Gedenken an die „Reichs-Pogromnacht“ in Gründau
Zum Vortrag des Historikers Heinrich-Georg Semmel am 09. 11. 2021 in Gründau-Breitenborn
Dieser Vortrag ließ mich fast sprachlos werden und still gedenken.
Einiges wusste ich schon, aber sehr Vieles noch lange nicht.
Und endlich auch die Gewissheit, dass es außer den beiden jüdischen Unternehmerfamilien Otto und Karl Hecht noch andere jüdische Familien in Mittel-Gründau gab. Auch, dass einige jüdische Familien aus Lieblos, Rothenbergen, dem Gericht Gründau, der späteren Gemeinde Gründau und aus Roth schon lange vor 1938 nach Frankfurt, (aus Gelnhausen bereits 1937) fliehen mussten, weil sie wirtschaftlich ruiniert wurden, so wie örtliche sozialdemokratische und kommunistische Handwerker, Arbeiter und auch Unternehmer (wie der SPDler &Tiefbauunternehmer Hirsch aus Mittel-Gründau), wenn sie weiterhin mit Juden verkehrten, zusammenarbeiteten, sie weiterbeschäftigten usw. Die jüdischen Familien wurden systematisch verarmt, terrorisiert, ihre Konten gesperrt und konfisziert, die Familienväter wurden wie die Scheuers, die Blumenbachs zusammengeschlagen, ihre Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört, zugemauert und sie mussten, wenn sie die Auswanderungssteuer, das Geld für die Papiere & Reisen und das nötige Auswanderungsgeld von 1000 Reichsmark aufbringen konnten, bis 1941 noch ins Ausland fliehen, in die Türkei, in die UdSSR, nach Amerika oder nach Palästina, wenn sie „wehrfähig“, „handwerklich ausgebildet“ und gesund waren und die 1000Reichs-/Goldmark bezahlen konnten. Wer das nicht war & hatte, musste in Verstecke in den Metropolen flüchten.
In Frankfurt wurden viele u.a. im Bäckerweg ( hier besonders im Haus Nummer 3), im Mauerweg, im „Judenversteck“ in der Uhlandstraße 43 aufgenommen, bis sie, von Blockwarten oder tiefbraunen Nachbarn denunziert, von der GESTAPO festgenommen, in die Großmarkthalle gepfercht und von dort in die KZs verschleppt wurden …
Die Stadt Frankfurt hat den Abriss dieses „Judenverstecks“ in der Uhlandstraße, ein gründerzeitlicher 4stöckiger Altbau, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne Einschreiten der Denkmalschutzbehörde und der jüdischen Gemeinde für ein fünf- bis 6stöckiges Mietobjekt mit Topp-Preisen durchgewunken. Für mittlere EZBanker gerade noch bezahlbar. Am Neubau ist noch nicht einmal eine Gedenktafel angebracht. Die würde wohl die neuen Mieter oder Eigentumswohnungskäufer stören.
Die jüdischen Frankfurter Hausbesitzer versteckten spätestens ab 1937 die aus der Provinz vertriebenen Nazi-Opfer unter Lebensgefahr. So auch die letzten Liebloser Juden aus dem Haus der späteren Liebloser PATRAS-Bar. Meines Wissens hießen sie Löwenstein, aber Heinrich Semmel weiß es genauer.
Zum Vortrag von Heinrich Semmel habe ich nur einige Ergänzungen, die mir wichtig erscheinen:
1981/82 berichteten mir in Polen zwei KZ-Überlebende Frauen (Hannia Wiatrowski /Theresienstadt/Auschwitz und Dr. Hanna Goldstein/Kinder-KZ Litzmannstadt/Lodz), dass in Lodz polnische, deutsche, tschechische, ungarische, französische, holländische, belgische, italienische usw. .. ARBEITSFÄHIGE jüdische Menschen nicht in das Vernichtungslager eingeliefert wurden. Alte, Kranke Schwangere, Kleinstkinder kamen gleich ins Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof). Die aussortierten Arbeitsfähigen mussten in einer KZ-ähnlich gesicherten Uniform-Fabrik für die Wehrmacht Uniformen bis zum Umfallen, „bis zur Vergasung“ nähen. Es gab ein extra für Vorarbeiten wie Material sortieren, Zuschneiden, und Nacharbeiten, wie Verpacken usw. eingerichtetes Kinder-KZ .
Diese Produktion war kriegswichtig, es wurde laufend der Personalbestand aufgefüllt, wenn das SS-Programm „Vernichtung durch Arbeit“ ‚zielführend‘ wirkte. Dr. Goldstein berichtete, dass die Kinder aus dem KZ im Winter 1944/45 wegen des Vorrückens der Roten Armee in „Reih und Glied“ antreten mussten und zusehen, wie die SS die Uniformfabrik in Brand setzte, die Eltern-Generation aus den Fenstern der oberen Stockwerke springen wollte und sprang, um sich zu retten. Die Kinder mussten mit ansehen, wie die SS auf ihre bereits brennenden, stürzenden Eltern das Feuer eröffnete und die Menschen „im Flug“ abschoss.
Frau Dr. Goldstein hat dieses Inferno überlebt, weil auch das Kinder-KZ in Lodz von der Roten Armee befreit wurde. Sie gehört zu den ersten Frauen, die im Nachkriegs-Polen Medizin studierten. Ihre Arbeit als Kinder-Kardiologin war so wichtig, dass sie aus Internierungshaft unter Gomulka und dann wieder unter Jaruzelski entlassen werden musste.
Beide Frauen sind gebürtige Lodzerinnen. Hannia Wiatrowski musste beim Einmarsch der Wehrmacht das Medizin-Studium abbrechen, wurde exmatrikuliert. Als dann von den Nazis eingesetzte Lagerkrankenschwester in Theresienstadt und Auschwitz konnte sie zahlreichen Menschen das Leben retten – auch, weil sie sie „arbeitsfähig“ machte. Kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee gelang es ihr, aus einem Haufen vergaster Frauenleichen zwei notgeborene Kinder zu retten, deren Schreien sie gehört hatte. Sie suchte und fand sie, nabelte sie ab und versteckte sie in der Krankenstation im Stroh-“bett“ ihrer Mutter, versorgte sie, gab sie als eigene aus usw … die in panischer Angst vor den heranrückenden russischen Verbänden ihre Flucht organisierenden Wachmannschaften ist im Abzugslärm wohl das Kindergeschrei nicht mehr zu Ohrengekommen. Beide Kinder haben überlebt. Eines der beiden Mädchen wanderte nach Australien, das Andere nach Kanada aus.
Es wäre durchaus möglich, dass Frau Doktor Goldstein oder ihre Eltern in Lodz , in Theresienstadt, in Auschwitz Juden aus dem Gründau- und/oder dem Kinzigtal getroffen haben.
Leider habe ich vor 40Jahren beide Frauen nicht danach gefragt.
Über das Leben dieser beiden Frauen und zwei weiterer, einer Hanauer Widerstandskämpferin und die als einzige ihrer jüdischen Familie überlebende Frau Weißbecker schreibe ich seit über 40 Jahren.
Die Geschichte des Danziger Gynäkologen Dr. Henryk MAREK, dessen Familie im KZ-Stutthof in der Nähe von Danzig ermordet wurde, der als erster Medizinstudent im befreiten Polen parallel zum Studium Warschau mit wiederaufbaute und danach Gdansk, Gdynia, Sopot … , diese Geschichte erzähle ich hier jetzt nicht. Weil sie ja nichts mit Gründau zu tun hat. KZ Stutthof – Wikipedia
Für die kommenden langen Winterabende unter strengen CORONA-Regeln habe ich hier Einiges zum Nachlesen verlinkt: (wer Fehler findet, kann sie mir schicken, darf sie aber auch behalten, ohne was dafür zu bezahlen!)
Hier folgen zunächst Bilder meiner Reportage von 1982 mit Frau Dr. Goldstein, der 80 jährigen Hannia Wiatrowski, meiner LKW-Beifahrerin und dem Danziger Gynäkologen Dr. Henryk Marek.
„Putztruppen“ & “Oppenheimer-Effekt”? Fragt den TATORT-Autor Peter Zingler! – barth-engelbart.de
In meinen Romanen und den Roman-Fragmenten habe ich viele Namen etwas verschlüsselt. Da werden aus Fischern schon Mal Metzger … und ohne sie damit vergleichen zu wollen … wurde aus Frau Dr. Hanna Goldstein:
Dr. Anna Silberberg-
hat das Kinder- KZ- Lodz überlebt, musste mit ansehen, wie die Nazis die Uniformfabrik in Lodz in Brandschossen, in der einige Hundert
KZ-ZwangsarbeiterINNEN eingesperrt waren, wenn diese noch Menschen als brennende Fackeln aus den Fenstern sprangen, um sich eventuell noch vor den Flammen retten zu können, wurde das Gewehrfeuer auf sie eröffnet. Die in Reih und Glied angetretenen Kinder aus dem Kinder- KZ wussten, dass ihre Eltern in dieser Fabrik eingesperrt waren. Anna studierte Medizin und wurde in Polen
Kinder-Kardiologin, sie saß bereits zwei Mal in Polen im Internierungslager:
einmal unter Gomulka und das zweite Mal unter Jaruselski. Beide Male musste sie wieder entlassen werden, weil man sie als Herz-Spezialistin brauchte. ….
( wer auf meiner Seite den Suchbegriff Lodz eingibt, findet da über 50 Texte. Ich habe ein paar ausgewählt)