Albtraumatische Bilder einer Ausstellung : Wie Alt68er die 48er erneut niederschlugen

Aufbruch nach Europa
Aufbruch zur Freiheit
Der Titel der „klassischen“ Ausstellung zum 150. der 48er-Revolution in der Frankfurter „Schirn“ müßte heute ergänzt werden: mit dem zu „WELTWÄRTS“ mutierten einstigen sozialdemokratischen „Vorwärts“, mit ENDURING FREEDOM als Durchhalteparolen für unsere Jungs und Blitzmädels um Kundus und  mit Hindu! Kusch! und Muslime auf die Knie. Der Traum von „Freiheit und Abenteuer“ wird zu Trauma und Alptraum.

Warum ich diesen Text von 1998/99 heute wieder schreibe ? 160 Jahre ReichsVerfassungsKampagne ? Schon mal was davon gehört ? Da waren ganze Provinzen mit Bauern und Proleten für den Verfassungschutz aktiv. Heute werden die gleichen von Alt68ern vor Gerichte geschleppt, niedergeknüppelt. Nein ! Man lässt sie wieder niederknüppeln. Der Kartätschen-Prinz heißt heute Ackermann, lässt sich von NeuReichen die Füße küssen und verweigert deren Schmutzgelder. Hoppla. Echt feudal, Neo-Feudalismus.
Der eigentliche Anlass sind verschiedene Alt68er-35ste, 30ste, 25ste und 20ste- Geschäftsjubiläen. (1998 habe ich meine böse Zunge den 60er Geschäftsjubilaren rausgestreckt und die drohten sie mir anonym abzuschneiden. Heute ists was anderes, denn  die 68er sind trotz Götz Aly und Peter Schneider keine Wiedergeburt der 33/38er) Der Ex-KBW-Buchvertrieb Hager in Kombination mit seinem Sendler-Verlag und dem daraus resultierenden CARO-Druck dürfte mit einigen Namens- und Gesellschaftsformwechseln mit dem Gründungsjahr 1974 bereits sein 35. feiern.  Jörg Hager sitzt im Aufsichtsrat oder noch weiter oben bei der Bahn-Logistik-Tochter Schenker. die Rechtsanwaltssozietät Eberhard Kempf kämpft jetzt den Klassenkampf von oben und verteidigt „jüdische Vermächtnis“ Erfinder und Joseph Ackermann, den Herrn Zuminkel, …ThomasHeymann ist die Jurisprundenz der größten IT-Rationalisierungsfirmen der Erde, andere liefern denen bereits die Software für die Software und die Software für die rechtsstaatskompatible Steuerhinterziehung per Mouseklick. (Aus Verzweiflung über ihren Bedeutungsverlust konvertierten ja bereits drei Sauerländer Friseure zum Djihad, basteln aus  ihren Blondiierungsmitteln Knallfrösche und frisieren höchstens noch Mopeds für Selbsmordanschläge.  Klar, wenn die es nicht machten, machtens halt andere. Ja, genau, die Friseure.  Und nur mal so nebenbei: Johnny Klinke spendet immer sehr großzügig für soziale und politische Zwecke – auch Mal für unterbliebene Wiedergutmachung an Zwangsarbeitslagerüberlebende. Der Ablasshandel ist ebenfalls eine Erscheinig des Feudalismus.  Auch die Einstellung von Migranten haben früher gerne die Fürsten gemacht: Hugenotten, Waldenser, Herrenhuter usw…. das waren früher die IT-Spezialisten, die man heute aus Fernost importiert.

Weh tuts schon, wenn man sich als Al68er Yuppie zum Firmen-Jubel-eh-um Reinhard May mit dem „Sturm auf das kalte Buffet“ einlädt .

Beruhigend ist dabei nur, dass Reinhard May beim letzten runden Geburtstag von Möllemann gesungen haben soll: „Über den Wolken …“  Es soll auch schon Präsidenten gegeben haben, die sind an Bio-Vollwert-Brezeln erstickt.

Aufbruch nach Europa
Aufbruch zur Freiheit
Die Erneute Niederschlagung der 48er Revolution
gesponsort durch: HOCHTIEF, Deutsche Bank, SIEMENS, Degussa, Deutsche Leasing, Deutsche Bahn AG, JVC, Deutsche Leasing, u.a.
unter der Leitung des Frankfurter Geschichtsprofessors Dr. Lothar Gall

Vorsicht!

Der nachfolgende Schachtelsatz ist das unmittelbare Ergebnis zweier Ausstellungsbesuche.

Nachdem die Badenia Bausparkasse in einem Zeitzug fürchterlich viele Schulklassen mit Schlachtengetümmel, Gewehren und erschröcklichen Bildern mit Exekutionen und Todschlag auf beiden Seiten der 48er Revolution versorgt hat und ihnen  aufzeigte , daß aus einem riskanten und blutrünstigen Unterfangen durch besonnene Leute irgendwie die parlamentarische Demokratie und der Bonner Bundestag mit seiner fetten Henne hervorgegangen ist, eine Entwicklung, die geradlinig zur deutschen Wiedervereinigung, zum Schengener Abkommen und zum Vertrag von Maastricht führte, entschloß ich mich die XXL-Version des Zeitzuges in Frankfurt zu besichtigen. In der Hoffnung mir doch noch etwas Klarheit im Nebel der offiziellen Feierlichkeiten zu verschaffen, die mit der Anhäufung von Souveniers den letzten Funken dieses immer noch schwelenden Brandes zu ersticken versuchten. Es ging ein Gespenst um in Europa, es könnte vielleicht trotz mehrfachen Totschlagens und Erstickens, trotz Erhängens, Erschießens und Vertreibens wieder auferstehen.

Beim ersten Versuch einer Annäherung an die Ausstellung in der Schirn blättere ich erst im Katalog, bevor ich eine Eintrittskarte kaufe. Ich suche nach meinen ländlich linken Abgeordneten: Ludwig Bogen aus Michelstadt im Odenwald, Dr. Christian Heldmann aus Ortenberg-Selters in der Wetterau. Fehlanzeige.
Diese Ausstellung kann ich mir ersparen.

Vier Wochen später kommen mir Skrupel, sollte ich, dem Lakalpatriotismus verfallen, etwa die Weltgeschichte verschlafen, sie trotzig nicht zur Kenntnis nehmen wollen?

Neuer Anlauf. Gemeinsam mit Freunden. Der Katalog wiegt 1,5 Kilo,
Tief beeindruckt von der bei den Italofaschisten abgekupferten Architektur der Frankfurter Schirn lenke ich meine Schritte auf die „Freiheitsbrücke“ , schweineteuer, wahrscheinlich noch teuerer als der elektronische Schnickschnack mit den redenden Stahlsäulen. Sinnfälligerweise führt die „Freiheitsbrücke“ direkt auf den Frankfurter Kaiserdom, um kurz vor dem vermuteten Übergang in den Turm nach rechts abzubiegen. Das Entré gequält modernistisch: aus einem Haufen weißer Pappquader ödet mich ein Videofilm über die Grundsteine der und die Pflastersteine um die Paulkirche an. Ich lege die Stirn in Denkfalten: etwa eine zarte Andeutung einiger Altachtundsechziger – unter dem Pflaster liegt der Strand ? Aufforderung zur Revolte? “Komme doch, komme doch, Prinz von Preußen, komme doch, komme doch nach Berlin, wir wollen dir mit Steine schmeißen und dirs Fell über die Ohren ziehn!” Rechts neben mir – fast stolpere ich hinein – das entscheidende Instrument der Revolution: eine Nachbildung der Guillotine, oder ist es ein französisches Original? Vielleicht sind noch Blutspuren zu entdecken?. Solchermaßen eingestimmt auf die revolutionären Essentials kämpfe ich mich durch die schier endlos aneinandergereihten Antiquitäten, entdecke hier etwas noch nicht  und dort etwas schon Gesehenes. Das Junge Deutschland grüßt von links, Börne, Heine, etwas Büchner, werde von pudelwohl dreinblickenden Ölschinken erschlagen, die die Armut der Weber und das Elend der Auswanderer darstellen sollen, wobei mir das Liedchen: „die Tiroler sind lustig“ eher einfällt als das Lied der Weber aus der Proletenpassion der „Schmetterlinge“. Zwischen romantischen Idyllen hängt die Liberté von Delacroix mit wirklich kämpfendem Volk. Warum gekämpft wird und worum, wird nirgends erklärt. Nur daß in ganz Europa überall Revolutionen ausbrechen wie Naturkatastrophen wird augenfällig. Revolutionen gegen wen?  Polen gegen das Zarenreich, Griechen gegen das osmanische, Italiener gegen die Habsburger, Ungarn und Tschechen gegen die selben. Gegen wen revoltieren die Deutschen? Gegen welche Besatzer?  Aus welchen Beweggründen, welche Ursachen, mit welchen Zielen? Dazu schweigt die Ausstellung weitgehend visuell und auch der Katalog bietet wenig. Die Entwicklung der Industrie, die Entstehung des Proletariats, die Lebensbedingungen derer, die für eine soziale Republik gekämpft haben, dazu ist nichts zu sehen und zu lesen.  Stattdessen sattsam bekannte Muster, wie Eisenbahnzeitalter, Einreißen der Zollschranken, bestreben nach freiem Waren- und Kapitalverkehr, Modernisierung, Stein‘sche Reformen. So stehen denn auch die Vertreter des einigen Deutschland unter Führung Preußens im Zentrum der Ausstellung. Die machen den Weg frei für die Stahl- und Kohlebarone, soweit sie nicht schon selbst im Saale sitzen. Während auf den Straßen unsinniger weise viel Blut vergossen wird und keiner so recht weiß wozu eigentlich, haben die modernisierenden konstitutionellen Monarchisten bereits in der Paulskirche Platz genommen. Abgelichtet sind im Rund des Frankfurter Kirchen Parlaments nur diejenigen, die sich zu dieser Zeit auch eine Ablichtung leisten konnten. Wo sind die anderen?  Wo wurde nach denen geforscht, für die verschämt und gleichzeitig warnend zwei gußeiserne Grabkreuze gezeigt werden? Märzgefallene. Wo bleiben ihre Bilder? Ihre Geschichten? Ihre Geschichte? Ihre Botschaft? Ihr Vermächtnis? Ihre teils bis heute unerfüllten Forderungen? Hurrah, da wird ein Film gezeigt über das kämpfende Volk der Handwerker, Gesellen, Arbeiter und Bauern.
Aber nur um sie zu denunzieren. DDR-Produktion mit naserümpfenden Westkommentaren.
Es wird eng in den Ausstellungsgängen, weil an jeder Ecke eine drallbebrüstete und gut gerüstete Germania postiert ist, die wild entschlossen das Schwert zückt, die deutsche Kaiserkrone, das Zepter und den Reichsapfel schützt. Sie thront über allen, schwebt mit Kühlmann-Stummschem Schwert und Hentschel-Lanze bewaffnet als Göttin über dem Parlament. Preußisch-Blau-Äugig eichenbekränzt.
Im Paulskirchenrund sind die Nobodys nur schwer zu finden und worum es in den Reden geht ist eigentlich auch nicht so wichtig. Nur auschnittsweise sind sie zu verstehen. Neben mir erklärt eine Museumsführerin, man habe sich in der Paulskirche für das allgemein Wahlrecht ausgesprochen. Erst auf meine Nachfrage muß die Führerin eingestehen, daß Arbeiter und Frauen nicht wählen durften.
Groß Aufgezogen als klassischer römischer Triumpfbogen, gut ausgeleuchtet, droht von hoch oben der Zug der siegreichen Generäle und Fürsten nach der Niederschlagung der Aufstände zur Rettung der erkämpften demokratischen Verfassung. Zentral aufgestellt der im Volk so beliebte Kartätschenprinz Wilhelm von Preußen, der die Kaiserkrone aus der Hand des Pöbels nicht annehmen will. Der Mann zeigt Haltung. Gleich im Anschluß an den besonders gut herausgestellten Triumpfzug derer von Wrangel und Co. erklärt die Museumsführerin, was mit Revolutionären in der Regel passiert. „Viele wurden standrechtlich erschossen. Während langjähriger Kerkerhaft wurden viele geisteskrank, nahmen sich das Leben, andere wanderten aus“ Wer im Religionsunterricht gut aufgepaßt hat weiß woher das kommt, Alfred Rethels „Totentanz“ wird zur Illustration altarmäßig in einer Gebetsgrotte präsentiert. Wer das Schwert zückt wird durch das Schwert….“ Wer mit der Guillotine anfängt, wird durch die Guillotine enden… So was lohnt sich nicht. Nach dieser Belehrung ist es klar, wer durch dieses Jammertal schritt kann seine Erlösung nur noch mit Blick auf die Freiheitsstatue vor dem Bug finden. Mein Vorschlag, an der Reling kurz vor der Einwanderungsbehörde von New York Big Mac’s zu verkaufen und Coca Cola gratis auszuschenken, bleibt unerhört.
Ich fühle mich am Ende
der Ausstellung, finde aber keinen Ausgang und muß kehrt machen, verpasse wider den richtigen Weg und lande vor dem Bildnis „Jesu Fußwaschung“ und stelle erstaunt fest, daß da nicht Jesus sondern Fürst Lichnowsky im Heiligenschein liegt, den offenbar der Plebs ermordet hat. Der edle Fürst umgeben von ratlosen, trauernden Adelsjüngern. Legendenmalerei, kommentarlos ausgestellt.
Lichnowsky hatte hinter den Frankfurter Barrikaden ausspioniert, wo preußische Truppen am leichtesten einfallen und die Aufständischen niedermetzeln können. Dabei wurde er trotz Verkleidung entdeckt, verprügelt, er floh und wurde angeschossen.
Neben dem Verklärungsbild der zerbrochene Damenregenschirm einer Henriette Zobel, die Mordwaffe? Und ein Brief der Zobel aus der Untersuchungshaft. Kein Wort über die Folter, die Haftbedingungen während ihrer 16 jährigen Zuchthausstrafe.
Dafür spricht der Katalog eindeutig von den Aufständischen, die Lichnowsky „ermordet“ haben:“ Eine riesige Horde ungepflegter und brutal um sich schlagender Gestalten.“ Wie hätte Lichnowsky wohl ausgesehen, wenn er seinen Lebensunterhalt selbst zum Beispiel in der Frankfurter Gerbermühle bei Hungerlohn hätte verdienen müssen?
Diese Frage stellt die Ausstellung nicht. Warum hat das Volk Spottlieder auf das Parlament gesungen und es dann trotzdem verteidigt? War es eine wirkliche Volksvertretung?  Wer es bezweifelt, kommt nicht zu Wort, kommt nicht vor. Wer andere Zukunftsvorstellungen und Pläne hat als Professoren und Sponsoren, wird klein gehalten: auf einem Quadratmeter handelt die Ausstellung die entstehende Arbeiterbewegung ab, die Titelseite des Kommunistischen Manifestes wird gezeigt und eine große rote Fahne des Kölner demokratischen Vereins. Basta!

Gerade noch kann ich vor einer weiteren dräuenden Germania entfleuchen um eine finale Kurve nach rechts zu erwischen.
weil ich schon wieder den rechten Pfad verlassen hatte und zu weit gegangen war. Direkt von der Paulskirche geht es jetzt in die Gegenwart zur deutschen Wiedervereinigung und nach Maastricht.
Ach ja, zur sozialen Lage der Gegenwart sind in einem schmalen dunklen Nebengang ein paar Demonstrationen abgelichtet, zwei Obdachlose sind zu sehen, zwei Streikbilder.
Auf der Flucht vor den mich jagenden Germanien erreiche ich den Ausgang. Das Schirn-Café läßt keinen ruhigen Gedanken zu. Der Discosound verfolgt mich bis zum Mainufer. Die Skyline signalisiert wessen Aufbruch zu welcher Freiheit gemeint ist.
Deutschland wurde einig unter Preußen,
Europa solls unter Deutschland werden, Aufbruch zum global play
Und von Frankfurts Hochhäusern schallt der Chor der Sponsoren: „Wir sind bereit!“

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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