Eine kurze Geschichte des gewöhnlichen Faschismus.

Zur Debatte: ein Vorstoß in das zentrale Nervensystem der bürgerlichen Gesellschaft. Eine kurze Geschichte des gewöhnlichen Faschismus. Von Günter Rexilius (11.11.2024)

am  von amortasawiin selected articlesVerfallendes Land


„[…] Die Tatsache, dass Elend der einen als Basis für Wohlstand der anderen in der Menschenrechtserklärung von 1789 zwar nicht ihre Wurzeln hat, aber von ihr als universell legitimiert wurde, spielt für das bürgerliche Welt- und Gesellschaftsbild keine Rolle: Mit ihrer philosophischen Rechtfertigung und ihrer praktischen Umsetzung begann der Prozess, der die realitätsverzerrende Bigotterie in Denken und im Alltag der westlichen Welt einzementiert hat. Sie hat sich als Epizentrum der bürgerlichen Selbsttäuschung etabliert, der Verleugnung der kolonialistischen, imperialistischen, rassistischen Fundamente ihrer Gemeinwesen. Der Zusammenhang zwischen der Vernutzung menschlichen Lebens im Süden und vorgeblich menschenrechtsbasiertem Zusammenleben im Norden wird vom bürgerlichen Bewusstsein und Selbstbewusstsein konsequent und fast lückenlos abgespalten. In die alltägliche Geschäftigkeit und Konsumfülle des Lebens dringen deren makabre Grundlagen, die für einen großen Teil der Menschheit bittere Alltagserfahrung sind, nicht vor.[…]“


„[…] Der Rassismus, dem sich dieses Elend und dieses Leiden verdanken, belegt empirisch, dass es ein „Ende der Kolonialzeit“ – von Historikern nach dem 2. Weltkrieg zeitlich verortet – nicht wirklich gegeben hat, sie ging nahtlos über in die neo-kolonialistische Ausraubung des globalen Südens durch den globalen Norden. Absurd an dieser Geschichte ist nicht, dass sie noch im Jahre 2024 so zutreffend ist, wie sie es 1492 war, als Christoph Columbus aufbrach, um die Neue Welt zu entdecken, sondern dass ihre Wahrheit erst im 20. und 21. Jahrhundert wirklich zu einer geworden ist, als der europäische und der nordamerikanische Kontinent die kolonialistisch-imperialistischen Feldzüge gen Süden explizit zu einem tragenden Pfeiler ihrer politisch-ökonomischen Existenz haben werden lassen, wo sie ihr rassistisches Weltbild unbeirrt weiter ganz praktisch bestätigen.[…]“

„[…] Der deutsche Staat, die deutsche Gesellschaft, haben sich positioniert, ihren Platz in der „Weltgemeinschaft“ gesucht und gefunden. Aus dem kolonialistischen, imperialistischen bürgerlichen Erbe mit rassistischer Kernsubstanz ist das neo-kolonialistische, neo-liberale Selbstverständnis mit rassistischer Kernsubstanz geworden, dessen Durchsetzung mit friedlichen, falls die nicht „fruchten“, mit unfriedlichen Mitteln den mitteleuropäischen Alltag kennzeichnet. Deutschland ist, darauf sind seine politischen und ökonomischen Schlüsselfiguren, wie sie gerne und oft betonen, stolz, in der Spur, die das bürgerlich-demokratische System in seiner neoliberalen, „wertorientierten“ Gestalt über den Globus zieht, und sie machen kein Hehl mehr daraus, dass sie seine Methode verstanden haben: Ausbeutung und Ausplünderung, Aufrüstung und Drohgebären und, wenn für die Durchsetzung der eigenen Interessen nötig: Krieg. […]“

„[…] Mitte, liberal, sozialdemokratisch, christlich-demokratisch, grün – diese selbstgewählten Etiketten mögen der selbstgerechten Ignoranz gegenüber den Beweggründen und den Folgen des eigenen Handelns genügen, das Grauen, das Elend, die Gewalt, das Leiden dahinter, also die dem bürgerlich-demokratischen System immanenten „Schadstoffe“, verbergen sie vor sich selbst, nicht vor der historischen Wahrheit und nicht vor ihren Opfern. Für die Eingangsthese wiegt die Last des historischen Geschehens schwer: Die Triebkräfte der europäischen Geschichte der letzten Jahrhunderte sind auch die der deutschen Nachkriegsgesellschaft, bis in die aktuelle Gegenwart hinein. In ihnen lebt und wirkt der gewöhnliche Faschismus.[…]“

Zur Debatte: ein Vorstoß in das zentrale Nervensystem der bürgerlichen Gesellschaft

Eine kurze Geschichte des gewöhnlichen Faschismus

Von Günter Rexilius

11.11.2024

Die „Rechtsentwicklung“ der letzten Jahre und Monate ernst zu nehmen muss heißen, nach ihren Wurzeln und Hintergründen zu fragen, ohne sich mit den Narrativen, die der politische und der mediale Mainstream verbreiten, zufrieden zu geben. Nach der Europawahl 2024 beklagten Politiker und viele Medien, auf der politischen Landkarte habe es bedrohliche Verschiebungen nach rechts gegeben, rechtsradikale Parteien würden immer mehr Zulauf bekommen und auch in Deutschland zu einer neuen faschistischen Gefahr werden. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ließen die Mahnungen und Klagen lauter und eindringlicher werden. Gefahr für wen, für was? Auf diese Fragen sind die üblichen Antworten zu hören: Die Rechten gefährden das demokratische Gemeinwesen, die verfassungsmäßige Ordnung, das westliche Wertesystem, die Menschenrechte. Die Frage, wie der Erfolg der AfD – und anderer europäischer Parteien, die sich selbst als rechts oder rechtsaussen definieren, hier aber vernachlässig werden – mit gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, allgemein und im Einzelnen, zusammenhängen könnte, wird selten gestellt, Antworten auf sie bleiben unbefriedigend.

Weiterlesen: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=29314

PDF: GR11.11.2024

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Siehe auch:

Die Blackrock-Bourgeoisie

Im Manova-Exklusivgespräch diskutiert Walter van Rossum mit den Publizisten Ulrich Gausmann und Werner Rügemer sowie dem Philosoph Horst Müller darüber, wie sich die Klasse der Besitzenden der parlamentarischen Antastbarkeit entzogen hat.

Von Walter van Rossum

16.11.2024

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Hybris und Nemesis

Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren

Von Rainer Mausfeld

November 2023

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Menschen als Marionetten?

Wie Marx und Engels die reale Psyche in ihrer Lehre verdrängten

Von Andreas Peglau

Oktober 2024

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Der Westen im Niedergang

Ökonomie, Kultur und Religion im freien Fall

Von Emmanuel Todd in Zusammenarbeit mit Baptiste Touverey

Oktober 2024

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Nur durch Frieden bewahren wir uns selber

Die Bergpredigt als Zeitenwende

Von Eugen Drewermann

2023

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Ein Gedanke zu „Eine kurze Geschichte des gewöhnlichen Faschismus.“

  1. Zum Beitrag von Andreas Peglau: Menschen als Marionetten? — Wie Marx und Engels die reale Psyche in ihrer Lehre verdrängten

    Die Geschichtstheorie vom Klassenkampf ist zweifach falsch. Zum einen, weil sie mechanistisch simplifiziert. Zum anderen ist sie nicht faktengestützt; allemal und immer waren technologische Entwicklungen angestoßen und zu ihrem Vorteil genutzt von einer führenden Elite, die bereits im zuvorigen technologischen Raum bestanden hatte.

    Der verzeihliche Irrtum wurde zum schweren Fehler mit der Forderung nach Revolution — dasselbe hier wie bei den neuen Technologien. Hinter allen Revolutionen steht die führende Elite eines imperialen Regimes. Siehe den ehrenwerten, aber nicht zur Nachahmung empfohlenen Lenin. Weil der das mit den Revolutionen und der Elite dahinter nicht erkannte; was ihn das Leben kostete. Er wurde gestürzt und gemeuchelt von dem brit. Agenten Stalin. Der übrigens Schüler war von Jesuiten, Betreiber des ältesten (seit 1542), größten und mächtigsten Geheimdienstes der Welt. Dessen sich das brit. Imperium bediente. Und umgekehrt: Waren die Britische Ostindische Kompanie zusammen mit der Niederländ. Westindischen Kompanie die imperiale Hardpower, stellten die Jesuiten die imperiale Softpower hinter der Gründung der USA.

    Jesuiten verstehen was von der verwirrten Psyche des ordinären Christen. Welcher ein Geist-Materie-Dualist und deswegen ein potentieller frommer Killer ist. Denn:
    Geist/Herr = gut = Gott; Materie/Sklavenleib = böse = Teufel.

    Nein, die USA sind nicht protestantisch, sondern jesuitisch, also katholisch! Ist der Protestantismus ein doch jesuitisches Projekt und so zugleich ein — ja, katholisches.

    Was letzteres zu wissen hilft, den von Max Weber nicht verstandenen „Geist“ des Kapitalismus richtig zu erfassen. Denn ist bei ALLEN ordinären Christenbanausen jener auch in der katharischen Ketzerei prominente gespenstische Geist: Erlösung durch Leiden (Lohnarbeit), Martyrium (Verelendung) und Tod (Krieg).

    Aber es gibt da einen Trick im Katholizismus. Die Anwesenheit von Reichtum und Luxus dokumentiert die Anwesenheit von Gott. Daraus wurde die protestantische Prädestinationslehre . Von Gott verstoßen und also böse sind die ohne Anwesenheit von Reichtum. Reiche können sich nun zwar nicht sicher sein, gut bzw. von Gott prädestiniert zu sein und nach ihrem Tode in den Himmel zu kommen, aber — es steigt die Wahrscheinlichkeit mit dem Reichtum. Eines steht um so mehr fest: Arme sind Teufelsbrut. Muß man sich nicht um sorgen um das Gesindel, ist Verfügungsmasse.

    Imperien steigen auf und fallen schließlich wegen einer zu sehr angewachsenen parasitären Gesellschaftsschicht. Weswegen rechtzeitig ein neues Imperium aufgebaut werden muß irgendwo anders, ein noch nicht von Parasiten verbrauchtes.

    Mit dem industriellen Kapital aber verhält es sich anders, das stirbt – auch ganz ohne Parasiten! – aus sich selbst heraus ab, ist ein Automat mit Selbstzerstörung im Leibe drinnen, hat den von Marx/Engels aufgewiesenen tendentiellen Fall der Profitrate im Leibe. Oder: Produktivitätszuwachs und Gewinnerwartung beißen sich. Oder: Wer billiger herstellen kann, muß billiger verkaufen, und sinken die Verkaufserlöse, sinken auch die Gewinne. Da Marx/Engels also vollauf verstanden, daß jenes Kapital darum das Ticket ist hin zu immer verschärfterer Ausbeutung, hin „zur Zerstörung von Mensch, Natur und Welt“ (Marx), hin zur am Ende TOTALEN BARBAREI, ersannen sie sich – zu ihrem eigenen Troste wohl – eine Geschichtstheorie, die versprach, jenem barbarischen Spuk sei ein quasi historisch automatisches Ende vorherbestimmt.

    Wer die Psyche des ordinären Christen, Faschisten, Korporatisten, Technokraten, real existierenden Staatssozialisten und schwarmgeisterischen Kommunisten verstehen will, der liest entweder Friedrich Nietzsches Gesamtwerk, oder Erich Neumanns «Ursprungsgeschichte des Bewußtseins» nebst dessen «Tiefenpsychologie und neue Ethik». Bei Nietzsche poetisch geradezu und facettenreich die Darstellung, bei Neumann sehr konzentriert, ist bei beiden alles zu finden über den „Geist“ des Kapitalismus und Monopolismus und Imperialismus und Faschismus und Technokratismus. Jener Geist ein giftiger Cocktail aus Schamanismus, Kollektivismus, Fruchtbarkeitskult und — katholischem Christentum.

    Jesus Christus sei mein Zeuge! Hat dieser mit all diesem Unrat wohl ganz sicher nichts im Sinne gehabt. Sagt mir die Lektüre seiner Lehren.

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