Schand-Schuld-Schild Nummer 1 am Haus des vertriebenen, fast totgeschlagenen jüdischen Fellhändlers Ludwig Scheuer, Gelnhausen Burgstraße 34, und für die Großväter-Täter keine Persilscheine.
Im Lied der Bauernkriege „Als Adam grub und Eva spann … “ heißt es in Yaak Karsunkes „Bauernoper“ am Schluss hoffnungsvoll: „Die Enkel fechten’s besser aus!“ . Nun ist es aber leider oft so, dass die Enkel es besser aussitzen und ihren Vorvorderen noch Persil-Heiligen-Scheine auf’s NS-„Helden“-Grab legen.
Peinlicher Weise hat Yaak Karsunke, ohne es zu merken, den von den Nazis umgeschrieben und ergänzten Liedtext verwendet. Peinlich auch für die Alt68er, die diesen Text voller vorrevolutionärer Inbrunst mitsangen. Auch ich HaBE es so mitgesungen :-O))))
Die Stadt Gelnhausen lässt jetzt ihre Stadtmarketing-Abteilung im Rahmen des 80. Jahrestages der Reichspogromnacht einen gut bezahlten Profi aus dem Roman „Die Buxweilers“ des staatenlosen jüdischen FR-Journalisten und Schriftstellers Valentin Sänger lesen. In diesem Roman wird die obrigkeitliche Judenhatz, die zum Himmel schreiende Armut des frühen 19. Jahrhunderts, das Kinderbanden(un)wesen wie auch die Hoffnung des gemeinen deutschen niederen und niedergehaltenen Volkes(Christen wie Juden) auf die kommende demokratische Revolution sehr plastisch beschrieben. Der Roman handelt zu einem Großteil in Gelnhausen und besonders in der Burg-Siedlung, der Judenherberge neben und in der Burgschänke, keine 50 Meter vom Haus der Scheuers entfernt.
Dass die Stadt bei ihrer „Vergangenheitsbewältigung“ auf das frühe 19. Jahrhundert und den Vormärz zurückgreift und damit den damals schon von oben gezüchteten, gelenkten, instrumentalisierten Antisemitismus öffentlich bloß legt, ist schärfstens zu begrüßen.
Wenn allerdings dieses Event dazu dient, die NS-Vergangenheit der „Barbarossa-Stadt“ und ihr bis heute andauerndes Hehlertum, die Weigerung Wiedergutmachung für die Opfer zu zahlen, zu verschleiern, dann ist das überdies noch eine Verhöhnung der Opfer und auch des jüdischen Schriftstellers Valentin Sänger.
Die Stadt Gelnhausen und der Main-Kinzig-Kreis sollten endlich den Hinterbliebenen eine angemessene Wiedergutmachung zahlen und ihnen das Anwesen Burgstraße 34 in renoviertem, Denkmalschutz-entsprechendem Zustand wieder zurückgeben, bevor es „wegen Baufälligkeit“ abgerissen wird, um etwa den Blick auf die prächtig restaurierte Barbarossa-Pfalz freizugeben und dort Touristen-Busladungen zu entleeren.
Schon heute wird der geraubte Hof ja von Stadt und Kreis als Park- und Lagerplatz genutzt. Busparkplätze für „Barbarossa-Festspiele“ und die angedachte Sommerbühne auf der Müllerwiese?
Für das geplante Schand-Schuld-Schild am Scheuer-Haus werde ich noch etwas Zeit brauchen. Für die nächsten drei Anderen am Untermarkt/Ecke Schmidtgasse, an der Sondheimer-Villa im Alten Graben hinter dem Holztor, an der Blumenbach-OPEL-Werkstatt in der Bahnhofstraße …. noch länger.
Die Stolpersteine lassen mir zu wenige Menschen darüber stolpern. Man trampelt leider so immer wieder erneut auf den Opfern herum, diesmal aber meist wirklich ahnungslos, wenn man sich nicht intensiver mit der Ortsgeschichte beschäftigt oder an der Stolperstein-Pflasterung nicht teilgenommen hat.
Für die Politiker gibt es einen oder zwei Pressetermine und dann wars das auch schon mit der Vergangenheitsbewältigung. Schlussstrich-Jungs könnte man zynischer Weise dazu sagen.
Wieso Wiedergutmachung durch die Stadt und den Kreis?
Nun, die Stadt Gelnhausen konnte sich nicht nur schon 1937 stolz als „erste judenfreie Stadt im Reich“ präsentieren. Sie war auch Gewinnerin der „Arisierung“. Bei der SS-Hausbank, der Arisierungsspezialistin „Dresdner Bank“ ersteigerte die Stadt 1939 das Scheuer-Anwesen „für nen Appel und ein Ei“.
Hinter der Barbarossa-Kaiser-Pfalz ziehen dunkle Wolken herauf
Das „Main-Kinzig-Forum“ steht zum Teil auf dem Gartengrundstück der Familie Scheuer vor der Stadtmauer der Burgsiedlung
Aber dazu detailliert erst später. Zunächst die Vorgeschichte:
Ludwig Scheuer muss sich 1920 wie der Kaufmann Strauß und der Opelhändler und KFZ-Meister Blumenbach geweigert haben, in die gegen den Anti-Kapp-Putsch-Generalstreik und den Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat und zur Unterstützung des Kapp-Putsches gegründete „Gelnhäuser Bürgerwehr“ einzutreten. Für Strauß und Blumenbach war das bereits das frühe Todesurteil, denn sie machten das öffentlich und begründeten ihre Weigerung so im Gelnhäuser Tageblatt: „Wir weigern uns in einer Bürgerwehr mitzuwirken, in der offen antisemitische Propaganda betrieben wird!“ Die in der „Bürgerwehr“ tonangebenden Deutsch-nationalen und frühen Nazis stellten spätestens ab diesem Zeitpunkt ihre „Roten Listen“ auf: Arbeiter-, Bauern- und Soldatenratsmitglieder, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Juden.
Der ehrgeizige Plan der Gelnhäuser SS- und SA-Führer bereits zur Einweihung der heute unter Denkmalschutz stehenden und – im Gegensatz zum Scheuer-Haus – topp restaurierten „Adolf-Hitler-Kaserne“ die „Barbarossa-Stadt“ dem Führer „judenfrei“ zu übergeben, wurde schon vor 1935 in Angriff genommen.
Heute ist die später in Coleman-Kaserne umbenannte Anlage – inklusive der NS-Monumental-Reliefs mit Unsummen modernisiert- Sitz vieler Kreisbehörden, der Polizei, von Hessen-Mobil usw … und diente im Schröder-Fischer-Krieg gegen Jugoslawien als Flüchtlingslager …, dessen Tore der Ex Landrat und Ex-Mittelstrecken-Sprinterstar Karl Eyerkaufer „wegen drohender Einschleppung von Seuchen“ höchst persönlich blockierte . Was ebenso vergeblich war, wie später die Molotow-Coctail-Würfe einiger durch Brandreden aufgehetzter Jugendlicher. Die NATO unter dem Oberkommando Bill Clintons und Madelaine Albrights sorgte für Flüchtlingsnachschub …
1935 wird der jüdische Fellhändler Ludwig Scheuer 300 Meter vor seinem Haus in der Burgstraße 34 von zwei SS-/SA-Männern zusammengeschlagen, „sodass fast alle Zähne zersplittert ausgeschlagen, Kiefer, Lippen und Nase schwer verletzt wurden:“, heißt es in seinem von Augenzeugen bestätigten Lebenslauf. Er kann sich kaum noch nach Hause schleppen. Etwa eine halbe Stunde später dringt eine Rotte von 50 Männern in sein Haus. Ludwig Scheuer versteckt sich im Dachboden, wird aber gefunden und weiter durch den SS-/SA-Fleischwolf gedreht: eine Zeugin berichtet 1947: „Er wurde an den Beinen gefasst und so umhergezerrt, dass er die Treppe abglitt und sich so blutende Wunden am Kopf zuzog. …“
„Bei dieser Aktion hatte der damalige SA-Sturmführer Dudene die Befehlsgewalt, und er war es, der die Tätlichkeiten gegen den Juden Scheuer ohne weiteres einstellen konnte bzw. nicht dulden brauchte.. Er war aber mehr oder weniger mit dem Tun seiner Männer voll und ganz einverstanden, und die Handlungsweise, mit der der Jude Scheuer behandelt wurde, fand voll und ganz seine Billigung .“
Ludwig Scheuer ist für immer gezeichnet. Gehen kann er nicht mehr. So schleift man ihn ins Gelnhäuser Gefängnis. „Mein Körper und Gesicht waren einen blutige Masse“, schreibt er später ..
Wenige Monate bevor er so zugerichtet wird, wurde ihm noch „Im Namen des Führers und Reichskanzlers“ am 11. Februar 1935 das „Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer“ von 14/18 vom NS-Landrat des Kreises Gelnhausen überreicht.
1938 – nach vielen teuren Operationen, die nur in künstlichem Koma vorgenommen werden können, heiratet Ludwig Scheuer in Frankfurt. Gelnhausen darf er nicht mehr betreten. Er kann die „Reichsfluchtsteuer“, die „Auswanderungsabgaben“ gerade noch bezahlen und wandert mit seiner Frau nach Argentinien aus. Eine Flucht nach Palästina hätte ihn noch Mal 1.000 Pfund Sterling zusätzlich gekostet und die zionistischen Organisationen hätten ihn in seinem Zustand gar nicht genommen.
Viele Gelnhäuser Opfer überleben die KZs oder die Flucht nicht oder sterben früh an den Folgen und können ihr Hab und Gut so nicht mehr nach 1945 zurückfordern. Es verbleibt im „Eigentum“ der Arisierungsprofiteure, die dann 1998 auch in Gelnhausen ihre 60jährigen Firmen-Jubiläen feiern dürfen.
Aber Ludwig Scheuer und Familie überleben in Argentinien – in tiefer Armut zwar, aber noch handlungsfähig.. Ludwig Scheuer beantragt 1948 die Rückgabe seines Anwesens sowie die entgangenen Mieteinnahmen.
Doch die Stadt Gelnhausen denkt nicht daran, die Burgstraße 34 zurückzugeben. Erst 1952 bietet die Stadt einen Vergleich an: für das 1939 bei der Dresdner Bank ersteigerte „Juden-Schnäppchen“ bietet sie der Familie die lächerliche Summe von 2.150,-DM an. Bis heute ist es nicht erwiesen, dass der beauftragte Rechtsanwalt Dr. Höhne die Verhöhnungssumme an die Scheuers überwiesen hat. In Argentinien ist das Geld nie angekommen.
Die Interessen der „Barbarossa-Stadt“ vertritt der Rechtsanwalt und ehemalige Gelnhäuser NS-Amtsgerichtsrat Dr. Becker-Schaffner, der den Wert des Anwesens nach der „Schätzung eines 1939 vereidigten Oberschätzers“ mit nur 16.350,- Reichsmark beziffert und behauptet, „der Stadt Gelnhausen ist nichts bekannt darüber, dass der Rückerstattungsberechtigte aus Gelnhausen verwiesen worden ist.“
„Der ehemalige Amtsgerichtsrat … wird doch wohl gewusst haben, was neben seinem Amtszimmer im Gerichtsgefängnis geschah.“, schreibt die Historikerin Dr. Christine Wittrock. (Quelle: Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Becker-Schaffner vom 21.11.1950 HHAW, Abt.Z460 Nr. D 923)
Vielleicht kann ja das Stadt-Marketing die 2018er „Buxweilers“-Lesung zum 80. Jahrestag der Ersteigerung des Scheueranwesens 2019 ergänzen und mit einer Lesung aus dem Buch der Historikerin Dr. Christine Wittrock „feiern“:
„Kaisertreu und führergläubig“. Wenn sie selbst zu dieser Feier nicht kommen kann, würde ich mich dafür zur Verfügung stellen. Zumal meine für 2019 geplante Lesung aus Valentin Sängers „Die Buxweilers“ nach dem diesjährigen Stadt-Marketing-Event nicht mehr in den Terminkalender der „Barbarossa-Stadt“ passen dürfte. Und wenn, hätte ich diese Lesung lieber in der Burgschänke oder auf dem Scheueranwesen gemacht. Passend wäre aber auch für beide Lesungen das Main-Kinzig-Forum am Besten am Hintereingang mit Beschallung des Burggartens (direkt auf dem Forum-bebauten Eck des Scheuer-Anwesens).
Mein Vorschlag wäre, den Hinterbliebenen des Ehepaares Scheuer vorzuschlagen, das Anwesen zum geltenden Marktpreis an die Stadt und den Main-Kinzig-Kreis zu verkaufen. Der Kreis und die Stadt sollten aus dem Anwesen ein interaktives Museum für den Widerstand gegen die Nazis machen, eine Bildungsstätte für Seminare, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen in Zusammenarbeit mit den Gelnhäuser Schul- und Bildungszentren. Die Burg war seit Jahrhunderten eine Fliehburg für religiös, rassisch, politisch verfolgte, für sogenannte „Demagogen“, für verfolgte Wanderburschen, für Wanderjuden, Bettler , aber eben auch für Kleinkriminelle, Räuber- und Kinderbanden ….
Es darf nicht wieder das passieren, was mit der Villa Sondheimer geschehen ist. Man hat damals noch nicht einmal auf den CDU-Politiker und Sportfunktionär Dr. Rolf Müller gehört, der eine ähnlichen Vorschlag für das „arisierte“ Sondheimer-Anwesen öffentlich gemacht hatte.