten
Seitenangaben beziehen sich auf diesen Band.
Es gehört zur Realität der NS-Zeit, dass, wie Erika Mann berichtet, die Emigration der beiden Eltern misslang. Das Arztehepaar wurde verhaftet und der Mann in das KZ Dachau verschleppt. In einem Zeitungsartikel heißt es: „Das vierzehn-Monate-alte Söhnchen des straffälligen Paares – Franz M., wurde in ein staatliches Kinderheim überführt. Es steht zu hoffen, dass es auf diese Weise noch gelingen wird, aus dem Knaben einen guten Nationalsozialisten zu machen“ (zit. n. Mann 1989, S. 17).
Obwohl sie von einer weitgehenden, ja fast vollständigen Indoktrinierung der Kinder unter dem NS-Regime ausgeht, zitiert Erika Mann dennoch Gegenbeispiele von Studentinnen und Studenten, die sich gegen die nazistische Indoktrinierung gewehrt haben. Mit einer rhetorischen Frage appelliert sie, im Grunde hoffend, dass ihre Analyse nicht
Schon der Schulweg führe die Kinder an judenfeindlichen Plakaten, an Hakenkreuzen und Aufschriften wie ‚Juden ist der Eintritt verboten‘, ‚Juden sind hier unerwünscht‘ vorbei (vgl. ebd., S. 22 f.).
Erika Mann konstatiert als übergeordnetes Ziel der nazistischen Erziehung die Vorbereitung auf „die Eroberung der Welt durch die Nazis“ (ebd., S. 113).
Mehr als andere Berufsgruppen eigneten sich Lehrerinnen und Lehrer dazu, die Ideologie des NS-Staates unter Kindern und Jugendlichen zu verbreiten. Sie haben ihre besondere Rolle als Pädagoginnen und Pädagogen dazu ausgenutzt, um diese in übelster Weise zu indoktrinieren sowie rassistisch und judenfeindlich auszurichten. Die
personellen Träger der NS-Pädagogik arbeiteten systematisch daran, dass sich Kinder und Jugendliche – in einer Mischung aus Rassismus und Nationalismus – als ‚Deutsche‘ und als ‚Herrenmenschen‘ fühlten.
Gezielt wurden sie brutalisiert und auf die Teilnahme am deutschen Raubkrieg vorbereitet. Ausnahmen bestätigen die Regel. 97 % der Pädagoginnen und Pädagogen waren schließlich 1937 in dieser verbrecherischen Organisation. Es gab einen harten Kern, der rund ein Drittel der NSLB-Mitglieder ausmachte.5 Das entsprach in etwa der Anzahl der zusätzlich in der NSDAP organisierten Pädagoginnen und Pädagogen Ende der dreißiger Jahre. Sicherlich gab es unter der Masse der Mitglieder des NSLB auch opportunistische und gleichgültige Personen. Die Bedeutung der Charakterlosigkeit, einer Mischung aus Zustimmung und Opportunismus sollte nicht unterschätzt werden. Dabei spielt möglicherweise auch eine Rolle, dass viele große Lehrerinnen- und Lehrerverbände samt ihrer Mitglieder in den NSLB überführt – oder wie man damals im NS-Jargon sagte: ‚gleichgeschaltet‘ – worden waren. Es wirkten im NSLB also auch jene Unterstützerinnen und Unterstützer des NS-Staates und Adolf Hitlers, die nicht bereit waren, das Recht zu nutzen, aus dem NSLB auszutreten, das es tatsächlich im NS-Staat gab.
3 % der Lehrkräfte waren jedoch ganz offensichtlich nicht Mitglied des NSLB – ein Beweis dafür, dass die ‚faule‘ Ausrede, man musste angeblich Mitglied sein, nicht stimmt. Dies entspricht grob überschlagen bei rund 300.000 Pädagoginnen und Pädagogen insgesamt 9.000 Personen, die sich bis 1937 dem NSLB entzogen haben
bzw. entziehen konnten. Sicherlich gestaltete sich die Nicht-Mitgliedschaft auf Grund des Drucks bspw. durch wiederholte Eintrittsforderungen schwierig und war hinsichtlich der Denunziationen bis hin zu Verfolgungen mitunter auch gefährlich. Hinzu kam, dass nach einiger Zeit keine anderen pädagogischen Verbände mehr existierten. Von einer wirklich obligatorischen Mitgliedschaft kann aber angesichts der 3 % trotzdem nicht
gesprochen werden.
Trotz dieser Möglichkeit der Nicht-Mitgliedschaft ist die Anzahl der Opposition erschreckend klein und sollte nicht dazu dienen, das insgesamt negative Bild der Lehrerinnen und Lehrer im NS zu relativieren. Viel eher kann davon ausgegangen werden, dass diese positiven Ausnahmen die brutale Realität der Regel bestätigen. Ein großer Teil der Lehrerinnen und Lehrer sah sich als Funktionsträger und Herrschaftsbeauftragter des NS-Systems und handelte, trotz mancher Einwände, aus Überzeugung. Die Berichte der jüdischen Schülerinnen und Schüler aus
der Zeitspanne 1933 bis 1938 über ihre Schulzeit belegen das auf erschreckende Weise.
Nun war faktisch der NSLB ein Teil des NS-Staates und eine der wesentlichen, wenn nicht die wesentlichste erziehungspolitische Zeitschrift, die in einer Massenauflage von mehreren hunderttausend Exemplaren verbreitet wurde, war sein Zentralorgan, auf das sich die nachfolgende Studie über die Propaganda des Nationalsozialistischen Lehrerbundes konzentriert.8 Obwohl die Lehrerinnen und Lehrer sowie die ganze
zutreffen möge: „Aber haben sie, wirklich, die Jugend? Gehört sie, wirklich, den Nazis für Lebenszeit, diese […] Millionenschar der deutschen Kinder?“ (ebd., S. 181, Herv. i. O.).
Von größerer Bedeutung war auch die von Hans Schemm gegründete und vom NSLB herausgegebene Schülerzeitung „Hilf mit!“, mit der die Lehrkräfte arbeiteten und die gerade auch bei der Erziehung zur Judenfeindschaft eingesetzt wurde. Laut Fritz
Wächtler im Artikel „5 Jahre ‚Hilf mit!‘“ wurden zwischen 1933 bis 1938 170 Millionen Zeitschriften verteilt (siehe das Faksimile o. Quelle in: Schmidt 1988, S. 122). Zur Analyse der Schülerzeitschrift siehe Ortmeyer, Benjamin: Indoktrination. Rassismus und Antisemitismus in der Nazi-Schülerzeitschrift „Hilf mit!“, Weinheim 2013.
Diese Zahlen finden sich in Dokumenten des NSLB. Siehe dazu genauer Kapitel I.3.
Zum Widerstand im pädagogischen Bereich siehe Schnorbach, Hermann: Lehrer und Schule unterm Hakenkreuz. Dokumente des Widerstands von 1930–1945, Königstein/Ts. 1983; Van Dick, Lutz: Oppositionelles
Lehrerverhalten 1933–1945. Biographische Berichte über den aufrechten Gang von Lehrerinnen und Lehrern,
Weinheim/München 1988.
7 Siehe die Dokumentation: Ortmeyer, Benjamin (Hrsg.): Berichte gegen Vergessen und Verdrängen – von 100 überlebenden jüdischen Schülerinnen und Schülern über die NS-Zeit in Frankfurt am Main, 1995, 4. Auflage Frankfurt
a. M. 2016.
8 Die politische Zeitschrift hieß zunächst ab 1929 „Nationalsozialistische Lehrerzeitung“ (NSLZ), dann ab Juli 1933 „Reichszeitung der Deutschen Erzieher“ (RZDE), in der Folge ab April 1938 bis 1945 dann „Der Deutsche
Erzieher“ (DDE). Im Folgenden wird einheitlich im Text vom Zentralorgan gesprochen, wenn nicht auf die einzelnen Ausgaben Bezug genommen wird.
pädagogische Profession in der NS-Zeit einen ganz erheblichen Anteil an der NS-Indoktrination der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen hatten, gibt es bis heute fast keine Analysen der insgesamt über dreißig
Zeitschriften des NSLB.
9 Das Zentralorgan gab die Instruktionen, wie die Lehrerinnen und Lehrer, wie überhaupt Erzieherinnen und Erzieher die NS-Ideologie verbreiten und in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen eintrichtern sollten. Sie gibt insofern in erster Linie Auskunft darüber, wie die Lehrkräfte ausgerichtet wurden. Der Schwerpunkt der Studie liegt also nicht auf der Analyse der Organisation und dem Aufbau des NSLB, sondern auf der Untersuchung der inhaltlichen, rassistischen und judenfeindlichen Ausrichtung der Lehrkräfte, Erzieherinnen und Erzieher.
In der hier vorgelegten Studie werden die Thesen, Gedankengänge und Themen, die sich aus der Analyse ergeben haben, mit Zitaten aus dem Zentralorgan veranschaulicht und belegt. Das Ziel ist, durch die Fülle der verschiedenartigen Gedankengänge und Beschimpfungen deutlich zu machen, dass es sich nicht um vereinzelte
extreme Positionen oder Ausrutscher der einzelnen Autorinnen und Autoren handelt, sondern dass diese extremen Positionen Systematik hatten. Gerade die große Menge der Zitate, die sich leicht um das Dreifache vermehren ließen, beim Thema Judenfeindschaft sogar um das Fünf- oder Sechsfache, beweist, dass das
Zentralorgan insgesamt als Sprachrohr des NSLB von ‚Herrenmenschentum‘, Rassismus, ‚Eugenik‘ und Judenfeindschaft charakterisiert war. Die möglichen Versuche, den NSLB in besserem Licht darzustellen nach dem Motto: ‚So schlimm war’s doch gar nicht, das sind doch alles Übertreibungen‘ sollen unter anderem durch die vielen dokumentarischen Belege von vornherein erschwert werden.
10 Beim Versuch der Antwort oder Widerlegung der Fülle der dokumentierten Lügen und Beschimpfungen würde man sich auf die Vorgaben der Nazis einlassen, etwa wenn jeder Punkt – von ‚den Rothschilds‘ bis zu angeblichen ‚jüdischen Sexualverbrechern‘ – ernsthaft diskutiert würde. Möglicherweise kann dies in einzelnen Fällen auch durchaus sinnvoll sein. Insgesamt sind die Beschuldigungen aber so abstrus, dass eine genaue
Widerlegung aller Beschuldigungen und Behauptungen nicht als Aufgabe dieser dokumentarischen Analyse angesehen wird. War nun die Großmutter von Bertolt Brecht Jüdin oder nicht? Wenn ja, na und? Wenn nein, na und? Es ist einfach irrelevant. Relevant ist, dass die Nazis solche Fragen in den Vordergrund rückten und rücken
konnten. Die Fragestellung selbst ist infam, das soll unsere dokumentarische Analyse zeigen.
3. Die vorliegende Studie ist wie folgt aufgebaut: Nachdem das erste Kapitel in Teil A „Der NSLB und sein Zentralorgan“ die Geschichte des NSLB, die ‚Gleichschaltung‘ der anderen Verbände, dann seiner Mitglieder und seiner Führer im Überblick darstellt, beschreibt das zweite Kapitel Merkmale des Zentralorgans des NSLB.
Das dritte Kapitel beleuchtet genauer die Geschichte und Funktion des Verbandes in der sogenannten ‚Kampfzeit‘ in den Anfängen des NSLB 1929–1933, analysiert eine Broschüre des NSLB-Führers Hans Schemm, fragt nach programmatischen Grundlagen und dokumentiert die judenfeindliche Hetzkampagne gegen Dr. Kurt
Löwenstein.
Das vierte Kapitel begründet und belegt, wie der NSLB ganz handfest durch naziideologische Ausrichtung des pädagogischen Personals des NS-Staates, aber auch durch Überwachung, Bespitzelung, Denunziation und Verfolgung die Merkmale und Aufgaben einer verbrecherischen Organisation ausbaute.
Im Teil B dieser Studie geht es – auf Teil A aufbauend und ihn vertiefend – um drei Kernpunkte der NS-Ideologie, wie sie sich im Zentralorgan widerspiegeln: Rassismus (Kapitel V), ‚Eugenik‘ (Kapitel VI) und Judenfeindschaft (Kapitel VII).
Alle drei ideologischen Kernpunkte haben auch eine Geschichte vor der NS-Zeit, die von der NS-Propaganda genutzt und weiter im Sinne der NS-Ideologie verarbeitet wurde. Mit dem Rassismus wurde die Vererbungslehre verfälscht, eine angeblich blutbedingte ‚deutsche Volksgemeinschaft‘ als Basis eines deutschen
‚Herrenmenschentums‘ konstruiert, womit dann eine Legitimation geschaffen wurde, alle die als ‚erbkrank‘
9 Eine Ausnahme bildet die von der GEW in Auftrag gegebene Studie zur NS-Geschichte der heute von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft herausgegebenen Zeitschrift „Die Deutsche Schule“, die in der NS-Zeit vom
NSLB herausgegeben wurde (siehe Hoffmann-Ocon, Andreas: „Die Deutsche Schule“ im Nationalsozialismus (Die Deutsche Schule, Beiheft 10), Münster/New York/München/Berlin 2009). Des Weiteren existieren Studien über die NSLB-Zeitschriften „Die Mittelschule“ (Herz, Anita: Die nationalsozialistische Okkupation mittelschulischer Bildung.
Dargestellt vor allem anhand der Zeitschrift „Die Mittelschule“ 1933–1942, Mainz 1989) und „Die Deutsche Sonderschule“ (Wolf, Antonius: Wandel im Jargon des Nationalsozialismus. Analyse der ideologischen Sprache in der Fachzeitschrift für Sonderschullehrer (1934–1944), Freiburg 1992).
10 Bei den Zitaten aus dem Zentralorgan wurde der Text moderat der neuen Rechtschreibung angepasst und offensichtliche Tippfehler in der Regel korrigiert.
bezeichnet wurden zum ‚Wohle der deutschen Volksgemeinschaft auszumerzen‘. Der Rassismus nutzte den Nazis auch, um den Kolonialrassismus weiter zu propagieren und um die Sinti und Roma als ‚fremde‘, ‚außereuropäische‘ und schließlich zu vernichtende ‚Rasse‘ zu konstruieren.
Fragen der eugenischen Propaganda werden in Kapitel VI behandelt, von der Idee der ‚Züchtung‘ bis zur Praxis der ‚Aussonderung‘ der als ‚unbrauchbar‘ Eingestuften, von denen später ein großer Teil ermordet wurde.
Das siebte Kapitel behandelt die unterschiedlichen Aspekte der judenfeindlichen Ausrichtung der Pädagoginnen und Pädagogen. Über die Nutzung der christlichen Judenfeindschaft, die rassistischen Konstruktionen angeblich ewiger Eigenschaften ‚der Juden‘ bis hin zur Behauptung eines ‚Finanzjudentums‘ und einer ‚jüdischen Weltverschwörung‘ wird mit dieser Propaganda vorbereitet, was dann als mögliche und angeblich nötige mörderische ‚Lösung‘ ausgesprochen und verbreitet wird. Ohne Umschweife wird Hitler mit seinem Diktum von der Vernichtung der ‚jüdischen Rasse‘ in Europa im Zentralorgan des NSLB propagiert.
4. Eine Schwierigkeit der Gliederung der Kapitel über die Pseudotheorien des Rassismus, über ‚Eugenik‘ und über Judenfeindschaft liegt darin, dass kein logischer Aufbau der NS-Ideologie unterstellt werden darf, da sich die mörderische Praxis des NS-Regimes nicht nach einer in sich geschlossenen Theorie gerichtet hat.
Genauer: Auch wenn sehr ausführlich die Varianten der pseudowissenschaftlichen Begründung für Rassismus und die innere Brüchigkeit der rassistischen Ideologie dargestellt und erklärt werden, so wäre es dennoch ein Fehlschluss zu denken, dass sich die Verbrechen des NS-Regimes einfach aus dieser NS-Ideologie ergeben hätten.
Umgekehrt ist es so, dass der Plan der Durchführung der NS-Verbrechen, sei es gegen die jüdische Bevölkerung, sei es gegen die von der ‚Eugenik‘ Betroffenen als ‚erbkrank, behindert und asozial‘ Bezeichneten und Beschimpften, sei es die Verfolgung der Sinti und Roma, mit der NS-Ideologie gerechtfertigt wurde. Das ist ein Kernpunkt von Ideologie.
Es existiert eine Wechselwirkung zwischen Ideologie und Verbrechen, da die Ideologie selbst nicht nur die Verbrechen legitimiert hat. Vielmehr hat auch die auf dieser NS-Ideologie beruhende Propaganda zur Durchführung der Verbrechen eine wichtige Rolle gespielt. Die immer größer und stärker werdende Wirkung dieser Ideologie hatte die Funktion, den Übergang von den ersten Anfängen der Judenfeindschaft in der NS-Zeit und den ersten Anfängen der Politik der Sterilisation schließlich Schritt für Schritt zur Realpolitik der Vernichtung zu ‚erleichtern‘.
Dabei zeigte sich, dass insbesondere seit 1939/40 eine doch nicht unerhebliche Veränderung in der NSPropaganda eintrat: Die Praxis der Euthanasie, nicht nur der Erfassung, sondern auch der systematischen Ermordung der sogenannten ‚erbkranken‘ und als ‚asozial‘ Bezeichneten, war in Kriegszeiten leichter umzusetzen als in der Zeit vor 1939. Die im Zentralorgan des NSLB geführten Debatten über die Hilfsschule sind nicht ohne diesen Hintergrund zu verstehen, auch wenn die ‚Eugenik‘ bereits 1933/34 in Nazideutschland per Gesetz begonnen hatte.
In dem von den Nazis begonnenen Weltkrieg wurden Vernichtungslager errichtet, um staatlich organisiert und industriell durchgeführt in gigantischem welthistorischem Umfang die jüdische Bevölkerung zu ermorden.
Entsprechend wurde in der Zeit des Krieges die Propaganda nicht so sehr speziell gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland gerichtet, sondern es entfaltete sich eine massive, vorher im Ansatz schon vorhandene, Propaganda gegen eine ‚jüdische Weltverschwörung‘, der unterstellt wurde, die Weltherrschaft anzustreben und Deutschland, ja die deutsche Bevölkerung, vernichten zu wollen. Daher, so unsere Überlegungen, hat es sich als sinnvoll erwiesen, im letzten Abschnitt des siebten Kapitels diese Besonderheiten der NS-Propaganda zusammenzufassen
und auf die mörderischen Konsequenzen dieser Nazi-Ideologie zuzuspitzen.
Das abschließende achte Kapitel über den Zeitraum nach 1945 hat diesen Gesamtzusammenhang zu reflektieren und wird analysieren, wie diese nazifizierten Lehrkräfte mit sich selbst umgegangen sind und wie mit ihnen umgegangen wurde: Welche grundlegenden Probleme ergaben sich für die pädagogische Profession nach
1945? Dabei wird nicht zufällig auf die größte Organisation der Lehrerinnen und Lehrer nach 1945, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und ihren Beitrag zur personellen Renazifizierung der Schulen eingegangen – bis hin zu apologetischen und geschichtsrevisionistischen Auffassungen innerhalb der GEW in den letzten 10 Jahren. Es wird ganz offensichtlich, dass eine weitere Auseinandersetzung notwendig ist und dass es zur NS-Zeit, zum NSLB und seinem Zentralorgan und zur NS-Ideologie insgesamt keinen Schlussstrich geben darf.
Benjamin Ortmeyer
Frankfurt am Main, Juni 2016