Will die „junge Welt“
dem Linken Liedersommer,
dem Burg-Waldeck-Festival
nach Degenhardts Tod
das Licht ausblasen ?

„Wir drucken, wie sie lügen.“, heißt es im Slogan der jungen Welt. Die unfreiwillige Zweideutigkeit dieses Satzes kommt im Artikel über den Linken Liedersommer 2012, dem ersten Burg-Waldeck-Festival ohne Franz-Josef Degenhardt zum Tragen:

„Am Feuer zwischen den Lagern“
Man darf rathen was der jW-Feuilletonist Michael Rieth mit dieser fetten Headline über eine volle jW-Seite dem Publikum verrathen will: „Auf der Waldeck beim Linken Liedersommer, letztes Wochenende…“ müssen sich die Teilnehmer dieser Liedermacher-Kultveranstaltung zwischen alle Musik-Leerstühle gesetzt und gevolks- und gearbeitertümelt haben, was das Zeug hält? Oder was ? „Linker Musikantenstadl“ unter Ausschluss der eh nicht interessierten Öffentlichkeit ? Schließlich war er ja der einzige Pressevertreter.

Wennn ich den prominenten (Ex-?)FR-Jazz-Kritiker und Ersatz-Behrendt Michael Rieth nicht selbst gesehen hätte zwischen workshops, Dikussionssrunden und Konzerten auf dem diesjährigen Waldeck-Festival, ich müsste meinen, dieses neben dem Hochkultur-Ross Hans-Jürgen Linke beste Pferd im Dumontierten FR-Feuilleton-Stall hätte sich zum und beim falschen Turnier vergaloppiert.

Unter ziemlich gewollt „witzigen“ und vieldeutig nichtssagenden aber immer etwas denunzierend klingenden Zwischenüberschriften wie z.B. „Hansel mit Zupfgeigen“ oder „Spiel ohne Grenzen“ bedient Michael Rieth die bekannten wohlfeilen Schubladen und Register des Altkommunisten-Barden-Bashings:
Erst ein paar nicht über wikipedia hinausgehend löblich zusammengeschriebene Fakten zu Wandervögeln, Zupfgeigenhanseln und der Geschichte der Burg Waldeck, dann etwas feuilletonistisches Wortgeklingel über Erich Schmeckenbachers Ehrenrettung der Romantik vor der (kleinbürgerlichen) Idylle … aber dabei noch nicht Mal eine Bemerkung über den Minimalismus seiner neueren Lieder. Und danach:

„Spiel ohne Grenzen“,
damit meint Rieth die von ihm so dargestellte Offenheit des Liedersommers nach rechts, bei der sich die auf dem Nachbargelände zeltenden eher deutsch-national ausgerichteten „Nerother Wandervögel“ „einfach dazusetzen“ könnten, weil sie „teils dieselben Lieder“ sängen , wie jene „friedlich gesittete(n) Menschen, die ums Lagerfeuer bei den „Freidenkern“ sitzen und singen. Bei denen, die diesen „Linken Liedersommer“ veranstalten, „gäbe es wohl keine Berührungsängste“ schreibt Michael Rieth, denn das lagerbefeuerte „Gemeinschaftsgefühl kennt keine Grenzen oder Ideologien“ … das Gemeinschaftsgefühl der rechten Wandervögel „ist vermutlich aus den gleichen Gründen genauso erhebend wie das der linken Liedersänger“. Man hält -so FRieth- links wie rechts „das Wirken der eigenen Gemeinschaft für den kathegorischen Imperativ“… und deshalb „mehr als ein Duzend Mal reiht man sich sangesfreudig ein – weil der Mensch ein Mensch ist, vergissst man beim Essen die Solidarität nicht und schultert den Spaten zum Moorstechen“.

Wer hier in der jungen Welt so rotzig Mal schnell das Gedenken an die Opfer des KZ Börgermoor in den Dreck zieht, wer hier die Kämpfer gegen die faschistische Diktatur und ihre Auftraggeber und Finanziers und Nutznießer versucht lächerlich zu machen, der soll sich bitte schön in die Spalten zwischen FR und FAZ verkrümeln, auch wenn er noch so dolle über Jazz Bescheid weiß…
Die Gnade der späten Rieth-Geburt (1944) ist keine Entschuldigung dafür, dass sich dieser KulturFRontmann nicht vorstellen kann, dass letztlich auch militärischer Widerstand geleistet werden muss, wenn die letzten Reste selbst bürgerlicher Demokratie der Mobilisierung an der Heimatfront weichen müssen und weggeputscht werden:

Flieg TIGER flieg,
in Libyen ist Krieg,
um Öl, Tantal, Coltan Uran,
wir befreien den Iran,
befreien seltne Erden,
Graphit. Bauxit und Wasser mit
Heckler-Koch und Rheinmetall
mit AIRBUS und Transüberfall
und wer etwas dagegen hat
den walzen unsre LEOs platt….
und dann kann Frieden werden
wenn wir bei den Mongolen
die seltnen Erden holen

……. Dass der damals 8jährige Rieth sich nicht mehr daran erinnert, dass der Jungkommunist Phillipp Müller 1952 bei einer der damaligen Massendemonstrationen für ein neutrales wiedervereinigtes Deutschland und gegen die Wiederbewaffnung von der Polizei erschossen wurde, dass zehntausende ins Gefängnis geworfen wurden, weil sie Unterschriften gegen die deutsche Teilung sammelten und KinderDurchfütterFerien in der SBZ und später in der DDR für die Hunderttausende Hungerleider aus den zerstörten westlichen Industriezentren organisierten…… Aber als Journalist hätte er das doch spätestens jetzt recherchieren können… Natürlich haben diese Kämpferinnen versucht ihre alten Lieder wiederzufinden, sie zu entnazifizieren, und es wurden Künstler gewonnen, damit beauftragt, die alten zu erneuern und neue zu Schreiben… gegen kapitalgeförderte Kulturkampf-Tzunamies aus dem Westen, wo früh vom erstem „Entnazifizieren“ auf Zerstörung und Verhinderung jeglicher emanzipatorischer proletarischer Kunst und ihrer Strukturen, Logistik, Medien hingearbeitet wurde. Und Rieth als Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau müsste doch wissen, wie auch in seinem Laden gesäubert wurde: nicht nur Emil Carlebach und Arno Rudert wurden von Karl Gerold in Absprache mit der US-Militärregierung und Lizenzgebern rausgesäubert. . …. Etwas Recherche in der Geschichte des FR-Feuilletons, in der Geschichte des Hessischen Rundfunks, in der Geschichte der „Amerika-Häuser“ und der dort wirkenden Stiftungen wären dafür aufschlussreich gewesen, um zu verstehen, warum die Entwicklung linker Kultur im Westen so schwierig war, warum und wie Künstler eingekauft wurden und sich kaufen ließen besonders durch die Ford-Foudation und warum es über 20 Jahre dauern musste, bis sich im Westen Ansätze zur Fortentwicklung eigenständiger linker Kultur bilden konnten..(die nicht einfach die DDR-Kulturproduktion kopierten oder im Verdacht standen dies zu tun). Dass es in der BRD im kulturellen Bereich keine direkten McCarthy- „Ausschüsse wider undeutsche Umtriebe“ gab, die Künstler mit auch nur geringsten Verbindungen zur KPD verurteilten und mit defakto Berufsverbot belegten, lag an der Systemkonkurrenz zur DDR. Dies bot einen gewissen Schutz, schaffte sogar Freiräume.. ., die so weit gingen, dass auch bei den US-geförderten Strukturen wie z.B. Lippmann & Rau ansatzweise Entwicklung linker Kultur möglich wurde…(Das sollte der Lippmann Biograf Rieth doch wissen!!)und seitens der US-Kulturpolitik auch (fast) linke Aushängeschilder promotet wurden…
Dass Michael Rieth seinen Artikel so ahnungslos geschriebn hat, ist höchst unwahrscheinlich. Sein denuziatorisches Vokabular ist ihm nicht nur so rausgerutscht. Ist auch keine freudsche Fehlleistung. Auch auf die Gefahr hin, dass er und das jW-Feuilleton mich meiden wird wie das Weihwasser den Teufel, ich also nicht mehr in den Genuss der höheren feuilletonistischen jWeihen kommen werde, muss ich dies hier doch schreiben. Auch wenn es dazu beitragen sollte, die jW-Redaktion oder die LPG davon abzuhalten, sich als „medienpartner“ an dem von mir vorgeschlagenen interaktiven linken Kulturforum, dem ganzjährigen virtuellen Waldeck-Festival zu beteiligen, wo sich Kunstschaffende, Profis und Laien, junge und alte zusammenfinden können und alles, was in den aktuellen Sozialen Bewegungen an Liedern, Grafiken , Transparenten, Straßentheatern, Grafitties usw.. entwicklt wurde, zur Weiterentwicklung. zur Nutzung, Vervielfältigung an GEMA und anderen Profitgeiern vorbei zugänglich gemacht werden soll..

Doch zurück zu Michael Rieths sich mutig tabubrechend gebender Denunziation, die nicht etwa eventuellen Fehlwuchs durch „Erziehungsschnitte“ korrigieren will. Nein, es muss an die Wurzel gehen:
Die Rotzigkeit der Opferschändung („man schultert sangesfreudig den Spaten zum Moorstechen“) ist nicht genug: Michael Rieths totalitarismustheoretishe Gleichung von Links gleich Rechts wird überdies noch mit plakativen Lügen untermauert: (immer im omnipräsenz suggerierenden SPIEGEL-Stil geschrieben:) „Nach einem Gang durch den Nieselregen, um eine Decke gegen das leichte Frösteln zu holen, vernimmt man aus einiger Entfernung die Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und stutzt: die Harmonien und Teile der Melodie sind die des Horst-Wessel-Liedes“, der SA-Hymne. Das Frösteln nimmt zu. …“

Das ist der Gipfel dieses Lügenartikels: die Melodie des Horst-Wessel-Liedes stammt vom „Leuna-Lied“, vom „Kleinen Trompeter“, das hätte Michael Rieth bei etwas Recherchesorgfältigkeit dem „Großen Steinitz“ entnehmen können, jenem bei „zweitausendeins“ erschienen Grundlagen-Werk der Volkslieder-Forschung, in dem an zahlreichen Beispielen belegt wird, wie die NAZIS sich bei dem Liedgut der (vor-)demokratischen und der Arbeiterbewegung verfälschend bedient haben. Dass dies ganz gezielt sogar unter Göbbels direkter Anweisung geshah, um den Massseneinfluß von SA und NSDAP verstärken – auch das verschweigt Rieth, ebenso wie die systematische Umtextung unzähliger Lieder der 1848er, der Bauernkriege usw., die dann um so leichter nach 1945 „antifaschistsich“ indiziert werden konnten.

Rieth versucht die zu verschiedenen Kampagnen ge- und umgeschriebenen Volkslieder gegen die Werke Eislers, Weills und Dessaus auszuspielen, wenn er sagt, dass „deren (kompositorische) Sperrigkeit mit Sicherheit nicht dazu geeignet (ist) mit rechtsradikalen und nationalistischen Inhalten gefüllt zu werden“ …

Alle demokratischen und revolutionären Volksbewegungen haben tradierte Lieder, Kirchenlieder, genutzt und für ihre Zwecke umgetextet und auch umnotiert.

Bei aller Achtung vor und Liebe zu den „neutönerischen“ Werken der Meister Eisler, Weill und Dessau, wirk(t)en besonders viele diese Werke bisher eher in geschlossenen Zirkeln mit höherer Bildung (oder auch Einbildung). Da, wo ihre Werke populäre Elemente aufgenommen haben, nur da erreichten sie auch Massenwirksamkeit. …
Das ist immer eine ambivalente Angelegenheit. Aber auch darüber wurde diskutiert auf der Waldeck. Doch diese Debatten hat Rieth entweder verpasst oder sie passen ihm nicht in sein Bild ewig gestriger Agit-Pappkameraden.

Da gab es Debatten darüber, dass man eben so wenig „zum Kampf geboren“ sei wie das Wandern des Müllers Lust ist, wenn er dazu gezwungen wird/ist. Und dass es den Wanderburschen nicht „im Blut“ liegt, was später eine bestimmte Fraktion der „Wandervögel“ biologisierend und romatisdierend behauptete.und was die Nazis dann gerne in ihr inhaltlich umgedrehtes und ansonsten entleerte Liedgut übernahmen oder auch die traditionellen Männergesangsvereine: „Mein Vater war ein Wandersmann und mir liegst auch im Blut…“. Weder das Wandern noch das Turnen war ursprünglich Hobby und Kurz- gegen Langeweile relativ satter Bourgeoisie-Söhnchen und später auch noch höherer Töchter, sondern zünftig aufgezwungene und fürstlich gejagtes Wandern und Übungen für die Dorf-, Feuer- und Bügerwehr….
Die meisten Arbeiterlieder sind vom handwerklichen, manufakturellen und insustruellen Maschinenrythmus bestimmt und vom zum Teil auch daraus stammenden militärischen Marschrhythmus.

Wenn Rieth Ahnung von Jazz hat, dann müßte er doch auch wissen, dass die Bluesrhythmen, die Gospelrhythmen aus dem Rhythmus der Arbeit, der Gleisbauarbeiten, aus der Erntearbeit, vom Drechflegel bis zur Dreschmaschine und vom Train, vom Rattern der Züge herkommen..Dass sie speziell auch für diese Arbeit geschrieben wurden. „Take this hammer, carry’t to the Captain..“.

Rieth verschweigt diese Debatten, die bis in die späte Nacht geführt wurden am Lagerfeuer, bei den Workshops, wo die Forderung entwicket wurde, dass die Neuinterpretationen der alten Lieder versuchen müssen, zu kontrapunktieren, den Maschinen- und Militärrythmus zu überwinden.

Ach ja, noch Mal zum „Schultern der Spaten zum Moorstechen“:
die versammelte Rechte in Gründau bei Frankfurt verweigert die Benennung einer Straße und einer Halle nach dem um 1990 verstorbenen Altbürgermeister des ehemals selbständigen Dorfes Mittel-Gründau. Wilhelm Pfannmüller war einer der Moorsoldaten bevor er im Strafbattaillon 999 nach Jugoslawien geschickt wurde, um dort Brückenköpfe einzurichten und nach erfolgreichrer Einrichtung von SS-Verbänden erschossen zu werden. Der frühere „Rotsportler“, Bahngewerkschafter und lokale Organisator des Widerstands gegen die Nazis, desertierte 1942 zu Titos Partisanenarmee und wird posthum heute noch verfolgt, „weil er auf deutsche Soldaten geschossen hat“ und „Mitglied in einer verbotenen Partei war“…

Natürlich müssen wir die Lieder von damals nicht 1 zu 1 so singen, wir müssen ihre Botschaften ins heute vermitteln und sie anders singen…anders spielen.. Da hat die bandbreite wunderbare Pionierarbeit u.a. mit dem Steigerlied geleistet und daran haben sich auch die Debatten orientiert… Ja, lieber Michael Rieth. bei allem schädlichen schrott, den Du da geschrieben hast: der Absatz über die BANDBREITE ist ein rühmliche Ausnahme… nur auch da ist Dir nicht aufgefallen, dass die BANDBREITE das Diktat der industriellen Rhythmisierung durchbricht, nicht nur mit ihren Texten sondern auch in der Form, denn sie durchbricht dieses in den RAP-Charts zu Manirismus verkommende Zwangskorsett immer wieder durch inhaltlich gebotene Brüche, mit denen sie das „TOT-RAPPen“ ihrer Inhalte verhindert..

Was in diesem junge Welt-Artikel bezeichnender Weise überhaupt fehlt, ist die Debatte um die weitere Arbeit, die vorgeschlagenen öffentlichen Foren im Internet, die Einrichtung virtueller workshops, die Schaffung interaktiver „Feuilletons“. in die die aktuellen Schöpfungen entlang sozialer Bewegungen eingebracht und weiterentwickelt werden können… Bei diesen Debatten wurde mehrfach die Einbeziehung der jungen Welt in dieses Projekt gefordert. Auch der Beschluss zur Durchführung der nächsten Liedersommer, der Einrichtung eines ersten Forums usw.. wird nicht erwähnt. Nach dem Artikel hat man den Eindruck, dass die junge Welt – obwohl Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe – dem Linken Liedersommer eher das Licht ausblasen möchte.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

7 Gedanken zu „Will die „junge Welt“
dem Linken Liedersommer,
dem Burg-Waldeck-Festival
nach Degenhardts Tod
das Licht ausblasen ?“

  1. Vielen Dank für Ihre Gegendarstellung zum Artikel in der jw von M. Rieth. Da mein Mann und ich erstmalig in diesem Jahr auf Waldeck waren, konnten wir uns sehr wohl einen Eindruck von der Stimmung dort machen . Und sie war – trotz des Regens! – unserer Meinung nach phantastisch! Nach dem Lesen des jw – Artikels fragten wir uns ganz besorgt, wer denn dieser M. Rieth gewesen sein könnte, mehr noch , ob er zum selben linken Liedersommer war wie wir.
    Schlimm fanden wir u.a. die Einschätzung des Workshops zur DDR – Singebewegung inseinem Artikel. Während bei der Veranstaltung die Singebewegung als etwas sehr Positives eingeschätzt wurde, was vielen DDR – Jugendlichen unvergessen bleiben wird, war es m: Rieth nur den lapidaren Satz wert, dass ein Weltfestspiellied zu sperrig war, um gern gesungen worden zu sein. Da hat Man(n) wohl das Anliegen des kompletten Workshops nicht verstanden.

  2. Danke, sehr zugespitzt und sehr richtig. Den Link schicke ich mal Wera.
    Rote Grüße
    Stephan

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