„Linke Lyrik verkauft sich nicht!“, hat mir DD, mein nebenberuflicher Verleger-Kollege im Hanauer „Verlag am Freiheitsplatz“ vor Jahren Mal gesagt, als er meinen AgitProvoLyrik-Band „unter-schlag-zeilen“ aus dem Schaufenster nahm und in seine Ramschecke räumte. Der DD, wie ihn seine Freunde kurz rufen, (nicht etwa Dede, denn der Opa im muslimisch geprägten Hanauer Lamboy-Viertel war ich.) … also, der DD war auch mein Mitverleger und -herausgeber der „neuen hanauer zeitung“ (nhz), in deren kultur-aktions- „nhz-werkstatt“ von 1982 bis 2013 Erzählungen, Grafiken, Cartoons veröffentlicht wurden.
Auch einige der politischen Gedichte der „unter-schlag-zeilen“, die dort eben nicht unterschlagen wurden. Jan Haake, der nhz-Hauscartoonist hat in der nhz-werkstatt eng mit mir zusammengearbeitet und mir jetzt zugesagt, dass ich seine Cartoons für ein neues Buch verwenden darf (Danke Jan!!!). Entgegen DDs Erfahrungen lief der Verkauf der „unter-schlag-zeilen“ bei meinen Lesungen nicht sooo schlecht. Aber darauf kam es mir nicht in erster Linie an. Bücher sind für mich so was wie ErzählerBeerdigungen erster Klasse, wenn sie mit ihren Erzählungen zwischen den Buch-Sarg-Deckeln verschwinden und dann noch einen goldgeprägten Rücken als Grabstein im Zentralfiedhof „Deutsche Bibliothek“ erhalten. Natürlich sind die Erzählungssammlungen für die Weitergabe wichtig. Um so wichtiger, als die Erzählkultur so gut wie ausgestorben ist. Zumindest in Zentraleuropa. Hier verläßt man sich auf Zentralbibliotheken, Mikroverfilmung, auf Datenspeicher – nur wer liest denn das alles, wer liest es vor, wer erzählt das denn alles und wer hört zu ? Ja, es gibt doch Hörbücher und Autoradio und Smartphones … toll, und denen stelle ich meine Zwischenfragen, die erklären mir dann auch noch Unverstandenes, wiederholen oder fragen mich, wie ich denn denke, wie die Geschichte endet, wie sie weitergeht, die nehmen mich auch mal in den Arm, wenn’s zu gruselig wird. Denen sage ich dann auch, wo es besonders schön, gut, spannend war oder wo eben nicht und wo sie was verbessern sollten oder ich stelle ihnen einfach die Frage, ob das denn alles wahr ist und wir babbeln noch die ganze Nacht oder trinken oder … und die lesen das auch alles automatisch meinen Kindern vor, solange die noch nicht verlesen und ausgelesen sind.
Die „unter-schlag-zeilen“ sind aktions-prozess-orientiert, stammen aus politischen Bewegungen, sind deren Teil (gewesen) und zwischendurch auch sehr kontextgebunden und deshalb auch Fußnoten-kommentiert. Und jetzt höre ich schon den Beschwerde-Chor der Literatur-Kritiker. „Aber Literatur, insbesondere Lyrik muss doch für sich selbst stehen, bedarf keiner Erläuterungen!!!“ Und der erhobene Zeigefinger dräuht ..
Herausgegeben wurde der „unter-schlag-zeilen“-Band vom Polizeipräsidium Südhessen nach öffentlicher Entschuldigung des Oberstaatsanwaltes und auf dessen Anweisung. Das Land Hessen musste die Produktion des Buches weitgehend bezahlen, weil die hessische Polizei die zentralsten Texte über 6 Wochen in Untersuchungshaft genommen hatte “wegen des Verdachts auf Volksverhetzung”
.. aber das steht alles in dem Buch, dessen grandioses Layout Jürgen Tauras gemacht hat. Bei der Arbeit entstanden noch viele Texte, die in das Buch aufgenommen wurden… Ingrid und Gerhard Zwerenz haben das Vorwort dazu geschrieben.
Ich bekenne: es sind nicht alle Gedichte für die Wallhall und die Ewigkeit geschrieben, nicht alle werden den Büchner- oder den Literatur-Nobel-Preis … einige haben eben nur mehr oder weniger ihren Gebrauchswert, der sich erschließt, wenn man Zeit, Ort, Kampagnen, Aktionen und die politisch-soziale Lage kennt.
Die Lehrerinnen haben mich sofort in die Schule geholt und ich las vor.
Da aber nach den Lesungen in Havanna die spanischen Ausgaben bereits vergriffen waren, las ich zunöächst auf Deutsch und dann übersetzte ich etwas hiolprig ins Spanische. Da meldeten sich drei der Schülerinnen und schlugen vor, den Text selbst vorzulesen und simultan ins Spanische zu übersetzen. Anschließend diskutierten sie zusammen und mit mir und den Lehrerinnen über die Wortspiele, die Doppeldeutigkeiten und wie man sie am Besten ins Spamische übersetzt. Diskussionen über die politisch-sozialen Hintergründe der Geschichte. Die Schülerinnen waren gerade Mal 10 oder 11 Jahre alt. Sei kannten die mitverarbeiteten Grimmschen Märchen und die Bezüge in der ZORA zum „Wolf und die sieben Geislein“. Er war wunderbar!
Vor sechseinhalb Jahren, kurz bevor 5 oder 6 abgestürzte Roman-Manuskripte zum Teil wieder rekonstruiert waren (Putztruppen, Damenschneider, Erbsenzähler, Grenzgänger, Die drei Leben der Hannia W. usw.. ) starb der Mann, der sie im größten Verlag Mecklenburg-Vorpommerns herausbringen wollte.
Noch ein Rückruf: für meinen Freund und (beinahe meinen) Scheunen – Verleger Andreas Ciesielski
Andreas Ciesielski ist am 23.03. 2010 gestorben. Er war Fotograf, Journalist, Autor, Verleger, Kulturveranstalter. Er hat mit äußerster Hingabe seit 1992 in Kückenshagen seinen www.scheunenverlag.de und das Zentrum “Kulturscheune” aufgebaut. Sein Verlag und die “Kulturscheune” werden weiter bestehen, wenn sie Unterstützung finden. Es gibt dafür eine Initiative im Internet, die ich jetzt aber leider nicht wieder gefunden habe. Sie möchte sich bitte bei mir melden!
Noch lang nicht auserzählt
Du hattest mir
doch kürzlich
noch so fest
versprochen
meine Romane zu verlegen
die ich nach Deinem Rat
zum zweiten oder dritten Male
wieder niederschrieb
nachdem von ihnen
nichts mehr übrig blieb
weil sie durch Windows Fenster
sich ins Grab gestürzt
im Internetnirwana
spurenlos verflüchtigt hatten
da hast Du mir geraten
sie einfach zweifach neu zu schreiben
(“und – nur zu Deiner Sicherheit –
mit virtuellem Durchschlag”)
das zweite oder dritte
würde immer besser
als das erste Mal
Du hast mich so
so oft am Telefon
tröstend in
und lächelnd auf
den Arm genommen
und mir versichert
Du seist nur deshalb
ein Verleger,
weil du genau
so oft wie ich jetzt meine
die besten Deiner Manuskripte
selbst verlegt
gelöscht
verloren
hättest
Wir hatten
uns versprochen
uns zu treffen
hoch im Norden
in MeckPomm
und jetzt, wo ich
soweit bin dass ich endlich
zu Dir in Deine Scheune
knapp unterhalb von Barth
nach Kückenhagen komm
nein kommen könnte
hast Du Dich ohne mir
nur einen Ton zu sagen
einfach
abgemeldet
So geht das nicht!
In Deiner Scheune liegt
der größte der Verlage
dieses wunden wunderbaren Bundeslandes
den dieses postgewendete Meck-Pomm
und was in diesem vierten Reich
noch aufrecht geht
so dringend braucht
in Deiner Scheune
liegt es brach
Gib zu
Du nahmst Dir nicht die Zeit
Dein Arbeitstag der brauchte zwei Mal 48 Stunden
die Buchführung hat sie dir doppelt weggenommen
Buchmacher haben Dir die Fristen nicht gelassen
Du dachtest nie darüber nach
dass Du verletzlich endlich bist
und wenn Du einmal gingest
was käme dann
danach ?
Steh auf, Andreas,
lass uns Bücher machen,
komm wieder auf den heilgen Damm,
den Du bebildert und beschrieben hast.
Lass uns gemeinsam
unterm Lachen
der Möven
unsre BücherBettenBurgen
am Ostseestrand
im Sand
eingraben
wir halten gegenseitig
uns die letzten LesePlätze frei
dann sind wir endlich
ausgebucht
wer unsre Bücher sucht
sie stehn noch ungelesen
ganz ohne Natodraht
und InfraTodesZäune
in Kückenhagen
in der Scheune
Doch was dort steht
ist lang noch nicht
Dein letztes Buch gewesen
auch meines nicht
lass uns erzählen
lass uns schreiben
schreien, singen
Lass uns lesen
Steh auf, Andreas!
Wir sind unersätzlich
weil uns und unsre Bücher
unsre Gedichte, unsre Lieder
die brauchen unsre Kinder wieder
wir müssen weiterschreiben
von unten doppelt dann
für die die bleiben
Ob die es nützlich finden
setzen, drucken, binden
und vertreiben ?
Was wird
von unsren Kindern ausgewählt
zum Buch gemacht ?
Weiter erzählt?
Das können sie doch nur entscheiden
wenn wir ihnen
weiter schreiben
Andreas rede
schreibe
bleibe
Du hast so vieles
was uns fehlt
noch nicht
erzählt
Weitere politische Lieder und gedichte, prosaisch-lyrische AgiPropoleme sind in “unter-schlag-zeilen” enthalten, der 312Seitige Grafik- und Gedichtband erschien 2005 mit der ISBN 3-88975-107-5 im Frankfurter ZAMBON-Verlag und kostet 15,-€. mit einem Vorwort von Ingrid und Gerhard Zwerenz und einem Nachwort von Kurt Sänger, sowie einem Nachruf auf Wolfgang Stryi, den Komponisten des ensemble modern FFM, einem der besten europäischen Saxophonisten, der alle Texte des Bandes in Musik umgesetzt hatte und über 150 Lesungs-Konzerte damit bestritt.
Die letzten Exemplare der Erstauflage sind jetzt (ab Mitte Oktober 2016) für 10,- € bei meinen Lesungen, Konzerten, Kabarettabenden und beim FREISINGEN erhältlich oder per Postversand.