Macrons Veto gegen die Neue Volksfront: Sie kann nicht regieren
27. August 2024
27.08.2024: Nach dem Treffen mit der Neuen Volksfront fand im Elysée-Palast eine Konsultationsrunde mit der Rechten statt. ++ Macron lehnt Ernennung von Lucie Castets zur Ministerpräsidentin ab und will die Linke spalten ++ Neue Volksfront ruft zu Mobilisierungen auf ++ Unternehmerverband gegen Regierung der Neuen Volksfront
Am Freitag (23.8.) hatte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit der von der Neuen Volksfront als Ministerpräsidentin vorgeschlagenen Lucie Castets und den Vertreter:innen der Parteien der Neuen Volksfont NFP zu einer Konsultationsrunde getroffen.
Brief der Neuen Volksfront an die Französinnen und Franzosen: „Wir sind bereit“ In einem Brief der Kandidatin der Neuen Volksfront für das Amt des Premierministerin und der Vertreter:innen der Parteien der Neuen Volksfront erklären diese, dass sie regierungsbereit sind, und dass „die Untätigkeit des Präsidenten der Republik schwerwiegend und zerstörerisch ist“.++ Dokumentiert: Inhalt des Briefes |
Am Montagabend (26.8.) veröffentlichte er ein Kommuniqué, in dem er ankündigte, dass er sich weigere, eine Regierung zu ernennen, die aus der Neuen Volksfront hervorgeht und von Lucie Castets als Ministerpräsidentin geführt wird.
„Die institutionelle Stabilität gebietet es, diese Option nicht zu wählen“, argumentiert er, denn eine solche Regierung „auf der Grundlage des einzigen Programms und der einzigen Parteien, die von dem Bündnis mit den meisten Abgeordneten, der Neuen Volksfront, vorgeschlagen wurden, würde sofort von allen anderen in der Nationalversammlung vertretenen Fraktionen abgelehnt werden“, begründet der Staatschef seine Entscheidung und ignorierte damit das Ergebnis der Wahlurnen.
Zwar hat keine Partei wirklich gewonnen, indem sie die absolute Mehrheit errungen hat, aber die Linke hat die Parlamentswahlen nach der Anzahl der Sitze gewonnen. Seit der Veröffentlichung dieses Kommuniqués haben sich alle Politiker der Linken und sogar anderer Parteien zusammengeschlossen, um die vom Staatspräsidenten organisierte „demokratische Verweigerung“ anzuprangern.
Seitdem laufen die Linken Sturm gegen diese „Verweigerung der Demokratie“ und rufen zu Mobilisierungen auf. Die vier Gruppierungen der Neuen Volksfront lehnten es am Dienstag (27.8.) ab, an den von Emmanuel Macron eingeleiteten neuen Konsultationen teilzunehmen. Sie erklärten, dass sie nur unter der Bedingung in den Elysée-Palast zurückkehren werden, um die „Modalitäten“ der Nominierung ihrer Kandidatin Lucie Castets als Ministerpräsidentin zu besprechen.
France Insoumise bekräftigte, dass sie im Parlament einen Antrag auf Amtsenthebung gegen Emmanuel Macron stellen und ein Misstrauensvotum gegen jeden Vorschlag für einen anderen Premierminister als Lucie Castets einreichen werde.
„Wut“, „Schande“, „mondsüchtig, halluzinierend“.
„Die Demokratie befindet sich in einem besorgniserregenden Zustand“, meint Lucie Castets, und hält es für „entscheidend, dass die Menschen sich jetzt mobilisieren“.
„Heute sagt man ihnen, dass Ihre Stimme nichts nützt.“
Lucie Castets im Interview mit France Inter, 27.8.2024
„Wut. Das ist es, was Millionen von uns heute Morgen spüren. Emmanuel Macron sagt uns, dass Wahlen wertlos seien. … Emmanuel Macron hat verstanden, dass unsere Priorität, wie die Franzosen erwarten, darin bestehen wird, seine unfaire Rentenreform rückgängig zu machen und die öffentlichen Dienstleistungen wiederherzustellen. Er sucht nach Ausreden, um uns aufzuhalten“, sagte sie heute morgen (27.8.) in einem Interview mit France Inter.
„Die Erklärung von Emmanuel Macron ist eine Schande“, kritisiert die nationale Sekretärin der ökologischen Partei Marine Tondelier auf X. „Sich auf die Stabilität zu berufen, wenn man ohne jede Absprache das Parlament aufgelöst hat und das Ergebnis einer Wahl nicht akzeptiert, bei der die Franzosen noch nie so zahlreich zur Wahl gegangen sind, ist eine gefährliche demokratische Unverantwortlichkeit“, kritisiert sie.
Die Nummer 1 der Sozialistischen Partei PS, Olivier Faure, sagte auf France 2, dass die Erklärung des Élysée-Palastes „geradezu mondsüchtig und halluzinierend“ sei. Der Präsident versuche, „das Votum der Franzosen zurückzuweisen“ , “ zu erklären, dass man mit denselben Leuten weitermachen wird“, empört sich der Abgeordnete aus Seine-et-Marne: „Wie kann es zu einer solchen demokratischen Verweigerung kommen?“ „Er muss Garant für die Institutionen sein, nicht für seine eigene Stabilität“, kritisierte er weiter.
Aufruf zur „Mobilisierung des Volkes“.
Der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei PCF, Fabien Roussel, ist der Ansicht, dass der Staatschef „eine sehr ernste Krise für das Land auslöst, während die Franzosen bei zwei wichtigen Wahlen den Wunsch nach Veränderung zum Ausdruck gebracht haben“. „Wir werden zu Kundgebungen und zur Mobilisierung aufrufen“, kündigte er an. „Wir werden kämpfen (…) wir werden die Franzosen aufrufen, sich in den kommenden Tagen überall dort zu mobilisieren, wo sie sind, in den Stadtzentren, vor den Präfekturen“, fügte er auf France Bleu Nord hinzu. „Die PCF ruft zur Mobilisierung des Volkes, der Kräfte der Neuen Volksfront und aller vitaler Kräfte des Landes auf, die die soziale und demokratische Dringlichkeit teilen, um die Forderungen nach Veränderung, die die Franzosen und Französinnen bei den Wahlen zum Ausdruck gebracht haben, durchzusetzen“. u
„Der Wahnsinnige im Élysée-Palast löst aus einer Laune heraus die Versammlung auf und setzt sich dann über das Ergebnis der Wahlen hinweg“, schreibt auch François Ruffin, ehemals France insoumise, auf Plattform X. „Das Volk muss Macron im Namen der Demokratie abwählen. Er ist für das Chaos und die Instabilität verantwortlich“, kritisiert der Abgeordnete aus dem Departement Somme.
Der nationale Koordinator von La France insoumise (FI) , Manuel Bompard, verurteilte „den antidemokratischen Gewaltstreich, der auf der Grundlage einer Argumentation erfolgt, die keinen Sinn macht“. „Wenn es eine andere mögliche Koalition gibt, die über eine Mehrheit in der Nationalversammlung verfügt, soll der Präsident der Republik uns sagen, welche das ist“, fügte er hinzu.
Die FI und mehrere Studentengewerkschaften haben bereits für den 7. September zu einer „großen Demonstration gegen den Putsch“ von Emmanuel Macron aufgerufen. In dem Aufruf fordern sie alle politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte, „die sich der Verteidigung der Demokratie verpflichtet fühlen, auf, sich diesem Aufruf anzuschließen“, und fordern „eine entschlossene Antwort der französischen Gesellschaft angesichts des außergewöhnlichen Ernstes der Lage“.
Alle gegen die Neue Volksfront
Gestern empfing Emmanuel Macron Marine Le Pen und Jordan Bardella von der ultrarechten Rassemblement National und dem Flügel von Eric Ciotti, dem (ehemaligen) Präsidenten der Républicains, der sich mit der extremen Rechten verbündet hat. Die Präsidenten der Assemblée Nationale und des Senats, Yaël Braun-Pivet und Gérard Larcher, wurden ebenfalls empfangen.
Dabei haben die Gäste des Elysée-Palastes eine Offensive gegen die Neue Volksfront inszeniert: Das Rassemblement National erklärte, dass es ein „Misstrauensvotum“ gegen „jede NFP-geführte Regierung“ einreichen werde. Für Eric Ciotti ist das „einzig mögliche Bündnis“ die „Union der Rechten“. Zuvor hatten sich die MoDem und Horizon, zwei Komponenten der Macron-Region, für ein „Misstrauensvotum“ gegen eine Linksregierung ausgesprochen.
Der zurückgetretene Premierminister Gabriel Attal, der jetzt auch Fraktionsvorsitzender des Ensemble pour la République (Epr) ist, griff den Vorschlag von Jean-Luc Mélenchon vom Wochenende an, dass France Insoumise bereit sei, auf Minister zu verzichten. Für Attal ist dies „ein Schwindel von Offenheit, ein Versuch einer Machtprobe von Mélenchon“. Attal schlägt weiterhin eine erweiterte Verständigung vor und erklärt, er sei „kompromissbereit“, in der Hoffnung, die Neue Volksfront durch die Abspaltung der Ps (oder eines Teils von ihr) zu brechen.
Die Breitseite gegen die NFP kam gestern auch vom MEDEF, dem größten französischen Unternehmerverband). Auf dem „Unternehmertreffen“ kritisierte der Präsident Patrick Martin die „politische Unklarheit, die schon zu lange anhält“ und forderte den „Vorrang der Wirtschaft in der politischen Debatte und Entscheidungsfindung“.
MEDEF lehnt das Programm der NFP en bloc ab: Nein zur Aufhebung der Rentenreform, die die erste Entscheidung einer Castets-Regierung sein soll, Nein zur Erhöhung des Mindestlohns auf 1. 600 Euro (es droht die Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit), nein zu den Steuererhöhungen, angefangen mit der ISF (Vermögenssteuer), ganz zu schweigen von der Abschaffung oder Abwärtskorrektur der Steuergutschrift für die Forschung, einer Vergünstigung für Unternehmen, die seit der Präsidentschaft von Hollande in Kraft ist, mit einem großen Umfang angewandt wird und für die Bosse und für Macron Teil des „Unantastbaren“ ist.
Macron will „Koalitionsregierung der Mitte“
Nach dem Treffen mit den Fraktionen drängt Macron darauf, seine anfänglichen Positionen durchzusetzen: Er strebt eine Koalitionsregierung der Mitte an, die das, was in den letzten sieben Jahren erreicht wurde, „nicht in Frage stellt“ und „nicht rückgängig macht“. Um dieses Ziel zu erreichen, bleibt es das Ziel, die Neue Volksfront zu spalten. Er appeliert an die PS, die Grünen und die PCF sich von France Insoumise zu distanzieren.
Heute schlug der Präsident eine neue Diskussionsrunde vor, die über die Parteien hinaus auf Persönlichkeiten ausgedehnt werden soll, die sich „durch ihren Sinn für den Staat ausgezeichnet haben“.
Die erste ordentliche Sitzung der Nationalversammlung, die aus der Wahl vom 7. Juli hervorgeht, findet am 1. Oktober statt, aber zu diesem Zeitpunkt muss der Haushalt 2025 bereits mehr oder weniger definierte Konturen haben, auch weil es die Brüsseler Fristen gibt (Frankreich steht wegen übermäßiger Defizite unter Beobachtung).
Doch fünfzig Tage nach der Parlamentsabstimmung und 41 Tage nach dem Rücktritt der Regierung ist die Situation weiterhin festgefahren.
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