Stepan Bandera & die gespaltene Erinnerung an die Gewalt in der Ukraine

     

Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe | 19.02.2022 | Q 41 | Artikel

Stepan Bandera und die gespaltene Erinnerung an die Gewalt in der Ukraine

Ein Essay

Kaum eine andere Person ist in der West- und Ostukraine so unterschiedlich in Erinnerung geblieben wie Stepan Bandera. Während in der Westukraine in den letzten zwanzig Jahren Denkmäler und Museen für ihn errichtet wurden, wird er bis heute in der Ost- und Zentralukraine als Verräter, Massenmörder und Faschist wahrgenommen. Diesen gegensätzlichen Erinnerungen liegen sowohl die nicht aufgearbeitete Geschichte der stalinistischen Gewalt, des Holocausts und des Faschismus zugrunde als auch die gegenwärtige schwierige politische Situation und der seit 2014 andauernde Konflikt mit Russland. Warum aber ruft ausgerechnet der am 15. Oktober 1959 in München ermordete Bandera so viele Emotionen hervor, und warum dient er gleichzeitig als ein Symbol der Freiheit und des Verrats, wenn es um politische Konflikte und militärische Auseinandersetzungen innerhalb der Ukraine oder mit Russland geht? Warum werden über ihn immer neue Hagiographien veröffentlicht und warum wird sein Grab auf dem Münchener Waldfriedhof regelmäßig geschändet?

Die ukrainische Diaspora feierte am 17. Oktober 2009 in München den 50. Jahrestag des Attentats auf Stepan Bandera, das am 15.

Oktober 1959 in München verübt worden war

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Auf diese Fragen gibt es keine einfache Antwort. Die Gründe für die gespaltene Erinnerung an den ukrainischen „Nationalhelden“ lassen sich jedoch in seiner Biographie, in dem um ihn betriebenen Personenkult und der komplizierten Geschichte der Ukraine finden. Stepan Bandera wurde am 1. Januar 1909 in dem ostgalizischen Dorf Staryj Uhryniw, als Sohn eines griechisch-katholischen Priesters geboren. Zu dieser Zeit lebten etwa 20 Prozent aller Ukrainer in der Habsburgermonarchie und etwa 80 Prozent im Zarenreich. Im Ersten Weltkrieg sah Bandera als Kind zu, wie unmittelbar vor seinem Haus Ukrainer auf beiden Seiten der Front gegeneinander kämpften. Ebenso war er Zeuge davon, wie die 1917 in Kiew und 1918 in Lemberg proklamierten ukrainischen Staaten von der Roten Armee und der polnischen Armee besiegt wurden.

Wie viele andere Ukrainer seiner Generation, die in der Zweiten Polnischen Republik lebten, schloss sich Bandera zuerst der Ukrainischen Militärischen Organisation (UVO) und anschließend der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) an. Beide waren von ukrainischen Veteranen des Ersten Weltkriegs gegründet worden; die UVO 1920 in Prag, die OUN 1929 in Wien. Besonders der OUN gelang es, junge Ukrainer für den Kampf für einen ukrainischen Staat zu mobilisieren. Sie wirkte jedoch ausschließlich im polnischen Untergrund und war in der sowjetischen Ukraine, wo 80 Prozent der ukrainischen Bevölkerung lebte, vollkommen unbekannt.

Wie in anderen europäischen Ländern wurde in der Ukraine bereits in den frühen 1920er Jahren der italienische Faschismus rezipiert und zugleich ein ukrainischer Faschismus konzipiert. Die OUN verstand den Faschismus als eine Ideologie, die den ukrainischen Nationalismus in seinem Kampf für einen Staat stärkte. Aus diesen Gründen arbeitete sie mit Mussolini, der kroatischen Ustascha und den deutschen Nationalsozialisten zusammen und hoffte darüber hinaus auf militärische Unterstützung Nazideutschlands im Kampf gegen Polen und die Sowjetunion. Wegen seines kompromisslosen Antisemitismus und Antibolschewismus wurde Hitler in der OUN noch mehr geschätzt als Mussolini.

Stepan Bandera

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Bandera wurde Anfang 1933 zum Prowidnyk (Führer) der OUN gewählt. Das Ziel seiner Politik bestand darin, durch die Radikalisierung des polnisch-ukrainischen Konflikts eine nationale Revolution in der Westukraine herbeizuführen. Aus diesem Grund ermordete die OUN 1934 den polnischen Innenminister Bronisław Pieracki. Bereits zuvor waren mehrere andere polnische und ukrainische Politiker, die sich um eine Entspannung des polnisch-ukrainischen Konflikts bemühten, zum Ziel von Attentaten geworden.

Pierackis Mord stellte jedoch eine Zäsur dar. Er brachte den Bandera-Kult hervor, weil andere OUN- Angeklagte ihrem Prowidnyk im Gerichtssaal mit dem faschistischen Gruß ihre Treue bezeugten und Bandera selbst behauptete, dass im Kampf um die Freiheit der Ukraine „nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen“.

Zwar blieb Bandera die Todesstrafe erspart, aber er konnte erst nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs aus dem Gefängnis fliehen. Als Bandera im Gefängnis saß, radikalisierte sich die OUN weiter. Ideologen der Bewegungen wie Wolodymyr Martynez konzipierten eine rassistische Form des ukrainischen Antisemitismus. Andere wie Mykola Kolodzinskyj verfassten bereits 1934 mit Mussolinis Unterstützung Pläne, wie Juden und Polen aus der Ukraine teilweise vertrieben, teilweise ermordet werden könnten, um einen homogenen ukrainischen Staat zu gründen. Bandera selbst nutzte die Zeit im Gefängnis um andere ukrainische Häftlinge wie Hryhoryj Perehiniak, die später im Zweiten Weltkrieg Massenmorde begingen, ideologisch zu beeinflussen und zu radikalisieren.

Vom Beginn des Zweiten Weltkriegs bis zum Überfall auf die Sowjetunion hielt sich Bandera in Krakau auf, der Hauptstadt des Generalgouvernements, und unterstützte die Wehrmacht und die Abwehr bei der Vorbereitung der Operation Barbarossa. Gleichzeitig plante er mit Mitgliedern der OUN die Ukrainische Nationale Revolution, die zeitgleich mit der Operation Barbarossa beginnen und zur Entstehung eines ukrainisch-faschistischen Staates mit Bandera als Prowidnyk führen sollte. Zwar gelang es der OUN, am 30. Juni 1941 in Lemberg die Staatlichkeit zu proklamieren und Hitler, Mussolini, Franco und Pavelić um Aufnahme in das „Neue Europa“ zu bitten, aber ihr revolutionärer Plan wurde von Hitler nicht akzeptiert.

Da Bandera sich zunächst weigerte, die Proklamation zurückzuziehen, wurde er verhaftet und bis Herbst 1944 mit anderen OUN-Mitgliedern als politischer Sonderhäftling des Reichssicherheitshauptamts in Berlin und im KZ Sachsenhausen festgehalten.

Lemberger Pogrom, Anfang Juli 1941

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Während Bandera im Gefängnis saß, wurde die Westukraine gewaltsam zu einem ethnisch homogenen Raum umgestaltet. Die OUN und die im Winter 1942 von ihr aufgestellte Ukrainische Aufständische Armee (UPA) trugen dazu maßgeblich bei. OUN-Mitglieder schlossen sich der ukrainischen Polizei im Westen des Landes an und halfen den deutschen Besatzern bei der Ermordung von etwa 800.000 Juden. Auf eigene Initiative ermordeten die UPA-Einheiten etwa 100.000 Polen und vertrieben weitere Tausende aus der Westukraine. Bandera hatte aufgrund seiner Abwesenheit damit zwar direkt nichts zu tun, aber die OUN- Mitglieder und UPA-Partisanen, die an den Massakern, Deportationen und Vertreibungen beteiligt waren, betrachteten ihn nach wie vor als ihren Prowidnyk. Nach seiner Entlassung schrieb Bandera über den Holocaust und die von der UPA ermordeten Polen kein Wort und erwähnte sie auch in Reden und Interviews nicht. Bereits 1945 nahm er Kontakt zu westlichen Geheimdiensten auf, baute mit ihrer Unterstützung ein OUN-Zentrum in München auf und unterstützte die UPA beim Kampf gegen die Sowjetunion.

Exhumation der Opfer der ethnischen Säuberung von 1943 in Wola Ostrowiecka, 1992

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Der Kampf in der Westukraine zwischen der UPA und dem NKWD wurde äußerst brutal geführt und dauerte jahrelang. Noch zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spürte der NKWD die letzten ukrainischen Partisanen auf. Um OUN und UPA endgültig aufzulösen, deportierte der NKWD ihre Familien ins Innere der Sowjetunion und verhaftete und ermordete eine große Anzahl von Unterstützern der Bewegung. Nach sowjetischen Angaben wurden in der Westukraine unter anderem wegen des Verdachts einer Zusammenarbeit mit der OUN-UPA 153.000 Personen ermordet, 134.000 verhaftet und 203.000 deportiert. Ukrainische Nationalisten ermordeten bis 1953 20.000 Zivilisten und 10.000 NKWD- Mitarbeiter bzw. Angestellte des sowjetischen Verwaltungsapparats. Fast jede Familie in der Westukraine

erlitt Verluste in dem äußerst brutalen Konflikt, den Bandera aus München unterstützte und politisch für sich nutzte.

Der Bandera-Kult gewann nach dem Attentat in München am 15. Oktober 1959 durch den KGB-Agenten Bohdan Staschinski erneut Auftrieb. Der ermordete Bandera erschien vielen als ein Symbol des ukrainischen Freiheitskampfes gegen die Sowjetunion. Seitdem wurde der ukrainische Prowidnyk von seinen Anhängern, von denen mehrere Tausend 1944 die Ukraine zusammen mit den Deutschen verlassen hatten und in westlichen Ländern lebten, auf antisowjetischen Demonstrationen und jährlichen Feierlichkeiten um den 15. Oktober in Städten wie München, London, Toronto und New York als Nationalheld und Freiheitskämpfer gefeiert. Die sowjetische Propaganda, die Bandera als einen Verräter und Anführer von Faschisten und Kapitalisten bezeichnete, verstärkte dadurch den um ihn betriebenen Kult und motivierte die Veteranen seiner Bewegung, 1978 in London ein Museum für ihn zu errichten. Das bekannte OUN-Mitglied Petro Mirchuk veröffentlichte bereits 1961 die erste Hagiographie über den Prowidnyk.

Auf den jährlichen Gedenkveranstaltungen wurde die Beteiligung ukrainischer Nationalisten am Holocaust und die Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung in Wolhynien und Ostgalizien nie thematisiert. Im Gegensatz wurde der Terror des NKWD lebhaft erinnert. Ebenso populär waren Erzählungen über die große Hungersnot, die sich 1932 und 1933 in der sowjetischen Ukraine ereignet hatte und der zwischen drei und vier Millionen Ukrainer zum Opfer gefallen waren. Narrative wie diese dienten vorrangig dazu, die OUN-Kollaboration im Holocaust mit der Darstellung des Leidens der ukrainischen Bevölkerung zu verschleiern. So behaupteten etwa Veteranen der Bewegung nach der Ausstrahlung der Fernsehserie

„Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss“ 1978 in zahlreichen Publikationen, dass durch die Hungersnot mindestens 6 Millionen Ukrainer durch Stalin und seine jüdischen Kommissare ermordet worden seien. Sie spielten bewusst auf die Zahl 6 Millionen an, um den Holocaust zu relativierten und die Leiden der ukrainischen Bevölkerung in den Vordergrund zu rücken. Einige Autoren behaupteten sogar, dass in der Hungersnot 10 bis 15 Millionen Ukrainer ermordet wurden.

Enthüllung des Bandera-Denkmals am 13. October 2007 in Lviv

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Nach dem Zerfall der Sowjetunion brachten OUN-Veteranen den Bandera-Kult in die Westukraine zurück. Die ersten zwei Bandera-Denkmäler, die 1990 in seinem Geburtsort Staryj Uhryniw 1990 enthüllt wurden, wurden noch vom NKWD gesprengt. Das dritte Denkmal, das „symbolisch“ aus einer eingegossenen Lenin- Statue angefertigt wurde, steht dort bis heute unversehrt. Wie im westlichen Nachkriegsexil wurden auch in der Ukraine Museen über Bandera eröffnet, Hagiografien über ihn publiziert und Musikfestivals nach ihm benannt. Weil Bandera sich aufgrund seiner Zeit als Häftling im NS-Gefängnis nie persönlich an der Ermordung von Juden oder Polen beteiligt hatte und später selbst vom KGB ermordet wurde, eignete er sich perfekt als ein Symbol des nationalen Freiheitskampfes. Besonders nach dem Ende der Sowjetunion diente Bandera als Argument, um Anschuldigungen wegen der Kollaboration im Holocaust und der Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung abzuwehren. Während der Majdan-Proteste 2013 und 2014 in Kiew wurde Bandera nicht nur von nationalistischen, sondern auch von sich für die Demokratie einsetzenden Ukrainern als Identifikationsfigur genutzt. Seine politischen Ansichten und ideologischen Einstellungen sowie seine Rolle als der Prowidnyk einer Bewegung, die einen faschistischen Staat proklamierte, ihn von Juden, Polen und Russen säubern und mit Hitler, Mussolini, Franco und Pavelić kollaborieren wollte, sind vor allem in der Westukraine und der ukrainischen Diaspora bis heute weitestgehend unbekannt.

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Und beim Fahnenapell beim “Auslandseinsatz”: “wenigstens Maskenfrei zum Gebet!” Wenn jetzt Steinmeier sich für die Steigerung der Impfquote im Senegal einsetzt (Bisher unter 6%) und die Errichtung von entsprechenden Produktionsanlagen in Afrika fordert, könnte man die Lanzen oben durch Spritzen ersetzen Vielleicht ändere ich meine Fotocollage aus dem Jahr 1991 noch Mal entsprechend und ergänze das Bush-Zitat mit dem Marschbefehl des Bill Gates: “Not Missiles! Microbes!” Und dann ist die Collage auch so interpretierbar: es handelt sich um einen humanitären Einsatz der NATO zur Rettung COVID-19-erkrankter Menschen. Oder wie es Muammar Gaddafi vor der UN-Vollversammlung 2009 gesagt hat: “Sie schaffen ein Virus und verkaufen uns dann den Impfstoff dagegen!”

Den “Neuen Krefelder Appell” gegen die Kriege an der “Heimatfront” und die als “Auslandseinsätze” schöngeredeten Angriffskriege an der NATO-Ostfront, in Afrika, in Fernost, im Jemen, in Syrien usw… unterzeichnen! Das geht sehr einfach hier: Den Kriegstreibern in den Arm fallen, online unterzeichnen – barth-engelbart.de
https://peaceappeal21.de/ 

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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