„40 Jahre Transgene“ von Prof. Ignacio Chapela / Berkeley-University California

Dienstag, den 26. Februar 2013


„40 Jahre Transgene“  von  Prof. Ignacio Chapela* / Berkeley-University

Ignacio Chapela (* 1959) ist mexikanischUS-amerikanischer Mikrobiologe, Ökologe und Mykologe an der University of California, Berkeley. Er bekleidet dort das Amt eines Associate Professors für mikrobielle Ökologie. Er ist vor allem für einen 2001 in der Zeitschrift Nature erschienenen, kontrovers diskutierten Artikel[1] über den Übergang von Mais-Transgenen in wilde Maispopulationen bekannt. In der Folge zeigte sich Chapela als ausgesprochener Kritiker der Kooperation zwischen der University of California und der Biotechnologie-Industrie. In einer späteren Auseinandersetzung mit der Universität, die seine Weiterbeschäftigung zunächst abgelehnt hatte, warf Chapela ihr politische Motive vor. Chapela ist auch für seine Arbeit zu natürlichen Ressourcen und indigenen Rechten bekannt. Chapela ist Senior Researcher bei GenØk, the National Center for Biosafety in Norwegen.[2]

(Mexiko-Stadt, 21. Februar 2013, la jornada [1]-poonal).- In diesem Jahr
werden die genveränderten Organismen 40 Jahre alt.

Wenige Jahre sind das,
wenn man bedenkt, dass die transgene Manipulation (die erzwungene
Einbringung genetischen Materials mehrerer unterschiedlicher Organismen in
einen anderen Organismus, der es aufnimmt und reproduziert) in den
Milliarden von Jahren, die das Leben auf diesem Planeten – in unserer
kleinen Nische im Kosmos – existiert, eine bisher beispiellose Intervention
in die Biologie des Planeten darstellt.

Noch nicht einmal ein ?Experiment?

Aber 40 Jahre sind viel, wenn berücksichtigt wird, dass diese Intervention
inzwischen über einen signifikanten Teil der Erde verteilt ist. Wir Menschen
haben seit dem ersten offiziellen kommerziellen Anbau 1996 jedes Jahr
durchschnittlich auf etwa 100 Millionen Hektar genveränderte Pflanzen
angebaut, wobei sich diese Fläche auf fünf Länder konzentriert. Die
unbeabsichtigten Freisetzungen [2] sind dabei nicht mitgezählt. Das
Interessante ist: Heute verfügen wir über Daten dieser vierzigjährigen
Erfahrung, um die transgene Manipulation zu bewerten.

Einige denken, dieses ?Experiment? mit dem Planeten zeige in gewisser Weise
die Unschädlichkeit der Transgene. Sie argumentieren, es habe keinen Hinweis
auf irgendeine Schädigung gegeben, die mit der Freisetzung oder Nutzung
dieser Organismen assoziiert sei. Nach Überzeugung anderer, zu denen auch
ich gehöre, hat es sich nie um ein Experiment gehandelt, denn wir haben
nicht einmal das minimal Notwendige unternommen, damit es ein solches wäre.
Dies hätte bedeutet, Kontrollen zu etablieren und die Ergebnisse
systematisch zu beobachten. Doch die Transgene werden freigesetzt [3] ohne
Kontrolltests und ohne Etikettierung. Kein Mittelstufenschüler würde sein
Fach bestehen, beginge er den Fehler, keine Kontrollen zu berücksichtigen
oder Reagenzgläser beim Experiment nicht zu beschriften! So haben wir
vielleicht kein Experiment, aber sehr wohl eine Geschichte.

Alptraum von Dr. Berg ist mittlerweile ökologische Realität

Nach der ersten Herstellung von Transgenen im Jahr 1973 berief Dr. Paul Berg
zusammen mit anderen VorreiterInnen der Genmanipulation eine
Dringlichkeitssitzung im Urlaubsort Asilomar im Süden San Franciscos ein. Er
bat alle WissenschaftlerInnen, eine Weile über die möglichen Risiken der
Genmanipulation nachzudenken. Das bedeutendste Risiko, das die
WissenschaftlerInnen damals ausmachten, war das mögliche Entweichen in die
freie Natur irgendeiner Bakterie mit erhöhten krankheitserregenden
Eigenschaften, z.B. einer Resistenz gegen Antibiotika.

Heute wissen wir, dass dieses Risiko Realität geworden ist: Bei
Probeentnahmen aus sechs der wichtigsten Flüsse Chinas wies eine
Forschergruppe nach, dass die flusseigenen Bakterienpopulationen allesamt
DNA aufgenommen hatten, dessen Ursprung in flussaufwärts gelegenen Laboren
oder Anpflanzungen zu finden war. Zudem sind die gefundenen transgenen
DNA-Sequenzen alles andere als irrelevant: ihre Trägerbakterien werden
resistent gegen Antibiotika.

Antibiotika-resistente Bakterien durch Transgene

Anders ausgedrückt: Dies ist der Beweis, dass der schlimmste Alptraum von
Dr. Berg inzwischen eine unleugbare ökologische Realität geworden ist. Falls
es nötig sein sollte, die Bedeutung dieser Entdeckung noch mehr
herauszustellen: Wir haben nun die Gewissheit, dass die Transgene nicht
unbeweglich an dem Ort verbleiben, an dem sie freigesetzt werden.

Stattdessen werden sie über ?horizontale? Übertragungsmechanismen des
genetischen Materials von transgenen Pflanzen zu in der Umwelt frei lebenden
Bakterien weitergeleitet, von denen aus sie sich – nun unsichtbar – weiter
streuen können. Die Tatsache, dass die frei lebenden Bakterien das spezielle
Erscheinungsbild einer Resistenz gegen Antibiotika entwickeln, bedeutet
außerdem dass wir über die Transgene die nächste Generation
krankheitserregender Bakterien ?bewaffnen?. Wir, unsere Tiere und unsere
Pflanzungen, werden auf diese Bakterien ohne das Rüstzeug treffen, das uns
das 20. Jahrhundert zum Schutz vor ihren Infektionen gegeben hat. Dazu muss
angemerkt werden, dass das Auftauchen antibiotika-resistenter Bakterien das
Thema ist, das heute die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in aller Welt
am meisten besorgt.

Gesundheitliche Schäden möglich

Das Entweichen von Transgenen durch horizontale Genübertragung gesellt sich
zu den dokumentierten Beispielen bekannterer Mechanismen, wie Bestäubung und
Bewegung oder den Austausch von Saatgut. Wir wissen, dass die beabsichtigte
oder unbemerkte Freisetzung von genveränderten Organismen in der Natur
Konsequenzen hat, die weit über das Anbaufeld hinausreichen, auf dem sie
eingeführt werden. Diese Konsequenzen werden viel, viel länger überdauern,
als wir noch vor 40 Jahren dachten.

Wir wissen noch mehr: In den vergangenen zwei Jahren haben wir deutliche
Hinweise auf die Folgen des Konsums von Transgenen erhalten. Wir wissen,
dass das genetische Material der genveränderten Organismen (vor allem die
Ribonukleinsäuren, RNA) den Verdauungsvorgang im menschlichen Körper in
ausreichenden Mengen überlebt, um eine bedeutende Auswirkung auf die
Gesundheit von KonsumentInnen zu haben. Dank der Arbeit der von Dr. Pusztai
[4] in Schottland und jüngst von Dr. Séralini in Frankreich [5] geleiteten
Teams haben wir die Ergebnisse der Ernährungsstudien im Rahmen von
Tierversuchen wie beispielsweise bei Ratten gesehen. Trotz der
Diskreditierungskampagnen gegen diese beiden Wissenschaflter sind die
Studien nach wie vor wissenschaftlich unwiderlegt. Sie legen nahe, dass der
Konsum von genveränderten Organismen mittel- und langfristig ernste
gesundheitliche Schäden provozieren kann.

RNA-Interferenzen blockieren die Abwehr von Viren

Wir wissen ebenfalls, dass transgene Materialien ein unerwartetes Verhalten
aufweisen können. Dies zeigen zwei Studien jüngeren Datums. Zum einen trägt
die ungewöhnliche, in der Mehrzahl in transgenen Pflanzen gefundene und ?Gen
VI? genannte Sequenz nicht nur zu einer unverhältnismäßigen Aktivierung
jener genomischen Regionen bei, in denen sie auftritt. Überraschenderweise
scheint sie auch die Abwehrfähigkeit der Pflanze – und jedes anderen
Organismus – bei einem Virenangriff zu blockieren. Bei einer anderen
Untersuchung haben wir gelernt, dass bei Einbringung transgener RNA in
solche Pflanzen, die Teil der menschlichen Ernährung sind, diese RNA auf
mehreren Ebenen direkten Einfluss auf das menschliche Gewebe haben kann und
dessen Physiologie auf komplexe Weise verändert. Es muss angemerkt werden,
dass durch die so genannte RNA-Interferenz mit einer ?neuen Generation? von
Transgenen die Verwendung genau dieser Art RNA vorgeschlagen wird.

Aus einer strikt biologischen Perspektive manifestieren sich in der Natur
heute die sich vor 40 Jahren bereits abzeichnenden Freisetzungsrisiken von
genveränderten Organismen als reale Schädigungen der Ökologie des Planeten:
genetische Kontamination, Erzeugung von Resistenzen bei Unkräutern, Plagen
und Krankheitserregern, Schäden durch den Missbrauch der damit in Verbindung
stehenden Pestizide, und vieles mehr.

Schäden versus unerfüllte Versprechen

Die Geschichte fügt dieser Auflistung ungewöhnliche Überraschungen hinzu:
die überspringende horizontale Transferenz, die subtilen, aber äußerst
wichtigen, dem direkten Konsum von Transgenen geschuldeten physiologischen
Veränderungen, das Auftauchen neuer resistenter Bakterienstämme und von
Kulturen mit neuen Suszeptibilitäten.

Wir haben zweifelsohne Evidenzen prima facie um zu schlussfolgern, dass die
Transgene 40 Jahre nach ihrer Geburtsstunde eine Neubewertung nötig haben.
Es geht nicht mehr darum, hypothetische Risiken dem zukünftigen Nutzen
entgegenzustellen, sondern darum, die nachgewiesenen Schäden mit den
unerfüllten Versprechen über Erträge und Sicherheit zu konfrontieren.

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Im November 2001 [6] fanden die beiden Wissenschaftler Ignacio Chapela und
David Quist (Universität Berekeley) in den Gemeinden der Sierra Norte im
südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca einheimischen Mais, der gentechnisch
kontaminiert war.

Trotz der Rufmordkampagne [7], die daraufhin von Saatgutfirmen initiiert und
mit der erreicht wurde, dass die Zeitschrift Nature die Veröffentlichung des
Artikels von Chapela und Quist zurücknahm, bestätigten das Nationale
Institut für Ökologie INE (Instituto Nacional de Ecología) und die Nationale
Kommission zur Biologischen Vielfalt Conabio (Comisión Nacional de
Biodiversidad) schließlich die Kontaminierung.

Im entsprechenden Bericht wird dokumentiert, dass im Lager der Diconsa in
der Ortschaft Ixtlán gentechnisch veränderter Mais gefunden wurde, der für
den menschlichen Verzehr vorgesehen war.

[1]

http://www.jornada.unam.mx/2013/02/21/opinion/024a2pol
[2] http://www.npla.de/poonal/3661
[3] http://www.npla.de/poonal/3552
[4] http://www.npla.de/poonal/3867
[5] http://www.npla.de/poonal/3990
[6] http://www.npla.de/poonal/3552
[7] http://www.npla.de/poonal/3835

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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