Nachdem ich den Kindern im Musik-Unterricht und in den Nachmittagsgruppen sowie im Chor der Hanauer „Lamboy-Kids“ die Geschichte des Liedes „Winter adé“ und seine Herkunft aus den Bauernkriegsregionen in Franken, im Tauber- und Jagsttal sowei rund um Würzburg erklärt und ihnen vom Schicksal der Würzburger Bürgermeisters und Künstlers Tillmann Riemenschneider erzählt und ihnen Bilder von seinen Schnitzereien gezeigt hatte, haben sie mit ihrer Migrations- und Fluchtgeschichte, ihren Kriegstraumata im Hinterkopf -sofern wir die nicht wenigstens notdürftig zusammen bearbeitet und bewältigt hatten- dieses Lied wie auch andere „Kinderlieder“ …
((wie auch das „Hoppe, Hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er, fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben, fällt er in den Sumpf, dann macht der Reiter plumbs! (mit Schwert und Lanzenstumpf im Moor bis übern Rumpf sinken Ross und Reiter .. immer weiter)“ damit hat die Oma früher die Kinder beruhigen können, weil vor dem Krabat muss man Dank der klugen Raben jetzt keine Angst mehr haben …:-)))))) Der Krabat war der Name der gefürchteten kroatischen Reiter im 30jährigen Krieg. Diese kroatischen Reiter haben übrigens auch 1848 oder erst 1849 in Wien den Robert Blum trotz seiner Immunität als Paulskirchen-Abgeordneter unter dem Kommando des Generals von Waldersee durch Erschießen hingerichtet))
… sehr gut verstanden und im bäuerlichen Walzertakt trommelnd und klatschend, mit Fußstampfen tanzend begeistert gesungen.
Ich hatte ihnen zuvor auch die Szenerie der Entstehung vorgespielt: für die Bauern im „Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“ -mit ihrer Hoffnung auf Erlösung durch den „Weißen Ritter“, den „Weißen Hirsch“ (der vom fürstlichen Jägermeister erschossen wird) und das „Weiße Einhorn“- war der Winter nicht nur das Synonym für Not und Hunger, Pest und Cholera. Der „Winter“ war das Geh-Heim-Wort für den räuberischen Adel und Klerus, für die Raubritter, die die Dörfer überfielen, plünderten, brandschatzten, vergewaltigten, mordeten …
Sie „bekehrten“ mit Feuer und Schwert, verboten ihnen ihre Mutter-Sprachen und zwangen sie zum „Abschwören“ in Drei-Gottesnamen, den sie auch geraubt hatten wie die drei Hasen, die Drei Stöck, die Drei Fruchtbarkeits-Stöcke an jedem größeren Bauernhoftor, (die die Bauern noch lange besangen: „Unsren Eingang segne Gott, unsern Ausgang gleichermaßen!“), die Feen, die Allerheiligen in den Wäldern, die sie zu Halloween & Hollywood verballhornten. Gerade so, wie in vielen der heutigen Kriegs- und Krisen-, Hunger- und Armutsregionen, aus denen die Kinder alleine oder mit ihren Restfamilien geflohen waren …
Da wurden die Augen und Ohren ganz groß, wenn ich vorspielte, wie die schwergerüsteten Raubritter mit ihren ebenfalls gerüsteten Rossen ins Dorf einfielen und sich alles nahmen, Vieh abschlachteten und raubten, sich nach getaner Mordsarbeit von den Überlebenden bewirten und bedienen ließen, fraßen, vergewaltigten, soffen und sich noch berauscht auf die Pferde setzen ließen und dabei die Bauern aufforderten, ein fröhliches Abschiedslied zu singen und etwas von ihren Bauerntänzen lachend vorzutanzen.
Dass diese Lieder und die Tänze ihnen später auch geraubt und von ihren Peinigern höflich, höfisch und gut großbürgerlich gemacht wurden, ist fast in Vergessenheit geraten.
Viele Musikstücke von Bach, die Strauß’schen Walzer, der romantische Liederschatz sind Raubkunst, umgeschriebene Handwerker- & Bauernlieder und -tänze.
Nur, wenn man die „Geh-Heimsprache“ der Wanderburschen, der Wandergesellen, der Wanderjuden dechiffrieren kann (und will), versteht man diese Lieder und Tänze wirklich:
So haben denn auch die härtesten „Streetfighter“ ( das ist im Englischen weiblich und männlich!) unter meinen „Lamboy-Kids“ einige dieser Lieder auf ihre Lage umgedichtet. Am drastischsten das folgende Lied:
„Winter adé, Scheide tut weh, das hat Dein Schwert gemacht, hat mich fast umgebracht
Oder „Winter adé, Scheide tut weh, Dein Eiszapf schmolz über Nacht, hab mich halb totgelacht
Oder
Winter adé, Scheide tut weh. hat Dich ganz heiß gemacht, Eiszapf schmolz in der Nacht
oder ganz brutal, wie es manche Kinder in den Kriegen zuhause mit ansehen mussten, wenn die Terroristen in die Dörfer einfielen-:
Winter adé, Scheide tut weh, das hat dein Schwanz gemacht, der hat mich umgebracht …. der wird jetzt abgeschlacht … kurzer Prozess gemacht … wird jetzt kopflos gemacht … wirst jetzt schwanzlos gemacht …
Es ist für uns kaum vorstellbar, wie tief traumatisiert diese Kinder waren und sind …
Das Singen dieser dechiffrierten Lieder, auch das uns so brutal erscheinende Umtexten und das Singen dieser Umschreibungen, war und ist für diese Kinder ein Akt der Befreiung. Es ist die Externalisierung ihrer Traumata, denn es sind ja nicht sie selbst, die sich da so grausam rächen, es sind die mittelalterlichen Bauern in Deutschland.
Darüber müsste ich Bücher schreiben, aber besser sind Lesungen, Berichte, Zeitzeugen-Befragungen. Dazu könnte ich auch einige der sehr stark gewordenen „Kinder“ mitbringen…, die quer durch alle Berufsfelder vom Arzt, der Architektin bis zur Akkordarbeiterin, ..vom Professor bis zur Prostituierten, von Deutschlehrerinnen bis zu Drogen-Dealern, Karosseriebauern bis Kurierfahrern, Autohändlern bis Autonomen Sozial- und Kulturarbeiterinnen., Versicherungs- und Bankangestellten bis zur Fach-Verkäuferin im Supermarkt ehrlicher Erwerbsarbeit nachgehen, soweit sie nicht coronal-kollateral-verHARZT, verkurzarbeitet, entlassen und einkommenslos sind.
Und da sie aus dem dechiffrierten Lied „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ wussten, was mit dem Kuckuck gemeint war, machte ihnen die zweite Strophe Hoffnung:
Winter adé,
scheiden tut weh,
Gehst Du nicht bald nach haus
lacht Dich der Kuckuck aus
Winter adé
Scheiden tut weh
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