In Stichpunkten:
- überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit mit steigender Tendenz (u.a. Entlassung der US-Zivilbeschäftigten, Entlassungswellen bei Hanauer Großbetrieben..)
- Überalterung des eingeborenen deutschen Bevölkerungsanteils, überdurchschnittlich viele Frührentner,
- meines Wissens nach dem Freigerichtviertel das Gebiet mit dem zweithöchsten Ausländeranteil
- Obdachlosenwohnungen, Übergangsheime für Übersiedler/Aussiedler, Wohnheime für Asylbewerber,
- Kasernenstandort mit allen Begleiterscheinungen,
- hoher Anteil an Sozialhilfeempfängern, alleinerziehenden Müttern oder Vätern,
- sehr hoher Anteil an Familien ,bei denen beide Eltern arbeiten gehen müssen, zudem noch zu unterschiedlichen Arbeitszeiten (Schichtarbeit)
- hoher Anteil an minderqualifizierten Beschäftigungsverhält-nissen, die entsprechend schlechter entlohnt werden, und frühen körperlichen und psychischen Verschleiß bringen,
- ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse (Jobber-, Aushilfstä-tigkeiten etc.),
- Alkoholismus und andere Drogenabhängigkeiten, Rauschgifthandel, Prostitution und Beschaffungskriminalität,
- hohe Rate an Klein- und Jugend-(Kinder-)kriminalität,
- die Erfahrung von Gewaltkriminalität der Erwachsenen, Gewalt-tätigkeit im privaten Bereich, Kindesmißhandlung gehört für die Kinder im Viertel zum täglichen Brot, wenn nicht in der eigenen Familie, dann in der Nachbarschaft,
Die klassische Familienstruktur ist hier mehr als in anderen Vierteln in Auflösung begriffen, bzw. bereits aufgelöst, wobei diese Erscheinung auch bei den mehr traditions- und religionsverbundenen Familien z.B. italienischer oder türkischer Herkunft zunehmend Platz greift, Identitätskrisen, Entwurzelung, Anpassung, im negativen Umfeld die entsprechende Integration und/oder Abschottung als Kehrseite der Medaille: wo den einen oft nur noch der „Stolz“ bleibt, Deutscher zu sein, bleibt den anderen dann zum Trotz der „Stolz“, Italiener, Türke, Pole, Russe, Amerikaner etc. zu sein. (Auf dem Hintergrund der angespannten sozialen Lage im Viertel sind hier die offenen Konflikte vorprogrammiert, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Existenznöte der kleine Gewerbetreibenden: die vermeintlich schuldigen Sündenböcke, die Säufer, die Krankfeierer, die Asozialen, die Sozialhilfeempfänger, die Ausländer, die Asylanten, die Zigeuner sind hier schnell gefunden.) Ein besonderes Phänomen zeigt sich dabei bei Kindern schwarzafrikanischer Herkunft, zum Teil auch bei Besatzungskindern, die, weil sie in der Nationalitäten-Hackordnung ganz unten -noch unter Sinti- und Roma-Kindern- rangieren, stets betonen, daß sie Amerikaner sind. Was ihnen oft jedoch auch nicht viel nützt, weil es im Lamboy oft heißt: „Brikett bleibt Brikett“.
Kinder sind in diesem Viertel oft schon sehr früh „Zwangs-erwachsene“, die sich -auf sich selbst gestellt- irgendwie durch-schlagen müssen.
40 bis 60% der Kinder
- fehlt die Geborgenheit, die Stabilisierung und Rückversich erung durch die Familie – aus verschiedensten Gründen,
- haben nicht genügend Platz zum Lernen und Spielen, keinen Arbeitstisch,
- kaum oder keine Anregung zum eigenständigen Erlernen, Entwickeln von Kulturtechniken, geschweige denn musischer Fähigkeiten
- können die Ausrüstungsstandards (Lernmittel, Kleidung, Spielzeug, Sportgeräte etc.) nicht oder kaum erreichen oder halten
- haben große Schwierigkeiten beim Erwerb einer differenzierten Hochsprache.
Sie suchen und finden ihre Erfolge und Anerkennung, Zuwendung in außerfamiliären, außerschulischen Bereichen mit starker Tendenz zur Jugendkriminalität, Gewaltbereitschaft, Bandenbildung als Ersatz für mangelnde familiäre Zuwendung, schulische und außerschulische, sie tatsächlich erreichende Zuwendung. Das Angebot an Kindergarten- und Hortplätzen ist völlig unzureichend (ohne jetzt auf die Qualität der Betreuung in überlasteten Einrichtungen einzugehen).
Meines Erachtens muß sich eine Schule in einem solchen Viertel völlig von der „heilen Welt-Mittelschicht-Orientierung“ verabschieden und die Kinder, um sie wirklich zu erreichen, dort abholen, wo sie sich befinden, in ihrer Sprache, in ihren virulenten Bedürfnissen, in ihrer emotionalen, psychischen Verfassung, ihre die Personalität hauptsächlich bestimmende außerschulische Lage ernstnehmen und sich mit ihr befassen.
Die Schule muß Raum und Zeit zur Verfügung stellen, Hilfe zur Selbsthilfe in einer kinderfeindlichen, Angst erzeugenden und oft lebensbedrohenden Umgebung.
So wie die traditionellen Grundschulen und ihre Lehrkräfte arbeiten, sind sie nicht geeignet, die Fähigkeiten zu vermitteln und zu entwickeln, die die Kinder in ihrer Mehrheit brauchen, um sich im Leben zu behaupten, den Alltag zu meistern und sich dabei positiv zu entwickeln , zu entfalten. Nur wenige schaffen den Anschluß an die Mittelschicht-Standards. Das sind dann die „guten Schüler/innen“— und die anderen?
Mir geht es nicht um eine Ausgrenzung der „Guten“, so wie bisher die „Schlechten“ ausgegrenzt wurden, oder ausgelesen.Es geht nicht um die Herabsetzung des Erlernens der grundlegenden Kulturtechniken. Es geht darum, Schule so zu organisieren, daß sie integriert, die Mittelschicht-Orientierten und bereits Befähigten (wg. häuslicher Voraussetzungen) mit denen in Arbeits-, Lern-, Spiel- und Betreuungsageboten zusammen bringt, die die Mittelschicht-Standards zunächst sehr wohl erreichen wollen, es aber nicht schaffen können unter den bisherigen Bedingungen in der Schule und zuhause, und dann auch nicht mehr wollen („Alles Baby-Kram!“, Aggressionen gegen die „guten Schüler“ und gegen die Lehrkräfte, die die „guten“ loben und die „Schlechten und Bösen“ negativ sanktionieren. Auch auf diese Weise holen sich Kinder fehlende Zuwendung.).
Die Schule kann die häuslichen Bedingungen nicht (oder nur rudimentär verändern?verbessern.(Verschlechtern kann sie schon, mit Hilfe der Benotung etc.) Die Schule kann sich aber auf die Kinder und ihre Voraussetzungen einstellen und ihre Prioritätensetzung verschieben.
Die Schule muß, um zu verhindern, daß viele Schüler?innen von einem schulischen?außerschulischen Mißerfolg zum nächsten und von dort auf schiefen Ebenen weiter abrutschen,
- die bei den Kindern vorhandenen Defizite an Zuwendung
- an Möglichkeiten konstruktiver, sinn- und lustvoller Beschäftigung
- Defizite an positiven Identifikationsmöglichkeiten
erkennen und Angebote machen, die die Kinder tatsächlich (alle!) motivieren und nicht nur solche, von denen wir meinen, sie wären motivierend, bzw. solche, die hauptsächlich die bereits Motivierten motivieren.
Es müssen Angebote sein, die die Wertvorstellungen der Kinder, ihre momentanen Bedürfnislagen reflektieren und aufgreifen, sie ernstnehmen, das heißt auch, sie nicht nur kurzfristig instrumentalisieren.
Stellen sich die Schule, die Lehrerinnen und Lehrer mit ihren vorhandenen und mobilisierbaren Problemlösungsmöglichkeiten nicht den drängendsten Fragen im Einzugsgebiet, drohen beide, die Schule (mit Lehrkörper) wie die Kinder gerade in sozialen Brennpunkten ins jeweils entgegengesetzte Abseits zu geraten und die be- und umfriedete Schulgemeinde wird zum Potemkin’schen Dorf.
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