„Koloniale EU(SA)-Methoden“ (Welsner Friesen-Post)

über die verteiler des Bremischen Politökonomen Dr. Wolfram Elsner, Professor für Volkswirtschaft (so es denn eine wäre) erreichen mich regelmäßig Artikel von Wolfram Elsner und Harald Friese oder welche, die er und Elsner weiter verbreitet sehen möchten. Die werde ich jeweils in der Überschrift als „Welsner Friesen-Post“ kennzeichnen.

interessanter Artikel aus German Foreign Policy, Newsletter vom 8.2.2021

Koloniale Methoden

Russischer Außenminister erhebt schwere Vorwürfe gegen die EU und ihre Sanktionspolitik. Brüssel bemüht sich um russischen Covid-19-Impfstoff.

BERLIN/BRÜSSEL/MOSKAU (Eigener Bericht) – Die russische Regierung setzt sich gegen die zunehmenden Sanktionen und Sanktionsdrohungen der EU zur Wehr. Außenminister Sergej Lawrow hat den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am vergangenen Freitag in einer Pressekonferenz scharf attackiert; EU-Diplomaten stufen den Vorfall als herben Minuspunkt für Brüssel ein. Lawrows Ministerium hatte unter anderem – in Verteidigung gegen Vorwürfe aus der EU, in Russland herrsche beispiellose Polizeigewalt – eine Sammlung von Videoaufnahmen publiziert, die schwere Fälle brutaler Polizeigewalt in der EU sowie in den USA zeigen. Borrell gestand Polizeiübergriffe im Westen offiziell ein. Darüber hinaus weist Moskau drei Diplomaten aus der EU aus, denen es eine Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen vorwirft. Für Berlin kommt dies zu einem heiklen Zeitpunkt: Es sucht den dramatischen Mangel an Covid-19-Impfstoffen durch den Erwerb des russischen Vakzins Sputnik V zu beheben, das hierzulande bis vor kurzem abschätzig beurteilt wurde; darüber hinaus ist es bei wichtigen außenpolitischen Vorhaben auf Moskau angewiesen.

Die Russlandpolitik der EU

Ziel der Gespräche, die der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Ende vergangener Woche in Moskau führte, war es, die bevorstehende Brüsseler Debatte über die Russlandpolitik der Union vorzubereiten. Diese steht beim nächsten Treffen der EU-Außenminister am 22. Februar sowie daran anschließend beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am 25./26. März auf dem Programm. Schon vorab hieß es, Borrell werde vor allem sondieren, bei welchen Themen eine gewisse künftige Kooperation möglich sei. Die Rede war etwa von einer denkbaren Abstimmung bezüglich des Atomabkommens mit Iran, das die EU ebenso wie Russland aufrechterhalten bzw. wiederbeleben will. Zudem hieß es, es solle unter anderem auch über die Lage in Nah- und Mittelost sowie in Nordafrika gesprochen werden. Vor allem in Syrien, in gewissem Maß auch in Libyen verfügt Moskau heute über starken Einfluss; wollen Berlin und die EU sich weiterhin mit einer Vermittlerrolle in Libyen profilieren, führt an Absprachen mit Russland faktisch kaum ein Weg vorbei.[1] Borrells Reise nach Moskau war am Mittwoch vergangener Woche bei einem Treffen des Stellvertretenden Generalsekretärs für politische Angelegenheiten im Europäischen Auswärtigen Dienst, Enrique Mora, mit Russlands Vizeaußenminister Alexander Gruschko vorbereitet worden. Am Freitag traf Borrell dann Außenminister Sergej Lawrow.

Westliche Polizeigewalt

Moskau hat Lawrows Treffen mit Borrell genutzt, um nach den stetigen Attacken der EU im Fall Nawalny – einschließlich neuer Sanktionen [2] – in die Gegenoffensive zu gehen. Bereits vorab hatte das russische Außenministerium, auf die jüngsten EU-Proteste wegen des Vorgehens russischer Polizisten gegen Pro-Nawalny-Demonstrationen Bezug nehmend, ein Video publiziert, das brutale Polizeiaktionen gegen Demonstranten in westlichen Staaten zeigt. So ist zu sehen, wie am Boden liegende Demonstranten hart mit Schlagstöcken traktiert, mit einem Fahrrad überrollt und in einem Fall sogar von einem Polizeiauto überfahren werden. Ausschnitte zeigen, wie Demonstranten gewürgt oder mit dem Strahl eines Wasserwerfers an Wände geschleudert werden. Schauplätze sind laut Aussage des Ministeriums mehrere EU-Staaten (Frankreich, Österreich, die Niederlande, Finnland, Polen sowie Tschechien) und die USA. Auf der Pressekonferenz im Anschluss an das Treffen mit Lawrow nach dem Video befragt, räumte Borrell ein, „exzessive Polizeigewalt“ gebe es „nicht nur in Russland“.[3] Allerdings stehe es den Opfern im Westen stets offen, die Täter vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen. Die Fakten stützen Borrells Behauptung nicht. So wurden nach Zählung von Bürgerrechtlern im vergangenen Jahr 1.127 Personen von US-Polizisten getötet; davon landeten lediglich 16 Fälle vor Gericht.[4] Bei der Niederschlagung der Proteste der gilets jaunes („Gelbwesten“) durch Frankreichs Polizei verloren 24 Demonstranten durch Gummigeschosse ein Auge; auch Todesopfer waren zu beklagen.[5] Justizielle Folgen hatte dies kaum.

„Dialog statt Ultimaten“

Lawrow attackierte Borrell zudem hinsichtlich der westlichen Sanktionspolitik. Anlass war die auf der Pressekonferenz gestellte Frage, wie die EU zu den jüngsten US-Sanktionen gegen Kuba stehe. Borrell war vor seinem Wechsel zur EU als Außenminister Spaniens tätig gewesen; Spanien wiederum hat starke Wirtschaftsinteressen in Kuba, die von den US-Sanktionen massiv geschädigt werden (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Borrell antwortete, die EU lehne das US-Embargo gegen Kuba eindeutig ab: „Wir erwarten, dass die US-Administration ihre Position zu Kuba revidiert.“[7] Lawrow nutzte dies, um unter klarem Bezug auf die Sanktionspolitik der EU zu fordern, „dass wir illegitimen, einseitigen Druck und die Nutzung von Embargos und Blockaden vermeiden sollten“: Man könne nur „durch Dialog ohne Ultimaten, Strafmaßnahmen und einseitige Aktionen“ mit seinen Partnern kooperieren; bei wirtschaftlichen Repressalien handele es sich um „Methoden und Werkzeuge aus der kolonialen Vergangenheit“.[8] Zum Streit im „Fall Nawalny“, der die jüngsten EU-Sanktionen gegen Russland begründet hat, wies Lawrow darauf hin, dass Moskau auf inzwischen vier Rechtshilfeersuchen zwecks Aufklärung des Falls „keine Antwort“ aus Berlin erhalten hat.[9] Die Bundesregierung wiederum verweigert weiterhin eine Auskunft, wieso bislang jede Antwort auf die Rechtshilfeersuchen ausbleibt.[10]

Aus Russland ausgewiesen

Zu der für Brüssel überaus ungewohnten verbalen Gegenoffensive kommt hinzu, dass Moskau gegen drei Diplomaten aus der EU vorgeht, denen es vorwirft, an nicht genehmigten Pro-Nawalny-Demonstrationen teilgenommen zu haben. Betroffen sind Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen. Die Regierungen aller drei Länder weisen den Vorwurf zurück; Außenminister Heiko Maas droht, sollte Moskau „diesen Schritt nicht überdenken“, werde er „nicht unbeantwortet bleiben“.[11] Auch die Ausweisung der drei Diplomaten ist in dieser Form ungewohnt: Griffen bislang üblicherweise westliche Staaten zu solchen Maßnahmen, um Russland weiter unter Druck zu setzen, so liegt die Initiative diesmal bei Moskau, das sich offen gegen westliche Übergriffe wehrt.

Sputnik V

Für Berlin kommt all dies zu einem recht heiklen Zeitpunkt. So haben Politiker in Berlin sowie in Brüssel inzwischen mehrfach erklärt, Interesse am Bezug oder gar an der Lizenzproduktion des russischen Covid-19-Impfstoffs Sputnik V zu haben. Hintergrund ist das umfassende Versagen der EU-Kommission bei der Beschaffung von Vakzinen (german-foreign-policy.com berichtete [12]), das die Union nun sogar über den Kauf von Impfstoffen bei ihrem Rivalen Moskau nachdenken lässt. Bislang wurde Sputnik V in Deutschland abschätzig beurteilt; so hieß es etwa, „Putin“ wolle das Vakzin, das nur „spärlich geprüft“ sei, hauptsächlich als „Werbemaßnahme“ nutzen.[13] Im November hatte die EU Ungarn ausdrücklich vor der Nutzung des Impfstoffs „gewarnt“. Jetzt, da die Union selbst die Anwendung des Mittels in Betracht zieht, heißt es unter Bezug auf aktuelle Studien, Sputnik V sei „ohne Zweifel wirksam“.[14] Moskau ist offenbar zur Unterstützung der Union mit dem Vakzin bereit, wenngleich unklar ist, wie es auf etwaige neue EU-Sanktionen reagieren würde, wie sie gegenwärtig im Gespräch sind. Dabei scheint das Haupthindernis freilich ein anderes zu sein: Berichten zufolge dürfte sich die Zulassung von Sputnik V in der EU, die, entgegen anderslautenden Äußerungen, offenbar noch nicht beantragt wurde, über mindestens vier Monate in die Länge ziehen. Der frühestmögliche Zeitpunkt für die Nutzung des Impfstoffs wäre demnach im Juni.[15] Andere Länder, die eine weniger bürokratische Notfallzulassung erteilen, nutzen das Vakzin schon jetzt.

[1] S. dazu Der deutsch-russische Schatz.

[2] S. dazu Die neue Russlandstrategie.

[3] Russia: Remarks by High Representative/Vice-President Josep Borrell at the joint press conference with Foreign Minister Lavrov. eeas.europa.eu 05.02.2021.

[4] 2020 Police Violence Report. policeviolencereport.org.

[5] S. dazu Die Meister der doppelten Standards (II).

[6] S. dazu Die Ära der Sanktionskriege (II).

[7] Russia: Remarks by High Representative/Vice-President Josep Borrell at the joint press conference with Foreign Minister Lavrov. eeas.europa.eu 05.02.2021.

[8] David M. Herszenhorn, Jacopo Barigazzi: Borrell stands by as Lavrov calls EU ‚unreliable partner‘. politico.eu 05.02.2021.

[9] Thomas Gutschker, Friedrich Schmidt: Moskau belehrt den Gast aus Brüssel. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.02.2021.

[10] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Dr. Alexander S. Neu, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/25703. Berlin, 06.01.2021.

[11] Die EU und Russland sehen ihr Verhältnis am Tiefpunkt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.02.2021.

[12] S. dazu Das Impfdesaster der EU.

[13] Katharina Wagner: Der Sputnik-Moment bleibt aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.08.2020.

[14] Katharina Wagner: Ohne Zweifel wirksam. Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.02.2021.

[15] Siegfried Hofmann: Der russische Impfstoff Sputnik V dürfte für Europa zu spät kommen. handelsblatt.com 05.02.2021.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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