Zu dem mainstream-medialen Jubel zum 30. Jahrestag des Anschlusses der DDR möchte ich gerne ein paar Zeilen beitragen. Der Jahrestag des Mauerfalles war nun doch etwas unpassend, ausgerechnet am Tag der Reichspogrom-Nacht am 9. November:
Novemberdämmerung
Das
Ehrfurcht-
erschaudern
unter den Linden
findet
seinen Niederschlag
in klirrender
Kälte
nahender
neuer
Kristallnächte
Der Atem
der Geschichte
wird ausgehaucht
zu
Kohl-
dampf
Ab 1947 hin- und hergerissen zwischen zwei Müttern, zum Westen zur Not, zum Osten zum Füttern. Nein, ich war kein Kind der Hungerzüge, die von linken Frauenorganisationen ab 1945 bei der Reichsbahn gechartert wurden, um die Kinder aus den zerbombten Industriezentren im Westen vor dem Verhungern zu retten. Die Care-Pakete der US-Quäker reichten dafür nicht aus. In der sowjetischen Zone gab es schon wieder in den „Kornkammern“ Magdeburger Börde und Mecklenburg-Vorpommern von Frührückkehrern und kriegsverwitweten Bäuerinnen betriebene Höfe, erste aus Maschinennot & Arbeitskräftemangel gewachsene Produktionsgenossenschaften. Hier wurden die Westkinder aufgepäppelt und gesund und drall wieder nach Hause geschickt. Oder, wenn es noch nicht möglich war, wegen der Zerstörungen & Lebensmittel- und Medikamenten-Verknappung durch Schwarzmarktschieber wie den Frankfurter Fritz Dietz, dann durften sie noch bleiben. (Irrtümlicher Weise hatte ich den Schwarzmarkt-Herrscher Dietz als Frankfurter Ehrenbürger im Verdacht, doch das war er nicht. Seine an den „Dritten Mann“ in Wien erinnernden Frankfurter Unterweltgeschäfte-wie Zuckerbunkern, Penicillin, Schuhe & Wolldecken horten bis zur Währungsreform., untersuchte dann aber bereits 1946 der erste Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages http://starweb.hessen.de/tabellen/untersuchungsausschuss1.pdf
Mit wenig Erfolg zwar, aber Dietz bekam dann 1968 NUR das Bundesverdienstkreuz, erst nur mit Stern und dann 1974 auch noch am Bande. Ob das eine Anspielung auf die Dietz-Bande war? Der Frankfurter Wollwarenhersteller und Kriegs-Frühheimkehrer Herbert Wiese, der seine Bestände aus der Wollmanufaktur in der Oderstraße an die notleidende, frierende Bevölkerung zwar nicht alle verschenkte, aber wenn nicht, dann doch zu Reichsmarks- und Zigarettenwährungs-Preisen verkaufte, hat das bis zu seinem Tod so gesehen. Er hat es so auch seinen Töchtern und seinen zwei Schwiegersöhnen erzählt. Einer von Beiden war ich bis 1979.
In der Konkurrenz zu den höchstprofitablen Wollgeschäften des Fritz Dietz, unterlag der Wollfabrikant & „Gutmensch“ Wiese und ging Bankrott. Dietz wurde IHK-Präsident und später einer der Hauptsponsoren des Wiederaufbaus der Frankfurter Alten Oper. Vergleichsweise ein kleiner Fisch gegen den Folgenden:
Die Frauen, die diese Hungerzüge organisierten, wurden ab 1946 schon wegen „organisierter Kindesentführung“ angezeigt, festgenommen und verurteilt. Strafverschärfend kam dann noch hinzu, wenn sie für die Forderung „Deutschland dreigeteilt, niemals!“ oder „Keine Teilung Deutschlands!“ Unterschriften sammelten. Der Vorschlag Stalins für ein ungeteiltes, entwaffnetes, neutrales Deutschland – nach österreichischem & nach Wiener Vorbild auch die Wiedervereinigung der Hauptstadtsektoren- fand bereits 1946 eine solch starke Unterstützung (über 15 Millionen Unterschriften), dass die Unterschriftensammlung ebenso scharf verfolgt wurde, wie die Verschickung der Kinder.
Ich wurde von meinen stramm antikommunistischen Eltern zum Durchfüttern in die Zone geschickt, um mich bei meiner Wahlmutter und meinem „Bratenonkel“ durchfüttern zu lassen. Das ging bis in die 1960er. !1953 war ich sogar Gastschüler in einer Dorf-Volksschule in der Nähe von Köthen und etwas verknallt in die Tochter meines Lehrers, der so hieß, was sie damals für mich war: ein Engel. Doch dazu gibt es eine weitere Sternstunde
Warum ein Wessie die DDR um Entschuldigung bittet
Schuldbekenntnis I
oder
Ein Sieg der Chaostheorie
Angestiftet von den Alten
Vater, Mutter, Schwestern, Brüder
letztere mit noch nicht ausgeträumten
Wehrwolfträumen
haben wir im zarten Alter
zwischen drei und dreizehn Jahren
beim Onkel in der DDR
als Ferienkinder
tagtäglich
unsre Händchenvoll
Kartoffelkäfer
in die Felder
der Genossen
aberteuerlistig um uns blickend
und die Amihosen voller Angst
vorm bösen Russen
durch die Kommunistenfurchen kriechend
zwischen den Kartoffelstauden
subversiv verteilt
Die LPG
für uns ein Sammelsurium
von Tauge-
und von Habenichtsen
und von -Gott sei bei uns-
Kommunisten
das war der Teufel
war der Feind
der Unmensch
und der Untermensch
Wir bettelten
mit Unschuldsengelsaugen
um eine Mitfahrt auf der Sähmaschine
Wir boten unsre Hilfe an
Und die Genossen hoben uns
die kleinen Gäste aus dem Westen
freundlich lachend und besorgt
nicht ohne Stolz
verordnetes Mißtrauen mißachtend
auf ihr altersschwaches Ungetüm
der Marke Fortschritt
Wir streuten Unkrautsamen
in das Saatgut
Wir klauten Mais
nicht weil wir Hunger hatten
sondern für die Freiheit
und die Macht am Rhein
Und ließen uns
die MTS-Mechaniker
in ihrer Werkstatt
die Traktoren inspizieren
warn unsre zarten Händchen
noch zu schwach
zum Schraubenlockern
Wir waren inspiriert
durch die Plakate
die in den Kindergärten, Schulen hingen
die zeigten
wie der Klassenfeind von Westen
per Flugzeug
diesen Staat der Arbeiter und Bauern
und seine junge Saat
durch abgeworfne Schädlinge
in die sieben Plagen jagt.
Wir haben es gewagt
Wir haben in den Kindergärten
in den Schulen
mit unseren Klamotten rumgeprahlt
vor Kindern
deren Eltern
den letzten Krieg
nicht allein
verloren haben wollten
Und Wir?
die Schulspeisung war abgeschafft
die Carepakete leergefressen
im Westen nix zu beißen
für zu viele Kinder
statt Fahne
jetzt die Nase hoch
wir haben uns
in unsre leeren Amihosen
Oststullen füttern lassen
und mit vollen Kinderpausebäckchen
gegen diesen Staat gehetzt
Und jetzt
ist er am Ende
Ein bißchen kam die Wende
durch zigtausend solcher Kinder-
und auch durch meine Hände
HaBE geschrieben ca. 1990
Schuldbekenntnis II
Wo waren Sie denn
am 2. August
als Kuwait überfallen wurde
von diesen Menschenschlächtern
da haben Sie nicht demonstriert
da haben Sie nicht laut geschrien:
»Kein Blut für Öl!«
da haben Sie doch-
da haben Sie ganz einfach
weggesehen
sich nicht empört
Wo waren Sie denn
am 2. August?
Entschuldigung
am 2. August
hab ich
es tut mir wirklich leid
grad meiner ersten großen Liebe
nachgetrauert
am 2. August
da waren noch Ferien
und ich war in der 8. Klasse
als Groß Britannien Kuwait
vom Irak abtrennte
als General Khassem
das schwarze Gold
in Kuwait nationalisierte
als er erschossen wurde,
weil er der British-Petroleum-Company
die Öl-Bohr-Konzession entzog
und Downing-Street Kuwait besetzte
und Shaba, ihren Mann einsetzte
als Scheich von Kuwait
und von Englands Gnaden
da weinte ich aus Liebeskummer
und nicht aus Trauer
um Tausende von Toten
Entschuldigung
ich war da völlig unpolitisch
nur, wenn ich mich besinne
fällt mir ein,
um einem Mädchen
im Konfirmantenunterricht
zu imponieren
kam ich mit braunem Schlips
und Kaki-Hemd und Stiefeln
zur Bibelstunde
und ich verehrte einen großen
Franzosen
General Massu
der tausende Algerierinnen
hat schlachten lassen
im Auftrag des Ministers
Francois Mitterand
und Charles de Gaules
Entschuldigung
am 2. August
1961
als Kuwait
von den Briten überfallen wurde
da habe ich
für Konrad Adenauers CDU
grad Handzettel verteilt
Entschuldigung,
es soll nicht wieder vorkommen.
Endlich frei
Endlich
kann ich
Dich besuchen
Ich war Dir achtundzwanzig Jahre treu
in denen mich die einen tausendmal nach drüben fluchten
und die andern mich nicht rüber ließen
Du hast seit achtundzwanzig Jahren
keinen Brief von mir erhalten
am Telefon hat Dich kein Wort erreicht
wir haben lediglich
das Wetter melden können
und daß die Großmutter gestorben ist
und die Geburt der Kinder
übern Todesstreifen
Endlich
kann ich
mit Dir reden
jetzt hängt die Stasi
nicht mehr in der Leitung
nur der Verfassungsschutz
hört mit
wenn ich
Deinen Bruder frage
auf welchem Friedhof
Du begraben bist
Sie hatten Dich grad ausgekrebst
im Smog von Bitterfeld
bevor die Mauer fiel
bist Du ins Grab gefallen.
Was sind wir doch für ein Volk
Deutsch-deutsche Angleichung
Bis zum November neunzig
war ich arbeitslos
Heute bin ich
noch arbeitsloser
Ordnung herrscht
in der Ausländerbehörde
Schlachtordnung
Ruhe herrscht
im Ordnungsamt
durch den Flur
hallen stumme Schreie
Die Toiletten
werden täglich
vorschriftsmäßig
desinfiziert
Nur der eingetrocknete
Angstschweiß
auf dem Boden
vor den Schreibtischen
auf den Stühlen
und Bänken
lässt sich nicht verwischen
noch viel weiter ! – HaBE-Titelgrafik einer 1989er Ausgabe der neuen hanauer zeitung
Wenn der Freude schöner Götterfunke dienstbeflissen Flüchtlingsheime entzündet, Streikposten in Brand setzt, linke Jugendzentren abfackelt
Siehe auch: Endlich! 9.11. Statt andauernd Trauerfall, ein Freudenfest zum Mauerfall
(Wir sind) Das gemein(t)e Volk
Die Herrschenden
schlagen in ihren Raubkriegen
ab und an die konkurrierenden Geldsäcke
und meinen doch das Volk
Das gemeine Volk
Gemein ist,
wer sich ihren Regeln
nicht unterwirft
Die Herrschenden
schimpfen uns
gemeines Volk
Ja, wir sind gemein,
wir sind all gemein
wir sind das gemeine Volk
wir widersetzen uns
der Plünderung
der Ausbeutung ein Ende!
Allmende
Die Herrschenden
Können ausgetauscht werden
Doch das gemeine Volk nicht
Es ist eins wie das andere
Und schlachtet mans,
rottet es aus
na bitte
Wer schafft dann die Profite ?
Und wenn es sich erhebt
Und unbeherrscht
Sich selbst regieren will
Dann hält es auf die Dauer
Trotz FlachBILDhirn und Stiefeln im Gesicht
Nicht still
Das unbeherrscht gemeine Volk
(schwenkt dabei schon
-oh wie gemein-
seine Fahne den Ungemeinen zum Hohn
mit dem Spruch: ES LEBE DIE ALL-GEMEINHEIT)
geschrieben auf Kreta 30.oktober 2014
Novemberdämmerung
Das
Ehrfurcht-
erschaudern
unter den Linden
findet
seinen Niederschlag
in klirrender
Kälte
nahender
neuer
Kristallnächte
Der Atem
der Geschichte
wird ausgehaucht
zu
Kohl-
dampf
1989 geschrieben
Neunter November
Neunter November,
Tag der deutschen Wiedervereinigung
Neunter November,
Jahrestag der Reichspogromnacht
Neunter November,
kohlschwarze Nacht erhellt durch Brände,
Freudenfeuerwerk und Götterfunken,
blüh im Glanze dieses Lichtes
Hunger und geführter Haß
Neunter November,
Götterdämmerung,
den Dicken trifft der Hauch
der Geschichte des Dicken
aus dem Bernsteinzimmer,
Richard Wagner
dirigiert am Brandenburger Tor
Der Reichstag wächst
wie Phönix aus der Asche
Van der Lubbe wird nicht rehabilitiert
und ab jetzt zahlen die Opfer
Wiedergutmachung an die Erben der Täter,
die späte Rache für Stalingrad.
Mehr will ich nicht erklären.
Die etwas andere „Geschichtsstunde“.
Danke dafür.