Interview mit HaBE über das Projekt „Lamboy-Kids“
Ende 2005 hat der Hanauer Musiker, musikalische Leiter der Bad Vilbeler Burg-Festspiele, Thomas Reuther das folgende Interview im Rahmen seiner Diplomarbeit über die „Lamboy-Kids“ gemacht. Das Interview ist noch nicht bearbeitet, es ist eine direkte Verschriftlichung des Audio-Materials. Wegen der großen Nachfrage stelle ich es hier auch schon in Rohfassung ins Netz
Interview mit Hartmut Barth-Engelbart
Du hast vorher in verschiedenen Berufen gearbeitet. Wie kamst du dazu
Grundschullehrer zu werden?
Das ist relativ kompliziert. Ich habe verschiedene Sachen durchlaufen. Ich war vorher Reserveoffiziersanwärter. Da habe ich auch schon Ausbildungs-tätigkeiten machen müssen. Nachdem ich den Kriegsdienst verweigert habe, wurde ich zwangsweise zum Ausbilder für Unteroffiziere, die sich auf ihre Stabsfeldwebelprüfung vorbereiten mussten. Das war meine erste Lehrtätigkeit. Ansonsten war der Entschluss Lehrer zu werden schon relativ früh da. Zunächst wollte ich Journalist werden, was ich wegen eines Berufsunfalls nicht werden konnte und habe dann angefangen mit einem Pädagogikstudium, Psychologie, Philosophie, Ethnologie, Germanistik.
(Korrektur 2025: Es war kein Berufsunfall! Bei einer Demonstration gegen den Vietnam-Krieg am 12. 2. 1968 habe ich als Schriftsetzerlehrling bei der Frankfurter Rundschau mit allen meinen Kollegen teilgenommen. Bei dem Versuch, einen bewaffneten Hausmeister der ANACONDA-Metallhandelsgesellschaft zu entwaffnen, der vom Vordach des Zürichhochhauses am Opernplatz mit einem Kleinkalibergewehr auf die Demonstranten zielte, hat mich ein Zivilpolizist vom Dach in eine lebenslängliche Schwerbehinderung gestürzt)
Es war möglich damals, ganz viel zu machen, weil es selbstorganisierte Studiengänge, in studentischer Selbstverwaltung zum Teil waren. Ich habe ein Doktorantenstudium bei Heydorn abgebrochen nach vier Semestern. Ich habe bei Mollenhauer studiert, bei Heydorn, Koneffke, bei Ernest Jouhy-Jablonsky und bei Professor Dr. Meyer später. Ich habe nach vier Semestern meine Unikarriere, also im Forschungsbereich mir aus dem Kopf geschlagen und wollte in die Praxis, mit Kindern arbeiten. Deswegen bin ich in einen praxisbezogenen Studiengang, den ich auch unter Prof. Dr. Meyer zum Teil mitentwickelt habe, direkt in die Grundschule gegangen, im Zug der Aktion „kleine Klasse“ in Frankfurt. Es gab auch große Demonstrationen und ich war vorne mit dabei, wie immer. Dann bin ich mit einem Lehrauftrag, zwischen 6 und 12 Stunden schwankend, in die Grundschule am Biedenkopfer Weg in Frankfurt gegangen. Das war eine integrative Klasse mit 21 Kindern. Wo Gerhard Bott (Oh Bott, oh Bott) vom NDR seine DokuReihe „Terror aus dem Kinderladen“ gedreht hat. Dort habe ich meinen Werkstatt-Unterrichtsstil entwickeln können in engster Zusammenarbeit mit den Eltern – besonders mit den Eltern aus dem Brennpunkt Zentmarkweg.
Welche Fächer außer Musik, hast du an der Gebeschusschule gelehrt?
Es gibt eigentlich nichts, was ich nicht gelehrt habe. Ich habe Sport gemacht, solange dies mit meiner Behinderung noch möglich war bis 1997. Entscheidend warum ich alles gemacht habe ist, weil die Musik, die ich mache und der Musikunterricht den ich gegeben habe, der integriert zum großen Teil sportliche Elemente, Polytechnik, Deutsch, Mathematik, Ethik, bildende Kunst. Es kommen alle Geschichten darin vor: Wir haben hier bis zu 15 Religionen vertreten. Diese Fragen kommen auch in die Textgestaltung, in die Gespräche, in die Lieder, die wir machen, Musikstücke usw., das ist alles mit drin. Deswegen war es wichtig, dass ich querbeet – ich war auch Religionslehrer nebenbei ohne in der Kirche zu sein – tätig war. Das alles ist mit eingeflossen in diesen Musikunterricht. Polytechnik, bildende Kunst, Sport, Mathematik, Frühenglisch ….
Hat das Fach Musik dabei eine zentrale Stellung eingenommen in Verbindung zu den anderen Fächern?
Ich meine, dass die Musik, ähnlich, wie die bildende Kunst, bei den Kindern bewusstseinsbildende Schichten erreicht, die durch andere Fächer, so trocken wie sie vermittelt werden in der Regel, ich will da jetzt keinem anderen Kollegen ans Bein pinkeln, nicht erreichen. Das schafft Musik spielend. Entscheidend ist, dass die Kinder spielend an sich selbst herankommen, sich selbst entdecken, ihre Potenzen entdecken und zwar ohne Sanktionen. Es muss ein sanktionsfreier Raum sein. Sie müssen sich, wenn überhaupt, selbst sanktionieren. Sie müssen selbst erfahren, das kann ich, das ist schön, das ist nicht schön, das gefällt mir. Sie müssen eigene Strukturen und eigene Kriterien entwickeln und dann können sie solche Leistungen, die sie nachher sanktionsfrei im musikalischen Raum entwickelt haben, relativ problemlos auf andere Leistungsbereiche in Deutsch, Mathematik, Sport, egal wohin übertragen. Es gibt wahnsinnige Transferpotenzen und -optionen.
Wie hast du die verschiedenen Fächer miteinander verknüpft?
Ich habe immer fächerübergreifenden Unterricht gemacht. Wir waren ja hier eine Modellschule für einen neuen Schulanfang. Wir haben jahrgangsübergreifend gearbeitet, offenen Unterricht gemacht. Die Türen standen eigentlich immer auf. Wir sind von Klasse zu Klasse gependelt. Die Kinder haben auch von Klasse zu Klasse pendeln können. Je nach Anforderungsprofil haben sie sich bei anderen Klassen angedockt in bestimmten Unterrichtsbereichen. Das ging sehr gut. Ich habe immer die Elemente aus anderen Unterrichtsbereichen in den Musikunterricht integriert und ich habe auch aus dem Musikunterricht wesentliche Elemente in den anderen Unterricht integriert. Ich habe z.B. in Deutsch oder Mathe Musik gemacht. Was ganz bestimmte Symetrien betrifft, Rechenoperationen oder Zähloperationen im Hunderter Raum, das war alles Bereiche wie Takt halten, Rhythmusgefühl, abstrahierendes Denken etc., die vom Medium her miteinander verbunden sind, die aber auch, was ich mittlerweile weiß, in der Neurophysiologie und Neuropsychologie ganz klar miteinander Verschränkungen haben. Mathematik und Musik. Gute Musiker sind meistens auch ausgezeichnete Mathematiker und oft ist es auch umgekehrt so. Das ist ein Erfahrungswert, der ist mittlerweile nicht nur empirisch nachgewiesen, sondern de facto auch durch die Neurophysiologie.
Welches sind deine künstlerischen Vorbilder oder Leitideen?
Gibt es eigentlich wenig. Es gibt ein paar Musiker oder Wissenschaftler, die ich während meiner Arbeit kennen gelernt habe. Das sind der Professor Bastian und der Karl Adamek. Die sind schon ein bisschen Brüder im Geiste, oder wie man so sagen kann. Ich habe eigentlich wenig Vorbilder. Es gibt noch den Frederick Vahle. Den finde ich als Kinderliedermacher und als Pädagogen relativ fit, seine ehemalige Partnerin ebenfalls. Je mehr ich jetzt von deiner Arbeit höre, merke ich, das ich auch sehr nahe an John Cage bin. Wobei er ganz gewisse akademische Ausdehnungen hat, die ich so nicht mit vollziehe. Aber in wesentlichen Bereichen stimme ich mit ihm überein. Finde ich auch phantastisch was er macht. Er nimmt das vorfindliche Material. In so fern ist John Cage für mich ein brother in soul, das heißt, ich arbeite gerne mit dem, was ich vorfinde. Ich finde Kinder vor, ich suche auch Kinder, aber ich finde Kinder vor und muss mit den Kindern arbeiten, die zu mir kommen und mit mir zusammen arbeiten wollen. Ich mache mit dem Material Musik, das ich vorfinde. Ich gehe auf Schrottplätze oder die Kinder kommen zu mir und bringen mir ganz bestimmte Sachen und sagen: Barth-Engelbart, das kannst du bestimmt gebrauchen, da können wir bestimmt Musik mit machen. Sie bringen mir z.B. einen Grill aus einem Sperrmüll-Herd und sagen, das macht ganz klasse Musik. Sie machen Transferleistungen und machen plötzlich mit den vorfindlichen Geschichten kreativ Produkte und Leistungen und ganz schöne Sachen, Musikstücke. Wenn sie mir kaputte Fahrräder bringen und sagen, die machen wir in der Fahrrad-werkstatt wieder ganz, dann ist es genauso, wie wenn sie mir ein Stück Eisen bringen und sagen, das macht Musik. Nehmen wir das zum nächsten Musikstück, wunderbar. Das ist eine idealtypische Geschichte, das erlebe ich fast jeden Tag und wenn ich das alles nehmen würde, hätte ich die Bude voll und könnte keine Kinder mehr mit rein nehmen.
Was verstehst du unter dem Begriff kulturelle Bildung?
Das ist ein ganz hoher Begriff. Kulturelle Bildung ist, wenn die Kinder in der Lage sind, auf der Grundlage ihrer gut verstandenen und gut gelernten Muttersprache differenziert zu denken und differenziert sich ausdrücken, sprachlich, auch musikalisch, bildnerisch etc. Wenn sie dazu in der Lage sind, dann sind sie auch in der Lage sich selbst auch kulturell zu bilden, weiter zu bilden, das heißt, sie brauchen einen kulturell gesicherten Grundsockel. Sie müssen eine möglichst wenig gebrochene Entwicklung in ihrer Muttersprache und in ihrer Herkunftskultur mitgekriegt haben. Wenn dieser Sockel bejaht ist, ist es mir egal, ob jemand aus dem hohen Vogelsberg oder aus dem Spessart kommt. Wenn dieser Spessartbub oder das Spessartmädchen im Dialekt eine gute Entwicklung, in einer angenehmen Umgebung, die kann sehr rauh aber intakt sein, erfährt, dann ist dieses Kind, wenn man seinen Spessartdialekt nicht diszipliniert und nicht negativ sanktioniert, in der Lage jede Fremdsprache zu lernen und sie differenziert zu beherrschen, weil es in der Lage ist, seinen Spessartdialekt differenziert anzuwenden und darin auch zu denken. Spessartdialekt ist eine Muttersprache, Hochdeutsch ist eine Fremdsprache und wer den Dialekt beherrscht, kann auch lernen, das Hochdeutsch differenziert zu nutzen. Ich muss dazu sagen, dass das Hochdeutsch ein kastrierter Dialekt ist oder eine kastrierte Dialektmischung, weil ganz viele wesentliche Differenzierungspotenzen der eigentlichen Mutterdialekte oder Muttersprachen im Hochdeutschen weggesäubert wurden. Das ist eine gesäuberte Sprache. Deswegen muss man die hochdeutsche Sprache beleben und die Belebung der Sprache geschieht dadurch, dass Kinder in ihrer Muttersprache gelernt haben differenziert zu fühlen, richtiger ist es, Gefühle auszudrücken und zu denken und sich selbst zu erfahren und wenn sie das übertragen auf die deutsche Hochsprache, dann sind sie in der Lage, diese tote Sprache zu beleben.
Welche Formen von Projektarbeit gibt es, z.B. in Kooperationen mit anderen
Lehrern oder sonstigen Personen?
Es gibt eine ganze Reihe. Die Gebeschusschule ist dafür bekannt, das sie jedes Projekt oder Pilotprojekt mitmacht. Wir haben die Fahrradwerkstatt, wir haben eine Theater AG gehabt, wir haben die Lernwerkstatt. Im Moment ist es etwas enger, weil die Wolffsgesetze herrschen ( Anm. hessische Kultusministerin ). Es wird auf den sogenannten Kernunterricht etwas abgehoben und die sogenannten Randbereiche werden ausgedünnt. Da gibt es kein Geld mehr und keine Stellen mehr dafür. Da muss man zusehen, dass man das irgendwie unter der Hand trotzdem weiterführt, weil man weiß, dass diese Randbereiche gar keine Randbereiche sind, sondern, die sind die eigentlichen Kernbereiche. Das was ich vorhin zur Musik gesagt habe und zur Herausbildung des eigenen bewussten Ichs und des Unbewussten, das findet in der Musik statt, jedenfalls wesentlich mehr als in der furztrockenen Mathematik. Wenn diese zentralen Bereiche gerade in der Grundschule, mal abgesehen von Kindergarten oder Kinderkrippe, weggestrichen werden, ist das im Grunde genommen geplante oder organisierte Körperverletzung. Alle Projekte, die wir gemacht haben, wären nie möglich gewesen ohne eine sehr warme Unterstützung aus dem Lehrerkollegium und von der Schulleitung, die erkannt hat, welchen Stellenwert so eine Arbeit hat und durch die Akzeptanz bei den Eltern. Die haben sehr schnell gemerkt, wie sich diese Musikarbeit auf das Verhalten und die Entwicklung ihrer Kinder auswirkt. Da gibt es ganz viel positives Feedback, bis dahin, dass die ersten Enkel jetzt schon wieder in die Musiksphäre geschickt werden, beginnend bei den Lamboykids. „Der/Die geht in den Chor!“
Kann ein Lehrer in der heutigen Zeit nach den im Lehrplan vorgegeben
Richtlinien, den Schülern überhaupt noch eine Orientierungsgrundlage geben,
oder sind die Lehrer überfordert? Was sollte sich ändern?
Die Lehrer sind insofern überfordert, als von der offiziellen Kultus- und Schulpolitik nicht das gemacht wird, was dringend notwendig ist und was seit Pisa die Spatzen von allen Dächern pfeifen. Die Lerngruppen müssten normalerweise gesenkt werden auf maximal 25, idealer Weise unter 20 Schüler. Dann könnten Kinder im Unterricht auch die Chance haben ausreichend zu Wort zu kommen, das heißt sich zu äußern und in der Äußerung sich selbst zu erfahren und auch den eigenen Lernstand demonstrieren zu können, praktizieren zu können und praktisch unter Beweis zu stellen. Die Zeit, die die Lehrer für die Kinder haben wird immer weiter reduziert und dies führt zu Überforderung. Die Kinder brauchen mehr Zeit von Erwachsenen, an denen sie sich orientieren können, mit denen und von denen sie lernen können. Wir brauchen wesentlich mehr Lehrer und die Möglichkeit für Lehrer sich weiter zu qualifizieren, um überhaupt ihre eigenen Qualitäten in der Schule richtig anbringen zu können. Und die Kinder brauchen Zeit , mehr Zeit, um
untereinander in relativ geschützten Räumen zu kommunizieren
Was hältst du von dem Vorwurf, Lehrer sind ausgebildete Fachidioten?
Es gibt die schon und nicht zu wenig, aber wenn man ihnen die Möglichkeit gibt in den vernachlässigten sogenannten Randbereichen sich etwas aktivieren zu können – , es ist nicht umsonst so, wenn wir Konzerte machen mit den Lamboy-Kids, dass dann hinterher ganz viele Lehrerinnen und Lehrer kommen und sagen, Mensch das ist toll, das würden wir auch ganz gerne machen können. Die Schule ist zum Teil, wie sie jetzt organisiert ist, eine Institution zur Verhinderung von Lernen. Ich meine selbst organisiertes Lernen, lustvolles Lernen, Spaß haben am Lernen, Spaß bei der Arbeit haben oder mit der Arbeit rumspaßen usw. Da werden Fachidioten draus gemacht. Wenn man Lehrer andauernd daran hindert, das zu tun was eigentlich sinnvoll und schön ist, dann verkümmern die auch. So kümmerlich werden letztendlich auch ihre Kinder, die sie erziehen. Das ist ein Weitergeben und so ähnlich, wie bei Sklavenhalter-gesellschaften. Die Eunuchen kastrieren ihre Nachfolger oder so ähnlich.
Glaubst du, dass es in der heutigen Zeit notwendig ist, infolge einer
zunehmenden Pluralisierung und auch Individualisierung unserer Gesellschaft,
mehr Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen in die Schulen zu holen? Was hältst
du z.B. von Schulsozialarbeit und sollte diese an jeder Schule installiert &
integriert sein?
Es muss möglicherweise sozialpädagogischer und sozialarbeiterischer, psycho-therapeutischer, psychoanalytischer Sachverstand an die Schulen kommen. In welcher Form ist zunächst einmal egal. Ich bin eher gegen so eine Arbeitsteilung. Ich wäre eher dafür, dass nicht so spezifiziert immer abgegeben wird, das ist ein Fall für den Schul-psychologen, das ist ein Fall für den Sozialarbeiter, für die Krankenschwester, für den Gefängniswärter, für die nächste Polizeistreife. Das grenzt eben schon an Selektion. Wir müssten im Grunde Möglichkeiten haben als Lehrerinnen und Lehrer, soviel Potenzen freizusetzen oder freigesetzt bekommen, wo wir uns diese Qualifikationen selbst erarbeiten können ohne unter Stress zu geraten. Ichglaube, dass diese nachgefragten Qualifikationen eigentlich schon vorhanden sind. Die werden bloß nicht genutzt, nicht weiter entwickelt, nicht gepflegt und kommen nicht zum Einsatz. Ansonsten, Fortbildung wunderbar und während der Arbeitszeit gerne. Wir brauchen wesentlich mehr gegenseitige Vertretungsoptionen, damit man sich gegenseitig auch freistellen kann aus dem täglichen Geschäft, um sich weiter zu bilden bzw. auch mit der Arbeit,
geht auch, wenn die nicht total stressbeladen ist.
Welche Fortbildungsmöglichkeiten gibt es für Lehrer und was müsste
verbessert werden?
Das habe ich vorwegahnend fast beantwortet. Die Fortbildungsgeschichten müssten in die Schulen eingelagert werden. Es müsste während der Arbeitszeit passieren und nicht Sondertermine, weil das schon wieder Zusatztermine sind und man eh schon belastet ist. Daher integrierte Fortbildungen in den Schulen, ohne dass die außerschulische Fortbildung verboten würde. Man kann an der Städelschule eine Fortbildung in Kunst machen oder an der Musikhochschule einen Intensivkurs belegen, wie auch immer, aber das muss mit Freistellung passieren, bei Fortzahlung des Gehaltes und nicht immer auf eigene Kasse. Sonst wirst du nämlich zwei verschiedene Klassen von Lehrer
haben. Die erste Klasse ist die, wo z.B. der Ehemann soviel verdient, das die Frau auch noch unbezahlt Fortbildung machen kann und dann gibt es Andere, die haben keinen reichen Ehesponsor und die können die Fortbildung nicht bezahlen. So läuft es. Das ist immer eine Geldfrage.
Welche schulischen Gesetze sind deiner Meinung nach reformbedürftig?
Ich habe auf die herrschenden Schulgesetze nicht einen Eid geleistet. Ich habe nur die Verschlechterungen zum Teil wahrgenommen. Es gibt einen eklatanten Abbau von Mitbestimmung der Kollegen und Kolleginnen in den Schulen. Es gibt eine dramatische Verlagerung von Arbeitgeberfunktionen in die Kollegien hinein. Die Schulleitungen werden im Grunde genommen Betriebsleiter und die Schulen werden betriebswirt-schaftlich gerechnet, wie die Zulieferindustrie für die Automobilbranche. Aber, wir liefern hier keine Ersatz- und Autoteile, wir bearbeiten hier keine Metall-Rohlinge, die man als Ausschuss dann mal irgendwann wieder verwerten kann, sondern wir arbeiten mit Kindern und Menschen. Da gibt es einen gewaltigen Unterschied zwischen Automobilen und Menschen.
Worin liegen deiner Meinung nach die Gründe, dass Musikunterricht immer mehr
abgebaut wird?
Es gibt zwei Tendenzen. Erstens, in den staatlichen Schulen wird sich immer mehr von den „peripheren Bereichen“ verabschiedet. Theater ist Luxus und Musik kann man irgendwo in einer Eliteschule machen. Ein bisschen zeigt her eure Hände, zeigt her eure Schuhe, ein bisschen tralala, das reicht dann. Das reicht eben nicht. Wenn die Leute die Ergebnisse von Pisa oder die Ergebnisse aus der Neurophysiologie oder Neuropsycho-logie kapiert hätten, dann wüssten sie was Musik heißt. Ich gehe mal davon aus, dass das Kultusministerium und seine zuarbeitenden Fachkräfte wissen was sie tun. Sie haben ja auch studiert und können Leute kennen, die wissen könnten, was die Wissenschaft mittlerweile alles rausgekriegt hat. Wenn dem der Fall ist, dann würde ich sagen, das Streichen der Musikunterrichtsversorgung in den Grundschulen, in den Haupt-, Real- und Gymnasialen Bereichen ist organisiertes Verbrechen. Um die Potenzen der Kinder zu entwickeln, braucht man dringend in den Kernbereichen Musik. Wenn man das bewusst streicht, wegrationalisiert, wider besseres Wissen, denn ich gehe mal davon aus, dass in Wiesbaden oder Berlin keine Stümper sitzen, dann ist das kriminell. Es zeitigt Spätfolgen, körperliche Folgen und es ist nachweisbar, dass ganz bestimmte Bereiche im Gehirn nicht entwickelt werden, weil Musik gestrichen wird und Teilvernarbungen in der Hirnrinde hinterlassen werden. Da sollten sich die Herrschaften mit der Uni in Hannover mit der neurophysiologischen Abteilung in Verbindung setzen und kundig machen, dann wissen sie was das bedeutet.
Welchen Stellenwert hat in deiner Sichtweise das Fach Musik in der Schule?
Es hat mindestens einen gleich hohen Stellenwert, wie Kunst, Mathe, Deutsch, Physik, Biologie oder sonst was. Grundlegend sind Sprachentwicklung, Musikalität, Rhythmusempfinden etc., die vorgelagert sind, vor allen anderen Kulturregionen-, Bereichen-, Techniken im Kinderhirn. Das erste, was Kinder lernen im pränatalen Bereich ist Rhythmus, Rhythmusempfinden, muttersprachliche Elemente und zwar passiv gespeichert. Die Kinder kommen eigentlich schon mit ausgeprägter Sprache auf die Welt, die nur noch aktiviert werden muss. Wenn die nicht aktiviert wird, verkümmern sie. Die entscheidenden Phasen der menschlichen Entwicklung liegen im pränatalen Bereich bis hin in die Pubertät. Wenn hier bestimmte Hirnregionen nicht entwickelt werden, sind die in späteren Zeiten nicht mehr entwickelbar, irreversibel. Das Kultusministerium weiß das, ich gehe zumindest davon aus und deshalb finde ich, dass da eine ganz heftige Körperverletzung stattfindet.
Der Musikunterricht wird meistens noch nach klassischen traditionellen
Richtlinien vermittelt. Bist du der Meinung, dass er sich mehr an den
Interessen der Schüler orientieren sollte?
Das ist ähnlich, wie das Lernen von Deutsch als Fremdsprache von deutschen Kindern. Da wird die Grammatik von oben draufgestülpt, eine ausgeliehene Technik aus den alten Lateinschulen und es wird eigentlich gar nicht in der eigenen Struktur Sprache entwickelt. Es kommt einem sozusagen als drohendes Fremdelement entgegen. Das ist vielleicht ein schlechtes Beispiel. Ich meine, dass die ganze Musiktheorie auf die Kinder draufgestülpt wird. Dass es ein Katechismus von auswendig lernbaren Geschichten ist. Ich habe nichts gegen das Auswendiglernen. Wenn aber die Basis von unten nicht gewachsen ist und die Beziehung zur Musik und das mentale, emotionale Verständnis von Musik, von Tönen, wo sie herkommen, wie man sie macht, wie sie entstehen
nicht da ist. – Musik muss begreifbar sein und zwar nicht intellektuell sondern physisch.
Man muss es richtig anfassen können. Man muss die Gitarre schwingend spüren
und begreifen, was eine Schwingung ist. Man sagt zu den Schwarzafrikanern,- Amerikanern z.B. die hätten good vibrations. Die wissen aber was eine Schwingung ist. Das könnte jedes andere Kind auch. Man muss einfach nur in das Instrument reingreifen und erfahren, was das ist oder auch begreifen, wenn es singt. Good vibration und bad vibration hängt sehr miteinander zusammen. Es müssen physische und vermittelt auch psychische Erfahrungen mit Musik sein, die die Basis bilden. Da müssen wir erst einmal ansetzen, denn da haben die Kinder ein großes Repertoire an eigenen Erfahrungen mit einzusetzen. Wenn man die negiert und nicht da ansetzt und zwar in der Art und Weise, wie sie sich schon weiterentwickelt haben, dann wird schon wieder etwas veröden. Man muss mit den Instrumenten, die, die Kinder schon im Bauch und im Kopf haben, mit denen muss man arbeiten und man muss in der Lage sein, das bei den Kindern zu entdecken. Man muss Sensoren entwickeln, die Ohren aufhaben, das Herz und den Mund auf haben, um mitzukriegen, was tatsächlich da ist und dann wird man entdecken, das ganz viel da ist. Deswegen bin ich auch sauer, wenn Kinder andere Kinder auslachen, dieses hämische Auslachen, verstehen die Kinder auch relativ schnell, weil ich sie auch verteidige, wenn sie mal vorne stehen und was vorsingen. Ansonsten sage ich den Kindern, mache die Augen zu, guck sie gar nicht an. Du bist nur bei dir und machst die Musik, die du lebst und in dir drin hast und lässt die raus. Wenn du mich brauchst, kannst du auch meine Hand nehmen. Das ist eine entscheidende Geschichte, dass die Kinder auch Nähe spüren. Daher arbeite ich auch viel körperlich mit den Kindern. Ich nehme ihre Hände und trommele mit ihnen, so lange bis sozusagen mein Rhythmus, den ich ihnen in ihre Hand gebe, bei ihnen angekommen ist. Das ist eine Sache von Vertrauen, sich gegenseitig auch anfassen dürfen. Ich bin sehr nah an den Kindern dran, wenn ich mit der Gitarre rumfahre. Ich habe ja auch einen Behindertenrollstuhl und kann da im Kreis herumfahren und dann singe ich. Da habe ich einen Trick gezeigt. Ihr könnt das genau überprüfen, ob das stimmt mit dem Ton, den ihr macht. Ihr haltet euch ein Ohr zu, dann hört ihr euch selber und ihr hört den Ton, den ich mache. Wenn die so auf die gleiche Schwingung kommen, dann haben wir es. Das haben sie relativ gut kapiert. Jede Musikgruppe hat so einen Kontrolllautsprecher auf der Bühne, deswegen halten sie auch manchmal das Ohr zu. Das habe ich ihnen gesagt. Die Musiktheorie kann dann ansetzen, wenn die Kinder so sicher sind und so eine positive Erfahrung mit Musik haben. Musik ist dann ein Medium, in dem sie sich sicher und emotional ausdrücken können. Dann sind sie auch stabil genug in diese theoretischen Geschichten einzusteigen.
Sollten auch praktizierende Musiker als Musiklehrer tätig sein können?
Welche Voraussetzungen müssten erfüllt sein?
Es gibt ganz bestimmte Erfahrungen. Ich habe 1974/75 mit Kindern in der Villa Kunterbunt in Bischofsheim gearbeitet. Da kamen Musiker von der Rockformation Captain Sperrmüll und von anderen Rockformationen mit rein, mit denen ich nebenbei dann auch noch gearbeitet habe. Die haben mit den Kindern gespielt und das war ein schönes Erlebnis, denn das waren alles keine ausgebildeten Profis, sondern Amateur-rockformationen. Mental und sozial ziemlich auf der Ebene der Kinder, die dort in der Schule waren. Da war ein unmittelbarer Zugang möglich. Die haben mit denen Musik gemacht. So ein Einlassen gibt’s oft nicht bei den akademisch ausgebildeten Musikern. Ich habe ein bisschen Schwierigkeiten bei dem Reinschneien z.B. Klassik für Kinder oder so. Das kommt ein bisschen stark von oben, aber da gibt’s auch Ausnahmen. Der Wolfgang Stryi, der Christoph Korn, der Oliver Augst oder du, ihr seid ja alles Profis. Ihr kommt von eurem intellektuellen Ross gut runter und könnt euch auf die Ebene der Kinder gut einlassen und könnt von den Kindern lernen. Man muss merken, das die akademischen Grade manchmal nur Papier sind. Man muss von dem Ross runter-kommen und sich auf die Kinder einlassen und mit dem Material arbeiten, was man vorfindet. Natürlich finde ich in einem philharmonischen Orchester ganz bestimmtes Material vor. Wenn ich dem gewachsen bin, die entsprechende Qualifikation habe und sozusagen zu diesem Material gehöre, dann kann ich auch mit diesem Material arbeiten. Aber hier muss ich in der Lage sein herunter zu steigen, bzw. mich auf der gleichen Augenhöhe zu bewegen und mit den Kindern zusammen arbeiten, mit dem, was die selbst an Musik produzieren.
Es sollen seitens der Schule jetzt Musik AGs eingerichtet werden? Was wäre
deiner Meinung nach notwendig um diese effektiv gestalten zu können?
Ich bin der Meinung, dass es eine breitgestreute Arbeit geben muss für alle Kinder, auf jeden Fall der Musikunterricht zeitlich ausgedehnt werden müsste, sowohl im Vormittags- und im Nachmittagsbereich und dass man aus diesem Musikunterricht selbst dann ganz bestimmte Spezialisierungen oder Neigungsgeschichten anbietet, wie Klavier, Gitarre, Trommel, Flöte oder irgendwelche Instrumente, die die Kinder gerne spielen würden. Es müssten dann kleinere Gruppen gebildet werden, damit man mit den Kindern besser arbeiten kann, als das im Musikunterricht der Fall ist. Es gibt im Moment so eine gegenläufige Geschichte. Für mich war dann immer der Musikunterricht der intensivere Bereich, während der Großchor von 40 – 80 – 120 Kindern weniger intensiv war. Es gab dann hinterher auch die Gitarren AG und die Trommel AG nachmittags. Die wurden dann auch etwas intensiver. Wir brauchen mehr Leute, die das anbieten und die müssen abgesichert sein. Das dürfen nicht irgendwelche halbbezahlten Jobs sein, wo man gerade das Benzin mit bezahlen kann. Das müssten Leute sein, die eine feste Anstellung als Grundschullehrer, Musiklehrer haben in der Grundschule und darüber hinaus über diese Kernarbeitszeit Unterrichtsverpflichtungen vormittags, nachmittags und somit die Möglichkeit haben, unbelastet und relativ stressfrei auch solche AGs anzubieten. Es soll Spaß machen und zwar den Lehrern, wie den Kindern und die Kinder merken hier sehr schnell, ob das nur eine Pflichtleistung für ein Gehalt ist.
Wie ist die räumliche Situation in der Gebeschusschule für musikalische
Aktivitäten?
Die sieht hier sehr gut aus, weil im Parterre neben dem Lehrerzimmer und der Lernwerkstatt, ein spezieller Raum für Musik und Polytechnik zur Verfügung steht, für den Chor und die Nachmittags AGs, also Gitarre und Trommeln. Das wird auch bejahend positiv besetzt. Es gibt zwei Hallen, in denen kleinere und größere Konzerte stattfinden können. Zwei Turnhallen, die kleine oben und die große unten. Da kann man einige Sachen machen und es gibt eine große Akzeptanz von Seiten des Kollegiums, vom Hausmeister und den Frauen, die hier putzen. Insofern ist das optimal und man kann damit viel anfangen, wenn es erhalten wird.
Was hältst du von der Idee, die Schulen auch für externe Interessenten zu
öffnen, z.B. auch abends, in Hinsicht der vielen räumlichen Möglichkeiten?
Das müsste mit dem Hausmeister arrangiert werden. Das ist ein offenes Haus. Es muss aber auch behütet werden. Ich finde es generell sehr gut und je mehr desto besser, wenn Initiativen von außen rein kommen, wie Vereine, Gruppen etc. aus sämtlichen Bereichen. Es gibt z.B. die Töpferwerkstatt, die Fahrradwerkstatt. Es gäbe möglicher-weise auch noch Raum für einen Proberaum, der relativ schalldicht ist. Das ist eine Sache, die die Schulgemeinde beschließen und noch weiterentwickeln müsste. Es gibt auch noch andere Bereiche z.B. im Nachbarschaftshaus Lamboy-Tümpelgarten. Die haben auch viele Sachen. Das verteilt sich. Was die anbieten, machen wir nicht und umgekehrt, das geht arbeitsteilig weiter und das ist eigentlich eine gute Entwicklung, weil da auch die, die der Schulsphäre entwachsen sind mit ihren weiteren Freizeit-aktivitäten angedockt sind.
Wie kam es zu der Idee mit den Lamboykids eine Musikgruppe aufzubauen?
Das ist eine Mischung aus einer sozialpädagogischen Nachmittagsgruppe, die Kinder aus schwierigen Verhältnissen, was ihren Leistungsstand, wie auch die häusliche und berufliche Umgebung – mit Arbeitslosigkeit oder Vollcontischicht unf Nachtarbeit betrifft, betreut. Dies ist der erste Kern. Der zweite Kern kam aus dem fächerüber-greifenden, verschränkten Musik-, Deutsch-, Kunst-, Polytechnikunterricht, Mathematik auch. Da haben wir entsprechende Experimente gestartet mit der Eingangsstufe, der Primarstufe. Aus Elternarbeit, aus Sozialarbeit hier im Viertel. Das ist ein ganzes Bündel und aus der erarbeiteten Erkenntnis, dass Musik ein sehr zentrales Medium ist, in dem sich die Kinder entwickeln. Die Integration in Musik ist auch ein internationales Medium, das heißt, Kinder aus über dreißig Nationen, die hier zusammen lernen, finden sehr schnell in der Musik gemeinsame Rhythmen und ein gemeinsames Ausdrucksmedium, das nicht primär an die Beherrschung einer anderen Sprache gebunden ist. Man kann sozusagen spielend oder singend die andere Sprache erarbeiten. In diesem Bereich macht das Lesen einen Sinn. Das heißt, sie hören ein Lied und so wie sich viele Kinder ihr Frühenglisch, weniger an der Schule, als am PC bzw. am Multiplayer aneignen durch Songs, da erleben sie Frühenglisch mehr, als in der Schule. Sie singen teilweise schon englische Lieder, ohne zu wissen, was sie da eigentlich singen. Sie beherrschen Sprachmelodie, ganz bestimmten Wortschatz ohne zu erahnen, was das heißen könnte. Es waren sozialtherapeutische Ansätze. Ich habe getrommelt mit den Kindern. Ich habe mir bei der Firma Heraeus-Quarzschmelze die ersten Trommeln besorgt. Das waren Transportfässer für Quarzsand und dann haben wir getrommelt, wie die Weltmeister. Wir haben die Trommeln bemalt. Das war ein fächerübergreifendes Projekt, Kunst, Polytechnik usw. Die Kinder haben bei dieser Arbeit auch gut Deutsch gelernt. Allein auseinander zu halten, was grün, gelb, blau und die Mischfarben betrifft, welche Pinsel es gibt und welche Größen und was man mit denen alles machen kann. Das sind Sprachanlässe, die du sonst künstlich erarbeiten müsstest. Die haben sie gemacht, weil sie Trommeln bauen wollten. Oder sie wollten ein ganz bestimmtes Lied lernen und wir haben gesagt, OK, schreib es auf, wir wollen es dann lernen. So ist ein kleines Liederbuch entstanden. Die Kinder, die hier in der ersten Klasse anfangen und noch nicht lesen können, die gucken mittlerweile in dieses Liederbuch und suchen die Lieder nach der Gestaltung der Seite und finden dann teilweise auch die richtigen Lieder in dem Buch. Wenn sie das gepackt haben, gehen sie an den nächsten Schritt. Sie finden Seiten, die teilweise ähnlich gestaltet sind und merken, da steht aber was anderes. Sie können zwar immer noch nicht lesen, aber sie können schon differenzieren. Bei dem einen steht z.B. Lamboypark und beim anderen steht Lamboykids. Sie lernen, ohne dass ich Deutschunterricht gebe, plötzlich Ganzwortlesen. Sie lernen, ohne dass ich es sage, analytisch. Diese Sachen sind nicht bewusst gesetzt, sondern die entwickeln sich aus dem Prozess und ganz spontan auch ohne Lehrer. Hier gibt es keine Lernpflicht. Die entscheidenden Lernphasen hatten sie beim Erwerb einer der schwierigsten Kulturtechniken: dem Lernen, dem Sprechen einer Sprache ohne Noten, ohne Lehrer, ohne Schule, ohne Sitzenbleiben, ohne Griffel, ohne Kopfnoten, ohne Lesebuch. An dieser Art des Lernens anknüpfend und weiterführend läuft ein Leselernprogramm in diesem Chor oder dem Musikunterricht ab, was ein Lernen ist, was nicht von oben diktiert oder nach Pisa geregelt ist.
Welche Förderleistungen erhältst du für deine Arbeit ? a) in der Schule, b)
außerhalb der Schule?
Es gibt manchmal Gelder außerhalb der Schule für ein Konzert. So was wie ein Unkostenbeitrag. Ich habe das immer eingesetzt für Instrumente, Saiten oder Material zum Instrumentenbau. Ich habe vom hessischen Ministerium ein kleines Gehalt bekommen für meine Arbeit. Da bin ich unheimlich dankbar. In der Schule gibt es eine ganz zentrale Sache. Über fünfzehn Jahre lang hat das Gesamtkollegium und die Schulleitung wirklich Steine aus dem Weg geräumt oder zumindest Bretter drüber gelegt, dass der Chor, die Trommelgruppe arbeiten konnte. Manchmal war es den Kollegen zuviel, die wollten dann nicht mit zu den Konzerten, weil das unbezahlte Überstunden waren. Viele Eltern haben mitgemacht und die Aufsicht mit unterstützt und beim Aufbau mitgeholfen. Das ist auch nach wie vor so. Bei den Kollegen hat es ein bisschen in der Weise nachgelassen, weil zusätzlich aufgebrummte Arbeit aus Wiesbaden zugenommen hat. So ist nur noch wenig Energie frei, die sie dafür zusätzlich einsetzen könnten. Aber die Schulleitung hat unheimlich mitgeackert.
Welche Kooperationen gibt es?
Es gibt zum Heilig-Geist-Kindergarten und der Kindertagesstätte der katholischen Kirche ein sehr schönes und intensives Verhältnis. Wir haben ein oder zwei Konzerte gemacht. Die Kinder von dort haben schon Kontakte zu uns. Die hören den Chor, wenn sie hier morgens zur Turnhalle vorbeilaufen oder kriegen die Gitarrengruppe mittags mit. Denen ist klar, wenn wir hierher kommen, dann gehen wir zu den Lamboykids. Das ist sehr positiv aufgenommen worden. Da gibt es eine mentale Kooperation. Es gibt über die gemeinsamen Konzerte, Veranstaltungen und über den Lamboyladen gemeinsame Geschichten. Es gibt gemeinsame Konzerte mit der Folkloregruppe. Teilweise sind hier Kids in der Folkloregruppe und im Chor und es gibt Überschneidungen, wenn es Auftritte gibt. Das lässt sich aber alles wunderbar organisieren. Im Nachbarschaftshaus Lamboy-Tümpelgarten gibt es jedes Jahr und regelmäßig das LaTü-Fest. Dafür habe ich auch das Logo entwickelt. Es gibt auch einen Austausch zwischen NLT und Gebeschusschule hie und da. Das lässt sich noch intensivieren. Mit den Kindergärten insgesamt ist es ähnlich, wie mit dem Heilig-Geist Kindergarten. Was eine sehr schöne Geschichte ist, ist die kurzgeschlossene Sache zwischen dem Lamboypark und der Gebeschusschule mit der Nutzung des gemeinsamen Sportfeldes. Das ist das gleiche Klientel. Da kommen dann ehemalige Lamboykids mal rüber zum Chor oder bei Konzerten sind sie dabei. Auch bei Festen zwischen Albert-Schweizer Kinderdorf und Lamboypark sind wir auch immer regelmäßig dabei. Aus dem Chor und der musikalischen Arbeit haben sich noch andere Sachen entwickelt. Es gibt eine Rappergruppe, die bestückt ist aus ehemaligen Lamboykids, die dort ihre tänzerischen und musikalischen Optionen weiterentwickeln. Es gibt eine Breakdancergruppe im Lamboypark, die auch Teile von der Gruppe sind oder aus früheren Zeiten entsprungen sind. Aus dem Musikunterricht, wo ich Sachen teilweise mit übernommen habe, mich da reingeschafft habe, die mir vorher fremd waren. Ich komme ja aus dem Bereich der Kirchenmusik und war früher mal Chorknabe, insofern habe ich das Rappen nicht unbedingt von Geburt an mitgekriegt. Das habe ich auch gefördert. Hier im Chor und im Musikunterricht haben die dann Breakdance gemacht, bis zum Umfallen. Das war ein Heidenzirkus, aber das finde ich gut. Ich merke jetzt, ohne dass ich da meine Finger drin habe, wie die sich verselbstständigt haben und sozusagen auf die eigenen Füße kommen. Die haben eine ganz tolle Gruppe aufgebaut, die unheimlich tollen Rap macht und eine Breakdancergruppe, die regional oder schon überregional einen Namen hat. Da sind natürlich auch Leute dabei, die nicht aus den Lamboykids kommen. Aber es sind auch welche von meinen Lamboykids dabei und da bin ich ganz schwer stolz darauf( lacht ).
Welche Voraussetzungen sollten mitgebracht werden, um ein Projekt, wie die
Lamboykids zu leiten?
Das ist eine Mischung. Es muss außerschulische Berufserfahrung sein. Man muss möglicherweise auch wissen, wie der Schweiß riecht, nach einer Vollcontischicht bei Dunlop. Man muss wissen, was Arbeitslosigkeit, Hartz IV und Ein-Eurojobs sind und wenn mal im Winter die Füße abfrieren, wenn die Winterbrandbeihilfe der Stadt Hanau nicht gezahlt wird. Das muss nicht alles sein, aber im Normalfall sollte man auch mal die Füße auf dem Boden gehabt haben des Klientels, das man hier auch unterrichtet. Wenn man die Entscheidung getroffen hat, hier mit den Kindern zu arbeiten, dann hat man auch ganz bestimmte eigene Vorerfahrungen gemacht. Wenn man nicht mentale Erfahrungen gemacht hat und sich nicht auf die Ebene der Kids begeben hat, dann wird man sich auch nicht dafür entscheiden, hier zu arbeiten. Die sagen dann, o Gott, die stecken uns hier das Auto an oder klauen mir die Perücke. Das ist überhaupt nicht war. Wenn die Kinder dich ins Herz geschlossen haben, dann stellen sie dir ein zweites neben dein erstes oder bringen dir den zweiten Geldbeutel, wenn du deinen ersten verloren hast. Kein Problem. Hier wird dir kein Haar gekrümmt. Wie man in den Wald reinschießt, so schießt es auch wieder raus. Du musst keine Berührungsängste haben. Du musst die Kids zu Hause besuchen. Du musst mit der Mama reden, nicht wenn du wie der Onkel Doktor kommst und fragst, wie geht es denn. Du musst nicht Mitleid haben, sondern eventuell ein Stück mitleiden. Zumindest auch mal das anhören, was die alles am Hals haben, um sich praktisch mal vorstellen zu können, was das für die Kinder heißt. Dass es überhaupt eine Wahnsinnsleistung ist, dass die morgens in die Schule kommen. Ich würde als Kind unter den Bedingungen gar nicht in die Schule gehen. Ich würde mich
irgendwo vergraben. Für die ist es entscheidend, dass es verlässliche Ansprechpartner gibt und keine Eventkasper, die zweimal im Jahr kommen und Tschüss sagen, vielleicht kommen wir nächstes Jahr wieder. Theatervorführung in der Schule ist etwas schönes, nur es muss verlässlich sein. Das darf kein Verzehrbon sein, dass sie meinen, jetzt kriege ich mal ein bisschen Kultur reingestopft. Die müssen eine eigene Theater-AG haben, wo sie das, was Theater, was sie vorgeführt bekommen haben, auch selber produzieren können oder reproduzieren oder eigenes Machen können, das ist entscheidend. Die brauchen, wo die Alten ihnen unter dem Arsch weggezogen werden, in Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, Drogen, Prostitution, Abschiebung etc., da brauchen sie ein Areal wo sie ihre Füße sicher hinstellen können und ihr Herz und ihren Arsch und ihren Kopf. Du brauchst, um hier arbeiten zu wollen, Mut zum Chaos und zur Katastrophe. Du musst katastrophenresistent sein. Jeder Tag ist eine Katastrophe, aber das ist normal. Wenn du diese Normalität akzeptiert hast und du verstehst, dass du in dieser herrschenden Katastrophe überleben musst und man sich überlebensfähig und lebensfähig macht, dann macht man das mit den Kindern zusammen und dann wird man stark. Du musst die Kinder stärken. Das ist eine Grundsatzentscheidung und die darf nicht komme ich heute, komme ich übermorgen oder vielleicht komme ich doch nicht bedeuten. Wenn die in Wiesbaden nicht dafür die Voraussetzungen schaffen, damit die Leute sich dafür entscheiden können, – ach ja, ich habe schon ein Kapitel über organisierte Kriminalität abgelassen.
Hast du für dich eine bestimmte Arbeitsmethode entwickelt?
Ich bin selbst ein Chaot. Ich bin flexibel. Ich entscheide meist was ich hier mache, wenn ich hier reinkomme. Ich sehe wie die Kinder drauf sind, ich sehe wie ich drauf bin. Ich habe einen Vorteil, den muss ich der Schulleitung hoch anrechnen. Dieser Raum, den ich zur Verfügung habe mit seiner Fülle an Material und Aktivitätsoptionen, der macht es mir auch möglich auf die Situation der Kids jederzeit einzugehen. Ich habe innerhalb von dreißig Jahren improvisieren gelernt. Das ist eine Sache, die kann man nicht im Schnellschritt hinkriegen. Man muss mit dem arbeiten, dass man vorfindet. Man muss von einer wunderbar vorbereiten Schulstunde, die man zu Hause theoretisch vorbereitet hat, absteigen können und sagen können, nee, Leute, wir machen was ganz anderes. Man kann das dann machen, wenn es dran ist. Was aber dran ist bestimmen eigentlich die Befindlichkeiten der Kinder. Ich kann natürlich auch Befindlichkeiten bestimmen oder befehlen, nur das ist vergeblich. Ich muss sehen, was bei den Kindern reingeht und was möglich ist und das muss ich noch mal abgleichen mit dem Lehrplan. Wenn das eigentlich heute dran ist nach dem Lehrplan, dann muss ich sagen, lieber Lehrplan, du bist heute nur ein Leerplan. Die Kinder haben mit anderen Sachen den Kopf voll und dann füllen wir den Leerplan mit den Sachen, die die Kinder gerade im Kopf haben.
Ich muss da variieren und mich mit dem auseinandersetzen. Ich darf natürlich auch nicht das, was ich will aus dem Kopf verlieren. Die Kids müssen schon merken, was ich erreichen will. Deswegen hole ich mir auch eine demokratische Rückmeldung und frage, wer jetzt mehrheitlich dafür ist. Das mache ich aber nicht jedes Mal, dass ich frage ob wir Unterricht machen. Ich mache natürlich Unterricht. Die Kinder sind davon nicht gestorben. Die Kinder kommen manchmal an und fragen, Herr Barth-Engelbart, können wir nicht das machen? und ich denke mir, OK, machen wir heute was anderes. Sie haben eigene Vorschläge. Wenn du Kindern andauernd einen Plan vorhältst, welcher Kopf kann sich daraus denn entwickeln. Der kann doch nur nach Vorschrift arbeiten. Wenn du ihnen aber die Leerstelle lässt, dann kommen sie von selber und wenn sie dann sagen, wir wollen…, dann hast du gewonnen.
Jetzt hast du hier ja einen sehr schönen Raum zur Verfügung. War das schon
immer so oder musstest du dir dieses Privileg erst erkämpfen?
Ich habe eine Klassenleitung gehabt, die war ziemlich chaotisch und da kann eine Kollegin Bände drüber schreiben. Die haben wir zusammen gemacht, das war sehr schön. Wir hatten eine Doppelbesetzung für eine schöne Klasse, die sogenannte Elefantenklasse. Da hatte ich schon diese Materialfülle, teilweise zum Leidwesen meiner Kollegin. Die war etwas anders. Manche haben gemeint, das ist eine permanente Reizüberflutung. Die Kinder können sich ja gar nicht richtig konzentrieren und ich sagte, dann schafft doch einfach die Welt ab. Das ist eine einzige Reizüberflutung. Die Kinder lernen sich in diesem Panoptikum zurecht zu finden. Die wissen ganz genau, wo mein Chaos Struktur hat und wo ich etwas hingelegt habe und wenn ich etwas nicht finde, dann frage ich die Kinder, hier Kinder, ich weiß nicht wo die Scheren sind? oder so was und innerhalb von fünf Minuten haben die Kinder das Chaos durchsucht und sagen, Herr Barth-Engelbart, da haben sie es hingestellt: Die Kinder lernen sich in diesem Chaos zurecht zu finden. Learning bei doing. Die räumen auch hier ganz gerne auf. Die bleiben auch gerne mal länger drin, wenn sie mal frei haben und sagen, Herr Barth-Engelbart, wir räumen jetzt hier mal auf. Dann räumen sie auf und ich finde hinterher gar nichts mehr, aber sie finden es ( lacht ).
Welche Instrumente gibt es und woher kommen diese?
Die meisten Instrumente haben wir selber gebaut. Die Backmitteleimer sind die kleinen Trommeln. Die großen Trommeln haben wir bemalt. Das sind Transportfässer von Quarzschmelze-Heraeus. Jetzt habe ich aber keinen Kunstunterricht mehr und müsste den Restunterricht benutzen, um die Trommeln zu bemalen. Deswegen ist es auch wichtig, dass du auch in den geordneten „Kern“-Unterricht gehen kannst und diese Aufgaben übernehmen kannst. Wir müssen das mit der Qualifikation da irgendwie hinkriegen oder nachreichen. Die Gitarren haben sich die Kinder zu fünfzig Prozent ersungen. Wie z.B. bei IKEA.
Gibt es auch manchmal Honorare für die Auftritte?
Ja, manchmal. IKEA hat uns mehrfach honoriert. Einmal haben wir dort gespielt und haben sieben Gitarren gekriegt von IKEA. Das war ein Sonderangebot und die haben sowieso nur dreißig Euro gekostet. Egal. Da haben wir mal ein Konzert gegeben. Das war ein affengeiles Konzert und da haben wir dann die Gitarren gekriegt. Das zweite Konzert bei IKEA haben wir für eine Erstausrüstung unserer Kantine gemacht. Da bekamen wir Geschirr usw. Wo waren wir.?
Bei den Musikinstrumenten…..
Daher haben wir die Gitarren. Wir haben ein paar Xylophone, über zwanzig Metallophone, diese Glockenspiele. Die sind sehr wichtig für Tonfindungsaktionen. Das ist ein sehr gutes Spielgerät, z.B. machen die Kinder die Augen zu und ich spiele einen Ton vor und die Kinder müssen den Ton finden. Oder wir versuchen irgendwelche Lieder nachzuspielen. So wie man früher Blockflöte gequält hat, so quälen wir manchmal dieses Metallophon. Flöte ist ein Folterinstrument. Du musst koordinieren und die richtige Atemtechnik entwickeln, musst Notenlesen und das alles in der ersten Klasse. Das finde ich nicht kindgemäß. Mit den Metallophonen geht das viel einfacher. Die Kinder wollen Elefantenmusik machen. Daher haben wir auch abgesägte Rohre. Damit machen wir ein Elefantenorchester. Wir haben selbst gebaute Panflöten. Die haben wir in Polytechnik und Kunst gebaut. Ganz einfach und simpel herzustellen. Wir haben für afro-lateinamerikanische Rhythmen diese Metalltrommeln. Die Weiterentwicklung sind die Ölfässer, aus denen man die Steeldrums macht. Wir machen das mit Konservendosen, die zusammengeschraubt sind. Die Kinder müssen sich dabei die richtigen Tonhöhen aus allen Konservendosen heraussuchen. Die werden dann auch nach Tonhöhen sortiert. Dann haben wir ein Flaschenglockenspiel. Das macht ganz tolle Klänge und ich habe dafür auch eine Selbstbauanleitung. Die kann ich jedem nur empfehlen und man kann hier vorbeikommen, um zu hören, wie das klingt und wie man das bauen kann. Ein Sprachheillehrer sagte mir einmal, das was du hier machst, ist das gesamte Repertoire, was du als Logopäde und Sprachheillehrer tust und du machst Gehörschulung bis zum Anschlag. Das ist eine Grundvoraussetzung für ganz bestimmte Rezeptoren für Fremdsprachen. Das Sprachverständnis als Gehörschulung für die eigene Sprache. Diese Tonfindungsarbeiten mache ich sehr oft, manchmal die ganze Stunde. Dabei frage ich auch immer die ganze Gruppe und es gibt immer ein riesiges Hallo, wenn sie den Ton gefunden haben. Die Trefferquoten werden immer besser. Mein Grundsatz ist sowieso der, dass kein Kind aus dem Unterricht rausgeht, wenn wir bestimmte Übungen machen, ohne das es eine eins bekommt. Manche Kollegen fragen dann, wie kommst du dazu, denen allen eine eins zu geben? und dann sage ich, weil sie es alle können und wer es kann, der kriegt von mir eine eins. Wenn wir morgens im Musikunterricht einen ganz bestimmten Rhythmus, den ich vorgebe oder den ein Kind vorgibt üben, dann gibt’s für jedes Kind, das es packt eine Eins und so gibt es Konkurrenz zwischen den einzelnen Klassen. Ich sage vorhin hat die erste Klasse auf den ersten Schlag siebzehn Einser gemacht, mal sehn, ob ihr das auch packt?, dann packen es dreizehn und ich sage OK, bei der nächsten Stunde schaffen wir mehr und dann üben die zu Hause auf dem Tisch oder sonst wo im Keller und kommen beim nächsten Mal und dann schaffen es zwanzig oder mehr. Das geht dann als so weiter, bis es alle können und da helfen dann die, die es schon können mit, weil sie mit den anderen üben. Ich gebe keine Einheitsnoten. Ich gebe die Noten für jedes Kind individuell und jedes Kind hat es gepackt und darum bekommen alle eine eins. Die leisten was und die leisten es gerne. Wir haben da auch schon Dienstgespräche geführt und das ist manchen Kollegen suspekt. Die geben ihre Noten knallhart. Da gibt’s Unstimmigkeiten, weil sie meinen, ich würde meine Noten verschenken. Das würde ich in Deutsch oder Mathe aber genauso machen. Ich möchte das benoten, was die Kinder an Lernschritten machen und das bedeutet auf der Stufe, auf dem sich das Kind befindet. Ich möchte nicht einen bestimmten Level erreichen, sondern ich möchte, dass das Kind etwas lernt, dass es damit anfängt mit Lust selbständig zu lernen und zu fragen und zu forschen..
Gibt es musikalische Produktionsmöglichkeiten in der Schule, z. B.
Aufnahmegeräte oder existieren auch schon Aufnahmen von der Gruppe z.B. in
Form einer CD?
Wir haben einmal für einen Musikwettbewerb ein Verkehrssicherheitslied produziert, da war aus einer Gesamtschule ein Musikprofi da, der hatte ein kleines mobiles Tonstudio. Da haben wir eine Musikkassette produziert und die eingeschickt, aber keinen Preis dafür gewonnen. Zu den Kindern habe ich dann trotzdem gesagt, natürlich haben wir einen Preis gewonnen, denn wir haben daran teilgenommen. Ich habe dann auch eine Urkunde selbst entwickelt und zu ihnen gesagt, für die Teilnahme. Das war alles gefälscht, aber das macht nichts. Wir haben noch keine CDs gemacht, sind aber auf einigen Response CDs, zwei- dreimal, vertreten. Das ist eine Schwachstelle, die ich habe. Ich kenne mich mit dieser ganzen Technik überhaupt nicht aus. Das fängt schon damit an, dass ich Aversionen habe mit der E-Gitarre zu spielen. Es fängt mit der Elektrik an und wenn es in die Elektronik geht, dann bin ich sozusagen auf dem Mars gelandet. Das ist mein Schwachpunkt. Normalerweise müsste das alles auf CD oder Video dokumentiert sein, aber ich habe nur Zeitungsartikel, Bilder und vielleicht schlummern bei irgendwelchen Eltern Mitschnitte von irgendwelchen Konzerten. Es hat mir ein Studio mal angeboten, das zu machen, aber das ist mir alles zu kompliziert Aufnahmegeräte gibt es nicht und damit sind die technischen Voraussetzungen für solche Aufnahmen nicht gegeben. Man kann eine MC-Aufnahme machen, aber das hört sich dann auch so an.
Sind die Lamboykids alles Schüler der Gebeschusschule oder gibt es auch
welche, die nicht an der Schule sind?
Es kommen manchmal auch Kinder zu den Konzerten dazu, die über ehemalige Kids erfahren haben, dass das Konzert stattfindet und das auch ganz toll ist. Die kommen dann dazu und singen an der Peripherie auch die Texte mit. Das ist aber seltener der Fall. In der Regel sind es ehemalige Kinder von der Schule oder aus der Schule. Über Kindergärten kommen gelegentlich Nachfragen, ob man auch von außen dazu kommen kann. Das würde wahrscheinlich
im Nachmittagsbereich der Fall sein. Man müsste das
schulversicherungstechnisch absichern. Weiß ich jetzt nicht genau, wie das
möglich ist. Interesse besteht schon. Wir hatten schon bei Konzerten die
Anfragen von anderen Eltern aus anderen Schulen, wie man da denn mitmachen
könne. Man müsste einen Gestattungsantrag stellen, das Kind an der
Gebeschusschule anmelden und dann ist das dann automatisch dabei. Es gibt
eine ganze Reihe von Kindern, die ab und zu kommen und wenn Konzerte sind,
dann kommen noch viel mehr. Da existieren auch Bilder von ehemaligen Kids
bei den Konzerten. Das ist offen. Die kommen auf eigene Verantwortung und
die kommen auch mit und passen auf ihre Geschwister auf, wenn die Mutti oder
der Vati nicht kann. Das passiert relativ häufig. Auch wenn ich mal
auftauche in den weiterführenden Schulen, z.B. der Georg-Büchner
Gesamtschule in Erlensee, in Bruchköbel oder hier in der Hessen-Homburg, da
würde ich am liebsten mal mit allen Ehemaligen ein Zentralkonzert machen, so
mit fünfhundert bis sechshundert Kids. Das wäre mal was..
Welche Ideen bringen die Kids selbst ein?
Erstens mal, jederzeit und zweitens mal sind die auch gefordert. Sie bringen
sich von sich aus ein, sagen auch mal was sie nicht mögen, schon wieder
deees !?, das ist mir langweilig und mache mal was anderes. Ich gehe aber
nicht auf alles ein. Ich lasse mir da auch was vorsingen, da gibt’s ja auch
den Bohlen usw., das ist mir aber egal. Gerade diese Superstargeschichte ist
eine Tendenz, die fördert, was ich eigentlich bekämpfe. Da habe ich eine
ganze Reihe von solchen Ersatzkings. Denen muss ich teilweise wirklich die
Zähne ziehen. Ich möchte die Kids einsetzen und einbinden in das Kollektiv
des Chors, wo sie sich einordnen können um ihr vermeintliches Können
abzuprüfen und weiterzugeben. Man muss die individuellen Leistungen der
Kinder einbetten. Sie müssen sie geben können, aber so, das sie nicht dabei
angeben. Die anderen müssen aber auch neidlos anerkennen, dass sie etwas
können. Nehmen und geben können ist das, was sie lernen müssen und da
brauche ich nicht den Superstar zu suchen. Wenn die Kinder eine schöne
Stimme haben und ihre Stimme entwickeln, dann bestärke ich sie darin. Wenn
jemand eine nicht so tolle Stimme hat, dann bestärke ich sie, in dem sie
sich im Chor einbringen und sozusagen sich mitsingen lassen. Das habe ich
von afrikanischen Chören gelernt. Die lassen zum Teil ältere Frauen
vorsingen, die eigentlich überhaupt nicht singen können. Die fangen dann
ganz falsch an, werden dann aber vom Chorus auf die richtige Höhe oder Tiefe
getragen.
Wenn sie mal was reproduzieren, dann werden sie auch merken, ob es gut ist
oder nicht. Ich tabuisiere das nicht, signalisiere aber auch schon, wenn ich
etwas nicht gut finde. Ich bin nicht so ein Superpädagoge, der immer sagt,
Oh, ist das toll. Die merken das sowieso, wenn es gelogen ist. Was manchmal
schwierig ist, aber was ich bewusst mache, ich animiere sie dazu, ihre
Heimatlieder mit einzubringen und ihre Muttersprachen zu reaktivieren.
Zumindest soweit, dass sie diese Lieder noch mal vortragen können oder dass
sie deutsche Kinderlieder in ihre Muttersprache übersetzen und wir sie dann
zusammen singen. Dasselbe auch umgekehrt, Muttersprachenlieder auf Deutsch
übersetzt. Da sind die Eltern auch miteinbezogen und die kriegen auch
signalisiert, Mensch sieh zu, dass die Kinder auch weiterhin ihre
Muttersprache beherrschen, weil das eine Potenz ist, die nicht nur für die
psychische Entwicklung sondern auch für die berufliche Karriere dringend
gebraucht wird. Wer russisch und auch englisch kann hat doppelt so viele
Optionen, wie jemand der nur russisch kann. Das gilt natürlich auch für
deutsch.
Welche Ideen bringen die Kids ein? Die bringen also auch ihre eigenen
Rhythmen und bei der Textarbeit auch ihre eigenen Texte ein. Die fertigen da
teilweise Rohmaterial für die Texte oder liefern Ideen, witzige
Textwendungen usw. oder schon vorgefertigte Reime, die ich dann zu Hause am
PC vervollständige. Die lege ich dann wieder vor und das wird dann für gut
befunden oder abgelehnt, dann machen wir halt was Neues daraus. Auf Zuruf
kommen ganz viele Sachen und ich sehe zu, dass sie metasprachlich arbeiten
können. Nehmen wir z.B. das Wort überlaufen. Eine Badewanne kann überlaufen.
Ein Soldat kann überlaufen. Oder übergehen, ich übergehe dich, was bedeutet
das? Ist da jemand über dich gelaufen oder was? Ein Kind muss
muttersprachlich in der Lage sein, das zu erklären, um das zu verstehen.
Solche Dinge müssen die Kinder sich sehr differenziert gegenseitig erklären,
am besten in der differenzierten Sprache, die sie beherrschen, nämlich in
ihrer Muttersprache oder zumindest in einer, die sie besser beherrschen, als
die deutsche Sprache und dann sind sie nachfolgend in der Lage dieses Wort
auch in der deutschen Sprache anzuwenden und auch passend anzuwenden und zu
benutzen. Soviel zum Muttersprachverbot in den Pausenhöfen – .
Welches sind für dich die größten Probleme in dem Projekt?
Dass es nicht weitergeht, weil keine Finanzen zur Verfügung gestellt werden.
Das ist das erste Problem. Das nächste ist, dass die Kinder von den sie
umgebenden Problemen erdrückt werden, das heißt, Abschiebungsangst, Angst
vor Arbeitslosigkeit, Angst vor Trennung, von Liebes- und Zuwendungsverlust,
weiß der Teufel. Das sind soziale Probleme, die mit der Lage hier im Viertel
zusammenhängen, mit der politischen Lage in der Republik und der Welt
insgesamt. Das sind Sachen, die dieses Projekt täglich bedrohen und vor
allem die Kinder bedrohen. Das wirkt sich natürlich manchmal auf die
Gesamtstimmung aus und auf die Fähigkeit Sachen zusammen zu machen. Die
verdrängen ganz viel und das ist auch gut so. Die fünf Stunden im
Musikbereich helfen ihnen auch diese Sachen ganz einfach zu vergessen. Es
muss also so sein, dass du mit ihnen nicht nur Musik machst, sondern dass du
mit Ihnen dagegen stehst, dass es ihnen noch dreckiger geht. Ein Problem
ist, dass es zu wenig Leute gibt. Die Kollegen sind überlastet. Ich schaffe
es manchmal nicht alleine. Ein Chor mit sechszig bis hundert Kids, manchmal
mehr, zu managen ist eine Knochenarbeit. Wenn man dann darauf angewiesen
ist, dass andere mitmachen, die aber auch schon selbst überlastet sind, dann
wird es eng. Zum Glück gibt es noch die Eltern, die zum großen Teil
mithelfen und auch bei der Aufsicht, beim Aufbau usw. Die haben kapiert, was
das für ihre Kinder bedeutet. Sonst fallen mir im Moment keine weiteren
Probleme ein.
Wie erlebst du die verschiedenen kulturellen Bezüge bei den Kids?
Die Kinder haben nicht gleich die Menschenrechte mit dem Löffel gefressen.
Es gibt im Viertel eine Hackordnung, wie das sonst auch der Fall ist. Die
Restdeutschen im Viertel meinen, sie wären die Besten, dann kommen die
Türken, dann kommen die Russen und dann die Polen und nach den Polen kommen
die Sinti und Roma. Dann kommen noch welche unten drunter. Das ist schon so
eine Situation, die zum Teil im Viertel auch zum Tragen kommt. Anfänglich,
aber das ist schon zehn bis fünfzehn Jahre her, war es so, dass die Kinder
das auch in die Schule mit reingebracht haben. Seit fünfzehn Jahren und
schon länger sind wir hier in der Schule da auch erfolgreich am arbeiten,
die gemeinsame Identität herzustellen. Das heißt, sich gegenseitig zu achten
und voneinander zu lernen und sich einander schätzen zu lernen und das
schätzen lernen, was die Kinder einbringen. Ich habe zum Beispiel
eingeführt, das Kinderlieder auf jeden fall in Romanes übersetzt werden. Ich
habe rausbekommen, dass ein Kind in direkter Linie verwand ist mit dem
Django Reinhard und dass dieses Kind einen ganz berühmten Jazzgitarristen
als Großonkel oder so was hat. Das war ein Einstieg. Ich kenne mich in der
Geschichte der Sinti und Roma hier in Hessen sehr gut aus und das wissen die
Eltern auch und so habe ich gewissermaßen Romanes hier als Kultursprache
eingeführt. Früher haben die Kinder hier von den Zigeunern geredet.
Mittlerweile haben sie ein Lied, Kurdisch-Sinti-Roma-Hessisch, das hört sich
gut an – . Romanes ist eine sehr gute Sprache. Es gibt verschiedene
Sprachen, verschiedene Sintidialekte oder Romanesdialekte, so wie es auch
mindestens fünf oder sechs kurdische Sprachen gibt.
Kurdisch habe ich auch eingeführt. Das war ja mal verboten und besonders die
türkischen Kinder haben eine Zeitlang ziemlich heftig und mental auf die
Kurden eingeschlagen. Ich habe dann ganz gezielt Texte auf kurdisch
übersetzen lassen. Dann haben alle türkischen Kinder, auch die
nichtkurdischen, die in der Mehrheit waren, kurdisch gesungen. Da gab es
auch Auseinandersetzungen bis in die Familien hinein und ich habe dann
gemeint, das ist eine Sprache und die muss genauso, wie ein anderer türkischer Dialekt gesprochen werden. Dann haben wir das einfach gemacht. Wir haben auch in russisch übersetzt, tamilisch, pakistanisch, also in die Sprachen aller Kinder, die hier versammelt waren. Es gibt das Lied, der Hahn ist tot. Hähne sprechen überall die gleiche Sprache. Was wir auch übersetzt haben ist das Lied, Bruder Jakob. Das hatten wir in ungefähr fünfundzwanzig bis dreißig Sprachen.
Glaubst du, dass sich das soziale Gefüge in der Schule gebessert hat, seit
dem es die Lamboykids gibt?
Das ist ein Bestandteil der ganzen Arbeit der ganzen Schule. Das kann man nicht isoliert sehen. Ohne die Arbeit der gesamten Schule, die sich hier nach außen geöffnet hat und die Arbeit in das Viertel getragen hat, wären die Lamboykids nicht möglich gewesen. Die Lamboykids sind schon ein integraler Bestandteil des Viertels. Es hat Identität geschaffen. Man sieht es an der Hymne. Der ganze Stadtteil kennt das Lied. Ich denke dazu habe ich auch einen Teil beigetragen, allerdings auch mit Vorarbeit, denn ich habe
hier schon seit 1974 Nachbarschaftshilfe gemacht.
Wie ist diese Hymne, Hey Lamboykids, entstanden?
Das ist eines der ersten Lieder, das ich mit den Kids gemacht habe. Das ist ein langer Prozess. Das Lied hat im Grunde zehn, bis zu zwölf Strophen. Ich drohe dann manchmal, wir singen alle vierundzwanzig Strophen und dann haben wir ein abendfüllendes Konzertprogramm damit. Es spiegelt bestimmte Situationen wieder. Die Verkehrs-situation, Wohnsituation etc. , das ist alles mit drin. Die Kinder bearbeiten in ihren Liedern, ihre Situation in verfremdeter Form. Die Lieder entstehen in einer Externalisierung der eigenen Probleme. Es gibt da auch Horrorfassungen von den Liedern, aber ich bin meist für ein Happyend. Das haben die Kinder verdient und das brauchen sie auch.
Wie kommst du an Auftritte für deine Kids?
Das sind die Geschichten, die wir selbst hier in der Schule organisiert haben, die Schulauftritte und über das Nachbarschaftshaus oder den Lamboyladen. Wir haben über Kinderfeste, über das Spielmobil viele Sachen gemacht. Über das Sommerfest der Familienhilfe. Auf dem Ausländerfest waren wir nicht, weil ich versucht habe, eine politische Instrumentalisierung der Kinder zu verhindern. Bei Parteien habe ich da auch immer abgewunken. Ach ja, eine ganz wichtige Sache sind die selbst gemalten Konzertplakate gewesen: das war wieder eine Mischung zwischen Kunst und Politechnik, Stadterkundung, Sachunterricht, Sport usw. Da habe die Kids auch erfahren, welche Geschäfte unsere Arbeit anerkennen und unterstützen. Für diese Konzerte hat es sehr viel Mundpropaganda gegeben und es hat sieben oder acht Jahre gedauert, bis wir dann auch auf dem Lamboyfest spielen konnten. Auf dem Bürgerfest sind wir aufgetreten. Wir sind auch bei einem Kongress, Schule kreativ in Frankfurt aufgetreten. Da haben wir alles abgeräumt. Mit zwei Stunden Verspätung sind wir da aufgetreten. Der Saal hat gebrüllt und die Leute wollten uns nicht mehr von der Bühne lassen. Da war auch der Rihm, einer von diesen neuen renommierten Musikern. Wir haben in diesen Kreisen einen sehr guten Namen. Vieles lief über den Wolfgang Stryi, vom Ensemble Modern, dann was über den Christoph Korn. Oliver Augst ist erst später mit eingestiegen. Das hängt sicherlich auch mit dieser Art zusammen, so mit Kindern Musik zu machen, die bis dato in dieser Region noch nicht vorgekommen ist. Ich mache die Musik mir den Kindern, die kommt nicht von oben, sondern von unten. Teilweise hat das aber auch Konkurrenzängste mobilisiert. Die Lamboykids sind aber leider noch ein Unikat.
Die Lamboykids sind ein multikulturelles Projekt. Gab es schon
Auseinandersetzungen mit rechtsgerichteten Gruppierungen wegen deiner
Arbeit?
Nein, das gab es noch nicht. Wenn dann vielleicht indirekt. Wir haben ein Benefizkonzert in der Kreuzkirche gemacht. Da waren ganz viele muslimische Kinder in der Kreuzkirche und haben in dieser evangelischen Kirche ihre Musik gemacht. Unter anderem mit einem drogenabhängigen und jetzt wieder cleanen türkischen Jungen, der wahnsinnig gut Saz spielt und einem Mädchen, das gesungen hat, wie eine Göttin. Da hat die Kirche gerockt. Die Lamboykids haben in der älteren restdeutschen Bevölkerung einen relativ großen Stellenwert. Wir haben bei Nachbarschaftsfesten gesungen. Da gab es anfänglich etwas Motzerei, die sollen doch deutsch singen. Aber wir haben ja AUCH deutsch gesungen. Das sind aber ganz wenige gewesen, die etwas rumgemault haben. In der Regel ist es so, dass wir einen großen Stellenwert haben, weil wir auch den Kontakt zu den älteren Leuten herstellen und suchen und bei ihren Festen auch mitmachen. Da sind die Leute auch von dem Optischen her, wahnsinnig beeindruckt und wenn die Kids dann trommeln, das gibt schon eine ganz schöne Power. Wir beschallen dann teilweise den ganzen Stadtteil, auch ohne PA. Die Kinder haben aber auch einen tollen Charme.
Wie könnten sich die Eltern an diesem Projekt beteiligen und wie ist da das
Verhältnis?
Wenn die Eltern ihren Kindern vermitteln, das sie es gut finden, was sie machen. Die Eltern merken auch, dass ich die Kinder annehme. Das heißt, ich nehme sie auch an die Hand und ich akzeptiere sie so, wie sie wirklich sind. Manche Sachen finde ich auch weniger gut. Die Eltern können sich daran beteiligen, dass sie das ernst nehmen, was ich mit den Kindern mache. Dass sie die Kinder zu den Proben in die Schule schicken, z.B. Montag morgens, wenn alle Anderen noch schlafen. Dass die Kinder zu den Konzerten da sind. Dass sie zu den Konzerten mitfahren und dort mithelfen. Wichtig ist, dass die Kinder spüren, dass sie mit dem was sie machen von den Erwachsenen ernst genommen und wertgeschätzt werden. Ihr Selbstwert wird positiv geschätzt. Das kostet auch kein Geld. Die Lamboykids haben bei den Eltern einen guten Ruf und sie kommen trotz der Probleme, die sie selbst haben auch zahlreich mit. Geld haben sie fast alle keins. Es herrscht aber eine warme Akzeptanz.
Was hast du in der Arbeit mit den Kids gelernt?
Ich habe viele Sprachen rudimentär gelernt. Auch in dieser Arbeit vergessen, was ich an sonstigen Problemen selbst habe. Wenn es mir psychisch mal schlecht ging, haben das die Kinder gemerkt und mich da rausgekickt. Die haben mich auch schon weinen sehen und waren dann ganz irritiert und wissen im ersten Moment gar nicht, wie sie damit umgehen sollen, haben sich dann aber ganz lieb verhalten. Ich habe gelernt, dass ich mich auch auf die Kinder verlassen kann. Ich habe gelernt von meinem Sockel herunter-zusteigen und ich habe gelernt, dass ich viele Pläne gemacht habe, aber diese Pläne
ohne die Beteiligung der Kinder nicht gut waren. Das haben übrigens der Wolfgang Stryi und der Christoph Korn auch gelernt in der Zusammenarbeit. Beim ersten gemeinsamen Response Projekt war es so, dass die Kinder sich gegen diese beiden Profis durchgesetzt haben. Es wurde dann meist das Stück der Kinder und nicht das von Ihnen.
Wie kam der Kontakt zu Response zustande?
Es war so, dass der Wolfgang Stryi um 1990 im Internet eine ganze Reihe meiner Texte gelesen hat. Der hat in Frankfurt beim Ensemble Modern Musik gemacht und hat dort auch am Yellow Shark von Frank Zappa mitgearbeitet. Christoph Korn war auch in diesem Kreis, der hat Filmmusik für Eislerfilme gemacht beim hessischen Rundfunk und war hessischer Filmpreisträger. Dann habe ich 1991 zusammen mit Wolfgang Stry angefangen, in Schlüchtern in der Synagoge die ersten Lesungskonzerte zu machen. Das habe ich auch mit ihm durchgezogen bis 2005, bis er gestorben ist. Das waren so um die 150 Konzerte. Wolfgang Stryi war in dem Projekt Response mit drin beim Ensemble Modern, die das mit organisiert und gesponsert haben und der hat uns dann auch für das Projekt empfohlen. Er hat dann über mich die Lamboykids gekannt und hat auch die Lieder gekannt. Zu erst war ich da skeptisch, wegen dem für mich, aber auch für die Kinder etwas akademischen Ansatz. Die Kinder müssen da schon was für sich haben.
Welches sind für dich die wichtigsten Gründe für die Aufrechterhaltung
dieses Projekts?
Das ist die Arbeit mit den Kindern und die Selbstfindung und Selbstversicherung der Kinder und das Entdecken von Selbstwert. Das kann man sehr gut in der Praxis vermitteln. Dann kann man entdecken, was in den Kindern steckt und was sie aus sich machen können. Deswegen will ich dieses Projekt weiterführen, will dass es auch hier weitergeführt wird. Ich werde es wahrscheinlich nicht mehr endlos weiterführen können und deshalb bist du ja auch da, unter anderem. Das Projekt muss weitergehen. Du kannst da andere Lieder machen, oder so, aber du musst in diese Struktur hinein. Mit und in diesen kindlichen Strukturen musst du arbeiten. Natürlich wird sich die Methode ändern, aber das Material, das du vorfindest ist das gleiche Material wie immer. Es werden ähnliche Problemlagen und Bewusstseinslagen vorhanden sein, wie sie jetzt da sind. Das wird nie ein Nobelviertel werden. Glaube ich nicht.
Welche Chancen gibst du dem Musikunterricht für die Zukunft?
Wenn die Rahmenbedingungen so eng zusammen gezogen werden, wie das von der Regierung weiter zusammengezurrt wird, dann wird es eng für die Musik. Dann ist das eine Frage der Quadratur des Kreises, wie das eine Schulleitung hinkriegt, noch genügend Freiräume hinzubasteln, in denen Musik möglich ist. Es gibt eine zunehmende Verschulung der Musik. Es wird aus Musik ein Leistungsfach gemacht und das möglichst früh schon. Da müssen die Grundlagen der Musiktheorie in der ersten Klasse schon angepeilt sein, in der Zweiten müssen die dann schon fast richtig sitzen und die Kids müssen sozusagen theoretisch bepackt in die fünfte Klasse reingehen, damit der Übergang in die gymnasiale Eingangsstufe nahtlos passt. Und dann gibt es dort dann Musiklehrer, die das alles weiterführen. Das Notensystem ist auch nur eine Sprache, die hilfreich ist, aber nicht unbedingt notwendig. Entscheidend ist das Praktizieren der Musik.
Ich danke für dieses ziemlich ausgedehnte aber sehr ergiebige Interview….
Autor: Hartmut Barth-Engelbart
Autor von barth-engelbart.de Alle Beiträge von Hartmut Barth-Engelbart anzeigen