Vom Zählprojekt zum Zählkasten – von 0 auf 100 in 3 Monaten
Ein Zählprojekt schon in den ersten Monaten. Ich erzählte den Kindern, wir sollten dem Schulleiter dabei Helfen, alle Menschen in der Schule zu zählen, damit wir genügend Tische, Stühle, Räume und Lehrer bekommen. Die Kinder waren begeistert. Ich entwickelte Zählbögen mit verschiedenen Zählblöcken und Kategorien: Frauen, Männer, Mädchen, Jungen, Lehrerinnen, Lehrer, Putzfrauen und -männer, Sekreterin und Hausmeister. Viele Kolleginnen hielten das Vorhaben für eine totale Überforderung der Kinder. Aber die Kinder selbst wollten zählen und ich wollte es auch. Entscheidend war auch nicht die Präzision des Vorganges und des „erzählten“ Schulzensus. Je zwei Kinder (möglichst unterschiedlicher Entwicklung) übernahmen das Zählen einer Klasse. Auf Zählzetteln waren die Klassen vermerkt, in Zehnerblocks machten die Kinder je ein Kreuz für ein Kind der betreffenden Klasse, in einen Block rote Kreuze für Mädchen, in einen anderen blaue Kreuze für Jungen usw. Die rücklaufenden Zählzettel wurden gesammelt und aufgehängt. Zum Zusammenzählen entwickelte ich mit den Kindern mehrere Methoden. Dazu wurden die ausgefüllten Zählzettel in mehreren Sätzen kopiert. In die gleichzeitig entwickelten Zählkästen wurden die kompletten aus den Zählzettel herausgeschnittenen Zehner eingelegt, immer von 10 bis 100, die unvollständigen Zehner, -die Einer- wurden gesondert gesammelt und anschließend zu Zehnern zusammengeklebt und ebenfalls eingelegt. So bauten sich die Kinder an einem langen Regal eine sinnlich erfassbare und gemeinschaftlich erzählte Menge von ca. 400 Menschen an der Anne-Frank-Schule auf. Mehrere Kindergruppen begannen sofort die verschiedenen Teilmengen zu „erzählen“. Eine Kleingruppe hatte sich direkt nach Abschluß des Zählens einen Satz Zählzettelkopien nach Hause mitgenommen und am nächsten Tag mir das Ergebnis ihrer Zähl- und Additionsarbeit leise mitgeteilt, um den anderen nicht den Spaß an der Arbeit zu nehmen. Daß die Kinder bei ihrer Arbeit nicht nur gezählt und addiert hatten, sondern auch subtrahiert und multipliziert, habe ich erst später bemerkt. Die Subtraktion und Multiplikation waren in der Planung des Projektes von mir nicht vorgesehen. Einige Kinder brachten dazu erste Kenntnisse mit, ohne daß ich es bis dahin wußte, andere entdeckten diese „Schnellzähltechniken“ erst während der Arbeit oder ließen sie sich von den „Multiplikatoren“ zeigen. Von diesem Zeitraum an waren die Zählkästen und die Zählzettel nicht mehr aus dem Rechenunterricht wegzudenken. Diese erste Klasse hatte eine enorme Herausforderung gemeinsam bewältigt und sich ein Instrumentarium dabei erarbeitet, mit dem sie auch außerhalb der Schule größere „Zählaufgaben“ anpacken konnte.
Wenn das Zählen sich auszahlt – Zählen als erfahrene Notwendigkeit
Erste Erfahrungen mit solchen „Zählprojekten“ hatte ich bereits 1971 in Frankfurt gemacht, als ich mit den Kindern einer ersten Klasse den Bedarf an Kinderhort/Kindergartenplätzen, die notwendige Größe eines Spielhauses für einen Sozialen Brennpunkt in Frankfurt-Rödelheim „erzählt“ habe. Dieses Projekt war seinerzeit noch unmittelbarer an den dringendsten Bedürfnissen der Kinder (und der Eltern) orientiert und die Motivation war dabei entsprechend noch höher. Die „Zählergebnisse“ führten zu Forderungen der Eltern und Kinder nach mehr „Spielraum“ im Stadtviertel. Um die Kinder nicht im Kriechgang politischer Entscheidungen verhungern zu lassen, wurde das Projekt um ein direkt umsetzbares Teilprojekt erweitert: der Bau eines „Spielhauses“ in unmittelbarer Nachbarschaft zur Schule auf einem städtischen Brachlandgrundstück. Die Kinder bauten im Unterricht und nachmittags unter Mithilfe von Lehrern und Eltern ein kleines Haus aus gespendetem Bauholz. Dabei wurde wieder gezählt, notwendige Grundfläche ausgemessen, Bauhöhen bestimmt, Bretter gemessen und gesägt, Nägel gezählt, Holzbedarf berechnet usw, wobei die Kinder im Trial and Error-Verfahren ihre eigenen Zähl-, und Messmethoden anwandten, verwarfen und entwickelten. (Zur Abmessung der notwendigen Grundfläche stellten sich alle Kinder zunächst dichtgedrängt zusammen und zwei Kinder zogen einen Kreis um die versammelte Klasse. Sie merkten schnell, daß diese Messmethode nicht geeignet war „Das ist zu eng zum Spielen.“) Das Ergebnis hielt zwar nur einige Wochen, aber die Kinder hatten im ernsthaften Umgang mit dem Material und dem Werkzeug kaum messbare, unschätzbare Erfahrungen, Fertigkeiten und Kenntnisse: Teamfähigkeit, am gemeinsamen Ziel orientiertes Sozialverhalten, grob- und feinmotorische Fortschritte, Bewegungskoordination, Addition und Subtraktion im Zahlenraum bis 200 und weit darüber hinaus. (Integriert war in das Projekt auch das Schreiben und Lesen, da die Kinder immer wieder Briefe oder nur kurze Listen mit den benötigten Materialien für die Eltern oder die örtlichen Handwerker schreiben mußten).
Die schnelle Einführung der Zehn liegt auf der Hand
Bei der Einführung der Zehn als Hauptstruktur des Zählkastens konnte ich damit rechnen, daß viele Kinder bereits ihre Finger zählen und die restlichen es anhand ihrer Hände sehr schnell nachvollziehen können. Die Zehn war bei dieser Arbeit im Hunderterfeld die eine vorgegebene Struktur, der Aufbau der Zehn von unten nach oben war durch das Bauen von Türmen naheliegend, der erste Baustein liegt immer unten.
Die Hundert als erstes Universum
Die andere vorgegebene Struktur waren die für hundert Würfel ausreichenden Zählkästen sowie das brennende Interesse der Kinder, endlich bis HUNDERT zählen und rechnen zu können, also die Vorerfahrung, die Vorkenntnisse und die Vorfreude und -witzigkeit der Kinder. Die HUNDERT hat für die meisten Kinder in der Eingangsstufe die gleiche Faszination wie der Führerschein für 15 bis 16jährige Jugendliche.
Mit Zählen etwas auf die Reihe kriegen
Den Dingen einen Namen geben und sie sich so zu erschließen. Vorhandene Strukturen erkennen oder den sich um einen ausbreitenden Massen und Mengen eine Struktur geben, sie im Kopf auf die Reihe kriegen, um sich darin zurechtzufinden, einen Überblick zu gewinnen, sich von den Dingen ein Bild zu machen, sich einen Plan zu machen. Nicht länger zu sehen viel, groß, weit, lang, sondern wie viel, wie groß, wie weit, wie lang. Wie lange dauert es, bis wir Schwimmen gehen? Sie wollen es wissen: zehnmal schlafen? 10 Tage?
Vom Zählen zum Surfen im Hunderterfeld
Der Weg zum Freien Surfen im Hunderterfeld ging über die Frontaldemonstration des Zählens und Rechnens mit dem Zählkasten. Zwei mal zehn Einer waren zwei mal zehn Blechdeckel von Einweggläsern, mit Magnet beklebt, an die Tafel geheftet und mit blauer oder roter Wandfarbe innen ausgemalt. Große blaubemalte Pappstreifen hingen als Zehner an der Tafel. Die Kinder hanben das Material selbst gesammelt und bemalt, nicht nur mit blau und rot. Mit den Deckeln haben die Kinder unendlich viele Bilder an der Tafel gestaltet und gerechnet. Gleichzeitig haben einige Kinder die Zehner-„Türme“ beschrieben, um sich besser und schneller zu orientieren. das Gleiche passierte mit Etiketten in den Zählkästen. Die Vorgängerin der ersten sichtbaren Zahl im jeweiligen Zehnerblock benannte die vorhandene Menge. Eine von mir eingeführte Form des Hunderterfeldes waren die von 1 bis 100 beschrifteten Pappkarten. Die Beschriftung machte ich im Unterricht mit dem Ergebnis, daß alle Kinder mit enormer Hartnäckigkeit auch alle Zahlen von 1 bis Hundert auf Pappkarten schreiben wollten und schrieben. Das sehr platzraubende Verfahren, drei bis zehn Hunderterfelder in der Klasse zu legen und nicht verrutschen zu lassen, führte dann zum Hunderterfeld an der mobilen Tafel mit Milchflaschendeckeln und Magneten. An Vorder- und Rückseite der Tafel konnten bis zu zehn Kinder in Gruppen gleichzeitig an 4 Hunderterfeldern arbeiten. Parallel zur Einführung dieser Form des nicht vorstrukturierten Hunderterfeldes machten wir Versuche mit Strukturvorgaben durch ein Draht- und ein Holzraster. Beides wurde von den Kindern nur sehr selten benutzt. Es hinderte sie am freien Experimentieren. Angenommen haben die Kinder das Hunderterraster mit den Operationsleisten bei der Einführung des Einmaleins. Hier können sie sich die einzelnen Reihen selbst erarbeiten. Hierfür haben wir die Milchflaschendeckel mit roten Zahlen beschriftet. Die Deckel haften außerhalb des Rasters. Die Kinder errechnen sich die Reihen durch Addition und suchen sich die entsprechenden Zahlendeckel, um sie im Raster richtig zu plazieren. Dabei können sie die jeweiligen Mengen konkret erfassen.
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