Der Titel dieses „Posts“ ist angesichts eines Artikels des Organisators der „Züge der Erinnerung“ entstanden:
Der falsche “Tag der Befreiung”
Kommentar von Hans-Rüdiger Minow
Der Minow-Artikel zum 8. Mai folgt nach meinem Vorwort:
Mit dem Maas
bis an die Memel,
wo man sich nur kurz aufhält
zum Roten Platz bis vor den Kreml
mit dabei in aller Welt
und von wegen Waffen nieder
Schwestern Brüder
Niemals wieder
das war gestern
Nie wieder Umkehrn
darauf werden wir jetzt eingeschworen
und vor der großen Mauer Toren
und denen der „Verbotnen Stadt“
„Helm auf und durch“, those are the Days
grölt der Podolski mit den Toten Hosen
Tage wie diesen
lassen wir uns nicht vermiesen
wir lassen uns darauf vereidigen
und in Trainingslagern haben wir’s bewiesen,
dass wir wissen, wie man siegt:
„Wir müssen vorwärtsverteidigen
bis das Gegner-Tor im Schussfeld vor uns liegt
und der letzte Mann im Tor noch fällt,
und der Keeper so auch keinen Schuss mehr hält,
dann sind wir wieder Meister der Welt!
We are the Champions, das ist es was zählt“
und dann macht der Stürmer alles platt
Alldays
for Future
der Milliarden Arbeitslosen
arge Torture
unter Muttis LEO-Trainern
schon drängen sie Soldaten und Matrosen
hin zu Kanonenfutter-Viehcontainern
an den NATO-Kriegsmarine-Kais .-
Jetzt wird der Auslandseinsatz wieder
im links zwo drei der alten Lieder
zur Lebens- & zur Friedensperspektive
der dienen wir, wie jeder weiß…
und schon sind wir wieder mit dabei
weit über Warthegau und Wallachei
in altbewährtem Mitläuferschritt: links, zwoo drei
nach der gleichen Auf- & Einmarsch-Melodei
und schon legt auch der ärgste Feind
die Waffen gerne nieder
Weil er von früher noch gut weiß:
Böse Menschen haben keine Lieder
und Sangesfreunde keine bösen Leader
und selbst im letzten Russenstädtchen
in Mali und Afghanistan
freuen sich die Mädchen
und lächeln uns begierig an
Der falsche „Tag der Befreiung“
Kommentar von Hans-Rüdiger Minow
Der 75. Jahrestag der deutschen Kapitulation ist vorüber, aber die Irritationen mehren sich. Den 8. Mai nicht als „Tag der Befreiung“ feiern zu wollen, gilt als ignorant, ja verdächtig. Das Neueste ist, vom deutschen Staat die Einführung eines bundesweiten Feiertags zu verlangen. Die Idee aus Kreisen der linken Parlamentsopposition im Bundestag wird von der sächsischen Staatsregierung (CDU/SPD/Grüne) wohlwollend geprüft, nachdem in zwei anderen Bundesländern (Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) der 8. Mai bereits offizieller Gedenktag ist. Dafür gestimmt haben SPD, CDU und Grüne. Im Bundesland Berlin ist diesen Koalitionen für den 8. Mai auch Die Linke beigetreten. Der 8. Mai wird in der deutschen Hauptstadt bereits als Feiertag begangen, so dass praktisch sämtliche deutsche Parlamentsparteien (außer FDP und AfD) der Einführung eines bundesweit arbeitsfreien Staatsgedenkens den Weg ebnen. Dem wird das deutsche Staatsoberhaupt nicht widersprechen. Der Bundespräsident hat bei einem offiziellen Staatsakt zum 8. Mai 2020 in Berlin ausgerufen: „Ja, wir Deutsche dürfen heute sagen: Der Tag der Befreiung ist ein Tag der Dankbarkeit.“
Feindstaat
Die Vereinnahmung des 8. Mai 1945 als eines Tages deutscher Befreiung, die Inszenierung dieses Tages durch fast sämtliche staatstragenden Kräfte und durch den deutschen Staat selbst, verstellt den Blick auf die Tatsachen. Als die alliierten Streitkräfte im April 1945 auf Berlin vorrückten, lautete der Befehl JCS 1067 an das US-Oberkommando und die Soldaten:
„Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat“.
Weltmacht
In dieser Weisung waren sich sämtliche Alliierten einig. Als Josef Stalin, Harry S. Truman und Winston Churchill am 7. Juli 1945 in Potsdam zusammentrafen, hatten sie den Feindstaat Deutschland unter unsäglichen Opfern niedergerungen. Ihr gemeinsames Hauptziel war es, „Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung des Weltfriedens zu werden“ – und den deutschen Staat zu zwingen, ein „Reparations- und Rückerstattungsprogramm“ zu erfüllen. Um es klar, vielleicht auch schmerzlich zu sagen: Die alliierten Opfer, vor allem die Opfer der sowjetischen Bevölkerung, waren nicht erbracht worden, um die Deutschen von der Last ihrer Verbrechen zu erlösen, wohl aber, um ihrer Verbrecher habhaft zu werden, auch der ganz normalen, der deutschen Allerweltstäter, die das Vollstreckungsfundament der deutschen Machtexpansion bildeten. Der 8. Mai 1945 markiert nicht den Sieg in einem Befreiungskrieg für Humanität und Moral, was einem offensiven Kreuzzug gliche, den 1939 niemand wollte, weder in den USA noch in der Sowjetunion. Was die alliierten Soldaten in Auschwitz oder Bergen-Belsen zu sehen bekamen, kam unerwartet, weil mit einer solchen Animalisierung staatlichen Handelns 1939 niemand gerechnet hatte. Der Zweite Weltkrieg begann aus der Defensive von Staaten, die von einem Feindstaat herausgefordert wurden, der sein wirtschaftliches und militärisches Potential nutzen wollte, um das Potential aller anderen auszuweiden und in den Dienst seiner Großmacht, seiner Weltmachtambitionen zu stellen.
Rechnung
Was dieser Feindstaat am 8. Mai 1945 hinterließ, übersteigt sämtliche Dimensionen einer militärischen Niederlage, aus der für Besiegte noch Hoffnung bestünde, als Befreite zu gelten. In der langen Kette zivilisatorischer Brüche war am 8. Mai 1945 erst zu ahnen, was geschehen würde, wenn die Erde umgegraben wäre und vor den Bergen der Asche, der Knochen (in Sobibór, Auschwitz oder Bergen-Belsen) die Frage neu gestellt werden müsste: ob dies der letzte Bruch in der Kette zivilisatorischer Brüche ist oder ob noch weitere folgen würden. Es war zu früh, weil die Erde noch nicht umgegraben war, diese Frage im Juli 1945 in Potsdam zu stellen. Es war unmöglich, nach Moskau, Washington oder London zurückzukehren und zu sagen: Wir haben Deutschland befreit. Das einzige, was man sagen konnte war: Wir werden Deutschland daran hindern, je wieder eine Bedrohung für den Weltfrieden zu werden. Für die Opfer, die Deutschland uns abverlangt hat, wird dieser Feindstaat einstehen müssen. Was man sagen konnte, war: Es ist eine Rechnung zu begleichen.
Entlastung
Dass der 8. Mai ein deutscher Tag der Befreiung werden könnte, hat ein Bundespräsident bereits 1985 erwogen. Für diese Empfehlung im Namen des (west-)deutschen Staates ist ihr höchster Repräsentant, Richard von Weizsäcker, damals allenthalben gelobt worden. Seine Rede anlässlich des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation gilt inzwischen als sakrosankt. Von einer Rechnung, die noch zu begleichen wäre, sagte Weizsäcker darin nichts. Die Publizistin Alexandra Senfft hält Weizsäckers damalige Befreiungsrhetorik für „Verschleierung und Entlastung“ (im Freitag, 8. Mai 2020), weil Weizsäcker die Taten seines Vaters beschwieg, des NS-Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker. Der SS-Brigadeführer war ein Kriegsverbrecher. Er wurde für seine aktive Mitwirkung an der Deportation von etwa 100.000 Franzosen, Belgiern und Niederländern verurteilt. Diese Menschen verschwanden in Auschwitz. Als juristischer Beistand für den NS-Staatssekretär Weizsäcker wirkte im alliierten Strafverfahren sein Sohn, der spätere Bundespräsident Weizsäcker und Autor der Befreiungsidee von 1985. Man konnte meinen, der eine Weizsäcker im Staatsamt hätte den anderen Weizsäcker im Staatsamt posthum befreit wissen wollen, obwohl diese Entlastung nur die Opfer geben können.
Tricks
Als das Staatsoberhaupt Richard von Weizsäcker die Befreiungsidee 1985 in Umlauf brachte, und die Rechnung noch immer nicht bezahlt war, kannte er die Methoden des deutschen Staates im Umgang mit den Opfern en detail. Die Schulden, die seit dem 8. Mai 1945 zur Begleichung anstanden und mit jedem Zinstag höher wurden, hoffte das Bundespräsidialamt „durch Zeitablauf“ zu erledigen. Oder wie es im Auswärtigen Amt hieß: ad calendas graecas, am Sankt-Nimmerleins-Tag. Angesichts der riesigen Schäden, die in den okkupierten Staaten nie ersetzt worden waren, nutzte die Bundesrepublik jede juristische Konstruktion, jeden diplomatischen Trick, um die wahre Bedeutung des 8. Mai 1945 in Frage zu stellen und den Folgen der Kapitulation zu entgehen: weil der deutsche Staat besiegt, aber nicht befreit worden war, hatte er das Reparations- und Rückerstattungsprogramm der Sieger zu erfüllen. Stattdessen setzte die Bundesrepublik auf „Zeitablauf“.
( zu diesen Fragen hatte ich bereits im August 1991 in der „Neuen Hanauer Zeitung“ (nhz), und in Teilen in der Leipziger Anderen Zeitung (DAZ) geschrieben:
Erledigt
Weil 1990 die Rechnung erneut aufgemacht wurde, haben Auswärtiges Amt und Bundespräsidialamt seitdem so ziemlich alles versucht, den deutschen Zahlungsverzug zu verewigen und ihre Tricks zur Staatsraison des vereinigten Deutschland werden zu lassen. Eine hervorragende Rolle bei diesen Bemühungen darf der Weizsäcker-Nachfolger, der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Anspruch nehmen. Bereits als Chef des Bundeskanzleramts, dann als Außenminister war Steinmeier bei der Abwehr von Opferforderungen aktiv, die in den USA, in Italien, in Griechenland, in Polen und in Israel an den deutschen Staat gestellt wurden. Steinmeier führte „hochrangige Demarchen bei der US-Seite“ durch, um die Erben der NS-Wirtschaftstäter gegen Zahlungen abzuschirmen, die mit dem 8. Mai 1945 fällig geworden, aber nie geleistet worden waren. Die deutschen Kassen blieben verschlossen, das Reparations- und Rückerstattungsprogramm unerfüllt. Gleichzeitig absolvierte Steinmeier Auftritte an Brennpunkten europäischen Unmuts über die fortdauernde Verweigerung der Tatschulden und beruhigte die Gläubiger mit Versprechen auf gute Nachbarschaft. Während Steinmeier rechtsunverbindliche „Spenden“ an griechische Opfer ausreichte, hieß es intern: Was darüber hinausgeht, hat sich „erledigt“.
Provokation
Diese Sprachregelung des deutschen Staates in seinen Rechtsstellungnahmen ist der versachlichte Ausdruck einer Lüge, um die sich die Hülle der Befreiungsrhetorik legt und seit Weizsäcker ausgeschmückt wird, beispielhaft durch den aktuellen deutschen Bundespräsidenten. Von einer offenen Rechnung ist in seinen Ausführungen keine Rede. Was Steinmeier zum 75. Jahrestag der Kapitulation über die Vereinnahmung das 8. Mai 1945 als eines Tages der Befreiung zu sagen hatte, lädt die deutsche Öffentlichkeit ein, den deutschen Staat von seinen historischen Verpflichtungen zu entlasten und die wirkliche Bedeutung des 8. Mai verschleiern zu helfen: Es ist der Tag, an dem die Ahnung begann, dass die Berge der Asche, der Knochen niemals erledigt sein würden, dass die Täter zurückzahlen müssten, was zurückzahlbar war, und nur die Opfer entschieden, was erledigt sein könnte. Nur wenn der Feindstaat die Konten ausgleicht, würde Europa den Krieg überwinden und Deutschland die Gier, zur Weltmacht zu werden.
Befreit und befriedet kann Deutschland sich nennen, wenn ein Friedensvertrag diesen Zustand bestätigt. Solange Berlin diesen Zustand verhindert, ist ein Tag der Befreiung, den Berlin sich verordnet, eine Selbstinzenierung, eine Provokation, die überall in Europa Empörung verdient.