Der Zionismus ist eine „jüdische“ Kolonial-Ideologie, „christliche“ sorgten für noch mehr Verbrechen: Die württembergische Tempelgesellschaft als Vorreiter der Palästinakolonisation

In einem der letzten Beiträge hier zum Zionismus habe ich von ähnlichen „Christlichen“ Flucht- & Kolonial-Ideologien gesprochen und auf die Versuche der deutsch-württembergisch-pietistischen Templer hingewiesen, die nach der gescheiterten Revolution 1848 versuchten, in Palästina einen deutschen Kolonialstaat zu gründen. Ein Leser dieses Beitrags hat mir jetzt umfangreiches Material zu diesem Templerversuch und zur Geschichte der deutschen Orient-Politik geschickt:…

die deutsche Orientpolitik: Von Eglosheim nach Palästina

Die württembergische Tempelgesellschaft als Vorreiter der Palästinakolonisation

Dass der Ausgangspunkt der Kolonisationsbestrebungen in Palästina in Ludwigsburg liegt, ist heute entweder in Vergessenheit geraten oder völlig unbekannt, wahrscheinlich ist trotzdem kein Zeitabschnitt deutscher Kolonisationsbestrebungen besser erforscht, belegt und dokumentiert. Zu verdanken ist dies ganz massgeblich zwei Historikern, deren Arbeiten in der veröffentlichten Wahrnehmung kaum eine Rolle spielen, die jedoch an der Quellenforschung und -auswertung den Hauptanteil getragen und in mehreren Werken zusammengefasst haben. Es dies der 2002 verstorbene, israelische Historiker Alex Carmel, der unter dem Namen Alexander Buchmann 1931 in Berlin geboren wurde und dessen Familie nach der Reichsprogromnacht 1938 flüchtete und nach Palästina auswanderte. Er wurde Professor an der Universität Haifa und publizierte mehrere Bücher (1) über die christliche Auswanderung ins ‚Heilige Land‘ im 19. Jahrhundert und ordnet diese Kolonisten unter dem Begriff „Proto-Zionisten“ ein. Diese Begriffsbestimmung erklärt er damit, dass dieses Auswanderungsmodell schon Jahrzehnte vor den Publikationen eines Moses Hess („Rom oder Jerusalem“ 1862) oder Theodor Herzl („Der Judenstaat“ 1896) und der „ersten Alija“ (1882) geplant und vollzogen wurde.

Gleich bedeutend und noch detailreicher sind die Arbeiten des in Tamm lebenden Professors Paul Sauer (2). Er wuchs im Affalterbacher Stadtteil Wolfsölden auf, in unmittelbarer Nachbarschaft eines der Entwicklungsprojekte der schwäbischen Templer, einem schäbischen Weiler namens ‚Kirschenhardthof‘, arbeitete in und leitete mehrere Archive, wie beim Staatsarchiv Sigmaringen, Generallandesarchiv Karlsruhe, Hauptstaatsarchiv Stuttgart und von 1986 bis 1996 leitete er das Stadtarchiv Stuttgart. Man muss vielleicht selbst einmal Recherchen in verschiedenen Archiven durchgeführt haben, um zu ermessen, wie viel Aufwand an Quellenforschung hinter diesen Publikationen steckt.

Vorweg eines: die schwäbischen ‚Templer‘ haben mit den Tempelrittern der Kreuzzüge nichts zu tun. Dazwischen liegen Jahrhunderte währenddessen sich nach der Reformationszeit in Württemberg der Protestantismus ausbreitete. Offiziell traten die Templer anfangs noch unter dem Namen die „Gesellschaft für die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem“ oder „Freunde Jerusalems“ auf und wie immer kennt die Geschichte verschiedene Brüche, bevor sie selbst in ihrer eigentlichen Gestalt in Erscheinung tritt ….

… der Anfang vor dem Anfang: Vormärz in Württemberg

Ausgemergelt durch die Beteiligung an Napleons Russlandfeldzug, für den Württemberg allein 12.000 Soldaten stellen musste und von denen nur wenige hundert wieder in die Heimat zurückkehrten, wurde im Anschluss das Land 1816/17 von Missernten heimgesucht. Ausgelöst wurden diese Missernten wiederum durch den Ausbruch des indonesischen Mega-Vulkans Tambora 1815, der eine fast drei Jahre andauernde Klima-Katastrophe nach sich zog: die grösste Hungersnot des 19. Jahrhunderts – auf den Feldern lag im Juni 5 cm Schnee !!! Der Getreidepreis verzehnfachte sich und in schwäbischen Küchen ass man Gras statt Spätzle ….

Noch orientierungslos und weitgehend im Unklaren über die Ursache der Misere und Lösungsmöglichkeiten suchten weite Teile der Bevölkerung zunächst in der Hinwendung zum Pietismus ihr Heil. Innerhalb dieser sich noch formierenden pietistischen Strömungen bildeten sich die sogenannten „Separatisten“, eine Bewegung, die sich ganz von der institutionell beherrschten Landeskirche lossagen wollte, um eigene „freie“ christliche Gemeinschaften zu bilden, notfalls sollte dieser Prozess durch Wegzug oder Auswanderung erfolgen. Nicht unähnlich dem Modell der „Alt-Lutheraner“ in Australien oder der Mennoniten in den Vereinigten Staaten, Argentinien und Brasilien ….

Einer der Brennpunkte dieser radikal-„separatistischen“ Strömungen war Schwaikheim, wo sich einer dieser Auswanderungszüge nach ‚Russland‘ in Gang setzte. Sehr gut wird dies vom schwäbischen „Heimatverein Schwaikheim“ (Auswanderer nach Russland) auch auf der eigenen website belegt, wenn auch dort das Umfeld der Ursachen und das Ziel der Reise nicht genau dargestellt wird. Eine Reise, sieben Jahre früher stattgefunden, wäre noch nach Nordpersien erfolgt, hatte doch der russische Zar nach einem jahrelangen Krieg gegen Persien erst 1813 im so genannten „Frieden von Golestan“ das Zielgebiet im heutigen Aserbeidschan vom persischen Reich abgetrennt. Und so wurden die schwäbischen Auswanderer beiden Landesherren gerecht, dem württembergischen König, der diese radikal-pietistischen „Separatisten“ loswerden wollte, weil sie das theologische Gefüge in, auf das sich das Herrscherhaus in Gestalt der evangelischen Landeskirche stützte, erschütterten und dem russischen Zarenhaus, für das die baltische Adelige Juliane von Krüdener in deutschen Landen Kolonisten anwerben durfte, um im islamischen Aserbeidschan eine christliche „Grenzkolonisation“ gegenüber persischen und osmanischen Einflüssen aufzubauen. Für die Geschichtsschreibung und politische Debatte in deutschen Landen verschwinden die schwäbischen Kolonisten in ‚Nordpersien‘ (Georgien und Aserbeidschan) zunächst einmal für achtzig Jahre, sie werden jedoch nach der Bildung eines deutschen Nationalstaates für die Kolonialdebatte in Bezug auf das Osmanische Reich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als „schwäbisches Bauernelement“ von den Orientalisten Aloys Sprenger, Hugo Grothe und Paul Rohrbach wiederentdeckt. Inzwischen hatten sie in Aserbeidschan eine schwäbisch-pietistische „Parallelgesellschaft“ etabliert, Dorfgründungen vollzogen und „den Weinbau nach Aserbeidschan gebracht“, auch wenn die kultivierte Weinrebe, wie auch der Wein selbst vor Jahrtausenden ausgerechnet in Nordpersien erfunden wurde, wie schon genetisch und molekular-archeologisch nachgewiesen wurde …. : Eulen wollen offenbar immer nach Athen getragen werden.

Im 19. Jahrhundert wird sich die Bevölkerung in Deutschland verdreifachen, nicht mitgerechnet die 6 Millionen Auswanderer. Davon gehen 5 Millionen in die „neue Welt“ Nord- und Südamerikas, 1 Million jedoch werden sich sich nach Osten wenden, in die Staaten Russland und dem Osmanischen Reich ….

Das württembergische Königshaus, zunächst noch erfreut über die losgewordenen Querulanten und Radikalinskis aus Schwaikheim, Balingen und Reutlingen, erschrickt als es dem Umfang des Auswanderungswillens der eigenen Untertanen gewahr wird. Hatte man noch Jahrzehnte zuvor durch den Verkauf eigener Untertanen an das britische Empire für deren Kolonialkriege in „Neu-England“ (Vereinigte Staaten von Amerika), Südafrika und Indien selbst eine ‚Zwangsauswanderung‘ betrieben, um der finanziellen Pleite feudaler Verschwendung zu entgehen, gefährdet nun der Umfang des Auswanderungswillens der eigenen Untertanen die wirtschaftliche Grundlage des Landes. Eine Landwirtschaftsreform soll die Entwicklung aufhalten: die „Landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt Hohenheim“, (die heutige Universität Hohenheim als zweite Universität in Stuttgart) wird 1818 gegründet und der „Canstatter Vasen“, heute nur noch als Volksfest bekannt, wird im selben Jahr als Landwirtschaftsmesse in Gang gesetzt.

Der Reutlinger Friedrich List soll im Auftrag des württembergischen Königs Wilhelm I. die Ursachen der Auswanderung erforschen. Derselbe Friedrich List, der noch 1818 eine „Ausländerin“ aus dem badischen Wertheim ehelichen wollte und deswegen als Universitätsprofessor in Tübingen um einen „Dispens“, also um eine Ausnahmegenehmigung in Form der Ausserkraftsetzung von Verwaltungsverfahren bei der Universitätsleitung ersuchen musste. Der Gedanke, dass die Kleinstaaterei und die Herrschaftsstrukturen in deutschen Landen, trotz der Versuche und Massnahmen eine wirtschaftliche Entwicklung zu fördern, nicht Teil einer Lösung, sondern Kern des Problems sind, greift um sich. Die Schranken werden klar erkennbar.

In diesem Zeitgeschehen wird in Eglosheim, einem heutigen Stadteil Ludwigsburgs am 4.12.1812 Georg David Hardegg geboren.

… als man Kommunismus und Kriminalgericht noch mit „C“ schrieb: ein Revolutionär aus Eglosheim

Der Ludwigsburger Stadtchronist und ehemalige Kreisdekan Albert Sting gibt Georg David Hardeggs Biographie in den Jahren des Vormärz folgend an:

„Hardegg, Georg David kam am 2. April 1812 in Eglosheim zur Welt als zweitältester Sohn des „Hirsch“-Wirts Johann Friedrich Hardegg und dessen zweiter Frau Sabine geborene Eiselen. Die Hardeggs waren eine angesehene und alteingesessene Familie. David besuchte die Lateinschule bzw. das Lyzeum in Ludwigsburg. Danach begann er eine Lehre als Kaufmann bei seinem Onkel in Ludwigsburg. In dieser Zeit starb der Vater. David ging mit 18 Jahren nach Amsterdam und Antwerpen, wo er in einem Handelshaus Arbeit fand. Dort kam er mit revolutionären Ideen in Kontakt und erlebte die Aufständischen, die die Unabhängigkeit Belgiens von Holland forderten und sie auch erreicht hatten. Als David arbeitslos geworden war, kehrte er nach Eglosheim zurück.
David Hardegg zog in der Neujahrsnacht 1830/31 durch die Strassen Ludwigsburgs und rief: „La Fayette“ und „Republik oder Tod“ ! 1831 zog er nach Paris. Einen Arbeitsplatz fand er dort nicht, gründete aber mit anderen die republikanische Zeitschrit „Le Siècle“. Er fand über seinen Freund, den zehn Jahre älteren Stuttgarter Buchhändler Gottlob Franckh, Kontakt zu den französischen Radikalen. Hardegg gab den Kaufmannsberuf auf und wollte Medizin studieren. Im Mai 1832 reiste er zum Hambacher Fest und diskutierte die Revolution. Für 1833 war der Aufstand in Württemberg geplant, zusammen mit dem Oberleutnant Ernst Ludwig Koseritz. Hardegg wollte in der Umgebung von Tübingen die Landbevölkerung für die Revolution gewinnen, was aber nicht gelang. Die Verschwörung brach zusammen, Hardegg wurde verhaftet und in Tübingen festgesetzt. Sein Fluchtplan wurde aufgedeckt und am 10. Juni 1833 kam er auf den Hohenasperg. 1838 wurde im und seinen revolutionären Freunden in Ludwigsburg der Prozess gemacht. Hardegg wurde zu neun Jahren Haft verurteilt. 1840 wurde er wegen Krankheit vorzeitig entlassen, hatte aber in die Schweiz ins Exil zu gehen …“ (3)

Was war es was Blanckh, Hardegg, Koseritz und Genossen umtrieb ? Verschwörungen und konspirative Revolutionszirkel aller Orten. Die Monarchie und die Kleinstaaterei müssen verschwinden. Das württembergische Königshaus beauftragt das Kriminalgericht Esslingen mit der Verfolgung und Verurteilung der Verschwörer. Ermittelt wird wegen „Verteilung von revolutionären Flugschriften und Hochverrats“, gegen Mitglieder der revolutionären Vereinigung „Junges Deutschland“ wegen Hochverrats und Konspiration im Ausland, wegen Mitgliedschaft im „Bund der Geächteten“, wegen „Hochverrats, Abfassung und Verbreitung revolutionärer Flugschriften und Volksaufwiegelung“, wegen „kommunistischen Umtrieben“ …

Vorausgegangen war am 28. November 1831 die Niederschlagung des polnischen Aufstandes in Warschau. Zur „Klärung der Lage“ (historischer Neusprech für Niederschlagung eines Aufstandes) wird ein baltischer Junker in russischen Diensten entsandt: Dmitri Jerofejewitsch von der Osten-Sacken. Er hatte sich dabei schon im Vierten Russisch-Persischen Krieg 1826-1828 bewährt, bei dem Persien nach der Niederlage an Russland noch weitere Gebietsabtretungen zugestehen musste. Dass der ‚Orientkampf‘ der von der Osten-Sackens in Diensten unterschiedlicher Herrscher durchaus eine Familientradition bildet, ist aktuellen Kampagnen zu entnehmen, wo ein Nachfahre unter Neocon-Flagge diese traurige Familientradition in anderen Diensten fortsetzt. Die polnischen Revolutionäre müssen fliehen …. und werden in Deutschland mit Begeisterung aufgenommen.

Albert Sting berichtet dazu von den Verhältnissen in Ludwigsburg:

„Die Polen in Ludwigsburg

Eine weitere Möglichkeit zur Aufwiegelung grösserer Personengruppen ergab sich durch die Bildung von Vereinen zur Unterstützung flüchtiger Polen. Ludwigsburg wurde in kurzer Zeit zu einer Hochburg der Polenbegeisterung. In der Fürsorge für die flüchtigen Polen und in der allgemeinen Sympathie für die Märtyrer einer guten Sache, sah Lohbauer bald einen wesentlichen Ansatzpunkt für die liberale Agitation überhaupt. Im Rahmen einer Polenkundgebung kamen Rudolf Lohbauer und Ernst Ludwig Koseritz in Kontakt und konnten Absprachen treffen. Damit begegneten sich der zivile und der militärische Revolutionskreis.
1831 waren einmal zwei Polen im Waldhorn abgestiegen. Oberst Wisocky und Graf Ledokowsky. Lohbauer arrangierte ein Treffen, an dem auch Oberleutnant Koseritz teilnahm. Während die Herren sich nun oben im Waldhorn unterhielten, warteten unten etwa 100 begeisterte (und neugierige) Bürger darauf, die Polen zu Gesicht zu bekommen. Sie warteten jedoch vergebens ! – Erst in einer zweiten Zusammenkunft beim Seifensieder Müller („welcher in der Stuttgarter Strasse Wein ausschenkt“) kam es zur der Gründung von einer Art „Hilfskomitee“, ein drittes Treffen in etwas grösserem Kreise fand etwas später beim Metzger Häusler statt (Wilhelmstrasse, Ecke Eberhardstrasse). Es nahmen ausser Koseritz zwölf Offiziere der Ludwigsburger Garnison teil, dazu drei Heilbronner Offiziere, ferner 30 Bürger. Hier kam es zur Gründung der ‚Häusler’schen Gesellschaft‘, die sich ausser der Polenfürsorge noch die ‚Vereinigung des Bürger- und Militärstandes‘ zum Ziel setzte …“ (4)

Um für den Aufstand ein Zeichen zu setzen, bildet sich eine Verschwörung zur Vorbereitung eines terroristischen Anschlags, dem so genannten „Frankfurter Wachensturm“. Mit einem Überfall auf die Frankfurter Constablerwache soll die hessische Bevölkerung aufgerüttelt werden und ein Revolutionsfanal soll die Bewegung in Gang setzen. 1832 lernt Hardegg den Ludwigsburger Oberleutnant Koseritz in einer Kneipe namens „Räuberhöhle“ in der Schlosstrasse 45 kennen, von da an arbeiten der zivile und der militärische Flügel der Bewegung zusammen. Der Anschlag in Frankfurt vom 3. April 1833 wird jedoch niedergeschlagen. Beteiligt an der Vorbereitung des Anschlags sind der Stuttgarter Buchhändler Franckh und der Ludwigsburger Oberleutnant Koseritz.

Hierzu wieder Albert Sting über die „Ludwigsburger Volksbewaffnung“:

„Die Pläne für Ludwigsburg waren folgende: Zuerst wollte man in den Besitz der Pulvertürme auf dem Asperg und des Arsenals in Ludwigsburg kommen. Die Bestände des Arsenals sollten, so rechneten die Verschwörer, zur Ausrüstung von 40 000 Mann reichen. Damit wäre eine Volksbewaffnung möglich.
Die Ludwigsburger Infanterie-Regimenter sollten ihre Offiziere verhaften und sich zwischen dem Pflugfelder und Solitude-Tor aufstellen. Die Stuttgarter Strasse wollte man besetzten, um die Verbindung nach Stuttgart abzuschneiden. Das zweite Reiterregiment sollte sattteln lassen. Die Schlosswache und den Gouverneur wollte man verhaften und die Kaserne des 1. Reiterregiments anzünden.
Für den Fall, dass die Ludwigsburger Bürger nicht mitmachen würden, war vorgesehen zu plündern und 600 Sträflinge aus dem Arbeits- und Zuchthaus auf sie loszulassen.
Danach wollte man in Stuttgart marschieren, den König festnehmen, die Hauptstadt besetzen oder anzünden, sich mit den Frankfurtern vereinigen, unter polnischer Führung Süddeutschland erobern und die Republik ausrufen.
Das Vorgehen war im wesentlichen geheim geblieben. Die Vorbereitungen, soweit sie überhaupt bemerkt waren, wurden nicht ernst genommen …“ (5)

Nachdem der „Frankfurter Wachensturm“ fehlgeschlagen war, waren auch die Revolutionsbestrebungen in Ludwigsburg gedämpft und wurden eingestellt. Jedoch ausgelöst durch eine Denunziation werden die Pläne enttarnt und die Revolutionäre verfolgt. Koseritz sollte nach Aburteilung exekutiert werden, im letzten Augenblick durch einen Gnadenerlass des Königs der Exekution entronnen, wird er mit dem Feldwebel Johann Samuel Lehr und 600 Gulden nach Amerika abgeschoben. Auch Hardegg wird verhaftet und nach einem langen Prozess eingekerkert.

Nach einem langem Prozess und Haft auf dem Hohenasperg tritt er seine 9-jährige Haftstrafe in Gotteszell an. Während seiner Gefängniszeit erhält er nur die Bibel zu lesen, durch die fehlgeschlagene Revolution, Prozessdauer und Gefängnisaufenthalt zermürbt und gebrochen wendet er sich der christlichen Mystik zu. Schon im Gefängnis sieht er seine neuen Ideale durch die schwäbischen Pietisten vertreten. Durch Krankheit vorzeitig aus der Haft entlassen, wird er des Landes verwiesen und findet eine Anstellung in einem Handelshaus in Schaffhausen in der Schweiz.

Erst 1846 darf er nach einer Amnestie wieder nach Ludwigsburg zurückkehren und eröffnet ein Lederwarengeschäft am Marktplatz in Ludwigsburg. Seine Hinwendung zum württembergischen Pietismus fortführend, lernt er die die Pietistenführer Gottlob Christoph Jonathan Hoffmann und Christoph Paulus kennen und schliesst sich ihnen an.

Selbst nach dieser Zeit, ist an dem vorhandenen Bildmaterial, das aus dem Beginn der Fotografie würdige, ältere Herren darstellt, genau dieses grundsätzlich falsch, die dargestellten Persönlichkeiten waren in diesem Zeitabschnitt jung, dynamisch und ehrgeizig im Sinne ihrer eigenen Zielsetzungen.

… die anderen ‚Tempelführer‘

Laut eigenen Publikationen der Tempelgesellschaft hat die Familie Paulus in Nagold im Nordschwarzwald ihren Ursprung. Dabei ist der Nordschwarzwald auch heute noch eines der Epizentren des schwäbischen Pietismus. Ein Nachfahre wird 1733 Amtsbürgermeister der ehemals Freien Reichsstadt Markgröningen.

Eine weitere Initiative gegen die Auswanderung wird vom schwäbischen Pietisten Gottlob Wilhelm Hoffmann (1771-1846), Bürgermeister in Leonberg und königlicher Notar, ergriffen. Durch Vorsprache beim Königshof, erreichte er, dass den unzufriedenen Pietisten in der Nähe von Stuttgart ein Areal zugewiesen wurde, auf dem sie eine Gemeindegründung mit eigener Gottesdienstordnung einrichten konnten. 1819 zog auch Hoffmann auf das neue Land und gründete die privilegierte „Brüdergemeinde Korntal“. Sein Sohn Christoph Hoffmann ist bei der Gründung 4 Jahre alt und wächst nach seinen eigenen Erinnerungen in einer Gemeinde „der wahren Gläubigen“ auf, einem Gemeinwesen, von dem er in seiner Kindheit davon ausging, dass Korntal gleichbedeutend mit dem Reich Gottes sein müsse.

Ludwigsburg als „schwäbisches Potsdam“ ist im 18. und 19. Jahrhundert eine Residenz- und Soldatenstadt. Da dieser Berufsstand seit alters her einen besonderen Durst pflegt, woraus sich wiederum spezielle Umgangsformen entwickeln, sind Schenken und Kneipen gefragt. Eine besondere Pilgerstätte ist nicht nur die „Räuberhöhle“ in der Schlosstrasse, sondern auch eine Schenke in unmittelbarer Nähe des Salonwaldes. Raufereien und Händel, nach einem feucht-fröhlichen Kneipenbesuch nicht unüblich, können gleich im Salonwald ausgetragen werden. Ebenso falls ein Stelldichein verabredet wurde. Diese Kneipe liegt jedoch ausserhalb der Ludwigsburger Stadtgrenzen und gehört schon zur Gemarkung Kornwestheim. Von Kornwestheim zumindest soweit entfernt, dass der ganze Händel, das Lärmen und Treiben nicht ins Stadtgeschehen eingreift, der Salon und der Salonwald sind so verruchte Orte, dass es noch Jahrzehnten danach, den Schülern der christlichen Bildungsanstalt verboten wird, den Salonwald zu betreten. Veröffentlichte Schriften zur Karlshöhe und der evangelischen Hochschule Ludwigsburg gehen auch nicht gerne auf diesen Hintergrund ein ….. Der Wirt dieser Schenke, dem Treiben so zugeneigt, macht Pleite, das Gebäude steht zum Verkauf. Dieser moralische Sumpf muss trockengelegt werden, die Pietisten schlagen zu.

Die Templer schreiben hierzu:

„Freunde der Familie in Ludwigsburg hatten die Brüder Paulus auf ein Grundstück vor den Toren der Stadt Ludwigsburg auf dem Grund der Gemeinde Kornwestheim hingewiesen. Es stand dort ein ehemaliges Lustschloss der Prinzessin
Katherina von Württemberg, das aber verkauft und zu einem Bierwirtschaft herabgesunken war. Im Volksmunde hieß es „der Salon“ und gab der Schule den Namen.“ (6)

Der theologische Streit zwischen Pietisten und Rationalisten in und mit der evangelischen Landeskirche, die Eskalation in Ludwigsburg 1848

In den sozialen Zuständen, die den Aufbruch in die Moderne begleiteten, sahen die Pietisten den gesellschaftlichen Verfall. Zwar stimmten sie überein, dass Staat und Kirche voneinander zu trennen seien, jedoch habe sich der Staat nach christlichen Grundsätzen zu organisieren. Nicht in der Jenseitserwartung zeige sich Gottes Reich, sondern es muss Bestreben der Christen sein, so viel wie möglich schon auf Erden zu erfüllen. Die gesellschaftliche Lösung soll dabei die Rückbesinnung auf die fundamentalen Botschaften der Bibel erzielt werden, dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Heilige Schrift als wahr und wörtlich genommen wird. Dass es die Pietisten diese Botschaft ernst nahmen und ihre Gemeinwesen in diesem Sinne organisierten, zeigt sich daran, dass selbst ein Friedrich Engels deren egalitäre Siedlungen und soziale Organisation in den Vereinigten Staaten als Baustein für den Kommunismus ansah.

Demgegenüber verfolgten andere Strömungen und Teile der evangelischen Landeskirche eine völlig konträre theologische Entwicklung. Ihr Öffnungsbestreben zur modernen Wissenschaft und das Liebeswerben der Studenten und Professoren in Tübinger Theologieseminaren mit den Junghegelianern, bedeuten für die Pietisten eine Aufweichung der religiösen Fundamente in die Beliebigkeit. Als nun zwei Ludwigsburger Theologen, Friedrich Theodor Vischer und sein Freund und Kollege David Friedrich Stauß in Tübingen lehren und der weltoffene Vischer sich zur Gleichrangigkeit der Religionen äussert, ist für die Pietisten die christliche Suprematsvorstellung, aus der sich der Missionsauftrag ableitet, gekippt. Mit dieser Pantheismusvorstellung ist das Mass für die Pietisten nun voll, es läuft über, als die viel beachtete Schrift „Das Leben Jesu – kritisch betrachtet“ von David Friedrich Strauß 1836 publiziert wird und an Einfluss gewinnt. Christoph Hoffmann macht mobil und gründet 1845 die Zeitschrift der württembergischen Pietisten, die „Süddeutsche Warte“ als Kampfblatt gegen die beiden „Gottesleugner“. Noch nicht publizistisch in Erscheinung getreten, veröffentlich er 1845 als Dreissigjähriger seine Streitschrift „21 Sätze wider die Gottesleugner in Tübingen“. Der erste Satz lautet: „Wer da sagt, er bekenne sich zum Pantheismus, der ist ein Gotteslästerer und Götzendiener …“ Die Auseinandersetzung wird erbittert geführt und erreicht in Ludwigsburg bei der Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche einen bizarren Eskalationspunkt bei der sich die Kontrahenten persönlich gegenüberstehen und sowohl Militär eingreift, als auch zur Hilfe gerufen wird. Dazu wieder der Stadtchronist Albert Sting:

„Ein Wahlkomitee wurde gebildet. Der zu wählende Kandidat sollte Deutscher, dann Württemberger und schliesslich Ludwigsburger sein. Man einigte sich auf David Friedrich Strauß. Ein „Patriotischer Verein“, später „Vaterländischer Verein“ genannt, übernahm den Wahlkampf. Die erste Versammlung fand im Waldhornsaal statt.
( … )
David Friedrich Strauß wurde am 15. April als Kandidat für den württembergischen Wahlkreis 6 (Ludwigsburg – Marbach) aufgestellt. Sein Gegenkandidat war der Pietist, Lehrer und Mitvorsteher der Wissenschaftlichen Bildungsanstalt auf dem Salon, Christoph Hoffmann.
( … )
Bei den grossen Gegensätzen, die die beiden Kandidaten bezüglich ihrer theologischen Auffassungen vertraten, war ein scharfer Wahlkampf, bei dem die Hauptstreitpunkte theologischer Natur sein würden, vorprogrammiert. Strauß der scharfsinnige Kritiker, selbst neutestamentlicher Texte, dessen bedeutendstes Werk „Leben Jesu – kritisch betrachtet“ betitelt ist, hatte die Ludwigsburger, aber auch viele Soldaten und Unteroffiziere, hinter sich.
Hoffmann stammte aus der Mitte des württembergischen Pietismus. Er war der Schwiegersohn von Beate Paulus, die die Tochter von Pfarrer Philipp Matthäus Hahn war. Sein Schwiegergrossvater war Johann Friedrich Flattich. Der Kandidat Hoffmann wurde gestützt von der streng gläubigen Landbevölkerung.
Die Gemeinde war hoch erregt, als am Ostermontag, 25. April 1848, die Menschen in grossen Scharen dem mittleren Schlosshof in Ludwigsburg zustrebten, um an der entscheidenden Wahlversammlung teilzuhaben. Achttausend bis neuntausend Personen standen Kopf an Kopf im Schlosshof.
Bei der Redeschlacht ging es kaum um politische Argumente, überwiegend persönlich wurde der Kampf geführt. Welcher Mann ist geeigneter ?
Der Beifall galt anfangs eher Strauß. Als Dekan Christlieb und der Helfer Hack aus Stuttgart massiv gegen Strauß unter Aufstachelung der religiösen Leidenschaften votierten, wurden diese beiden durch tumultartige Szenen gezwungen, ohne ihre Reden beendet zu haben, die Bühne zu verlassen.

Nach dieser Veranstaltung konnte niemand eine Vorhersage des Wahlergebnisses wagen. Mit grösster Spannung wartete man daher auf die Auszählung der Stimmen.
Nach auf dem Schlosshof hatte sich dann doch eine Stimmung zugunsten Hoffmanns abgezeichnet. Darum richtete sich der Zorn einiger Strauß gewogener Soldaten gegen den „Salon“ als Zentrum der Straußgegener.

Sie rotteten sich zusammen und wollten den Salon stürmen. Dem beherzten Eingreifen eines Offiziers ist es zu verdanken, dass sich die Rotte verlief. Aber der Salon sah sich gefährdet. Frauen, Kinder und Schüler, soweit sie sich während der Osterferien in der Bildungsanstalt aufhielten, wurden evakuiert.
Bauern aus der Nachbarschaft trafen ein, den Schutz des Salons zu übernehmen. Vorposten wurden bis vor die Tore der Stadt gestellt. In dieser Nacht aber geschah nichts.
Strauß dagegen hielt im Waldhornsaal eine Ansprache. Am Abend des 27. April zog die Jugend Ludwigsburgs zum Salon hinauf. Die vor Ort befindlichen Patrouillen verhinderten einen Zusammenstoss.
Daraufhin strömten weitere Bauern auf Wagen herbei, so dass sich schliesslich 400 Mann zur Verteidigung des Salons einrichteten. Auch die Städter versammelten sich am Stuttgarter Tor, vermieden aber weiteres Vordringen, nachdem ihre Späher die starke Besatzung des Salons wahrgenommen hatten. Schliesslich wollten die Bauern, des langen Wartens müde, in die Stadt vordringen, wurden aber von ihren Anführern daran gehindert.
Als einer der Lehrer in Stuttgart die Lage auf dem Salon geschildert hatte, erschien am darauf folgenden Tag ein Offizier mit zwei Tambours, beschwichtigte die Bauern und übernahm den Schutz des Salons. Daraufhin zogen die Bauern allmählich ab. Einige Tage noch lag Militär im Salon, bis es auch, als keine Gefahr mehr zu erkennen war, abrückte.

Am 28. April hielt Strauß beim Rathaus vor 300 Menschen eine beschwichtigende Rede: ‚Meine Freunde, Unrecht bleibt Unrecht, für oder gegen wen es auch immer verübt werden möge. Gewalt und Unordnung fördern die Freiheit nicht, sie beflecken nur ihren Glanz, verkürzen ihre Dauer …. So ist kein einzelner Mann jemals soviel werth, dass es sich verlohnte, um seinetwillen Unrecht und Eintracht zu stören.
Die Wahl geschah mittels Wahlmänner – die Frauen durften damals noch nicht wählen – und dauerte vom 26. bis 29. April. In der Stadt Ludwigsburg wurde an zwei Tagen, am 28. und 29. April gewählt.
Das Wahlergebnis der Abgeordnetenwahl zur Deutschen Nationalversammlung im 6. Wahldistrikt war:
( … )
Strauß 3365, Hoffmann 5841 Stimmen …
( … )

Ludwigsburg legte Trauer an: Auf den Plätzen wurden Trauerweiden aufgestellt, an den Häusern schwarzer Flor angebracht und alle zwei Stunden vom Turm Trauermusik gespielt und alle schwarz-rot-goldenen Fahnen mit Trauerflor versehen …“ (7)

So erbittert der Wahlkampf geführt wurde, so klang- und glanzlos ist die Abgeordnetentätigkeit von Christoph Hoffmann. Im Gegensatz zu seinem theologischen Kontrahenten Friedrich Theodor Vischer, der für den Wahlkreis Reutlingen/Urach gewählt wurde, sich den Linksdemokraten anschloss und wütende Reden gegen Bismarck hielt, gelang es Hoffmann nicht, sich mit seiner Vorstellung vom „christlichen Staat“ einer der Fraktionen anzuschliessen. In der revolutionären Bewegung sah er dann einen „babylonischen Turmbau“, der die Welt in ihrer Gottlosigkeit dem Abgrund, der für sie seit den biblischen Propheten unaufhaltsam vorhergesehen war, näherbrachte. Ihm wird daher unterstellt, dass er die Zeit mehr zur Erstellung seines neuen Buches „Stimmen der Weissagung über Babel und das Volk Gottes“, das 1849 in Leipzig herausgegeben wurde, verwendet hatte, als zur Ausübung seines Mandats.

Die biblische Weissagung: Der schwäbische Vorbereitungs-„Kibbuz“ bei Affalterbach und die ‚Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem‘

Paul Sauer bemerkt über die Zeit nach der Abgeordnetentätigkeit Hoffmanns folgendes:

„Aus dem Studium der Heiligen Schrift, insbesondere aus den Büchern der Weissagung, den Propheten, gewann Hoffmann die Erkenntnis, dass der Menschheit ein neues Babel nur erspart werden konnte, wenn sich die Besten der Völker zum Volk Gottes, d.h. zu einer exemplarischen christlichen Glaubens- und Lebensgemeinschaft vereinigten. Da für ihn, wie für viele andere Vertreter des damaligen württembergischen Pietismus, die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorstand und da es für ihn nach der biblischen Weissagung kaum zweifelhaft war, dass diese in Jerusalem erfolgte, hatte sich das Volk Gottes möglichst an jener heiligen Stätte zu sammeln. Die Sammlung war für ihn gleichbedeutend mit der Wiederaufrichtung des Tempels.“ (8)

1852 kommt es zu einem internationalen Konflikt um die Vertretung der Christen Palästinas. Napoleon III reklamiert für sich, dass Frankreich der Titular und die Vertretung um die Kirche am Heiligen Grab in Jerusalem sei und strebt hierzu ein „Protektorat“ an, der russische Zar widerspricht, da die christliche Orthodoxie von der russischen Kirche vertreten wird. Dies gibt den Vorwand und gilt als Auslöser für den Krimkrieg. Im Kern geht es dabei um die Frage, wer die Erbschaft beim „Kranken Mann am Bosporus“, dem Osmanischen Reich antreten wird. Frankreich und England wollen eine Ausdehnung des russischen Reiches auf Kosten des Osmanischen Reiches, sowie die Besetzung der Meerenge am Bosporus verhindern. Ein dreijähriger verlustreicher Krieg zwischen Russland auf der einen Seite und England, Frankreich, Sardinien und dem Osmanischen Reich auf der anderen Seite wird erst 1856 beendet. Für die Ludwigsburger Jerusalemfreunde schien es, als sei die jahrhundertelange türkische Herrschaft über Palästina in greifbare Nähe gerückt:

Und es ist gerade das, was die Jerusalemfreunde beflügelt. Im Frühjahr 1853 Prinz Menschikow seine Forderungen der Hohen Pforte überreicht, greift die Überzeugung um sich, dass die Herrschaft der Türken in Palästina bald zu Ende sei. Wer hat nun das Recht die Türken zu beerben. Christoph Hoffmann kennt die Antwort: „Niemand anders als das Volk Gottes !“ Hoffmann zitiert dabei gerne die Bibel – „Gehet aus von ihr, mein Volk, dass ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf das ihr nicht empfanget etwas von ihren Plagen (Offenbarung 18, 4). Deshalb wird zu einer Versammlung in der Ludwigsburg Gaststätte „Waldhorn“ aufgerufen. Es meldet sich die von Hardegg und Hoffmann ins Leben gerufene „Gesellschaft für die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem“. Am 22. August 1854 finden sich ca. 200 Personen zu einer polizeilich angemeldeten Versammlung ein, bei der Hardegg energisch zu einer Neubesinnung und zu einem „Auszug aus Babel“ aufrief. Ein vierköpfiger Aktionsausschuss wurde gebildet, dem neben Hardegg und Hoffmann noch Christoph Paulus und Louis Höhn angehörten. Es gäbe keine andere Wahl, eine vollkommene christliche Gemeinschaft sei nach der biblischen Weissagung nur in Jerusalem zu verwirklichen. Der Aktionsausschuss legte hierzu eine Bittschrift an den deutschen Bundestag in Frankfurt vor, in der dargelegt wurde, dass sich die in der Gaststätte „Waldhorn“ Versammelten zu einer „Gesellschaft für die Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem“ zusammen geschlossen hätten, die willens sei in Palästina Gemeinden zu bilden und dort eine urchristlich-apostolische Glaubens- und Lebensgemeinschaft zu verwirklichen. Der Bundestag solle sich dafür beim türkischen Sultan einsetzen, dass dieser die erforderlichen Garantien hinsichtlich der Freiheiten in Bezug auf Bürgerrechte und Glaubensfreiheiten, Sicherheit der Person und des Eigentums, sowie den erforderlichen Grund und Boden zur Errichtung von Siedlungen garantiert. (9)

In einem hebräisch-deutschen Wörterbuch ist für „Kibbuz“ das deutsche Wort „Versammlung“ zu finden. In der Entsprechung der späteren Agrarkommunen jüdischer Einwanderer in Palästina, war es den „Freunden Jerusalems“ klar, dass eine Versammlung in Palästina nur erfolgreich sein kann, wenn das Handwerk landwirtschaftlichen Aufbaus gelernt und erfolgreich zu Wege gebracht wäre. Im Gegensatz zu ihren abstrus anmutenden religiösen Vorstellungen, mag es Erstaunen, wie geplant und organisiert die schwäbischen Pietisten in dieser Sache vorgingen. Nach dem erfolglos verhallten Gründungsaufruf und der Versammlung in der Gaststätte „Waldhorn“ waren die Jerusalemfreunde durch nichts von ihrem Vorhaben abzubringen, 1856 wird aus eigenen Mitteln und Spenden der heruntergekommene schwäbische Weiler „Kirschenhardthof“ gekauft und in mehrjährigen Anstrengungen wieder auf Vordermann gebracht. Im selben Jahr noch eröffnet Christoph Hoffmann dort noch eine Erziehungsanstalt für Knaben. Mit der evangelischen Landeskirche schon seit mehreren Synoden und Tagungen zerstritten, werden die Jerusalemfreunde, nachdem sie selbst ohne Genehmigung der evangelischen Kirchenhierarchie Konfirmationen vornehmen, von der Landeskirche ausgeschlossen. Die Gründung einer eigenen Religionsgemeinschaft erfolgt, sie nennen sich ab diesem Zeitpunkt der „Deutsche Tempel“ ……

„In den Jahren zwischen 1860 und 1865 vollzog sich die verwaltungsmäßige Trennung der verschiedenen Bemühungen. Auf einer Zusammenkunft am 19. und 20. 6. 1861 auf dem Kirschenhardthof erklärten die Jerusalemsfreunde ihren Austritt aus der Landeskirche und die Gründung einer eigenen Gemeinschaft unter dem Namen Deutscher Tempel, der späteren Tempelgesellschaft. Angesichts der allgemeinen Zerrüttung der Menschen, die ihre Ursache darin hat, dass keine der bestehenden Kirchen die Herstellung des Menschen zum Tempel Gottes und die Herstellung des Heiligtums für alle Völker zu Jerusalem anstrebt, erklären wir Unterzeichneten unsere Lossagung von Babylon, das heißt von den bestehenden Kirchen und Sekten, und verbinden uns zur Herstellung des Deutschen Tempels, zur Ausführung des Gesetzes, des Evangeliums und der Weissagung … “ (10)

1858 erfolgt eine erste Erkundungsreise der Tempelführer nach Palästina, der Bericht nach der Rückkehr ist für viele ernüchternd: Die Araber haben das Land „herunterkommen lassen“, die Osmanen „schlecht verwaltet“, „der Islam sei schuld an der Misere“. Auch dies bringt die meisten Templer nicht von ihrem Vorhaben ab, da die Kundschafter festgestellt hatten, dass „die natürlichen Bedingungen zur Wiederherstellung der Blütezeit vorhanden wären“.

Am 26. Juni 1868 versammeln sich auf dem Kirschenhardthof 1200 – 1500 Templer, um sich von ihren Führern zu verabschieden. Die Auswanderung der Tempelführer erfolgt über Konstantinopel, um sich eines Fermans des türkischen Sultans zu versichern, nach Palästina. In der zweiten Oktoberhälfte 1868 kommt es auf Anraten des deutschen Konsuls Weber in Jerusalem zu dem Beschluss, dass Haifa und nicht Nazareth der erste Posten der Templer sein wird. Haifa ist der beste Hafen in Palästina und geeignet eine Empfangsstation und einen Vorposten für die weiteren Ansiedlungen zu bilden.

Wem gehört das ‚Heilige Land‘ ? dem ‚Volk Gottes‘ oder dem ‚Volk Israel‘ ?

Dass das Heilige Land nicht Arabern in die Hände gegeben darf, hatten die Tempelgemeinde schon bei der ersten Kundschaftsreise festgestellt, da diese das Land hätten „verkommen“ lassen, auch den Türken steht es nicht zu, da „es schlecht verwaltet“ wurde. Auch für die Juden hatten die Freunde Jerusalems eine theologische Betrachtung angestellt. Hierzu führt Alex Carmel aus:

„Die Frage, ob die Juden berechtigt waren, nach Palästina zurückzukehren, erhielt praktische und erstrangige Bedeutung in den Augen der Freunde Jerusalems von der Stunde an, da Hoffmann beschloss, das dass Heilige Land einzig und allein dem Volk Gottes zustehe. Seither gaben sich die Freunde Jerusalems die grösste Mühe, ihre Einstellung zu begründen. Zwar stellte Hoffmann fest, wollte Gott das Land dem Volk Israel geben, aber es befleckte und versündigte sich und hätte längst aufgehört, das heilige Volk zu sein. Als die Juden Jesus ablehnten, verloren sie ihr Recht, das Land zu erben, das mit dem Blut des christlichen Messias geheiligt ist. Seit jenen Tagen gab es überhaupt kein heiliges Volk mehr, bis die Templer aufstanden und daran gingen, ein neues heiliges Volk, nämlich das Volk Gottes zu schaffen. Der Fluch, der auf Palästina ruhe, werde also nicht von den Juden, sondern von den Templern aufgehoben werden. Daher führe die Unterstützung – von Seiten gewisser kirchlicher Kreise in der westlichen Welt – der Rückkehr der Juden nach Palästina unter fälschlicher und gefälschter Berufung auf die Propheten nur dazu, dass der gegenwärtige Zustand völliger Untätigkeit in allem, was den Aufbau des Heiligen Landes angeht, sich weiter fortsetze. Die Bestätigung ihrer Behauptung, dass die Juden nicht nur unwürdig seien, das Land zu erben, sondern auch unfähig, es aus seinem Elend zu erlösen, fanden die Vorsteher der Templer auf ihrer Palästinareise 1858. Anstatt, dass die dortigen Juden (dies bezieht sich auf die Mitglieder der alten Gemeinde, die sich besonders in den vier Heiligen Stätten konzentrierte und damals etwa zehntausend Seelen zählten) etwas täten, um das Land ihrer Väter zu entwickeln, wie es ihm aufgrund seiner Bestimmung gebühre, seien sie in völligem beschämenden Nichtstun versunken …. “ (11)

Somit sind die Besitztitel mittels der wörtlichen Auslegung der Schrift geklärt ! Der ebenso verinnerlichte protestantische Arbeitsethos tat ein übriges, dass nach Jahrzehnten der Härten in Palästina die Templersiedlungen Rephaim, Jaffa, Haifa, Wilhelma, Sorona und Walhalla als Mustersiedlungen dastanden. Nicht nur fehlte die Masse der Auswanderer, um hieraus einen evangelikalen Gottesstaat im Heiligen Land zu formen, auch die ‚Protektion‘ des deutschen Reiches verfolgte andere Wege, aufgrund der Investitionen im Osmanischen Reich.  Als ‚Pioniere‘ zeigten sie jedoch, dass eine Siedlung in Palästina umsetzbar ist, wenn sie auch mit der Verbreitung dieses Gedankens in Deutschland allein blieben und schufen somit nach heutigen Begriffen eine „Blaupause“ für besser bekannte weitere Siedlungsvorhaben. In ihrem praktischen Wirken mussten sie jedoch von den genannten religiösen Maximalvorstellungen im täglichen Leben zahlreichen Konflikten begegnen und Kompromisse eingehen. Für die deutsche Orientpolitik werden auch sie „entdeckt“, als ultranationalistische Kreise um den deutschen Kolonialverein, dem deutschen Flottenverein und die deutschen Orientalisten als Vertreter des „ethischen“ Imperialismus Ende des 19. Jahrhunderts sich dem untergehenden Osmanischen Reich zuwandten, die württembergischen Kolonisten als „schwäbisches Bauernelement“ propagierten und aus den Siedlungsflecken in der Ostflanke des Osmanischen Reiches ein „Neudeutschland“ formen wollten (Sprenger, Rohbach, Grothe). Übersehen wurde dabei freilich die politische Konstellation: Siedlungsbestrebungen hatten dabei durchgehend das Misstrauen der osmanischen Verwaltung und Konflikte mit der arabischen Bevölkerung hervorgerufen. In der geopolitischen Sphäre der deutschen Hochfinanz war man deshalb mehr einer Politik der „pénétration pacifique“ gegenüber dem Osmanischen Reich mit Krediten für den Bau der Bagdadbahn zugeneigt, anstatt einer konfliktreichen Zusammenführung von verschiedenen Siedlungsflecken schwäbischer Kolonisten unter deutscher Flagge nachzugeben.

Uns rief das Heilige Land: Das „schwäbische Bauernelement“ in Palästina

In Palästina hingegen mit schwäbischem Fleiss die Aufbauarbeit weiter fortgesetzt. Ein weiterer Zeitzeuge, der dort auf die Templer trifft und die Siedlungen in seinen Gemälden dokumentiert, ist der Orientmaler Gustav Bauernfeind aus Stuttgart … im Kontrast zu den anderen „orientalist painters “ vielleicht einer der interessantesten Orientmaler überhaupt, deswegen wird ihm der nächste Beitrag gewidmet sein ……

mit grüssen von der geschichte ludwigsburgs
gerd muenzner

p.s.

Literatur zum Thema und Quellenangaben:

(1) Alex Carmel: Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina
(2) Paul Sauer: Uns rief das Heilige Land
(3) Albert Sting: Geschichte der Stadt Ludwigsburg, Bd. II, S. 453
(4) Albert Sting: Geschichte der Stadt Ludwigsburg, Bd. II, S. 39
(5) Albert Sting: Geschichte der Stadt Ludwigsburg, Bd. II, S. 40
(6) Kurze Geschichte der württembergischen Familie Paulus/Hoffmann – Veröffentlichung der Tempelgemeinde
(7) Kurze Geschichte der württembergischen Familie Paulus/Hoffmann – Veröffentlichung der Tempelgemeinde
(7) Albert Sting: Geschichte der Stadt Ludwigsburg, Bd. II, S. 44
(8) Paul Sauer: „Uns rief das Heilige Land“, S. 19
(9) Paul Sauer: „Uns rief das Heilige Land“, S. 22
(10) Kurze Geschichte der württembergischen Familie Paulus/Hoffmann – Veröffentlichung der Tempelgemeinde
(11) Alex Carmel: Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina, S. 260

– Ludwigsburger Geschichtsblätter 54/2000 – Joachim Baur: Georg David Hardegg – ein Revolutionär mit 2 Anläufen
– website der Tempelgemeinde: Tempelgesellschaft , mit zahlreichen Publikationen
– Franz Quartal / Karl Moersch: Hohenasperg oder ein früher Traum von Demokratie
– Christoph Hoffmann: Mein Weg nach Jerusalem
– Max Müller – Robert Uhland: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. 9

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„unter-schlag-zeilen“: wenn die Kunst unter die Leute geht. 
313 seiten politische Lyrik und Grafik von HaBE
Aus dem Vorwort von Ingrid und Gerhard Zwerenz für HaBEs AgitProvoLyrik&Grafik-Buch „unter-schlag-zeilen / befreite worte /gebrochene reime/ zur lage“ :  Nur keinen Streit vermeiden ..Es kann einen Autor teuer zu stehen kommen, wenn er sich strikt an das hält, was er schreibt.. Mundtot ist der Titel eines Gedichts von Hartmut Barth-Engelbart: „Wenn wir / nicht früh / genug / den Mund / aufmachen / haben wir/ am Ende / gar nichts mehr / zu sagen“ Der Lyriker ..aus Hanau denkt gar nicht daran den Mund zu halten Seine Feinde finden, er hat eine zu große Klappe. Die zitierten epigrammatischen Zeilen erinnern an Erich Fried, dem seine Verse nicht wenig Ärger eintrugen. Für Barth-Engelbart eskalierte der Ärger. Vor einigen Monaten wurden seine Gedichte auf offener Straße verhaftet.  Wie aber kamen sie dahin? HaBE ist das Gegenteil eines Innenweltdichters. Mit Poesie und Prosa begibt er sich mitten unter die Leute (mit den ) bewährten Widerstandslesungen, denen es in Hanau  und anderswo nicht an Publikum mangelt. Von wegen, die Menschen interessieren sich nicht für Literatur, sie tun es durchaus, wenn Literatur sich für sie interessiert.…. Weshalb sich Polizei und Justiz für HaBEs Verse interessierten, ist eine bunte Geschichte. Der Autor erzählt sie in diesem Sammelband, der Spannung aufbaut wie ein Krimi, wer die Täter sind verraten wir nicht
Das Buch ist dem langjährigen Duett-Partner HaBEs, dem Bassklarinett-& Saxophon-& Kompon- & Humanisten des Frankfurter ensemble modern Wolfgang Stryi gewidmet, der im Erscheiningsjahr noch vor Erscheinen des Buches starb, nach 15 Jahren gemeinsamer WiderstandslesungsKonzerte.
„unter-schlag-zeilen / befreite worte /gebrochene reime/ zur lage“
313 seiten politische Lyrik und Grafik von HaBE / Buchgestaltung : Jürgen Tauras / (c) 2005 Zambon-Verlag Frankfurt/Main / SemiHardcoverBroschur  ISBN 3-88975-107-5 /    15,– € 
Im gleichen Verlag das HaBE-KinderBuch von der Ziege „ZORA“
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Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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