Kann Gedenken an die „Reichs-Pogromnacht“ auch dem Verschweigen dienen? Z.B. in Gründau

In der hessischen Gemeinde Gründau -im Speckgürtel von EZBankfurt ist das Gedenken an die Reichs-Pogromnacht vor 80 Jahren sicher nicht so gedacht.

ABER wer die Voraussetzungen für die Vernichtung der Juden in Deutschland und in den überfallenen Nachbarländern  vergisst, wer der Widerstandskämpfer nicht gedenkt, die schon früh gegen den Antisemitismus gekämpft haben, wer sich weigert wenigstens Straßen, Plätze und öffentliche Gebäude nach ihnen zu benennen, …


Das 1957 unter dem Widerstandskämpfer und späteren Bürgermeister Wilhelm Pfannmüller fertiggestellte VOLKSHAUS in Mittel-Gründau.

… dessen Gedenken ist mindestens zu kurz bedacht.

Die Gemeinde Gründau beabsichtigt, in Zusammenarbeit mit dem Gründauer Geschichtsverein und den Kirchengemeinden am 80.Jahrestag der „Reichs-Pogromnacht“ der jüdischen Opfer zu gedenken.

Das ist zu begrüßen.

 

Wenn dieses Gedenken – wie angekündigt- in der Mehrzweckhalle in Gettenbach stattfindet, sollten in dieses Gedenken die KZ-Hinzert-Außenlager in Gettenbach und weitere auf Gründauer Gemarkung bzw. in unmittelbarer Nachbarschaft liegende KZ-Außenlager einbezogen und der dort im SS-Programm „Vernichtung durch Arbeit“ ermordeten Zwangsarbeiter und sowjetischen Kriegsgefangenen gedacht werden, die vom STALAG Lager Wegscheide z.B. an die Fürsten von Isenburg-Büdingen oder an die nach Gettenbach ausgelagerten ADLER-Werke zur Rüstungsproduktion „ausgeliehen“ wurden.

Morde, zu denen die zwangsrekrutierten Kindersoldaten aus dem Gründau-/Litterbach- und Gettenbachtal durch die kommandierenden SS- und SA-Leute gezwungen wurden. Die meist aus sozialdemokratischen und kommunistischen Familien stammenden kindlich-jugendlichen Lager-Wachsoldaten bekamen zwar Gewehre für ihre Bewachungstätigkeit, aber aus gutem Grund keine Munition. Die Begründung dafür war: „Die Munition wird für die Front gebraucht!“ Die Kinder wurden von der SS und der SA dazu gezwungen, alle wegen Krankheit und Hunger nicht mehr arbeitsfähigen Kriegsgefangenen im Litterbach zu ertränken. Auch dafür die Begründung: „Jede Patrone wird für die Front gebraucht!“

 

Angesichts des Vorrückens der US-Army  wurden die Kinder eingeschworen, über alles, was in den Lagern passierte kein Wort zu verraten. Denn sonst würde man dem US-Militär verraten, dass sie Kriegsgefangene durch Ertränken ermordet hätten. So kämen sie dann vor ein Kriegsgericht.

Breitenborner Ex-Kindersoldaten haben mir das berichtet und mich gebeten, ihre Namen nicht zu nennen, denn sonst würde ihnen Gefängnis drohen und mindestens die NS-Opferrente gestrichen. Nach ihren Bitten habe ich die versehentlich von mir vor 15 Jahren im Internet veröffentlichten Namen schleunigst gelöscht.

Wenn man -wie Wilhelm Pfannmüller- von 1945 bis 1987 noch um  die NS-Opferrente, um die Rente aus Lagerarbeit und Zwangskriegsdienst im Strafbataillon 999 und um Wiedergutmachung für erlittene KZ-, Zuchthaushaft und Beschlagnahme von Eigentum kämpfen muss, weiß, was die Streichung der mageren NS-Opferrenten für altersarme Rentner bedeuten würde, bedeutet hätte, denn sie sind mittlerweile gestorben.

Wilhelm Pfannmüller erhielt nach längerem Hin und Her monatlich 25,-DM Opferrente.

 

Leider wird sowohl von der Gemeinde als auch dem Geschichtsverein – aber auch von den Kirchengemeinden zum X-ten Male das Erinnern an die jetzt 85 Jahre zurückliegende Verschleppung gewerkschaftlicher, sozialdemokratischer, kommunistischer Widerstandskämpfer in die KZs und Zuchthäuser und die Zerschlagung ihrer Organisationen  vergessen.

 

 

Erst diese Massenverhaftungen und die Zerschlagung der Gewerkschaften, der KPD und der SPD machte die jüdischen Gemeinden schutzlos und den Faschisten die systematische Vernichtung der Juden in Europa möglich.

 

Jüdische Kaufleute, die meinten auf den Schutz durch Kommunisten und Sozialdemokraten verzichten zu können und sich – wie der Mittel-Gründauer Vieh- und Landhändler Otto Hecht –  in den „Schutz“ des deutsch-nationalen Großbürgertums und Hochadels begaben, nutzte dieser „Schutz“ gar nichts: die Oberhäupter des Fürstenhauses Ysenburg-Büdingen waren schon frühe Goldfasanen der NSDAP und Nutznießer des NS-Terrors..

Bereits 1922 telegrafiert der Erbprinz von Isenburg-Büdingen anlässlich der Ermordung des jüdischen Außenministers Walther Rathenau „Hurrah, der Frühling ist da!“.

64 Arbeiter aus dem Brachttal, die daraufhin die fürstlichen  Gebäude und die der Adels- & NAZI-Parteigänger nach Waffen durchsuchten, die sie direkt nach dem Kapp-Putsch schon einmal beschlagnahmt und blauäugig der Staatsgewalt abgeliefert hatten, die diese umgehend wieder dem Fürstenhaus aushändigte, werden dafür in Hanau vor Gericht gestellt. Der Staatsanwalt fordert 40 JAHRE Gefängnis und 100.000,- Mark Geldstrafe. Schließlich werden 26 Angeklagte zu insgesamt 11 JAHREN Gefängnis und 24.000,- Mark Geldstrafe verurteilt. Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter … 1922 schon!!!

 

 

Wer Genaueres darüber wissen will, sollte sich das Buch der Historikerin Dr. Christine Wittrock durchlesen: „Kaisertreu und führergläubig – Impressionen aus dem Altkreis Gelnhausen 1918 – 1950“. Erschienen 2006 im Hanauer CoCon-Verlag  ISBN 978-3-937774-27-5

2018 jährt sic h die Verschleppung der kommunistischen Gemeindevertreters und Ex-Betriebsratsvorsitzenden einer großen Frankfurter Baufirma, des Altbürgermeisters von Mittel-Gründau und Ehrenbürgermeisters der Großgemeinde Gründau, des späteren Sozialdemokraten und Trägers des Bundesverdienstkreuzes Wilhelm Pfannmüller.

 

Seine erste Verhaftung und außergerichtliche Verschleppung in „Schutzhaft“ jährt sich zum 85. Mal.

 

Die Verschleppung des Johannes Weinel in das durch den Roman Anna Seghers‘ „Das 7. Kreuz“ so bekannte KZ Osthofen jährt sich 2018  auch zum 85. Mal.

 

Auch hier gedenkt die Gemeinde und der Geschichtsverein nicht. Und Johannes Weinel, der im Volksmund immer noch so genannte „Marine-Hannes“ war nicht irgendwer. Er hat als Matrose am Kieler Matrosenaufstand aktiv teilgenommen und so für die Beendigung der Massenschlächterei des 1. Weltkrieges gesorgt, als Kaiser Wilhelm und seine obersten Militärs zu Kriegsende die Marine noch einmal „gegen Engeland“ ausfahren lassen wollten.

Der Marine-Hannes war aktiv an der Revolution 1918 beteiligt und spätestens ab 1919 Mitglied des Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates im Gründautal .

Keinen Pfennig den Fürsten! Sie sollten stempeln gehen!
Typische Plakage gegen die Abfindung der Fürsten in Deutschland
12.3.1926. Wer bei der Volksabstimmung auch nur teilnahm, wurde von den SA-Wachen an den Wahllokalen sofort notiert: „Wenn wir drankommen, kriegen wir euch alle!!“ Die Wählerinnen wurden durch angedrohten Arbeitsplatzverlust, durch angedrohte Wohnungskündigungen unter Druck gesetzt.

Er war als Arbeiter eines kleinen Haingründauer Bauunternehmens Mitglied in der Gewerkschaft der Bauarbeiter. Noch heute kann man in Haingründau die von ihm miterbauten Wohnhäuser aus den 20er Jahren sehen. Ob es sich dabei auch um die gemeindeeigenen Sozialwohnungen handelt, die in Erwartung der von SPD und KPD geforderten entschädigungslosen Enteignung der Fürsten und des dann möglichen Geldsegens für die Gemeinden in Angriff genommen wurden, muss noch recherchiert werden.

Denn der Widerstand gegen die Nazi-Diktatur der Kohle- und Stahlbarone begann schon weit vor 1933.

Bereits 1922 telegrafiert der Erbprinz von Isenburg-Büdingen anlässlich der Ermordung des jüdischen Außenministers Walther Rathenau „Hurrah, der Frühling ist da!“.

64 Arbeiter aus dem Brachttal, die daraufhin die fürstlichen  Gebäude und die der Adels- & NAZI-Parteigänger nach Waffen durchsuchen, die sie bereits beim Kapp-Putsch dort gefunden und blauäugig an die Staatsgewalt abgeliefert hatten, die sie umgehend an das Fürstenhaus zurückgab, werden dafür in Hanau vor Gericht gestellt. Der Staatsanwalt fordert 40 JAHRE Gefängnis und 100.00, Mark Geldstrafe. Schließlich werden 26 Angeklagte zu insgesamt 11 JAHREN Gefängnis und 24.000,- Mark Geldstrafe verurteilt. Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter …

 

 

Die SA und SS besetzten die öffentlichen Räume, wie die Mittel-Gründauer Schule, terrorisierten nicht nur im Gründautal alle Gastwirte, die den Gewerkschaften, den Sozialdemokraten und Kommunisten ihr Versammlungsräume zur Verfügung stellten.

 

So auch den Gastwirt der „Drei Hasen“ in Haingründau: es gab dagegen eine Alarmkette zwischen Breitenborn und Langenselbold, Kurierfahrer der „SOLIDARITÄTS“-Radsportvereine, die Unterstützung gegen die Nazis mobilisierten. Mit die Aktivsten im Gründautal bei der Verteidigung der Demokratie waren der Kommunist und spätere Bürgermeister von Breitenborn, Karl Groß, der „Marine-Hannes“ von Haingründau und der Mittel-Gründauer Kommunist Wilhelm Pfannmüller.

 

In den „Drei Hasen“ kam es dann auch zum sogenannten „Haingründauer Fenstersturz“, als sich der „Marine-Hannes“ zwei der terrorisierenden SA-Leute vorknöpfte und sie aus dem Fester haute. Das Fenster war im Hochparterre und die beiden SA-Leute überlebten.

 

Mit von der Verteidigungspartie war u.a. Wilhelm Pfannmüller, des deswegen auch zu gelstrafe und Gefängnis verurteilt wurde. Das kam so: immer, wenn die SA ihre Saalschlachte begann, waren die beiden Büdinger Polizisten „K&K“ (Kress & Kern ?) anwesend und sagten dann vor Gericht aus, die Kommunisten hätten angegriffen, Land- und Hausfriedensbruch begangen, sie als Beamten beleidigt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet.

 

Zum 9.November werde ich hier weitere Artikel schreiben und versuchen an den Schauplätzen entsprechende „Schand-Schuld-Schilder“ aufzuhängen.

An der Stelle der KFZ-Werkstatt Blumenbach, am Scheuer-Geschft am Untermarkt, am Anwesen des Fellhändlers Scheuer in der Burgstraße 34, an der Villa Sondheimer im Alten Graben hinter dem Holztor.

Artikel dazu folgen noch:

Quelle zu diesem Artikel ist weitgehend das Buch der Historikerin Dr. Christine Wittrock

http://www.cocon-verlag.com/shop/product/view/14/116.html

Siehe auch hier http://www.barth-engelbart.de/?p=202135

und hier

Wegfeiern in Gelnhausen – Wie in der deutschen Provinz das Gedenken an Faschismus, Judenpogrome und -vergasung, Arisierungsplünderungen und Zwangsarbeit … weggefeiert wird.

 

 

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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