Linke Israelis fordern Druck von der Linkspartei : offener Brief an Die Linke

In einem offenen Brief vom 26. März 2010 an Die Linke fordern mehr als 100 israelische Aktivistinnen als Voraussetzung für die Durchsetzung einer friedlichen und solidarischen Lösung des Konflikts in Israel/Palästina eine solidarische und linke Politik. Sie äußern sich besorgt über die Entwicklung der Debatte zum Israel-Palästina-Konflikt in der Linkspartei. Sie fordern von der Partei, sich klar gegen die Besatzungspolitik zu positionieren und für Druck auf den Staat Israel zu plädieren, bis er die elementaren Menschenrechte der Palästinenserinnen respektiert. Nur so könne ein Frieden in der Region, auch für Israel, erreicht werden.

Konkrete Schritte wären die Einstellung aller deutschen Waffenexporte nach Israel, ein allgemeines Importverbot für israelische Siedlungsprodukte in die EU und die Implementierung der Empfehlungen des Goldstone-Berichts.

Zu den Unterzeichnerinnen zählen die Professoren der Universität Tel Aviv Moshe Zuckermann, Yehuda Shenhav und Gadi Elgazi, der Filmregisseur Udi Aloni, Aktivistinnen der israelischen Frauenkoalition für Frieden wie Eilat Maoz und Inna Michaeli, Kriegdienstsverweiger wie Matan Kaminer und Hagai Matar, die zwei Jahre lang inhaftiert waren, und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit wie Reuven Aberjil und Einat Podjarni.

Der offene Brief an die LINKE steht in vollem Wortlaut bei steinbergRecherche:http://www.steinbergrecherche.com/09friedensjuden.htm#Druck

Ein offener Brief an Die Linke

Liebe GenossInnen,

diesen Brief schicken wir Euch als israelische StaatsbürgerInnen, die in linken Gruppen und Organisationen in Israel/Palästina aktiv sind. Diese befassen sich mit Themen wie z.B den Menschenrechten, Ökologie, Frieden, Flüchtlingshilfe, soziale Gerechtigkeit, den Arbeiterrechten, Feminismus und queeren Kämpfen. Wir setzen uns in unserem Land und in unserer Gesellschaft für eine grundlegende soziale Veränderung ein, für das Ende der Besatzung und die Schaffung einer Gesellschaft, in der alle BewohnerInnen des Landes gleiche Rechte genießen.

Wir haben uns zu diesem Brief entschlossen, nachdem uns wiederholt Berichte über Aktivitäten Eurer Partei bezüglich der Situation in Israel/Palästina bekannt wurden, so die Teilnahme von führenden Mitgliedern Euer Partei an einer Demonstration im Januar 2009 in Berlin, auf der die Weiterbombardierung des Gaza-Streifens gefordert wurde; das Bestehen und die Akzeptanz eines Bundesarbeitkreises in Eurer Partei (BAK Shalom), der jedes militärische Vorgehen des Staates Israel unterstützt und militaristische und nationalistische Propaganda betreibt; schließlich das Schweigen der Mehrheit der führenden Parteimitglieder zur israelischen Besatzungspolitik. All das hat uns bewogen, unsererseits nicht länger zu schweigen, sondern zu intervenieren.

Die Problematik einer solchen Intervention ist uns bewusst. Wir haben nicht die Absicht, Euch vorzuschreiben, wie Ihr in Eurem Land zu agieren und Euch zu äußern habt. Wir wissen, dass der politische Diskurs über Israel in Deutschland, aus nachvollziehbaren und gewichtigen Gründen ein sensibles Thema ist. Das Andenken an den Holocaust und der auch heute in Deutschland gebotene Kampf gegen Antisemitismus, gehören zu den wichtigsten Aufgaben jeglicher emanzipatorischen Bewegung. Nicht trotz, sondern gerade aufgrund dieser Tatsache fällt es uns schwer nachzuvollziehen, wie man die israelische Besatzungspolitik in Deutschland als Teil der „Lehren aus der deutschen Geschichte“ rechtfertigen kann.

Wenn wir uns an Euch wenden, so geschieht dies, weil wir um die Bedeutung von Deutschland als regionale Macht innerhalb der EU und darüber hinaus und daher auch um den deutschen Einfluss im Nahen Osten wissen. Die intensiven diplomatischen und militärischen Aktivitäten der Bundesrepublik in der Region und die aktive Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik reichen uns, um in der BRD einen der Akteure zu sehen, die für die durch die israelische Regierung begangenen Verstöße gegen das Völkerrecht und für die israelischen Kriegsverbrechen mit verantwortlich sind. Aus diesem Grund denken wir, dass es unser Recht ist, von Euch als AktivistInnen für soziale Veränderung in Deutschland und als Mitglieder in einer Partei, die im Parlament und in regionalen Regierungen vertreten ist, Verantwortung für das Vorgehen Eures Staates in Bezug auf unser Land zu übernehmen.

Die andauernde Besatzung und Entrechtung sind keine inner-israelischen Angelegenheiten. Die anti-demokratische Herrschaft des Staates Israel über mehr als drei Millionen PalästinenserInnen, die kein Wahlrecht haben, und die Kriegsverbrechen, die in den besetzten Gebieten stattfinden, sind die Angelegenheit von allen, denen die Menschenrechte ein Anliegen sind. Vor allem aber tragen die BürgerInnen von Europa wegen ihrer – auch in der Gegenwart weiterhin stattfindenden – kolonialistischen Interventionen im Nahen Osten eine besondere Verantwortung für den Konflik. Angesichts dessen ist eine Scheu davor, Israel zur Verantwortung zu ziehen, unangebracht. Die ökonomische, militärische und politische Unterstützung, die Israel von der EU und besonderes von Deutschland erfährt – z.B. in Form von Waffenlieferungen und von Investitionen oder, indem Israel ein bevorzugter Status im Handelsabkommen mit der EU eingeräumt wird – fördern einen Friedensprozess nicht, sondern tragen zur Aufrechterhaltung der Besatzung und zur umfassenden Repression gegenüber der palästinensischen Bevölkerung bei. Außerdem verstärkt diese Unterstützung Militarisierungsprozesse und die Erziehung zu Rassismus und Intoleranz in unserer Gesellschaft.

Darüber hinaus bedürfte es angesicht der Schwäche der PalästinenserInnen eines stärkeren Drucks auf Israel seitens der Internationalen Gemeinschaft. Die stärkere Seite wird ohne wirksamen Druck ihre Postionen niemals aufgeben. Der Staat Israel hat immer wieder bewiesen, dass er nicht zu einem Friedensabkommen und zur Beendigung der Besatzung bereit ist, ohne dass im Ausland intensiv Druck seitens der Zivilgeselschaft und/oder der Regierungen ausgeübt würde.

Wir sind ermutigt durch Eure letzten Wahlerfolge und hoffen, dass Euer Erstarken dafür sorgt, in Sachen soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Feminismus und Anti-Rassismus in Deutschland eine neue Agenda auf die Tagesodnung zu bringen. Wir sind überzeugt, dass eine linke und solidarische Politik auch eine internationalistische Agenda haben muss, und wir erwarten, dass sich Eure Partei auch in diesem Bereich am weltweiten Dialog mit linken, antirassistischen und feministischen Kräften aktiv betätigt. Als Teil eines solchen Dialogs möchten wir unsere Postionen zur Politik Eurer Partei in Bezug auf den Konflikt in Israel/Palästina darstellen.

Wir sind der Auffassung, dass der Staat Israel für die Besatzung, die rassistische Seperation und die Kriegsverbrechen nicht belohnt und darin betärkt werden sollte. Nur eine internationale Politik, die Israel klarmacht, dass Verstöße gegen das Internationale Recht nicht zu akzeptieren sind, kann einen gerechten Frieden für alle BewohnerInnen des Landes bringen. Einige konkrete Forderungen, die Eure Partei stellen könnte, sind z.B:

– die Einstellung aller deutschen Waffenexporte nach Israel. Waffenhandel ist ohnehin nicht zu rechtfertigen. Deutschland treibt nicht nur Handel mit einem Staat der systematisch gegen das Internationale Recht verstößt, sondern es verwöhnt Israel mit Geschenken in Höhe von Milliarden Euro und wurde kürzlich von Israel aufgefordert, ihm zwei Kriegsschiffe zu schenken.

– die Verhinderung der Aufwertung der Handelsabkommen zwischen der EU und Israel. Deutschland und andere Mitgliedsstaaten der EU versuchen, diese Handelsabkommen mit Israel weiter aufzuwerten, obwohl solche Abkommen die Respektierung elementarer Menschenrechte im Partnerland fordern. Während in Europa eine solche Intensivierung der Beziehungen als Verbesserung des Vertrauensverhältnisses zwischen Israel und der EU betrachtet wird, fasst Israel solche Schritte als Schwäche der EU und als Ermutigung auf, weiterhin gegen die Menschenrechte zu verstoßen.

– ein allgemeines Importverbot für israelische Produkte in die EU, die ganz oder teilweise in den besetzten Gebieten (inklusive Ost-Jerusalem) produziert werden.

– die Förderung von Gerichtsverfahren gegen die Täter bei Kriegsverbrechen in Israel/Palästina und die Umsetzung der Empfehlungen des Goldstone-Berichts.

– die Unterstützung von Organisationen und AktivistInnen der Zivilgesellschaft in Israel/Palästina und vor allem des gewaltfreien und basisdemokratischen Widerstands gegen die Mauer und die Siedlungen in den besetzten Gebieten.

Abgesehen von diesen Vorschlägen hoffen wir, dass Eure Partei sich erfolgreich darum bemühen wird, in Deutschland eine Debatte über die Bedeutung der deutschen Verantwortung für das Geschehen im Nahen Osten zu initiieren. Es sollte eine Debatte sein, die aus einer historischen und aktuellen Sicht, die alle BewohnerInnen der Region gleichermaßen berücksichtigt, eine Politik des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte fördert. Wir würden uns freuen, zusammen mit unseren palästinensischen GenossInnen und Partnern an den Debatten in Eurer Partei über das Geschehen in unserer Region teilzunehmen und hoffen, dass dieser Brief zu einem fruchtbaren und gleichberechtigen Dialog zwischen der Linken in Deutschland und der Linken in Israel/Palästina beiträgt.

Mit solidarischen Grüßen

Miriam Abed-El-Dayyem, Iris Hefetz, Yael Politi, Gadi Algazi, Hanan Hever, Israel Puterman, Udi Aloni, Shir Hever, Hili Razinsky, Galit Altschuler, Chaya Hurwitz, Moshe Robas, Hila Amit, Hedva Isachar, Shadi Rohana, Roey Angel, Matan Israeli, Yehoshua Rosin, Asaf Angermann, Matan Kaminer, Noga Rotem, Reuven Avergil, Reuven Kaminer, Eddie Saar, Gabriel Ash, Adam Keller, Sergeiy Sandler, Danna Bader, Hava Keller, Gal Schkolnik, Roni Bande, Peretz Kidron, Ayala Shani, Yoav Beirach Barak, Assaf Kintzer, Shemi Shabat, Ronnie Barkan, Yana Knopova, Aviram Shamir, Yossi Bartal, Yael Lerer, Tali Shapiro, Ofra Ben-Artzi, Orly Lubin, Fadi Shbeta, Mor Ben Israel, Adi Maoz, Ehud Shem Tov, Elaenor Cantor, Eilat Maoz, Yehuda Shenhav, Shai Carmeli Pollack, Naomi Mark, Mati Shemoelof, Alex Cohn, Anat Matar, Kobi Snitz, Adi Dagan, Hagai Matar, Gideon Spiro, Silan Dallal, Edu Medicks, Roy Wagner, Yossi David, Yosefa Mekayton, Michael Warschawski, Daniel Dokarevich Argo, Inna Michaeli, Sharon Weill, Keren Dotan, Rotem Mor, Maya Wind, Ronen Eidelman, Susanne Moses, Yossi Wolfson, Nimrod D. Evron, Avital Mozes, Uri Yaakobi, Eli Fabrikant, Dorothy Naor, Sergio Yahni, Tamar Freed, Naama Nagar, Kim Yuval, Michal Givoni, Ido Nahmias, Michal Zak, Bilha Sündermann Golan, Regev Nathansohn, Shimri Zameret, Tsilli Goldenberg, Ofer Neiman, Mai Zeidani, Anat Guthmann, Norah Orlow, Talilla Ziffer, Connie Hackbarth, Hava Oz, Beate Zilvesmidt, Yuval Halperin, Einat Podjarni, Moshe Zuckermann.

Briefanhang

Einige Beispiele für militaristische und nationalistische Propaganda von BAK Shalom hier, hier und hier ; eine Einladung zum Unterstützungsevent für Israel, das von BAK Shalom organisiert wurde, und an dem MdB Petra Pau und der ehmalige israelische Botschaftler Ilan Mor teilnahmen; Teilnahme von Klaus Lederer an der Demonstration zur Unterstützung der Operation „Gegossenes Blei“

T:I:S, 27. März 2010

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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