Man redet Deutsch in Europa

Kauder-Deutsch auch für Deutsche

Autor: U. Gellermann
Datum: 13. Juli 2015

Ja, die griechische Regierung ist scheinbar eingeknickt: Sie hat dem immensen Druck der Deutschen und ihrer Kohorten in der EU zumindest teilweise nachgegeben, nachgeben müssen. Es war Volker Kauder, der Stramme Max der Merkel, der schon 2011 auf dem CDU-Parteitag voller Häme verkündete: „Jetzt auf einmal wird in Europa Deutsch gesprochen.“ Fast ohne Wehrmacht und ohne den rechten Arm in die Luft zu recken wurde das „Modell Deutschland“ vielen anderen europäischen Ländern aufgezwungen. Das Modell, das der verhungernden Kuh eine Fastenkur zur Gesundung empfiehlt. Ein Modell, dass nicht den Bauern reich macht, nur dessen Bank. Ein Modell, das auch in Deutschland selbst zu kaputten Straßen und Schulen geführt hat und dessen Folgen für ein kränkelndes Gesundheitssystem in jedem Wartezimmer zu spüren sind.

„Nein, an Kinder ist nicht zu denken“, sagt Candela aus Madrid, die nicht will, dass man ihren vollen Namen nennt. Die 33-jährige Juristin hat fünf Jahre lang studiert, um in einem Job zu landen, der früher, bevor in Spanien Deutsch gesprochen wurde, mindestens 1.500 Euro monatlich brachte. Jetzt gibt es nur noch 800 Euro. Da ist eine Familiengründung nicht drin. Spanien, das ist das Musterland der Merkels und der Kauders, das ist das Land, das den „faulen“ Griechen immer als gutes Beispiel vorgehalten wurde. Man nennt sie „Generación Perdida“, die verlorene Generation, jene unter 35-jährigen Spanier, von denen 3,5 Millionen seit 2008 ihren Arbeitsplatz verloren haben.Tatsächlich verzeichnet Spanien dennoch einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung.

Und wie im deutsche Modellland auch, geht der wirtschaftliche Aufschwung in Spanien über die Leichen der sozial Ausgegrenzten: Mehr als 5,4 Millionen Spanier sind offiziell arbeitslos gemeldet. Mit 23,7 Prozent ist die Arbeitslosenquote weit höher als in Botswana oder Bangladesch. Wie im deutschen Europa üblich mussten Banken gerettet werden, nicht Menschen: Allein 41 Milliarden Euro hat die Rettung der Großbanken rund um die Schrottbank „Bankia“ den spanischen Steuerzahler gekostet. Immer schön dem deutschen Vorbild folgend haben auch die spanischen Banken-Retter viele Arbeitslose in die Hunger-Jobs gerettet: „Trabajos de basura“, Mülljobs, nennen Spanier wie Candela die Mini-Jobs. Befristete Arbeitsverhältnisse, die durchschnittlich gerade einmal 53 Tage halten. Auch deshalb verdient mehr als ein Drittel der spanischen Beschäftigten weniger als 600 Euro pro Monat.

Als die spanischen Linken bei den letzten Kommunal-Wahlen viele Rathäuser eroberten, fuhren noch in der Wahl-Nacht Kolonnen von Lastkraftwagen auf Mülldeponien und zu den großen Reißwölfen: Tonnen von Akten der bisherigen Rathausbesitzer – der CDU-Schwesterpartei Partido Popular – mussten entsorgt werden. Spanien ist ein wenig altmodisch: Hier hinterlässt die Korruption noch Spuren auf Papier. Im deutschen Musterland gilt der Wechsel vom alten Amt in den neuen Job im selben Fachgebiet nicht als Korruption. Wo soll es Spuren geben, wenn doch diese Sorte der Korruption ganz legal ist.

Als legal gilt es auch, dass zwei Drittel der „Rettungsgelder“ für Griechenland an internationale Gläubiger gegangen sind. So teilt es der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard lapidar mit. Und weiter weiß er zu sagen: „Die Finanzierung für Griechenland wurde benutzt, um ausländische Banken zu bezahlen“. Kaum 10 Prozent der Hilfsgelder sind bei den griechischen Regierungen gelandet. Und weil es die korrupten sozialdemokratischen und konservativen Regierungen waren, die mit dem Rest – den die Banken nicht geschluckt haben – gefüttert wurden, weiß man, wo das Geld gelandet ist: In deren Taschen und nicht bei den normalen Griechen. Doch den deutschen Finanz-Sturmtrupp-Führer Wolfgang Schäuble macht das nicht irre in seiner Meinung: Er schlägt einen auf fünf Jahre befristeten Grexit vor. Einen Austritt aus dem Euro, der auch jene Griechen zu Hungerleidern machen würde, die noch nicht so richtig darben. Damit aber die linke griechische Regierung komplett und auf Jahre hinaus diskredidiert ist, sollen die Griechen vorher noch Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Euro an einen Treuhandfonds übertragen und damit die Schulden tilgen. Ob die Akropolis einen neuen Platz in Schwaben finden soll, mochte das Finanzministerium bisher nicht mitteilen.

Am linken deutschen Rand hält sich eine wirre Diskussion, die der griechischen Linkspartei, der SYRIZA, Verrat vorwirft: Sie hätte der Euro-Gruppe keinen neuen Vorschlag machen dürfen. Leider begleiten die Kritiker ihr Mäkeln nicht mit eigenen Vorschlägen: Soll es der Hunger-Grexit sein, den Schäuble vorschlägt? Hätte es eine solide Revolution alten Stils sein sollen? All den SYRIZA-Kritikern ist gemein, dass sie im eigenen Land kaum Leute mobilisieren. Ihnen folgen auch jene deutschen Massen nicht, die in der andauernden offenen oder verdeckten Arbeitslosigkeit verharren, die immer noch bei den rund sechs Millionen Hartz-IV-Empfängern zu finden ist. Denn man spricht auch in Deutschland Kauder-Deutsch. Zu hoffen, dass die Griechen und die Spanier die deutschen Probleme lösen, ist fast so dumm-dreist-deutsch wie der Kauder aus der Merkelei.

Dran bleiben…

Schlagzeilen

Wenn Sie sich für die Artikel der Rationalgalerie interessieren und immer erfahren wollen, wenn es Neuigkeiten gibt, können Sie unseren RSS-Feed abonnieren:
RSS-Feed abonnieren

Kürzlich…

13. Juli 2015

Griechenland-Hilfe von der NATO

Russland: Der sichtbare Dritte
Artikel lesen

09. Juli 2015

US-Atombomber über Europa

Kiew will den totalen Krieg in der Ost-Ukraine
Artikel lesen

06. Juli 2015

Botox für alle

Auch und gerade für Obdachlose
Artikel lesen

06. Juli 2015

Griechenland sagt OXI

¡Adelante España y Podemos!
Artikel lesen

02. Juli 2015

Von der Leyen-Kinder an die Front

Nächste NATO-Mission: Transnistrien
Artikel lesen

PDF dieses Artikels

Diesen Artikel herunterladen

Wenn Sie möchten, können Sie sich diesen Artikel auch als PDF-Datei herunterladen:
PDF-Datei laden

Artikel kommentieren

Brillant? Schwachsinn? Mehr davon?

Sagen Sie uns Ihre Meinung! Wir überprüfen Leserbriefe, bevor wir sie online stellen – nicht um sie zu zensieren, sondern um unsere Leser vor SPAM und Werbung zu bewahren. Über Kritik freuen wir uns!
Kommentar verfassen

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert