Die Kraft der Musik: Jura Soyfers Dachaulied (und wo ist das “Soyfer-Projekt” von 2001 geblieben?)

Ein aktionsorientierter Kommunist, ein Aktivist, ein ungewöhnlicher Wiener Künstler

Zunächst Dank an einen Hamburger Blogger, der mich darauf aufmerksam gemacht hat. Dank auch an jene Musiker, die bei der “Konferenz GEGENÖFFENTLICHKEIT” 2000/2001 in der Berliner Universität der Künste gerade dabei waren, das “Jura-Soyfer-Projekt” zu erschaffen, zu vollenden. Wo sind sie geblieben? Sie hatten mich beneidet, da ich im Gegensatz zu ihnen an keinem halb-/staatlichen Kultur-Subventions-Tropf hinge und deshalb so offen und klar polarisieren könne. Ohne Brot zur Not?! Nur gegen honoRAR!? Wegen Engagement kein Engagement!? Hat das “Soyfer-Projekt” der Beiden trotz des Würger-Knebel-Geldes das Licht der Welt erblicken und unsere Trommelfelle anklopfen können? Einer der Heldinnen in meinem Kinder-Roman: “Funny und die Salzdiebinnen von Wien” sagt es im Ottakringer-Dialekt etwas dialektisch: “Bevor i zuam Säufa ward, ward i lieba zuam Soyfa!” Funnys Bruda Freddy ist der “Kauntry-King von Ottakring, abba nur em Kella!”, dabei ist er ja schon ein richtiger Straßenfeger, wenn er in den Kneipen auf der Brigittenau die LEIT besingt. Da strömen im Viertel nicht nur die Viertele durch den Hals. Das ist wahre LEIT-Kultur. (Sorry, den Ottakringer-Släng muss ich erst wieder lernen!)

https://www.buchenwald.de/geschichte/biografien/ltg-ausstellung/jura-soyfer?utm_source=linkedin&utm_medium=social&utm_content=ap_5hixdbbbuc

Jura Soyfers Werk ist ein Dokument der 1930er Jahre und dennoch heute immer noch aktuell. Seine Gedichte, Feuilletons, Theaterstücke und Kabarettnummern handeln von der Selbstbestimmung des Menschen im Zeitalter einer rasanten technischen Entwicklung, aber auch von der Utopie einer gerechten Gesellschaft. 

 Diese Welt steht auf keinen Fall mehr lang- trifft unsere Zeit

                                                         Wie Brecht, nur viel humorvoller:

https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/Institute/INZ/Bio_Archiv/bio_2012_12.htm
 Zu Leben und Werk des vergessenen Theaterautors Jura Soyfer

Ladies, Gentlemen, ich wünsche Ihnen einen recht angenehmen Weltuntergang“, heißt es in Adam McKays prominent besetzter Filmsatire „Don’t look up“ aus dem Jahr 2021, die man als Parabel auf den Klimawandel lesen kann. Der österreichische Dramatiker Jura Soyfer drückt Ähnliches um einiges direkter aus: „Gott, wird das an Plantsch geben.“

Liest man das erste Bild seines 1936 entstandenen Stückes „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“, in dem die Sonne den Tanz der Planeten dirigiert, fühlt man ein nahes Ende mit Schrecken: Das kosmische System ist in Dissonanz geraten, schuld ist die Erde und vor allem deren Bewohner. Es wird beschlossen, dass der Komet Konrad, eigentlich auf dem Weg zu einem Rendezvous mit einer Sternschnuppe, die Ordnung durch einen Aufprall auf die Erde wiederherstellen soll. Der Mars ordnet an: „Prall mit aller Wucht auf die Erde auf! Es bringt einen Tippel – aber an der Erschütterung gehen garantiert alle Erdmenschen zugrund!“ Und so endet dieses erste surrealistische Bild, sprachlich zwischen dem Dadaismus eines Schwitters und der Neuen Sachlichkeit eines Tucholskys mäandernd, mit dem Plantsch-Ausspruch des armen Konrads „im Absausen“, so die Regieanweisung.

Dass Soyfer sein Stück trotzdem hoffnungsvoll enden lässt, wirkt 1936 rückblickend wie ein verzweifelter Wunsch nach einem Happy End: Konrad verliebt sich in die Erde, weil er sie „so ein bisserl kennengelernt“ hat – er spricht „Das Lied von der Erde“, mit den humanistischen Zeilen: „Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde, /Und ihre Zukunft ist herrlich und groß!“

Das ist typisch für den heute nahezu vergessenen Dramatiker Soyfer. Als Mitglied der KPÖ, der Kommunistischen Partei Österreichs, ging es seinem Theater stets darum, performative Aufforderungen zum aktiven Protest zu inszenieren – ganz ähnlich wie in Brechts epischem Theater, nur humorvoller.

Dass die im „Weltuntergang“ erhoffte Zukunft ein paar Jahre später aufs Äußerste gefährdet sein würde, konnte er bereits ahnen, aber nicht mehr erleben – Soyfer, 1912 in Charkow (Ukraine) geboren, stirbt 1939 im KZ Buchenwald an Typhus. In die Gefangenschaft kam er durch eine Verwechslung mit dem Kommunisten Franz Marek, aber als man bemerkte, dass Soyfer kritische Theaterstücke geschrieben hatte, behielt man ihn trotzdem in Haft; er wurde dann aufgrund einer Amnestie kurzzeitig wieder freigelassen, wollte auf Skiern fliehen, wurde dann aber wieder verhaftet, ins KZ Dachau gebracht und von dort ins KZ Buchenwald, wo er erkrankte – die nahende Rettung durch ein Affidavit seiner in die USA emigrierten Eltern kam zu spät.

Zurück zu seinem vergessenen Stück „Der Weltuntergang“. Ein episodenhaft daherkommendes, absurdes Szenengefüge in elf Bildern. Zwischen dem Plan und der Verhinderung der Erdzerstörung stehen Bilder, die manchmal wie eine Revue anmuten, dann wieder wie ein Stück politisches Zeitkabarett daherkommen, aber literarisch immer originell komponiert sind. Wir begegnen einer frühen Führerparodie, einer Blaupause für Chaplins „Der große Diktator“. Ein bisschen steht auch Karl Krauss’ „Die letzten Tage der Menschheit“ Pate.

Dass im vorletzten Bild die US-Millionärsfamilie Rockford, die denkt, durch ein Weltraumschiff für Reiche gerettet zu werden, erfahren muss, dass sie einem Schwindler auf den Leim gegangen sind, könnte alleine eine wunderbare Hochstaplergeschichte Walter Serners oder auch Erich Kästners sein, durchdrungen ist sie in der streckenweise bewussten Anarchie und Albernheit auch von den Marx-Brothers. Der Untertitel, „Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“, ist wiederum Nestroys „Kometenlied“ aus „Lumpazivagabundus“ entliehen und stellt das Stück somit auch in die Tradition des Alt-Wiener Volkstheaters.

So reich dieses Stück ist, so kurz ist es auch – gerade einmal zwanzig Seiten umfasst Soyfers Text. Auch seine anderen vier Dramen sind nicht viel länger. Alle eint eine humorvolle Spielart von Weltflucht. In „Vineta“ (1937) ist es ein versunkenes Reich, das vor Diktaturen warnen soll, in „Astoria“ (1937) ist es der erfundene, titelgebende Gedankenstaat. In „Der Lechner-Edi schaut ins Paradies“ (1936) reist die Titelperson durch die Zeiten zu Galvani und Galilei, um die Erfindung der Elektrizität rückgängig zu machen, da sie der Grund seiner Arbeitslosigkeit sei. In diesem Stück gibt es übrigens auch einen sprechenden Motor, einer KI-Kritik avant la lettre sozusagen. Und im letzten Stück, „Broadway-Melodie 1492“ (1937) wird in der Historie die Gegenwart entdeckt und vielleicht am konkretesten vor dem Faschismus gewarnt.

„Der Weltuntergang“ wird im Frühsommer 1936 uraufgeführt und bereits am 11. Juli 1936 wieder abgesetzt; in Soyfers Todesjahr aber wird der „Weltuntergang“ im New Yorker Blackbox Theatre vor 1000 Besuchern aufgeführt und über einen Monat lang gespielt.

Auch in London und Buenos Aires werden seine Stücke ab 1939 aufgeführt. In Österreich und Deutschland lässt Soyfers Wiederentdeckung bis heute auf sich warten. 1974 wurden die Stücke gesammelt von der englischen Exilorganisation Young Austria veröffentlicht, 1975 erlebte die Soyfer-Rezeption Aufschwung durch eine Lesung des kongenialen Helmut Qualtinger im Wiener Audimax. Oft sind es aber inzwischen nur noch kleinere Häuser oder Studenten- und Schülergruppen, die sich seines Werkes annehmen. Die 1988 gegründete Jura-Soyfer-Gesellschaft hat sich der verdienstvollen Pflege seines Werkes verschrieben, und der Theaterwissenschaftler Alexander Emanuely stellt Soyfer werbend in die Reihe der engagierten Literaten, wie sie sich „Camus oder Sartre nur träumen konnten“.

Gerade der „Weltuntergang“ schreit nach einer breitenwirksamen Wiederentdeckung. Das Stück sollte in unseren krisenvollen Zeiten wieder und wieder gespielt werden – es stecken so viel Sprach- und Spielfutter für Schauspieler darin, so viel Assoziations- und Setzungsmöglichkeiten für Regieteams, so viel bösartige Freude am Untergang. Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen wird das Stück in einer szenischen Lesung im Mozarteum zu erleben sein. Da kann man dann überprüfen, wie ernst der „Plantsch“ ist, der uns allen droht. Boris Motzki

Die Idee der F.A.Z.-Reihe „Spielplanänderung“ aufgreifend, präsentieren die Salzburger Festspiele am 17. und 18. August unter dem Titel „Vergessenen Stücke“ österreichische Dramatik, die aus dem Kanon gefallen ist.

Mehr Informationen unter: www.salzburgerfestspiele.at/p/vergessene- stuecke-2024

HaBE dazu vielleicht passend?:

Ursula Behrs Skizzen, dort wo ich 10 Jahre später wieder in Berlin gesungen & gelesen HaBE: in der PRIVATwirtschaft am Prenzlauer Berg bei Thomas Immanuel Steinberg

Alfred Poselt hat die Santitöter portraitiert, die Fegeanfeuerer & ihre “GröFStÄrztaZe”, die GrößtenFeldStabsÄrzteallerZeiten & ihre Opfer … – barth-engelbart.de

schwerMUT & leichtSINN –  Birgit Fuchs-Dohn & Alfred Poselt /“Missing-Links“-Midisage im Arbeits- & Sozialgericht Fulda 24.04 23 / 18Uhr – barth-engelbart.de

Eine neue Kriegsfibel gegen Inlands-& Auslandseinsätze: Bilder: Alfred Poselt & Texte HaBE – ein Projekt in Progress der Gruppe “Missing Links” – barth-engelbart.de

Pete Seeger lebt (weiter), trotzalledem – barth-engelbart.de

Sonnenfinsternis, aber ZACK!ZACK! für Wolfgang Neuss zum 90. Geburtstag – barth-engelbart.de

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Für Karl Moik den Nachruf HaBE ich zum Teil für Georg Kreisler geschrieben – barth-engelbart.de

GRENZGÄNGER & andere Leseproben aus den HaBE-RomanModulen – barth-engelbart.de

Nachruf auf Klaus Renft
gestorben am 9. Oktober 2006
Nachruf auf “Cäsar” Dieter Gläser

an Krebs gestorben, der Bitterfelder Proletenseuche im Oktober 2008

(NachNachruf auf Gerulf Pannach (98) und Pjotr Kschentz (05))

DU LÄSST UNS WEITER FLIEGEN

in der Asche
hirnverbrannter Erde
hast du Blumen
blühen lassen

und ich habe sie gerochen
als die ersten dünnen Sprossen
den verkrustet schwarzen Staub
endlich aufgebrochen
hatten
platzten Knospen
Blüten flogen
Vögeln gleich zur Sonne

Wer sollte ihren Flug aufhalten

Du bist im Oktober
vom Himmel
unter uns
gefallen
auf fruchtbaren Boden

Du lässt uns weiter fliegen

(HaBE 12.01.2007)

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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