Offener Brief an Oberbürgermeister Peter Feldmann wg. Besatzungsfeier-Schirmherrschaft

Institut für Palästinakunde


e.V.

Institut für Palästinakunde
Institut für Palästinakunde e.V.
Weissenburgstrasse 11
DE 53175 Bonn
Tel.: 0049 228 18038637
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Bonn, den 6. Juni 2017
Sehr geehrter Stadtverordneter,

wir – der Vorstand des ‚Instituts für Palästinakunde e.V.‘ und die Unterzeichner – wenden uns an Sie als gewählten Vertreter der Bürger der Stadt Frankfurt, nachdem wir erfahren haben, dass am 7. Juni in Ihrer Stadt eine Veranstaltung stattfindet, bei der faktisch Krieg, Annexion und Vertreibung – unter dem Titel „Wiedervereinigtes Jerusalem“ – gefeiert und propagiert werden sollen.

Veranstalter ist der deutsche Zweig von Israels ältester Kolonialorganisation, der ‚Jüdischer Nationalfonds‘ (JNF), der auf eine mehr als hundertjährige Geschichte ethnischer Diskriminierung und Verstrickung in Verbrechen an Palästinensern zurückblicken kann: Unrecht, an dem der JNF bis heute festhält und an dem er bis heute verdient.

Was die Konferenz zu einem Skandal der Stadt Frankfurt und damit auch zu Ihrem Problem macht ist, dass Oberbürgermeister Peter Feldmann als ihr Schirmherr fungiert und Stadtkämmerer Uwe Becker als Gastredner geladen ist. Letzterer hat überdies ein Faible für israelische Ultra-Nationalisten, was ihn in Konflikt mit den Werten des Grundgesetzes bringt.
Feier von Krieg, Annexion und Vertreibung

Die Feier der Wiedervereinigung Jerusalems verherrlicht realiter die gewaltsame Eroberung, Besetzung und Annexion Ost-Jerusalems. Ein illegales Unternehmen – sowohl aus der Perspektive des Völkerrechts, der UNO, der EU sowie auch der aller Bundesregierungen seit der Eroberung Ost-Jerusalems im Jahr 1967.

Nachdem die Bundesregierung die Annexion der Krim durch Russland zum Anlass genommen hat, Sanktionen gegen Russland zu verhängen – stellt sich die Frage, warum sie keine Sanktionen gegen Israel verhängt. Sanktionen die umso dringlicher erscheinen, da Israel sich nur das Territorium angeeignet – dessen palästinensische Bewohner jedoch zu Staatenlosen gemacht hat, anders als Russland auf der Krim.

Seit der „Wiedervereinigung“ sind die Palästinenser Fremde in ihrer eigenen Stadt und das Ziel endloser Schikanen, die darauf abzielen sie zu ruinieren und dazu zu zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Ein besonders probates Mittel dafür ist das Planungs- und Baurecht. Während rund um Ost-Jerusa­lem Wohnungen und Häuser für rund 200.000 Siedler gebaut wurden, schweben über den Häusern und Wohnungen von rund 20.000 Palästinensern Ost-Jerusalems amtliche Abriss­drohungen, denn Palästinenser erhalten praktisch keine Baugenehmigungen. Viele Betroffene müssen vielmehr regelmäßig Strafzahlungen leisten – jedoch ohne damit eine Legalisierung ihres Hauses/ihrer Wohnung zu erreichen.

Einen Eindruck davon welche Katastrophe die „Wiedervereinigung“ für die Palästinenser Ost-Je­rusa­lems bedeutet, gibt diese aktuelle ‚arte‘-Dokumentation: Das andere Jerusalem.
Feiern mit dem ‚Jüdischer Nationalfonds‘

Kaum eine Organisation ist mehr dazu prädestiniert Krieg, Annexion und Vertreibung zu feiern, als Israels ‚Jüdischer Nationalfonds‘ (JNF). Denn der 1901 gegründete JNF ist keine gemeinnützige Umweltschutz-Organisation sondern eine halb-staatliche Treuhand-Organisation, die circa ein Achtel des israelischen Bodens kontrolliert. Ihre primäre Aufgabe besteht darin, Palästinenser, die rund ein Fünftel der israelischen Staatsangehörigen stellen, von der Nutzung dieses Bodens auszuschließen.
Die Statuten des JNF verbieten nicht nur die Verpachtung von Land an Palästinenser. Die Pächter müssen auch zusichern, dass Palästinenser nicht anderweitig von dem Land profitieren. Dieser Boykott ist Teil einer nahezu hundert Jahre alten Politik, die Palästinenser in deren Heimat zu marginalisieren und zu ruinieren, um sie in die Emigration zu zwingen, so auch in Jerusalem.

Sechzig Prozent des in den Händen des JNF befindlichen Landes sind Raubgut. Land, das der israelische Staat den 750.000 Palästinensern mithilfe von Son­dergesetzen stahl, die er im so genannten Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1948 vertrieben hatte. Nach dem Junikrieg im Jahr 1967, in dem Israel die Westbank, Ost-Jerusalem und Gaza eroberte und dabei weitere 300.000 Palästinenser vertrieb, beteiligte sich der JNF dort ebenfalls an Infrastruktur-Projekten für jüdische Siedlungen. Auch diese völkerrechtlich unbestritten illegalen Aktivitäten setzt der JNF nachweislich bis heute fort, z.B. im Jordantal.

Zuletzt dienten und dienen auch die häufig zur Schau gestellten Wiederaufforstungsprojekte des JNF (etwa der „Wald der deutschen Länder“) vielfach zur Vertreibung von Palästinensern oder zur Vertuschung derselben. Eine detaillierte, mit vielen Links versehene Beschreibung des JNF finden Sie hier wieder.
Feiern mit Frankfurts Stadtkämmerer

Der Frankfurter Stadtkämmerer hat offenbar ein Faible für Israels extreme Rechte, wie etwa für Israels Justizministerin Ayelet Shaked, für die nur tote Palästinenser gute Palästinenser sind.

Zur Wahrung ihrer Interessen tritt Herr Becker nicht nur das internationale Recht und die Menschen- und Bürgerrechte der Palästinenser mit Füßen – an der Seite des JNF -, sondern auch die verfassungs­mäßigen Rechte der Frankfurter Bürger: das Recht auf die Meinungs- & Informations- sowie auf die Versammlungsfreiheit.
Das zeigt sein Versuch im März dieses Jahres, eine Palästina-Konferenz in Frankfurt durch Verleumdungen zu verhindern, wozu er obendrein den Briefkopf der Stadt Frankfurt eingesetzt haben soll, wie uns ein Zeuge erklärte. Nicht die Verleumdungen, sondern erst Morddrohungen aus dem Umfeld der „Freunde Israels“, zu denen auch Herr Becker zählt, veranlassten den Vermieter dazu, den Organisatoren der Palästina-Konferenz die Räumlichkeiten zu kündigen. Ein Netzwerk, das bundesweit damit befasst ist, Vertreter der Palästina-Solidarität zu bedrohen und zu drangsalieren.
Eine recht bemerkenswerte Gesellschaft für den Stadtkämmerer einer Großstadt.

Das bislang größte Geschenk Herrn Beckers an Israels Ultra-Nationalisten ist jedoch ein von ihm initiierter CDU-Parteitags-Beschluss mit dem Titel „Antisemitischer BDS-Bewegung konsequent entgegen treten“. Darin wird die internationale, von Palästinensern initiierte gewaltlose BDS-Kampagne (BDS steht für „Boycott, Divestment, Sanctions“), die für die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte der Palästinenser eintritt und an der auch Juden beteiligt sind als „plumper Antisemitismus“ verleumdet.
Nachdem rund die Hälfte der Menschen in Israels Herrschaftsgebiet Palästinenser sind, kann ein Boykott, der ganz allein darauf abzielt Israel dazu zu zwingen deren Menschen- und Bürgerrechte anzuerkennen jedoch nicht per se antisemitisch sein. Dazu beruhen ALLE Versuche die BDS-Bewegung des Antisemitismus zu überführen auf vorsätzlichen Täuschungen: auf der Verwechslung von Staat und Volk oder auf der Vertauschung von Unterdrücker und Unterdrücktem.

Wenn Herrn Becker tatsächlich etwas an der Bekämpfung des Antisemitismus liegt, dann fängt er vielleicht am besten bei sich selber an. Die obsessive Projektion von Antisemitismus auf die Palästinenser und deren Unterstützer deutet auf einen Palästinenser-bezogenen, sekundären Antisemitismus hin.


Kein Gund zum Feiern

In Anbetracht des Voranstehenden bitten wir Sie als gewählten Vertreter der Stadt Frankfurt darum, die Ihnen zu Gebote stehenden Mittel einzusetzen, um jetzt und in Zukunft zu verhindern, dass sich der Frankfurter Oberbürgermeister und sein Stadtkämmerer als Apologeten eines Annexions- und Vertreibungs-Regimes betätigen – Hand in Hand mit einer ethnisch diskriminierenden Kolonial-Organisation – sowie darum, dass Sie die Grundrechte der Bürger Frankfurts – die Meinungs-, die Informations- und die Versammlungsfreiheit – gegen illegitime Angriffe verteidigen.
Mit freundlichen Grüßen

Thomas Siemon

Stv. Vorsitzender
Institut für Palästinakunde e.V.
Weißenburgstrasse 11
53175 Bonn
www.ipk-bonn.de
P.S.: Zusätzlich, zu Ihrer Kenntnisnahme, ein Link auf den Appell der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden e.V.“ an Oberbürgermeister Peter Feldmann.
Unterzeichner

Personen: H. A., ‚BDS-Gruppe Bonn‘ (Bonn); D. B. (Düsseldorf ); R. B., ‚Free Palestine‘ (Zürich); V. B., Journalist (Mölln); M. D. (Rueschlikon); A. F. (Köln); U. H., ‚Palästina Forum Nahost‘ (Frankfurt am Main); B. H. (Bramsche); C. K. (Frankfurt); C. K., ‚Palästina-Israel-Zeitung‘ (Berln); I. K. (Taunusstein); A. K., MTA i.R. (Wilhelmsfeld); D. L., Mediziner, ‚DPG-Regionalgruppe Hamburg‘ (Hamburg); E. L., ‚DPG-Regionalgruppe Hamburg‘ (Hamburg); K. M., Pastor i. R., ‚Kairos-Palästina-Solidaritätsnetz‘ (Lotte); C. M., Hydrogeologe (Ramallah); I. M., Diplomgeologe i. R. (Wachtberg); A. N. (Köln); G. R. (Weimar); M. R. (Weimar); A. S., ‚Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung‘ (Günzburg); R. H., ‚Palästinakomitee Stuttgart‘ (Schwäbisch Hall); A. S., ‚Mitglied der LINKEN.Marburg-Biedenkopf‘ (Marburg); F. S., Pensionist, ‚Steirische Friedensplattform‘ (Graz); G. S. (Bonn); S. U. (Alfter); A. W. (Wien); L. W., Journalist, Redakteur (Bonn); G. W., ‚Cafe Palestine Freiburg e.V.‘ (Freiburg)

Gruppen: Arbeitskreis Internationalismus Rhein-Main ‚ (Taunusstein); BDS-Gruppe Bonn‚ (Bonn); Cafe Palestine Freiburg e.V.‚ (Freiburg); Free Palestine‚ (Zürich); Gesellschaft Schweiz-Palästina ‚ (Bern); Palästina Forum Nahost‚ (Frankfurt am Main); Palästinensische Gemeinde Deutschland-Bonn ‚ (Bonn)

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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