Als die SA in Mittel-Gründau mal umsonst Baden ging

Um es vorweg zu sagen: es war keine Vorbereitungsübung der NPD , damit sie sich auch bei Hochwasser auf der Gelnhäuser Müllerwiese über Wasser halten kann. Zu hoffen ist, dass die Zehntscheune nicht durch die Kinzig sondern durch Gegendemonstranten geflutet wird. Es war auch keine historische „Kraft durch Freude“ Aktion für die „Volksgesundheit“. Nein. Als die SA in Mittel-Gründau einmal umsonst Baden ging, war Hitler noch nicht lange von der Schwerindustrie an die Macht gehievt worden. Es war Mitte 1933 oder doch erst 1934. Da standen die Braunhemden unter der Führung des Mittel-Gründauer SA-Unterscharführers Otto bis zu den Knien im schlammigen Wasser des ehemaligen Mühlbaches unterhalb des Mittel-Gründauer Bahnhofs, fassten sich an den Händchen und senkten die braunbekappten Köpfchen („Händchen falten, Köpchen senken, immer an den Führer denken“, so hatten sie es doch gelernt), um unverletzt auch unter der Brücke im Wasser herumzustapfen. Was trieb die SA ins Wasser ? Für Reinwaschungen zwecks „Persilschein“ von der US-Militärregierung und der Spruchkammer war es doch noch zu früh! Was dann?
Auslöser war ein Informant aus Frankfurt, der bei der Reichsbahn arbeitete und die Aufgabe hatte, besonders den Mittel-Gründauer Gleisbautrupp des Bahnschachtmeisters Schneider („Pech-Schneider“) auszuspähen. Dessen Bautrupp bestand zum größten Teil aus Mittel-Gründauer Wander-(Bahn-Bau)Arbeitern und auch deshalb aus mehrheitlich Kommunisten und Sozialdemokraten und deren Sympatisanten. Einer der führenden Köpfe sowohl bei der KPD als auch bei der Bahnler-Gewerkschft war Wilhelm Pfannmüller aus Mittel-Gründau. Der hatte, so meldete der verdeckte Bahnblockwart /NSBOler an SA und Gestapo, entweder während der Mittagspause oder nach der Arbeit aus dem Bahnhofsviertel ein großes Paket abgeholt und es zum Bahnhof gebracht, es in seinem Spind aufbewahrt und dann mit zum Zug genommen. Wilhelm Pfannmüller wurde daraufhin am Bahnhof in Mittel-Gründau schon von einer Schützenreihe aus SA-Leuten, der Gestapo mit Schlapphut-Zivil und dem Büdinger pickelbehaupteten Polizisten Duett K&K
(Klapp und Kress) erwartet: Pfannmüller war zwar sehr wagemutig aber seit Anfang der 30er auch sehr vorsichtig: er schaute immer bereits lange vor der Einfahrt des Zuges aus dem Fenster. Auch diesmal. Er sah, wer ihn erwartete und sprang mitsamt seinem Paket in Richtung Stickelsberg noch aus dem fahrenden Zug, rannte unter der Eisenbahnbrücke, den heutigen Hundeübungsplatz rechts liegenlassend in Richtung Weißwiesenstraße und versteckte sein Paket unter der Brücke, während die Gestapo, die SA und die K&K-Streife den Zug von Gelnhausen nach Giessen nach dem Kommunisten Pfannmüller und den vermuteten Druckschriften durchsuchte. Tasächlich hatte Wilhelm Pfannmüller aus einer geheimen KPD-Druckerei im Frankfurter Bahnhofsviertel mit seinen endlosen Katakomben ein Paket mit einigen Hundert Flugblättern gegen den Zögling der Industrie- und Bankbarone der Harzburger Front geholt, um sie im Gründautal unter Lebensgefahr zwischen Niedergründau und Breitenborn heimlich zu verteilen. Die SA wollte Wilhelm Pfannmüller am liebsten bereits direkt nacht der „Machtübernahme“ endgültig ins Gefängnis bringen, traute sich aber nicht. In Mittel-Gründau gab es nur eine Handvoll NSDAP-Mitglieder – inklusive des verhassten fürstlichen Gutsverwalters als Ortsgruppenleiter und dessen Sohn, der auch noch mangels Masse den HJ-FähnleinFührer machen und sich im ersten der Tausend Jahre hauptsächlich selbst führen musste.

Man beschloss, den Pfannmüller erst später und dann auch nur „in flagranti“ zu verhaften. Eine Verhaftung bei der Verbreitung von Flugschriften zum Sturz Adolf Hitlers wäre nach Einschätzung der SA und der Gestapo denn auch in Mittel-Gründau ohne größere Probleme möglich gewesen. Nur wollte man ihn tatsächlich dabei erwischen. Noch waren sich die Nazis ihrer Herrschaft noch nicht so sicher.

Und eines war auch nicht zu unterschätzen: die SA hatte in manchen Kommunen noch Beißhemmungen: der Strasser-Flügel rekrutierte sich zum einem nicht kleinen Teil aus den gleichen Familien, aus denen die Mehrheít der Sozialdemokraten, Kommunisten und GewerkschafterINNEN stammte. Wie zum Beispiel die Brüder Otto. Sie wohnten in Mittel-Gründau in der Obergasse/Alte Schulstraße als unmittelbare Nachbarn, waren beide kleine Landwirte: der eine war hessischer Landtagsabgeordneter der KPD und der Andere wurde SA-Unterscharführer. Und es gab nicht wenige, die die Armut, das „antikapitalistische“ Geschwätz der Nazis gegen das große jüdische Kapital und die SA-Suppenküchen und Arbeitsplatzversprechen der NSDAP in die RattenfängerArme trieb. Dass es dann oft Arbeitsplätze wie in Buchenwald oder letztlich in Stalingrad wurden, ist wieder eine andere Geschichte.

Die Mittel-Gründauer frotzelten trotz der Lage über die im Schlamm suchenden SA-Leute:“Schlamm-Abteilung“ .. und bis nach Selbold drang die Kunde: nicht dort sondern in Mittel-Gründau hätten die Nazis den „Bachtanz“ erfunden. aber auch beim waschen ihrer Schafe seien die Braunen nicht ganz sauber geworden. (Tatsächlich gab es den Bachtanz auch in Mittel-Gründau, wo er ganz unspektakulär das Waschen der Schafe war – im aufgestauten Hasselbach am ehemaligen Mühlbachabzweig-Wehr – im Schafsweiher .)

Nachdem die SA-ler als nützliche Idioten der NS-Führung dieser ihre „Dreckarbeit“ geleistet hatten, haben sich dann die sauberen hohen Herren nach der Ermordung Röhms die Proleten von Hals geschafft.

Wilhelm Pfannmüller haben sie 1934 verhaftet, ins KZ-Osthofen geschleppt, und nach dessen Schließung (im Zusammenhang mit dem „Röhmputsch“ und der Entmachtung der SA durch Gestapo und SS) ins KZ Friesland ins Moor geschafft. Anschließend als „wehrunwürdig“ zwar nicht in die Wehrmacht aber in eine der politischen Strafkompanien-999 gezwungen und bei Brückenkopfkommandos auf dem Balkan eingesetzt, bei dem die meisten Kommunisten von hinten erschossen wurden. Wilhelm Pfannmüller konnte desertieren und schloss sich Titos Partisanen an.
Er wurde der erste demokratisch gewählte Nachkriegsbürgermeister von Mittel-Gründau. Der erste, der „Ochsen-Schorsch“, wurde noch von der US-Militärregierung eingesetzt.
Im nächsten Artikel geht es um die Geschichte der SKG-Mittel-Gründau;
„Warum die NAZIS zwei und die US-Army einen Fussball-Sportverein verboten“

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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