Im Auftrag der SPD mordete mein Vater, mein Onkel im Auftrag Hitlers

Ob Heinrich Barth als Mitglied des berüchtigten Marburger Studentenkorps am Massaker von Mechterstädt in Thüringen bei der Ermordung von 15 kommunistischen Arbeitern am 25. März 1920 beteiligt war, ist bisher nicht belegt. Dass er in den 20ern im Auftrag des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske Kommunisten erschossen hat, legt sein „Geständnis“ von 1975 nahe, als er mir kurz vor seinem Tod sagte, er hätte mich „in den 20er Jahren in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und im Ruhrkampf erschießen müssen.“

Welche biographischen Ereignisse, welche Erziehung, welche sozialen Strukturen machen einen evangelischen Pfarrerssohn zum Serienmörder?

Der älteste Bruder Gustav-Adolf ist bereits am 28.08. 1914 gefallen, die nächsten zwei Hermann und Max fallen zwei Monate später am 31.10.1914, bzw. sind seit dieser Zeit vermisst. Der nächste Justus-Franz fällt am 19.07. 1916 in Verdun.

Am Ende dieses ersten Teiles einer an „Das weiße Band“ erinnernden „Familien-Saga“ versuche ich den Ursachen auf den Grund zu gehen.

Der von Gerhard Zwerenz zu recht immer wiederholte Satz: „Soldaten sind Mörder!“ ist in seiner Pauschalität dabei nicht sonderlich hilfreich. Der von Wolf Biermann „Soldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich!“ noch weniger. Die aufständischen Kieler Matrosen, die den ersten Weltkrieg beenden und mit der Revolution die Monarchie stürzen, sind auch Soldaten. Sind sie den Freikorps-Soldaten gleich?

Die Namen der 4 bei Verdun gefallenen Söhne lässt der Vater Heinrich Barth in seinen Grabstein meißeln. Als sein jüngster Sohn Heinrich den väterlichen Befehl-nicht ohne seine vermissten Brüder heimzukehren- nicht erfüllt, herrscht im Pfarrhaus Totschweigen: „Ab heute wird in diesem Hause nicht mehr gelacht!“

Heinrich Barth ist 1920 gar kein Soldat mehr. Er wurde von seinem Vater in den 1. Weltkrieg geschickt, um seine vermissten 4 Brüder zu suchen und soll „ja nicht ohne sie nach Haue kommen“. Sein im Trommelfeuer scheuendes Pferd hat ihn abgeworfen und unter sich begraben. Mit gebrochenen Beinen ist er an der Westfront nicht mehr gegen den Erbfeind einsetzbar. Er wird Werkstudent bei BUDERUS. Ob er sich als Burschenschafter des „Wingolf“freiwillig zum Studentenkorps meldet und von der Brigade Ehrhardt Sold bekommt und deshalb „Sold“at ist, ist nicht geklärt.



Hinter Mussolini und Herrmann Göring mein Onkel Oberst Paul Gaethgens, der Verbindungsoffizier zwischen dem Duce und dem „Führerhauptquartier“ bei der Inspektion der Front in Libyen. Gaethgens wird kurz darauf befördert zum Quartiermeister des Nordatlantik-Walles, verantwortlich für die Vernichtung von 20.000 sowjetischen Kriegsgefangenen.

Als der damals 18-jährige Notabitur WK1-Teilnehmer und spätere BUDERUS-Werkstudent Heinrich Barth vom Hochofen gestählt nach eigener Aussage zum Brigade Ehrhardt unterstellten Studentenkorps wechselte, waren viele Faktoren im Spiel: vier seiner Brüder waren als deutsch-national-evangelische Theologie-Studenten  mit Begeisterung in den Krieg gezogen und bereits 1914 bis 16 „für Gott, Kaiser und Vaterland“ bei Verdun entweder in deutschem oder in französischem Giftgas und unter deutschem oder französischem Stacheldraht von Krupp, Stinnes oder Stumm in deutsch-französisches Feuer geraten, wobei auch unklar blieb, wer die Munition und die Gewehre und Kanonen dafür an wen geliefert hatte. Aber darüber machte sich der 5. im Pfarrhaus-Bruderbunde wie auch sein Zwillingsbruder, der 6. erst Mal keine Gedanken.

Töchter ausstaffieren, Rest-Söhne studieren lassen, dafür reichte des Pfarrers & Vaters Gotteslohn nicht aus: also hinein in die Burschenschaft, in die Obhut eines „Alten Herrn“, des deutschnationalen evangelischen nichtschlagenden Wingolfiten und Gießener Bauunternehmers August Faber, der den Deal mit dem Werkstudenten bei BUDERUS einfädelte. (Jener August Faber, der ab 33 für den Führer baute und als Faber & Schnepp nach 1945 für die US-Army und jüngst dann für die EZB. Immer ein Faber-Schneppchen.

Die EZB entstand in Kooperation von Faber mit der Bau-Führer 1000 Jahre Lagerbau ZÜBLIN

Der vaterländische Druck ist 1919/20 hoch, der „Dolchstoß-Frieden“ von Versailles, den die Mehrheitssozialdemokraten ratifizieren und auch nicht öffentlich als das benennen, was er ist: ein imperialistisches Diktat – das gegen das Volk durchgewunken wird, derweil die Kriegsgewinnler und Militaristen relativ unbehelligt wieder kräftig ausbeuten und aufrüsten.  Und zunächst nicht den „Erbfeind“ sondern „die Bolschewisierung“ bekämpfen lassen: Kapp-Putsch, Generalstreik niederschlagen, Ruhrkampf, Jagd auf linke Sozialdemokraten und Kommunisten in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, die sich dem Kapital-Arbeitsgemeinschafts-Kurs der mehrheitssozialdemokratischen Reichsregierung widersetzen.

Es sind die Gleichen und die Selben, die Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bestialisch ermorden und ermorden lassen.

Für die Niederschlagung des sozialdemokratisch-kommunistischen Widerstandes gegen die Reichsregierung reichen die durch den Versailler Vertrag reduzierten Reichswehreinheiten nicht aus. Der SPD-Reichswehrminister  Gustav Noske („Einer muss den Bluthund machen!“) mobilisiert zusätzlich die „schwarze Reichswehr“, die Freikorps gegen drohende „Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte-Republiken“, gegen KPD-SPD-Koalitionen in den Ländern. Unter dem formellen Oberkommando des SPDlers Gustav Noske, der auch die Studentenkorps initiiert hatte, rückt Heinrich Barth als Mitglied des Marburger Studentenkorps mit der Freikorps Brigade Ehrhardt aus ins Ruhrgebiet, nach Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt. Er durfte es in dieser Kompanie schwer gehabt haben und musste seine soldatischen Tugenden sicher oft überdurchschnittlich unter Beweis stellen. Er war als „Schneepisser“ ständigem Mobbing ausgesetzt: die „Verbindungsfarben“ der nichtschlagenden evangelischen Burschenschaft „Wingolf“ waren  Weiß-Gelb-Schwarz  oder umgekehrt. Wer in den Schnee pisst, erzeugt die „Wingolf“ Farben: schwarzes Loch, gelber Rand und drumherum schneeweiß.

Mein Vater hat mir 1975 schon bettlägerig kurz vor seinem Tod gesagt: „In den 20ern hätte ich Dich erschießen müssen. Wir hatten aus Berlin den Befehl für den Ruhrkampf zunächst zusammen mit den Kommunisten zu kämpfen, denn die seien die zuverlässigsten Kombattanten. Nach dem Sieg im Ruhrkampf hatten wir den Befehl aus Berlin, sofort alle Kommunisten zu liquidieren.“

Wie viele solcher Erschießungen mein Vater auf dem Gewissen hat, konnte ich bisher nicht recherchieren. Auch die genauen Einsatzorte nicht. Da hoffe ich auf die Forschungsergebnisse  aus Marburg, die die Grundlage für die dortige Ausstellung zum Massaker von Mechterstädt/Thüringen bilden.

https://www.marburg.de/portal/meldungen/ausstellung-arbeitet-morde-marburger-studenten-auf-900001824-23001.html

Mein Vater wurde zwar kein NSDAP-Mitglied, aber als Landwirtschaftsschulleiter hat er die Besiedlungspropaganda für den „Lebensraum im Osten“ aktiv betrieben.  Das bedeutete , die bei den „Flurbereinigungsverfahren“ zu Gunsten der Ortsbauernführer und der Groß-Agrarier „bereinigten“ Kleinbauern sollten in polnische Gebiete, nach Rumänien (Walachei), in besetzte sowjetische Regionen umgesiedelt werden. Er betrieb diese Siedlungspropaganda in Rheinhessen an der Landwirtschaftsschule, die in Anna Seghers Roman „Das 7. Kreuz“ eine Rolle spielt, er betrieb sie in Reichelsheim im Odenwald „zur Bekämpfung der Armut“ nach den Vorgaben des NS-„Hartmann-Planes zur Bekämpfung der Rhön-Armut“: Enteignung der Kleinstbauern, ihre  und ihrer Angehörigen Verfrachtung in die Industriezentren als Billigarbeitskräfte oder Umsiedlung in den „Neuen Lebensraum im Osten“. Er hat landwirtschaftliche Zwangsarbeiter mit Prügelstrafe und Essensentzug bedroht ….

Die Liste der Verbrechen meines Vaters ist im Vergleich zu der meines Onkels, des Generalstabs-Obersten Paul Gaethgens relativ gering.

Auch die Verbrechen des Bundeswehr-Oberst Klein, der für die Ermordung von 134 afghanischen Zivilisten durch einen Luftschlag, durch gezielte Bombardierung verantwortlich und dafür nicht bestraft worden ist, sind im Vergleich zu den Kriegsverbrechen des Oberst Gaethgens gering. Quasi als Belohnung für die Ermordung der afghanischen Zivilisten wurde Oberst Klein zum Brigadegeneral befördert.

Verdienter Maßen wurde der zum Quartiermeister des Nordabschnittes des Atlantik-Walles beförderte Generalstabs-Oberst Paul Gaethgens nach der Ermordung von 20.000 sowjetischen Kriegsgefangenen in Norwegen vom norwegischen Widerstand 1944 ins Jenseits befördert. ….

Dazu aber erst später in einem weiteren Kapitel.

Warum wird ein evangelisch-christlich erzogenes Mitglied der Bündischen Jugend, ein nichtschlagender „Wingolfit“ zum politischen Serienmörder?

Das deutsch-national-evangelisch-mittelbäuerliche Milieu, aus dem sein Vater stammt, hat ein geschlossenes Weltbild unter dem Dreigestirn Gott-Kaiser-Vaterland. Es rikecht nach Brigantentum, wenn in Rheinhessen von den Befreiungskriegen gegen Napoleon gesprochen wird, antirepublikanisch, stramm antikatholisch, egal ob deutschkatholisch oder altkatholisch, katholisch ist französisch und erbfeindlich. 1871 war hier die lange ersehnte Rache für die französische Besetzung, die „Zwangsrepublikanisierung“. Nur die „vaterlandslosen Gesellen“ verbrüdern sich im 19. Jahrhundeert mit den Erbfeinden. Die Sozialdemokraten und die Gewerkschafter sagen es ja auch in ihrem Manifest: „die Proletarier haben kein Vaterland“. Sie sind gottlos, gotteslästerlich und wollen den Kaiser stürzen.

Dieses in deutscher Erde festgemauerte Weltbild bricht zusammen. Der gottgleiche Kaiser muss fliehen. Die vaterlandslosen Gesellen schließen einen Dolchstoß-Friedensvertrag mit dem Erbfeind.

Tragikomisch an der Situation ist es schon , dass Heinrich Barth selbst ein vaterlandsloser Geselle ist: sein Vater hat ihm keinen Quadratmeter Land vererbt. Er muss sich nicht „vom Acker machen“ und „Land gewinnen“. Dazu reicht sein spärliches Gehalt als „Dr. Acker“ (wie die Absolventen des landwirtschaftlichen Studiums an der philologischen Fakultät der Gießener Universität“ verhöhnt werden) und Landwirtschaftlicher Assessor an der „BAUERNSCHULE“ in Lauterbach/Hessen/Vogelsberg nicht aus. Auch die Förderung durch den Baron von Riedesel schafft ihm keinen Landbesitz.

Der Pfarrer Barth von Großen Buseck bei Gießen war selbst ein Opfer der von meinem Vater stets mit Lachen propagierten Erbhoferhaltungs- und „Armutbekämpfungs“-Regel: der erste Sohn erbt den Hof, der zweite wird Offizier, der dritte Pfarrer und der vierte kriegt einen Schlag mit der Schuhbürste und wird Hofknecht. Alle weiteren Kinder werden ausgesetzt, Hintersassen in Etzengesäß, Eidengesäß, Rodengesäß, Hüttengeaäß, oder in Sassenhausen, dem heutigen Sachsenhausen: „hätten sich die Bauern in Rheinhessen und im Odenwald an diese alten Regeln gehalten, gäbe es heute keine Dorfarmut.“

Mein Vater war der 5. Sohn, bei ihm hätte es nicht mal zum Stallknecht gereicht.

Dass man die „vaterlandslosen Gesellen“ bekämpfen muss, war ihm quasi von Geburt an klar.

Auf seinem Weg zur Arbeit in der Landwirtschaftsschule der Region Worms 1933/34 musste er regelmäßig am KZ-Osthofen vorbei, wie auch bei den Besuchen bei seinem Idol, dem rheinhessischen Turnvater Karl Schill, dem Ovomaltine-Fabrikanten, dem Patenonkel eines seiner Söhne.

Wenn er die Schreie aus dem KZ hörte, war es für ihn völlig in Ordnung, dass man dort die „vaterlandslosen Gesellen mit harter Hand umerzog“. Die sollten froh sein, dass man sie nicht erschoss, wie er es vor 13 Jahren getan hatte.

Die Fortsetzung dieses Artikels und seine Bebilderung folgt in den nächsten Tagen

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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