Die von der Tagesschau Maas-geschneiderten „Enteignungen syrischer Flüchtlinge“

„Verblödungsmaschine erneut angeworfen: Die ‚Enteignung‘ syrischer Flüchtlinge“, unter diesem Titel hatte ich vor einigen Tagen zur jüngsten antisyrischen Propagandalüge der ARD geschrieben.

Den bisher 4.000 Mal abgerufenen Artikel haben jetzt Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer professionell und kompetent ergänzt. Diese Verstärkung ist auch angesichts der gleichgestimmten  Propaganda-Orchesters der Exzellenz-Journaille von FAZ bis TAZ, FR bis SZ ,WELT-BILD bis Spiegel & Locus dringend erforderlich: führend an der printmedialen „Enteignungs“-Front ist dabei die Frankfurter Frontschau (Ausgabe 02.05.18),

während es die „junge Welt“ mit den US-Verbündeten hält, die in Nord-Ost-Syrien nicht nur die größten syrischen Ölquellen kontrollieren, deren Erlöse dringend für den Wiederaufbau Gesamt-Syriens gebraucht würden. Diese US-Verbündeten sind die YPG-Milizen, die in dem von ihnen kontrollierten Gebiet die US-Army über 30 Stützpunkte unterhalten lassen, ein Fakt, den der „junge Welt“ Autor Nick Brauns in seinem Artikel in der  „junge Welt“- Ausgabe zum 1. Mai einfach unterschlägt und munter den Schwanz mit dem Hund wedeln lässt. Und dieser YPG-Rekrutierungs-Artikel wurde zigtausendfach auf den Mai-Kundgebungen kostenlos verteilt.   (Siehe ganz unten Nick Brauns: „Schachspielen mit Öcalan“)

Nun aber zu

Dr. Gniffkes Macht um acht

Im Propagandabett Monströses produziert

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, ist Jurist. Von 1975 bis 2008 war er fest angestellt beim NDR. Er war Gesamtpersonalrats- und ver.di-Vorsitzender sowie zeitweise Arbeitnehmer-Vertreter im NDR-Rundfunk- und -Verwaltungsrat.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, ist Journalist. Er startete bei Tageszeitungen in Süddeutschland und landete 1975 für zehn Jahre in der Tagesschau-Redaktion in Hamburg (und hat dort den ersten Vollstreik im NDR organisiert mit ausgefallener Tagesschau). Nach elf weiteren Jahren als Personalrat und Kulturredakteur im NDR übernahm er 1996 einen Lehrauftrag an der Fu Jen Catholic University in Taipeh und danach einen Forschungsauftrag des Wissenschaftsrates der Regierung von Taiwan. Seine Rente verzehrt er jetzt aber im Umland von Lübeck.

https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-enteignungen-101.html

http://www.tagesschau.de/ausland/syrien-1255.html

http://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-5957.html

Wenn deutsche Großmaul-Außenpolitik und Hamburger Qualitätsjournalismus miteinander kopulieren, erzeugt das Tagesschau-Dreck wie diesen hier:

„Die Bundesregierung hat ihren Widerstand gegen Wiederaufbaupläne von Syriens Machthaber Assad angekündigt, die zur Enteignung syrischer Flüchtlinge führen könnten. Man werde das Vorhaben nicht dulden und die Vereinten Nationen einschalten, kündigte die Bundesregierung an. Assad hatte ein Dekret unterzeichnet, das bei der Ausweisung von Neubaugebieten vorschreibt, dass sich frühere Eigentümer binnen  30 Tagen vor Ort melden müssen. Das dürfte den meisten Flüchtlingen aber nicht möglich sein.“ (“Syrisches Dekret als Enteignung kritisiert”, Tagesthemen, 27.04.18, Sendeminute 17’40”)

Wobei gleichgültig ist, wer da eigentlich wen befruchtet hat. SPD-Außenminister Maas und seine Behörde erachten es, so scheint es, ebenso wenig für erforderlich, sich über das “Dekret” erst einmal zu informieren, wie die Tagesschau-Redaktion Recherche und Nachprüfung für nötig hält, ehe sie solchen bösartigen Propagandamüll verbreitet.

Auf tagesschau.de heißt es:

„Dem Gesetz zufolge werden in jedem Bezirk Ämter für den Wiederaufbau geschaffen. Nachdem dann ein Bebauungsplan erlassen wurde, müssen die Besitzer von Land, Häusern und Wohnungen ihre Eigentumsrechte bei dem Amt nachweisen. Das müssen sie innerhalb von 30 Tagen machen. Doch dazu dürften Hunderttausende Syrer nicht in der Lage sein.“

Bösartige Fälschung. Richtig ist hingegen: Die beauftragten Wiederaufbau-Behörden bekommen die Eigentumsnachweise von den Grundbuchämtern „von Amts wegen“ zugeleitet. Nur dort, wo die Besitzverhältnisse unklar sind, werden Eigentumsnachweise verlangt. Sie können von Bevollmächtigten, Verwandten oder beauftragten Agenturen erbracht werden.

Es handelt sich also um ein rechtlich einwandfreies Verfahren wie es auch in Deutschland üblich ist. Die kurze Frist von 30 Tagen setzt zudem nicht sofort ein, sondern wird projektbezogen aufgerufen. Im Zeitalter von Internet und Smartphone sollte sie kein Problem sein.

„Ein zentrales Missverständnis des neuen Stadterneuerungsgesetzes 10/2018 in Syrien ist, dass niemand sein Eigentum nachweisen muss, ehe eine neue Zonenentwicklung per Dekret eingeführt wird. Und diese Anforderung gilt nur für Personen, deren Eigentum nicht im Grundbuch eingetragen ist.“ Quelle: „Syrian Law Journal“

Das neue Gesetz 10/2018 in Syrien erlaubt auch keine Enteignung von Privateigentum; Behauptungen dieser Art sind nur Spekulation mit agitatorischer Absicht. Vielmehr wandelt das Gesetz den Grundbesitz eines Eigentümers in Anteile an der neuen Entwicklung um. Und diese Beteiligung entspricht einem Eigentum an einem bestimmten Grundstück nach erfolgter Rekonstruktion.

Schon nach den ersten propagandistischen Gerüchten über das angebliche „Dekret“ zur „Enteignung hunderttausender Flüchtlinge” (Tagesschau) stellte der syrische Parlamentspräsident Khaled Abboud klar:

“Es gibt dieses Dekret nicht. Eine solche Anordnung würde die syrische Verfassung verletzen. Viele syrische Bürger wurden in den Jahren des Bürgerkriegs von Terroristen gezwungen, ihren Besitz zu verlassen und zu fliehen. Viele Gegenden wurden komplett zerstört. Noch hat die syrische Armee die Befreiung Syriens nicht beendet. Wenn es soweit ist – übergeben selbstverständlich die syrischen Behörden jedem syrischen Bürger seinen Besitz. …” Quelle: https://sputniknews.com/middleeast/201804281063989077-syria-parliament-assad-deny-property-confiscation/

Für unsere Könner im Auswärtigen Amt und in der ARD-aktuell-Zentralredaktion wäre es ein Leichtes gewesen, sich über den Sachverhalt an der Quelle zu informieren, wenn nicht bei den Behörden in Damaskus selbst, dann auf deren Internet-Seiten und über diplomatische Vertretungen außerhalb Syriens sowie bei den UN. Doch lieber informiert sich ein Qualitätsjournalist bei einer NATO- und US-affinen niederländischen „Denkfabrik“ und zitiert vorgebliche „Experten“ – diesmal „Senior Fellow“ Erwin van Veen. Der macht sich schon seit geraumer Zeit umfassend und aus streng transatlantischer Sicht trübe Gedanken über den „Wiederaufbau Syriens“: Er sieht offensichtlich die Felle westlicher Investoren davonschwimmen. Quelle: https://www.joshualandis.com/blog/creating-a-new-syria-property-dispossession-and-regime-survival-by-erwin-van-veen/

Nach Schätzungen der Weltbank werden 200 MRD Dollar für den Wiederaufbau Syriens erforderlich sein. Selbstverständlich möchte die Westliche Werte Gemeinschaft das größte Stück von diesem Kuchen. Präsident Assad will jedoch am Wiederaufbau nur befreundete oder unbelastete Länder beteiligen und nicht diejenigen, die für die Zerstörung seines Landes verantwortlich sind. Quelle: https://de.sputniknews.com/politik/20180213319522182-syrien-wiederaufbau/

Die Bundesrepublik gehört dazu. Tornados der Bundesluftwaffe sind führend bei der Luftaufklärung und Zieldatenerfassung für die Bombenangriffe der westlichen Koalition in Syrien. Deutschland ist politischer Feind Syriens und auch hauptverantwortlich für das mörderische Finanz-, Handels- und Wirtschafts-Embargo der Europäischen Union über Damaskus.

Unser Volljurist und kleiner Gernegroß Maas will, folgt man der Tagesschau, das syrische Durchführungsgesetz für den Wiederaufbau “nicht dulden” und “die Vereinten Nationen einschalten”. Vor solchem Maulaufreißen wäre es für ihn ratsam gewesen, die Rechtsgrundlage und Zuständigkeitsfragen zu betrachten. Artikel 17 der Menschenrechtserklärung garantiert zwar das Eigentum und schützt vor “willkürlicher” Enteignung. Von Willkür kann in diesem Fall aber nicht die Rede sein, weil offenkundig Eigentumsumwandlungen beabsichtigt sind. Aber selbst wenn man in diesem Fall aufgrund des Gesetzes mit  Enteignungen rechnen könnte, wären sie das Gegenteil von “willkürlich”, weil keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind, die auf ein Abweichen von internationalen Standards schließen lassen.

Quelle: https://www.menschenrechtserklaerung.de/eigentum-3639/

Jeder, der sich zwei Minuten Zeit nimmt für einen Blick auf die deutsche “Treuhand”-Geschichte, weiß das. Unser Volljurist und Verfechter größenwahnsinniger Einmischungspolitik in die Angelegenheiten anderer Länder weiß es anscheinend aber nicht. Oder es ist ihm gleichgültig, weil es ihm von vornherein nur darauf ankam, eine dummdreiste Journaille für seine Propagandazwecken zu missbrauchen.

siehe auch:

Wenn die Verblödungsmaschine versagt, wird das Volk nicht mehr gefragt

Den White Helmets den Friedensnobelpreis aberkennen & den Sender-Gleiwitz-Pokal verleihen

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Feuilleton

Nick Brauns
Revolution

Schachspielen mit Öcalan
Der schwerste Kampf: Eine Kurdistanreise wird für Redakteure des Lower Class Magazine zur Lehrstunde über die Widersprüche der Revolution
Ein Handtuch sei »so ziemlich das Nützlichste«, was man auf Reisen durch die Galaxis mit sich führen kann, heißt es in Douglas Adams berühmten Roman »Per Anhalter durch die Galaxis«. Was für Ford Prefect das Handtuch war, ist für den Kurdistanreisenden die Kufija – hierzulande besser bekannt als Palästinensertuch. Neben Tabak, Stift und Papier, einem E-Book-Reader für die Werke von Karl Marx, Abdullah Öcalan und Käpt’n Blaubärs Abenteuer sowie einer erst vor Ort beim Schneider zu erstehenden Pluderhose mit tiefen Taschen ist die Kufija eines der fünf Dinge im »Hitchhiker’s Guide to Kurdistan«, der dem Reisetagebuch »Konkrete Utopie – Die Berge Kurdistans und die Revolution in Rojava« vorangestellt ist.

Mehrere Monate lang reisten Redakteure des linksradikalen Politblogs Lower Class Magazine (LCM) im Frühjahr des vergangenen Jahres durch Kurdistan. Der Weg führte sie von den Guerillacamps der Arbeiterpartei Kurdistans PKK in den Bergregionen an der türkisch-irakischen Grenze über das Siedlungsgebiet der Jesiden im Sindschar-Gebirge weiter in die selbstverwaltete Region Rojava in Nordsyrien bis zur Front in Rakka. Die LCM-Redakteure haben nicht den Anspruch neutraler Berichterstatter, sie kamen als teilnehmende Beobachter, sie lebten und lernten mit der Guerilla und beteiligten sich mit eigenen Händen am Aufbau in Rojava. In dem von der Ethnologin Anja Flach eingeleiteten Reisetagebuch wechseln Erfahrungsberichte und Reportagen von junge Welt-Redakteur Peter Schaber, Karl Plumba und Lisa Schelm ab mit Interviews kurdischer Aktivisten und Internationalisten. Bebildert sind die in ihrer Mehrheit zuvor bereits online im LCM veröffentlichten Kapitel mit Bildern des jW-Fotojournalisten Willi Effenberger.

Während unter einigen »Antiimperialisten« in Europa die Ansicht herrscht, die kurdische Freiheitsbewegung sei sich der Gefahren ihres Militärbündnisses mit den USA gegen den Islamischen Staat (IS) nicht bewusst, zeigten die Gesprächspartner vor Ort ein hohes Bewusstsein dieser Problematik. »Die USA sind die schlimmsten Feinde aller Revolutionäre und Unterdrückten auf der Welt«, erklärt Sahin Cudi von der Vereinigung der Jugend Rojavas. Doch ohne ein solches taktisches Bündnis mit dem strategischen Feind hätte die Rojava-Revolution nicht überleben können, sind die LCM-Redakteure überzeugt. Anstatt sich dabei an eine Großmacht strategisch zu binden, versucht die Freiheitsbewegung, durch wechselnde Bündnisse die Kräfte gegeneinander auszuspielen, um sich einen Raum für das eigene politische Projekt zu schaffen. »Der Krieg in Syrien ist wie Schach«, schreiben die LCM-Redakteure. »Nicht wie eine Feldschlacht, in der man sich bunt anmalt und wie in Mel Gibsons Braveheart erst dem Gegner den blanken Arsch zeigt, um ihn dann Mann gegen Mann mit dem Schwert zu richten. Und beim Schach, anders als bei der Arschzeige-Feldschlacht mit Gesichtsbemalung, muss man viele Millionen möglicher Interaktionen zwischen den 32 Figuren auf dem Feld bedenken.«

Wie ein roter Faden durchzieht die Frage »Wie leben?«, die auch Titel eines Buches von Abdullah Öcalan ist, das Reisetagebuch. Gemeint ist die Entwicklung einer revolutionären, das heißt freien, Persönlichkeit in einem bewussten Prozess des Bruches mit dem kapitalistischen Individualismus, um bereits im hier und jetzt ein kollektives Leben zu schaffen. Die Reise durch Kurdistan wird für die LCM-Autoren so auch zur Reise ins Ich, zum Hinterfragen der eigenen Lebensweise als radikale Linke in den kapitalistischen Metropolen. Der Titel des Buches »Konkrete Utopie« knüpft natürlich an Ernst Bloch, aber auch an ein Zitat von Sakine Cansiz an. »Wir haben uns dem Sozialismus nie utopisch angenähert. Er war für uns nie irgendetwas ganz weit Entferntes. Stattdessen haben wir angefangen, unsere Hoffnungen und Utopien im Hier und Jetzt umzusetzen«, schrieb die vor fünf Jahren in Paris ermordete Vordenkerin der kurdischen Freiheitsbewegung.

Widersprüche in der Realität werden von den LCM-Autoren nicht ausgeblendet, etwa wenn verdiente Unterstützer der Revolution zu Hause Tee trinken, während sie ihre drei Frauen die Hausarbeit erledigen lassen. Anstatt dies zu verurteilen oder abstrakt über Geschlechtergerechtigkeit zu dozieren, gilt es da, die Alternative vorzuleben, indem die männlichen Besucher selbst den Abwasch in die Hand nehmen. Die Autoren räumen auch mit der von libertären Linken im Westen gepflegten Legende von Rojava als »Schlaraffenland der Basisdemokratie« auf, in dem sie auf die entscheidende Rolle der Kader beim Aufbau der Rätestrukturen verweisen. »Die Revolution in Rojava ist der praktische Beweis der Richtigkeit der Leninschen Avantgardetheorie, nicht ihre Widerlegung«.

Während die anderen Autoren nach Deutschland zurückkehrten, schloss sich Schaber den Volksverteidigungseinheiten YPG an, um an der Kampagne zur Befreiung von Rakka vom IS teilzunehmen. An der Front stellt sich Ernüchterung ein. Während Hunderte erfahrene Aktivisten der Freiheitsbewegung in den Schlachten gefallen sind, strömen sehr junge, mehrheitlich arabische Soldaten ohne politische Bildung an die Front, »deren Bewusstsein geprägt ist von der Sozialisierung in den kaputten Gesellschaften des Mittleren Ostens«. Damit droht jenes Band zu zerreißen, »das die Guerilla in den Bergen ausmacht und das die YPG eigentlich zu übernehmen strebt: Die Einheit von zivilem Aufbau, der Gestaltung des eigenen Zusammenlebens und des bewaffneten Kampfes. Der schwerste Kampf, den wir heute in Syrien zu führen haben, ist der gegen den Verfall der eigenen Ideale.«

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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