Diesseits der Mauer vor 63 Jahren sind da den Bundeswehrsoldaten etwa die Hände abgefault?* Oder lag da nicht die NATOmar schon auf der Lauer?

*Wer kann mir das Strauß-Zitat und die Quelle nennen, das in den Endvierigern/Anfangsfünfzigern sinngemäß so lautete: „Wenn jemals ein Deutscher wieder ein Gewehr in die Hand nehmen sollte, dann soll dem die Hand abfaulen!“

Eine Leserin meiner Seite hat das geklärt:

Lieber Hartmut, Gaus interviewte am 29.04.1964 Strauss und nahm da Bezug auf den von Dir erwähnten Satz:

Günter Gaus im Gespräch mit Franz Josef Strauß : “ ….

Gaus: Aus einer Wahlrede, die Sie 1949 gehalten haben, wird gelegentlich der Satz zitiert: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.“ Sie sagen, daß dieser Satz aus dem Zusammenhang gerissen sei. Nun wäre es ja gar nicht so erstaunlich, wenn man unmittelbar nach Kriegsende oder bald nach Kriegsende unter dem frischen Eindruck der Schrecken des Kriegs eine distanziertere Haltung zur Wehrfrage einnähme als etwas später. Ist das bei Ihnen so gewesen?

Strauß: Das kann ich nur durch eine ganz kurze Schilderung des Zusammenhanges überhaupt verständlich machen. Als einigermaßen historisch gebildeter Mensch – ich bitte das Wort zu verzeihen –, aber einigermaßen historisch gebildeter Mensch, ich habe in dieser Disziplin mein Staatsexamen gemacht, war ich von Natur aus der Auffassung, daß jeder Staat ein Instrument der Verteidigung haben muß, sei es ein eigenes, sei es durch Beteiligung an einem kollektiven Verteidigungsinstrument. Aber was ich, glaube ich, kaum oder nur selten gesagt habe: Ich hätte gewünscht, daß diese Notwendigkeit erst wesentlich später an uns herangetreten wäre, als sie effektiv aufgetreten ist.
…“
Quelle: https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/strauss_franz_josef.html

Und der SPIEGEL schreibt:

„Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen.“ Aus einer Strauß-Versammlung 1949, im SPIEGEL 1957 zum ersten Male zitiert und von Strauß bei Vorlage anerkannt, ab 1957 von ihm ständig dementiert.

Wieder ist ein lesenswertes Büchlein von Gaby Weber herausgekommen (, schreibt mein APO-OPA).

„Drei Kreise des Abgrunds“ 

(hier am Ende ein stark gekürztes „Abgrund“-Kapitel, das bei OVERTONE veröffentlicht wurde)

Gaby Weber, die zur Zeitgeschichte schreibt, unterscheidet sich von anderen AutorInnen dadurch, dass sie bisher unbekannte, jahrzehntelang geheim gehaltene Dokumente „ausgräbt“. „Ausgräbt“ trifft es eigentlich nicht richtig, denn die meisten der erstmals erschlossenen Dokumente musste sie mühsam freiklagen. Und selbst in diesen nach 50 und mehr Jahren freigekämpften Dokumenten bleiben viele Stellen, oft ganze Absätze, „im Interesse der staatlichen Sicherheit“ geschwärzt.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches steht das Jahr 1960.
War da was?
Ich verrate es nicht.
In unseren Tagen, da alle Propagandaschleudern „35 Jahre Mauerfall!“ grölen, bereitet es schon Mühe, sich daran zu erinnern, dass das aufwändige Bauwerk im Jahr 1961 errichtet wurde. Gerade mal ein Jahr nach 1960.

Im Untertitel von Webers Buch steht: „Wie der Bonner Staat kriegstüchtig wurde“. „Kriegstüchtig“ zu werden, ist das nicht zufällig heute wieder eine aktuelle Losung?

(Nach 340 Kommentaren, von denen gefühlt 350 ablehnend sind, hat ZDFheute die Kommentarfunktion vorsorglich deaktiviert.)

Zwar stehen drei Ereignisse von 1960 im Mittelpunkt von Webers Buch, doch schon der kleine Abschnitt „Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik“ (Seiten 21-32), der knapp die Jahre 1945 bis 1960 beleuchtet, ist atemberaubend.
Damals begann das NATO-Schicksal der BRD. Soll die NATO das Schicksal Deutschlands bleiben?

Opa, damals zwanzigjährig, hat das alles einigermaßen bewusst mitbekommen. Doch was ist mit den Nachgeborenen, die nichts davon selbst miterlebt haben, die heute auf ihre Smartphones schauen und sich vergnügt zum großen „Mauerpark-Event“ trollen?

Hier der OVERTONE-Artikel:

Nato-Übung: Zehn deutsche Großstädte „nachhaltig zerstört“

Gaby Weber30 Kommentare

20.01.1956: Bundeskanzler Konrad Adenauer besucht an der Seite von Verteidigungsminister Theodor Blank erstmals die Bundeswehr in Andernach. Bild: BundesarchivBild 146-1998-006-34 / Wolf, Helmut J. / CC-BY-SA-3.0

Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik:  Für Adenauer waren Atomwaffen lediglich „eine Weiterentwicklung der Artillerie“, weshalb er seine Bundeswehr unbedingt mit diesen „beinahe normalen Waffen“ ausrüsten wollte. 

Die Tinte auf der Kapitulation war noch nicht trocken, da setzte die US-Administration bereits auf den Kalten Krieg. 1949 wurde der Nordatlantikpakt gegründet. Laut seiner Präambel bekennen sich seine Mitglieder zu Frieden, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Allerdings sahen sie vornehm darüber hinweg, dass die blutige Diktatur in Portugal nichts mit diesen hehren Prinzipien gemein hatte. „Die Vereinigten Staaten sind der festen Überzeugung, dass aus militärischer Sicht die frühe Wiederbewaffnung Westdeutschlands von grundlegender Bedeutung für die Verteidigung Westeuropas gegen die UdSSR ist“, so die US-Vereinigten Stabschefs (Joint Chiefs of Staff).

Konrad Adenauer war zu Diensten. Das Problem war nur: Die Bürger hatten genug vom Krieg. Sogar die SPD war gegen die Errichtung von Streitkräften, demonstrierte für den Pazifismus und schloss sich der weltweiten Bewegung gegen Atomwaffen an. Die Fotos von den Abwürfen der US-Bomben auf Nagasaki und Hiroshima waren nicht länger zu unterdrücken und machten die Runde. Die Menschen waren entsetzt; so etwas sollte nie mehr geschehen! Wissenschaftler reihten sich in diese globale Friedensbewegung ein, in den USA sogar die Demokratische Partei.

Die Sowjetunion hatte 1957 ihren ersten künstlichen Erdsatelliten ins Weltall geschickt und den sog. Sputnikschock ausgelöst. Er bewies, dass der angeblich rückständige Arbeiter- und Bauernstaat die Weltmacht USA in den Schatten stellen konnte. Stalin war 1953 gestorben, und sein Nachfolger Nikita Chruschtschow wusste, dass das Wettrüsten zwischen Ost und West Milliarden verschlang – Geld das er für die Modernisierung seiner Wirtschaft dringend brauchte.

Der Deutsche Bundestag hatte in seiner ersten außenpolitischen Debatte Ende November 1949 eine Wiederbewaffnung abgelehnt. Erst der Koreakrieg (1952) führte zum Eintritt der Bundesrepublik in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft EVG und, ausgerechnet am 9. Mai 1955, in die NATO. Nur fünf Tage nach dem westdeutschen NATO-Beitritt unterzeichnete die DDR mit der Sowjetunion, Albanien, Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei in Warschau den „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“.


Bei dem Text handelt es sich um ein stark verkürztes Kapitel aus dem neuen Buch von Gaby Weber: Drei Kreise des Abgrunds. Wie der Bonner Staat kriegstüchtig wurde – Adolf Eichmann und der Zionismus – Die Machtergreifung des Militärisch-Industriellen Komplexes. Erschienen Oktober 2024. Verlag Die Buchmacherei, 16 Euro. ISBN 978-3-9826199-3-4


Die USA hatten bei der Gründung einer Bundeswehr keinen Anstoß daran genommen, dass sich diese aus „alten Kameraden“, darunter Mitglieder der Waffen-SS, zusammensetzte. Am 19. Oktober 1955 beschloss das Kabinett in seiner 99. Sitzung die Gründung eines Kabinettsausschusses mit dem Titel „Bundesverteidigungsrat“ (BVR), dem Vorgänger des „Bundessicherheitsrates“. Von Anfang an wurde er als „besonders geheimhaltungsbedürftig“ eingestuft, und Atomminister Franz-Josef Strauß (CSU) bestand darauf, nur „von Fall zu Fall“ zu protokollieren und alles Weitere mündlich zu paktieren. Federführend war das Verteidigungsministerium, Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sollten nur in Einzelfällen hinzugezogen werden.

Der Zeitpunkt für die rasche Aufstellung einer Wehrmacht „erfolge in einem psychologisch ungünstigen Augenblick“. Allenthalben herrsche die Auffassung, „die rasche Aufstellung einer Wehrmacht sei nicht notwendig. Es gelte, dieser Einstellung zu begegnen. Deshalb müsse den Fragen der psychologischen Verteidigung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.“ Der Rat rechnete vor: um den Verpflichtungen der NATO gerecht zu werden, brauche man in Westdeutschland eine Million Menschen. Diese müssen dem Arbeitsprozess entzogen werden, wo sie dringend für den Wiederaufbau benötigt wurden. Von den 480.000 Arbeitslosen sei die Hälfte „nicht mehr einsatzfähig“. Es bestehe ein Defizit bis zu 800.000 Menschen. Er zog einen Vergleich zum Jahr 1935, als der Nazi-Staat die Wehrmacht im Handumdrehen „kriegstauglich“ machen konnte.

Doch vor zwanzig Jahren, so bedauerte das Protokoll, habe es einen „ausgebildeten Truppenkern“ gegeben, beste Voraussetzungen also. Der sei heute nicht vorhanden, denn es habe zwischen 1945 und 1955 keine Streitkräfte gegeben. Außerdem lebten 1935 70 Millionen Menschen in Deutschland, 14 Jahre später sei das Land in BRD und SBZ (Sowjetische Besatzungszone, wie die DDR genannt wurde) geteilt worden. 1955 gab es nur noch 50 Millionen BRD-Bürger. Die Zuwanderung aus dem Osten reiche bei Weitem nicht aus, um diese Lücke zu füllen. Die peu à peu zurückkehrenden Kriegsgefangenen seien wenig hilfreich, die Wenigsten seien arbeitsfähig, viele opiumabhängig, ihre Seelen nicht verheilt. Unbrauchbar also.

Ausgerechnet Staatssekretär Hans Globke leitete den Bundesverteidigungsrat. Aber nicht einmal an ihm störten sich die NATO-Partner. Dabei war der Kommentator der Nürnberger Rassengesetze kein Militär, sondern hatte seine Erfahrungen in Hitlers Reichsinnenministerium mit der Entrechtung und Enteignung der europäischen Juden gesammelt. Adenauer vertraute ihm, er war seine rechte Hand.

Seine Aufgabe war, wie aus den Protokollen des BVR hervorgeht, die Skizzierung und Planung eines neuen Krieges: Wie sollte sich die Bevölkerung auf einen Krisen- oder Kriegsmodus vorbereiten? Wie sollten Lebensmittel und Arzneien bevorratet, die Versorgung der Industrie mit Öl, Kohle und Rohstoffen versorgt werden, wie sollte man das Informations-, Kommunikations- und Verkehrswesen auf den Ausnahmezustand vorbereiten? Bunker und Krankenhäuser müssten vorbereitet und die Zensur, auch die Vorzensur, eingeführt werden. Die Evakuierung von (deutschen) Flüchtlingen wurde geplant, man ging von zwei Millionen Binnenflüchtlingen aus. Der Notstand wurde durchgespielt. Die Elektrizitätswerke müssten vorbereitet, eine strahlensichere Lebensmittelbevorratung sichergestellt werden. Wasser und Luft sollten vor radioaktiver Verseuchung geschützt, Blutsammelstellen eingerichtet, Schutzräume gebaut werden.

Für Adenauer waren Atomwaffen lediglich „eine Weiterentwicklung der Artillerie“, weshalb er seine Bundeswehr unbedingt mit diesen „beinahe normalen Waffen“ ausrüsten wollte. Laut BVR-Protokoll waren eigene taktische Atomwaffen Voraussetzung für die Verteidigungsbereitschaft der BRD. Dies sei auch der NATO gegenüber zu vertreten. Eine ausschließlich konventionell ausgerüstete Armee hielt er für „völlig sinnlos“.

Das Pentagon befahl Adenauer, seine Haltung zur MC 70 zu klären. Diese Plandirektive bezog sich auf die NATO-Strategie einer Vorwärtsverteidigung samt eines nuklearen Erstschlages, wie man sich bei einem konventionellen Angriff aus dem Osten verteidigen würde, nämlich mit Atomwaffen. Ein Atomkrieg könne nur mit „sehr elastischen Verbänden“ geführt werden, daher müsse die Bundeswehr bei einer nuklearen Auseinandersetzung „in aufgelockerter Form kämpfen“.

Die MC 70 wollte der Sowjetunion die Möglichkeit verbauen, einen lokal begrenzten konventionellen Krieg zu gewinnen. Daher: Jeder Angriff, auch wenn dieser nur mit Panzern geschehe, werde atomar beantwortet, so die Direktive. Materielles Planungsziel müsse sein, die erste Phase eines Atomkrieges – 30 Tage – zu überleben.

General Lauris Norstad von SACEUR, dem Supreme Allied Commander Europe der NATO, behauptete, es gebe auch „begrenzte Kriege mit taktischen Atomwaffen“, die er sich allerdings nur auf europäischem Gebiet vorstellen wollte. Bonn müsse 12 Divisionen bereitstellen, um die Bundesrepublik „zur stärksten Raketenmacht des europäischen Kontinents“ auszubauen. Das Dokument trägt die höchste Geheimhaltungsstufe, „cosmic“.

Bedenken kamen aus dem Auswärtigen Amt. Es wollte „gewisse Untersuchungen zur Frage der Abwehrstrategie der Nato anstellen“ und den Einsatz von Atomwaffen durch die NATO „grundsätzlich überprüfen“. Das AA wollte wissen: „Wird sich der Gegner mit der Anwendung taktischer Atomwaffen begnügen oder strategische Nuklearwaffen einsetzen, wenn die NATO-Mächte einem konventionell vorgetragenen Angriff mit taktischen Atomwaffen begegnen? Wie hoch würde der Bevölkerungsverlust sein?

Was bliebe von der Bundesrepublik übrig, wenn die Direktive MC 70 zur Anwendung käme, wie es das Pentagon wollte und Adenauer abnickte? Hätte dies damals eine Zeitung gefragt, wäre wahrscheinlich die Auflage einkassiert und die Redakteure wegen „Landesverrats“ verfolgt worden. Die Antworten fehlen in den Akten, aber ein Blick auf die NATO-Manöver jener Tage lässt keine Zweifel, dass die Direktive die vollständige Vernichtung bedeutet hätte.

Die erste große gemeinsame Übung „Carte Blanche“ fand sechs Wochen nach dem Beitritt Bonns in das Atlantische Militärbündnis statt. Ergebnis: Binnen sechs Tagen könnten 268 Atombomben auf die Bundesrepublik abgeworfen werden, die Folge: 1,7 Millionen Tote und 3,7 Mio. Verletzte. Zwei Jahre später bestätigte die NATO-Übung Lion Noir die Vermutung, dass die Mehrzahl der mindestens hundert auf die BRD niedergehenden Atombomben nicht von den Sowjets, sondern von den eigenen Verbündeten abgefeuert worden waren. Lion Noir ging von der Hypothese aus, dass der Osten zunächst zwanzig deutsche Häfen und 50 Brücken zerstören würde. Zehn deutsche Großstädte würden „nachhaltig zerstört“.

Realistisch wäre eine Verteidigungslinie westlich vom Rhein. Bonn würde also verteidigt, Bonn-Beuel am rechten Rheinufer den Russen überlassen werden. Rest-Deutschland wäre ein einziges Schlachtfeld.

Im November 1960 bekräftigte der Bundesverteidigungsrat unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers, dass die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen eine unabdingbare Voraussetzung für die Verteidigungsbereitschaft der BRD sei. Adenauer beauftragte das Verteidigungsministerium und das Auswärtige Amt, „diesen Stand in den Verhandlungen mit den NATO-Partnern vertreten“.

Die Wiederaufrüstung hatte sich so schnell und fernab der Öffentlichkeit vollzogen, dass die zivile Gesellschaft kaum reagieren konnte. Die Kommunistische Partei war verboten, und die SPD sollte langsam von den parlamentarischen Wohltaten profitieren. Die Presse war in den Händen Weniger, die das „deutsche Wirtschaftswunder“ priesen. Die Gewerkschaften hielten still, die Löhne stiegen.

Ähnliche Beiträge:

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert