Zeit der Verleumder /Dok-Film von Dror Dayan & Susann Witt-Stahl mit Moshe Zuckermann, Rolf Becker, Jackie Walker, Ali Abunimah, Moshé Machover, Judith Bernstein, Ester Bejarano u.a.

Zeit der Verleumder

Eine ideologiekritische Intervention

Dokumentarfilm von Dror Dayan und Susann Witt-Stahl, Deutschland 2020

Mit Moshe Zuckermann, Rolf Becker, Jackie Walker, Ali Abunimah, Moshé Machover, Judith Bernstein, Esther Bejarano u.a.

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»Hitlers verlängerter Arm« – Projekt Kritische Aufklärung im Gespräch mit Moshe Zuckermann – YouTube

Am 10. Februar 2018 trafen sich deutsche, israelische, britische und US-amerikanische Wissenschaftler, Publizisten, Künstler und politische Aktivisten in Berlin zu einer Konferenz unter dem Titel »Zur Zeit der Verleumder« – in Anlehnung an ein Gedicht des Schriftstellers Erich Fried. Vor rund 250 Besuchern analysierten sie die ideologische Instrumentalisierung von Juden, dem Judentum und der jüdischen Katastrophe für die Legitimierung von rechter Machtpolitik, Antikommunismus, Geschichtsrevisionismus und (antimuslimischem) Rassismus. Eingeladen zu der Konferenz hatte das Projekt Kritische Aufklärung – ein Zusammenschluss für Ideologiekritik, der im Sommer 2017 von deutschen und israelischen Marxisten ins Leben gerufen worden war. »Der Rechtstrend in der westlichen Welt hat bizarre Er­scheinungs­formen. Linke werden als ›Nazis‹, jüdische Antifaschisten als ›Verräter‹ diffamiert«, hieß es in dem Aufruf der Veranstalter. Bereits Anfang der 1980er-Jahre hatte Erich Fried die Stigmatisierung jüdischer Linker als ›rote Antisemiten‹ durch ›Sprecher des Westens‹ angeklagt. Was seinerzeit mit wütenden Polemiken begann, ist heute zu einem Komplex aus Ruf­mord­kampagnen und Sanktionen – sogar gegen Holocaust-Überlebende und deren Nachkommen – ausgewachsen, die aus den etablierten Parteien und der AfD, von neokonservativen »Antideutschen«, von »Antinationalen« und christlichen Fundamentalisten initiiert und von den etablierten Medien propagiert werden. Der Großteil der deutschen Linken schweigt bestenfalls zu diesem bedrohlichen Treiben und begeht damit einen Verrat, der unweigerlich einer Kapitulation vor dem deutschen Großmachtstreben, der bellizistischen Regimechange-Politik der NATO, der mörderischen Aggression gegen Flüchtlinge und andere Migranten gleichkommt und irrationale kultur­kämpferische bis antisemitische Welterklärungsmodelle sowie Islamo­phobie fördert. »Nicht zuletzt«, so das Projekt Kritische Aufklärung, »sind die damit einhergehende Inflationierung des Antisemitismusvorwurfs und die Entleerung und Verdinglichung des kategorischen Imperativs ›Nie wieder!‹ untrügliche Zeichen der Auflösung linker Fundamentalopposition und der Errungenschaften des historischen Materialismus.«

Der Film dokumentiert Höhepunkte und zentrale Thesen der Konferenz. Ergänzt werden die Szenen durch Interviews, umfangreiches Recherche­material, Fotos und Videos, darunter auch unveröffentlichte Aufnahmen einer Lesung von Erich Fried aus dem Jahr 1988.

102 Minuten, Deutsch/Englisch mit Untertiteln
© 2020 Dror Dayan und Susann Witt-Stahl

Dror Dayan, geboren 1981 in Jerusalem, ist Filmemacher, Film­wissen­schaftler und politischer Aktivist. Er lehrt Dokumentarfilm und Medien­produktion an der John-Moores-Universität in Liverpool, ist Regisseur von zwei Dokumentarfilmen sowie mehreren Kurzfilmen und engagiert sich in Palästina-Solidaritätskampagnen und in der antikapitalistischen Klima­bewegung.

Susann Witt-Stahl arbeitet als Journalistin, Autorin und Kulturredakteurin in Hamburg und Berlin. Sie hat für Tageszeitungen und Magazine aus dem Nahen Osten und anderen Krisengebieten berichtet. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Ideologiekritik des Neoliberalismus, der Rechtsentwicklung in den westlichen Gesellschaften, der Kulturindustrie und regressiver Tendenzen in der Linken. Dazu hat sie diverse Bücher und Essays veröffentlicht.


Die Partei Die Linke ist mit der aktuellen Radikalisierung ihres Pro-Israel-Kurses endgültig im deutschen Nationalkonsens aufgegangen

Der Zusammenschluss Projekt Kritische Aufklärung sprach mit Moshe Zuckermann über Vertreter der Partei Die Linke (PDL), die sich mit Rechten solidarisieren, Joachim Gauck für sich entdeckt haben, vom humanistischen Judentum nichts mehr wissen wollen, die Palästinenser verraten haben, eine politische Kultur des Opportunismus pflegen – und lieber den Mund halten sollten, wenn jüdische Linke Einspruch gegen die unsäglichen deutschen und israelischen Zustände erheben. Das Gespräch führte Susann Witt-Stahl im Mai 2018.

Projekt Kritische Aufklärung: Die PDL zündet ein großes Feuerwerk zum 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel. Es »blickt heute mit Stolz auf 70 Jahre Demokratie mit einer lebendigen und pluralistischen Zivilgesellschaft und einer immensen Vielfalt in den Formen des Zusammenlebens«, heißt es in einen Antrag mit dem Titel »70 Jahre Staat Israel«, den die Fraktion der PDL zusammen mit den Grünen in den Bundestag eingebracht hat (1). Bemerkenswert ist, dass Diether Dehm ihn mit unterzeichnet hat. Bisher hatte er den konsequenten Kritiker genau der rechtsopportunistischen Politik gegeben, die er nun selber offensiv vorantreibt. Und Fraktionschef Dietmar Bartsch präsentierte sich in seiner Bundestagsrede zum Geburtstag des Judenstaates am 26. April gleich noch mal staatstragender als sonst. Er mahnte die Deutschen zur Israelsolidarität und begründete seine Forderung mit der »moralischen Pflicht, alles zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederholt« (2). Wie kommt so ein Gebaren bei Ihnen als jüdischem linken Israeli an?

Moshe Zuckermann: Solche Aussagen kommen mir vor wie der Versuch von Deutschen, die offenbar wenig Ahnung davon haben, was sich in den letzten Jahren in Israel abspielt, sich aus feierlichem Anlass an den ideologischen Vorgaben der israelischen Propaganda im Ausland Hasbara zu orientieren. Was meinen diese Menschen, wenn sie im Zusammenhang von Israel von »Demokratie« reden? Was für ein Israel meinen sie, wenn sie »Solidarität« mit ihm anmahnen? Und was hat das mit dem Postulat zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederhole? Abgesehen von den Klischees, die hier klebrig zusammengefaselt werden, zeugen diese Positionen der Linkspartei-Fraktion von einer peinlichen Realitätsferne, die den Verdacht aufkommen lässt, dass es ihr gar nicht um ein reales Israel zu tun ist; vielmehr manifestieren sich in ihnen deutschbefindliche Vermessenheiten.

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Konferenz in Berlin 10. Februar 2018

Mit Moshe Zuckermann, Rolf Becker, Esther Bejarano, Moshé Machover, Jackie Walker u.a.

»Don´t Apologise – Attack!« – Projekt Kritische Aufklärung im Gespräch mit Moshé Machover – YouTube

Projekt Kritische Aufklärung im Gespräch mit Avishai Ehrlich – YouTube

https://youtube.com/watch?v=o_fFlC1umv0%3Ffeature%3Doembed

https://youtube.com/watch?v=jTbhyPkyKJg%3Ffeature%3Doembed


»Zur Zeit der Verleumder«

Eine ideologiekritische Intervention gegen die Instrumentalisierung von Juden, Judentum und der jüdischen Katastrophe

https://youtube.com/watch?v=pP8ulYAKx-k%3Ffeature%3Doembed

Der Rechtstrend in der westlichen Welt hat bizarre Erscheinungsformen. Linke werden als »Nazis«, jüdische Antifaschisten als »Verräter« diffamiert. Bereits Anfang der 1980er-Jahre klagte der Dichter Erich Fried die Stigmatisierung jüdischer Linker als »rote Antisemiten« durch »Sprecher des Westens« an. Seine von den ersten Verwerfungen des neoliberal radikalisierten Kapitalismus geprägte Gegenwart beschrieb er als »Zeit der Verleumder«. Was damals mit wütenden Polemiken begann, ist heute zu einem Komplex aus Rufmord­kampagnen und Sanktionen ausgewachsen, die aus den etablierten Parteien und AfD, von neokonservativen »Antideutschen«, »Antinationalen« und christlichen Fundamentalisten initiiert und von den hegemonialen Medien propagiert werden.

Kritische Juden sind wüstesten Attacken ausgesetzt: Drohungen, vereinzelt sogar Tätlichkeiten, meist aber Beschimpfungen und Herabwürdigungen, wie »Alibi-Jude« und »selbsthassender Jude«, sogar Holocaust-Überlebender und deren Nachkommen, gehören mittlerweile zum politischen Alltag. Die im September von der Deutschen Bundesregierung angenommene groteske Antisemitismus-Definition, mit der so gut wie jede Kritik an Israel, sogar an »nicht-jüdischen Einzelpersonen und/oder deren Eigentum« als Erscheinungsformen von Judenhass gebrandmarkt werden soll, zielt auf eine Kriminalisierung jüdischer Marxisten und anderer kapitalismuskritischer Linker. Die jüngst von deutschen Bürgermeistern und ihren Magistraten auf den Weg gebrachte Verordnung des Entzugs öffentlicher Veranstaltungsräume, durch den offensichtlich ein Redeverbot für jüdische Linke im Täterland exekutiert werden soll, wird den ohnehin in der Berliner Republik fortschreitenden Prozess der Entdemokratisierung und Einschränkung der Meinungsfreiheit beschleunigen.

Wie konnte es so weit kommen? Bereits 1967 hatte Ulrike Meinhof einen Strategiewechsel der Rechten analysiert, der auf die Vereinnahmung der Opfer des Völkermordes an den Juden durch die Täter und deren politische Erben zielt. Von der »Menschlichkeit der Juden« wolle die von den Springer-Medien flankierte deutsche Reaktion nichts wissen. Hingegen berausche sie sich an der unerbittlichen Härte wie an den »Blitzkriegen« der israelischen Armee und zelebriere deren Einmarsch in Jerusalem als »Vorwegnahme einer Parade durchs Brandenburger Tor«, notierte Meinhof. »Hätte man die Juden, statt sie zu vergasen, mit an den Ural genommen, der Zweite Weltkrieg wäre anders ausgegangen, die Fehler der Vergangenheit wurden als solche erkannt, der Antisemitismus bereut, die Läuterung fand statt, der neue deutsche Faschismus hat aus den alten Fehlern gelernt, nicht gegen − mit den Juden führt Antikommunismus zum Sieg.«

Diese düstere Vision ist längst Realität, zumindest ist Israel zur Projektionsfläche und zum Identifikationsmodell für die rechte »bürgerliche Mitte«, Rechtspopulisten, aber auch für transatlantische Faschisten geworden. Rechtsradikale können ungestört mit dem Slogan »AfD schützt Juden vor antisemitischen Migranten! Wir haben Israel schon immer unterstützt!« Wahlkämpfe bestreiten. Heute, wo die ultranationalistische Netanjahu-Regierung den Judenstaat und Palästina in den Abgrund treibt, gilt mehr denn je, was Meinhof damals konstatierte: »Wäre Israel ein sozialistisches Land, kein Zweifel, diese Sympathien gäbe es nicht.«

Wie die von Neocons und anderen Rechten in Großbritannien organisierte und zur regelrechten Hexenjagd eskalierende Hetze in Form von haltlosen Antisemitismusvorwürfen gegen Jeremy Corbyn und seine (jüdischen) Unterstützer zeigt, sind ähnliche dramatische Verschiebungen der politischen Koordinaten international in vollem Gange  – offensichtlich, um auch noch den letzten Widerstand gegen Sozialabbau und die zusehends skrupellosere Umverteilung von unten nach oben wie gegen Aufrüstung und imperialistische Aggressionen zu brechen.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders irritierend, dass die Mehrheit der deutschen Linken samt ihren Medien diese verheerende Entwicklung verdrängt, beschweigt – nicht selten sogar gegen jüdische Sozialisten und Kommunisten in Stellung geht. Die Hochkonjunktur dieser Kultur des Opportunismus und Kniefalls vor dem, was die Bundeskanzlerin als »deutsche Staatsräson« definiert hat, ist umso verstörender, je deutlicher sich herauskristallisiert, dass die von oben verordnete »Israelsolidarität« gegen die jüdische Linke ein Epiphänomen einer gewaltigen Regression der Aufarbeitung deutscher Vergangenheit im Dienste »deutscher Normalisierung« ist.

In den 1950er-Jahren wurde das von Konrad Adenauer antisemitisch mit »der Macht der Juden« als unvermeidlich deklarierte »Wiedergutmachungs«-Abkommen von israelischen wie deutschen Kritikern nicht nur als dringend benötigte Aufbauhilfe für den Judenstaat, sondern auch als Persilschein für das post- und dezidiert nicht antifaschistische Deutschland und Freibrief für dessen Wiederbewaffnung und Eintritt in die NATO erkannt. Ende der 1990er haben deutsche Linke noch die schändliche Instrumentalisierung der Opfer der Shoah (die erst durch einen imperialistischen Raubzug gegen Polen und die Sowjetunion geschehen konnte) zum »Argument« für neue deutsche Angriffskriege noch als Tabubruch skandalisiert. Heute indes wird die nur durch eine ideologische Verkleisterung von Judentum, Zionismus, Israel auf der einen und Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an der israelischen Besatzungspolitik auf der anderen Seite mögliche Diskriminierung aller Juden, die sich dieser perfiden Praxis nicht beugen wollen, weitgehend hingenommen.

Als wäre das nicht unerträglich genug: Dieser Verrat an der Emanzipations- und Aufklärungsagenda aller fortschrittlichen Kräfte degradiert nicht nur dissidente Juden zu Bauernopfern. Er bedeutet unweigerlich die Kapitulation vor dem deutschen Großmachtstreben, der bellizistischen Regime-Change-Politik der NATO und dem mörderischen Krieg gegen die Flüchtlinge aus Afrika und Asien. Auf der ideologischen Ebene fördert er irrationale kulturkämpferische bis antisemitische Welterklärungsmodelle, Eliten- und Westliche-Welt-Chauvinismus, Islamhass bis hin zu offenen antimuslimischen Rassismus. Nicht zuletzt sind die mit ihm einhergehende Inflationierung des Antisemitismusvorwurfs und die Entleerung und Verdinglichung des kategorischen Imperativs »Nie wieder!« untrügliche Zeichen der Auflösung linker Fundamentalopposition und der Errungenschaften des Historischen Materialismus.

Das 2017 gegründete Projekt Kritische Aufklärung wird diesen dramatischen Niedergang auf einer ideologiekritischen Konferenz mit Vorträgen und anderen Beiträgen von deutschen und internationalen Wissenschaftlern, Künstlern, Journalisten und Aktivisten analysieren, aufarbeiten und Gegenstrategien diskutieren.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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