Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei finden Sie einen offenen Brief, den wir an die Vorsitzende des Freundeskreises Städtepartnerschaft Freiburg – Tel Aviv, Frau Opitz, an den Ehrenvorsitzenden dieses Vereins, Johannes Reiner, an die Bürgermeister der Stadt Freiburg sowie an alle Gemeinderatsmitglieder heute per Post verschickt haben.
Alle Adressaten haben außer des offenen Briefes die Ausdrucke der unten genannten Anhänge erhalten.
Wir hoffen sehr, dass unser Anliegen auf offene Ohren trifft und die wichtige Diskussion in Gang kommt.
Wir sind jedenfalls bereit dafür.
Herzliche Grüße
Gabi Weber, Cafe Palestine Freiburg
OFFENER BRIEF
An
FREUNDESKREIS STÄDTEPARTNERSCHAFT FREIBURG – TEL AVIV-YAFO e.V.
OBERBÜRGERMEISTER DR. DIETER SALOMON
MITGLIEDER DES FREIBURGER GEMEINDERATS
Freiburg, 1.2.15
Sehr geehrte Frau Opitz, sehr geehrter Herr Dr. Salomon,
sehr geehrte Damen und Herren des Freundeskreises,
sehr geehrte Damen und Herren des Freiburger Gemeinderats,
anlässlich der geplanten Städtepartnerschaft zwischen Freiburg und Tel Aviv wenden wir uns heute an Sie.
Auf der Webseite der Stadt Freiburg wird der Grundgedanke von Städtepartnerschaften unter anderem mit der „Aussöhnung zwischen den Völkern“ und der Schaffung einer „friedlichen Basis zu einem gemeinsamen Miteinander“ definiert.
Allerdings werden weder auf der Homepage des Freundeskreises noch in anderen Veröffentlichungen über die geplante Städtepartnerschaft Freiburg – Tel Aviv-Yafo die einheimische palästinensische Bevölkerung und ihre Geschichte im Zusammenhang der Ereignisse erwähnt – eine Geschichte von Zerstörung und Vertreibung, die bis heute anhält.
Die israelischen Historiker Benny Morris (The Birth oft the Palestinian Refugee Problem, 2004) und Ilan Pappe (Die ethnische Säuberung Palästinas, 2007), der Sozialwissen-schaftler Uri Davis und viele andere haben ausführlich dargelegt, dass eines der Hauptziele des zionistischen Projekts Israel von Anfang an der „Transfer“ der palästinensischen Bevölkerung außer Landes war, um deren Land in die Hand zu bekommen und eine ausschließlich jüdische Bevölkerung zu erreichen.
Die renommierte Städteplanerin Dr. Viktoria Waltz schreibt in ihrem Buch „Von Basel nach Jerusalem“ auf S. 85, dass ein Instrument auf dem Weg zu diesem Ziel die Judaisierung der Städte – ‚Mixed Cities‘ genannt – war/ist. Als ‚gemischte Städte‘ wurden und werden die Städte bezeichnet, die von alters her palästinensisch waren und im Rahmen des Programms der ‚30 Neuen Städte‘ eine israelisch/jüdische Nachbarschaft erhielten und die schließlich in die israelisch/jüdische Stadt eingemeindet wurden. Städte wie Haifa, Lod, Safad, Tiberias, Akka oder Nazareth zählen dazu.
Auch Jaffa, die wichtigste palästinensische Stadt, war eine dieser sog. ‚mixed cities‘, die von Vertreibungen, Häuserzerstörungen und Enteignungen schwer getroffen wurde, wie Dr. Waltz schreibt. „Viele Bewohner von Jaffa, vor allem aus der historischen Altstadt, hatten im Zuge der ethnischen Säuberung 1947/48 die Stadt verlassen und in den verbliebenen umliegenden Dörfern oder in der Neustadt Jaffas Schutz gesucht. Jaffa, in unmittelbarer Nachbarschaft zur rein jüdischen Stadt Tel Aviv …, wurde zur ‚Altstadt‘ von Tel Aviv, die ehemaligen Altstadt-Bewohner vollständig vertrieben und diejenigen, die in der ‚Neustadt‘ Jaffas Zuflucht gesucht hatten, wurden Opfer einer Wohnungspolitik der Wohnungsbaugesellschaft AMIDAR, die einst zum Schutz von Mietern gegründet wurde, aber… auch dies nur für ‚jüdische Mieter‘“ (V. Waltz, S. 86).
Die Geschichte Tel Avivs ist auch die Geschichte des Untergangs des alten arabischen Jaffas, das 1948 nahezu vollständig entvölkert wurde.
In der offiziellen Stadtgeschichte Tel Avivs kommt dies alles nicht vor, kaum etwas erinnert an die ursprünglichen palästinensischen Stadtviertel und Dörfer. Nur kleine Gruppen, wie die israelische Organisation „Zochrot“ („sich erinnern“) bemühen sich, die wirkliche Geschichte der israelischen Metropole in Erinnerung zu rufen.
Folgende palästinensische Dörfer wurden in und um Tel Aviv zerstört:
SCHEICH MUNIS: 1944 gab es dort 273 Häuser und 1930 Einwohner, die von Landwirtschaft und Plantagen lebten. Im März 1948 wurde das Dorf durch die jüdische terroristische Miliz „Lechi“ (sogen. „Stern Gang“) eingenommen, deren Führer der spätere israelische Premierminister Jitzchak Schamir war. Die Einwohner wurden verjagt, das Dorf von jüdischen Einwanderern besetzt. Heute stehen auf diesem Grund die Universität von Tel Aviv und das elegante Wohnviertel Ramat Aviv. Der Fakultätsclub der Universität (das „Grüne Haus“) war vor 1948 das Haus des Bürgermeisters, was von der Universität an keiner Stelle erwähnt wird.
SAMAYL (Al-Mas’udiyya): 1870 zum ersten Mal erwähnt, hatte 187 Häuser, 850 Einwohner, die von Plantagen, Viehzucht, Handwerk lebten. Das Dorf wurde im März 1948 von der Haganah, der Vorläuferin der israelischen Armee, geräumt, die Bewohner vertrieben. Heute steht auf diesem Grund das Arlosoroff/Ibn Gvirol Viertel.
JAMMASIN AL-GHARBI: Bereits 1596 in osmanischen Grundbüchern registriert. Im 18.Jh. von Beduinen aus dem Jordantal in typischem Baustil neu gegründet. Es gab hier Plantagen und Büffelzucht. Die Einwohner wurden im Januar 1948 von der Haganah vertrieben. Das Dorf lag im Nordosten Tel Avivs, in dem sich heute das Bavli Viertel erstreckt.
SALAMA: Schon im 16.Jh. erwähnt. 1944 lebten hier 6670 Einwohner. Aufgrund des Widerstandes gegen die Einnahme wurde Salama 1948 bombardiert, die Bewohner vertrieben, die übrig gebliebenen Häuser von jüdischen Familien besetzt. Übrig blieben nur einige Ruinen, auf seinem Grund liegt heute der Stadtteil Kfar Shalem.
AL MANSHIYA: Bestand Anfang des 19. Jh. als ethnisch und religiös gemischtes Viertel. Dort befand sich das erste jüdische Spital. 1948 wurde der Stadtteil von der rechtsradikalen Miliz „Irgun“ unter Führung des späteren Premierministers Menachem Begin zerstört und die palästinensisch-arabischen Einwohner vertrieben. Erhalten ist noch die Baalbek Moschee, in der sich heute das Dolphinarium, Hotels, Büros und das Museum der „Irgun“, also der Zerstörer des Viertels befinden. Südlich davon gab es das kleine arabische Fischerdorf Irschid, von dem noch Reste zu sehen sind.
MANTEKAT AL-SAYADIN: Fischerdorf an der Mündung des Jarkon-Flusses, im Norden Tel Avivs. Es wurde 1948 zerstört und die Bewohner vertrieben. Heute steht an diesem Ort ein Kraftwerk. Nahebei, nördlich des Hafens von Tel Aviv, lebte der Beduinenstamm Abu Jabne, der ebenfalls vertrieben worden ist. (1)
Diese und unendliche weitere Beispiele zeigen, dass es sich beim zionistischen Projekt Israel um einen Planungsprozess handelt, der 1897 beim ersten Zionistischen Kongress in Basel begann und bis heute nicht abgeschlossen ist. Dabei konzentriert sich diese Planung auf das Land eines anderen Volkes, des Palästinensischen. Die Existenz der indigenen Bevölkerung soll vollkommen zerstört, ein würdiges Leben unmöglich gemacht werden.
All dies geschieht nicht im Geheimen sondern vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Wir sind der Meinung, dass eine Städtepartnerschaft zwischen Freiburg und Tel Aviv im Hinblick auf die zahllosen Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen, die bis heute ungehindert stattfinden, moralisch nicht vertretbar ist und bitten Sie – die Verantwortlichen für diese geplante Partnerschaft – Ihre Entscheidung zu überdenken.
Eine Aussöhnung zwischen den Völkern und die Schaffung einer friedlichen Basis für ein gemeinsames Miteinander – als erklärte Ziele einer Städtepartnerschaft – können nicht ohne die Einbeziehung der palästinensischen Bevölkerung und ihrer traumatischen Vergangenheit und Gegenwart erfolgen.
Im Anhang finden Sie verschiedene Beiträge, die wir für eine Meinungsbildung als wichtig erachten.
Gerne stellen wir Ihnen weiteres Material zur Verfügung, organisieren Vorträge mit kompetenten palästinensischen und/oder israelischen ReferentInnen, diskutieren mit Ihnen.
Für Rückfragen stehen wir jederzeit sehr gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Cafe Palestine Freiburg e. V.
Quellen: (1)
– Frauen in Schwarz, Wien
– Walid Khalidi (Hrsg.): „All that remains The Palestinian villages occupied and depopulated by Israel in 1948.“ www.palestineremembered.com
– Zochrot: www.zochrot.org
– Mark LeVine: Overthrowing Geography. Jaffa, Tel Aviv and the struggle for Palestine 1880 – 1848. University of California Press, Berkely, Los Angeles, London 2005.
ANHANG
– Professor Ilan Pappe, Vorwort aus Die ethnische Säuberung Palästinas, 2001-Verlag, 2007
– Dr. Viktoria Waltz, Von Basel nach Jerusalem, S. 86-93, Theorie und Praxis Verlag, 2014
– Jewish Voice for Peace, Counter the Lies, Setting the Record Straight
http://jewishvoiceforpeace.org/content/setting-record-straight-response-historical-distortions-tiff
– Washington Report on Middle East Affairs The Nakba Continues – The Ethnic Cleansing of Jaffa´s Ajami Neighbourhood, 2008
http://www.wrmea.org/2008-july/the-nakba-continues-the-ethnic-cleansing-of-jaffas-ajami-neighborhood.html
– Mairav Zonszein, Al Jazeera Report, Israel´s Ethnic Cleansing of Jaffa City, 2014
http://www.aljazeera.com/news/middleeast/2014/03/gentrification-jaffa-israel-palestine-20143692621437677.html
– Badil, Jaffa – From Eminence to Ethnic Cleansing, 2008/2009
http://www.badil.org/al-majdal/item/4-jaffa-from-eminence-to-ethnic-cleansing
– Gideon Levy, Arab Villages, Bulldozed from Our Memory, Ha’aretz 2012
http://www.haaretz.com/weekend/twilight-zone/arab-villages-bulldozed-from-our-memory-1.461986
– Allison Deger, Not an Empty Sand Dune – A Palestinian Mansion in Downtown Tel Aviv, MondoWeiss 2013
http://mondoweiss.net/2013/04/palestinian-mansion-downtown
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