Alltägliches Miss-Brauchtum. Ein Provinzlehrstück aus Gründau

Sind Missbrauchsopfer Kinder kleiner Leute
intressierts die großen heute
nicht die Bohne

oder doch

vielleicht das noch:
triebs der Pfarrer wirklich ohne
mit Genehmigung aus Rom
oder trieb ers mit Kondom ?

Oder: Wer wird Deutschlands erste Miss Missbrauch?
Es geht hier nicht um pädophile ehemalige Pfarrer oder Ex-Lehrer, Trainer oder Jugenddiakone. Das ist nur ein kleiner Teil des Missbrauchs, der jetzt auflagensteigernd und Stammtische beliefernd abgefeiert wird. Gut so! Nur lenkt diese jetzt sichtbar gewordene Spitze des Eisbergs vom riesigen Umfang des Missbrauchsmassivs unter Wasser ab.
Denn man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.

Ist es Missbrauch, wenn ein Lehrer zu einem Schüler sagt: „Die Dümmsten sind die Schlimmsten“ und dabei auf eins, zwei, drei Kinder direkt deutet ? Ich glaube doch. Es ist Macht-Missbrauch. Und wenn dann haufenweise Vierer, Fünfer und Sechser in den Zeugnissen erscheinen und so die volkstümlich-üblich so genannte „Dummschul“-Karriere garantiert ist  ? – heute sagt man Haupt- und Sonderschule, Schule für Lernbehinderte usw… neue Namen gleicher Inhalt. Oft zumindest und keine Lehrstellenperspektive. Die, denen man die Stimme genommen hat, melden sich noch nicht Mal auf solche Artikel, auf solche e-mails, denn sie können oft kaum Lesen und schlecht Schreiben und schämen sich dafür. Heimlich. Und oft stimmen sie sogar noch am Stammtisch mit ein in den Chor derer, die ihre Peiniger seligsprechen. Wer die Arschkarte gezogen bekam, der soll bitte schön auch fest dran glauben, dass er tatsächlich der Arsch ist. Stimmt doch, der O. unser alter Schulleiter und Lehrer hats doch gesagt ! Oder net?

Er hat doch den Stromkreis gebastelt und Radios repariert und die haben dann auch funktioniert und er hat musiziert und Regie geführt und Kulissen mit uns gebaut   KLASSE !!! Ehrlich, aber man muss auch sehen und fragen, was er denn sonst noch so gemacht hat. Gegen die Nachwirkungen seiner Verurteilungen waren die Steinwürfe in der Kirchgasse Fliegendreck. Zwei, drei Generationen hatten darunter zu leiden. Einmal Dummschul, immer Dummschul oder wie hoch sind die Chancen für Bauernbuben und -mädels, für Hilfs- oder FacharbeiterKinder aufs Gymnasium zu kommen und dort zu bleiben ? Da muss das Häuschen mit Garten noch ein halbes Jahrhundert und mehr  warten, weil die Mutti nämlich wegen der Miete beim Möbel-Höfner noch was dazu verdienen muss und der Papa nicht schon dei der Wibau seinen Job verloren hat sondern erst kürzlich bei der VERITAS oder bei DUNLOP oder beim Kreis oder der Gemeinde keinen Job kriegt, weil die vom BBZ billiger arbeiten….
Naja, dadefür hawwe mer dann en Acker verkauft, und wer hat den Acker gekauft ? Und wer verkauft ihn  jetzt als Bauerwartungsland ? Die Rentkammer ? So ist der Fürst zu seinem Grundbesitz in Feld und Wald gekommen, wenn er ihn sich nicht gleich ganz ohne Geld genommen hat. Die STREIT, den Almessengrund …die Allmenden-Wiesen und andere hatten halt mit dem Verkauf von Pechöfen Glück und konnten das RWE-Unglück von ihren Grundstücken umleiten. Was das Glück noch Mal vergrößerte …

Zum Häuschen auf Raten hats für manche vielleicht ja gereicht, und 10 % konnten dann auch aufs Gymnasium und 5 % an die Uni und 2% haben die UNI gepackt und 1% hat dann auch einen besser bezahlten Job gekriegt. Und der Rest ? Alles Looser, Versager, Ärsche ? Alle schon von Geburt an genetisch nur für Einsortieren beim ALDI oder LIDL oder eventuell für etwas mehr geeignet?

Ich soll nicht übertreiben ?
Ich habe ziemlich untertrieben:
Man kann in Mittel-Gründau über den Friedhof gehen und sich ansehen, auf welchen Grabsteinen das lebenslängliche Urteil des O. wie von unsichtbarer Hand in Geheimschrift geschrieben steht: die Bäckerstochter mit etwas unterentwickeltem Busen, der er sagte, sie könne ruhig so bleiben, sie müsste nur wissen, wie die Luft in die Brötchen kommt. Oder der Bauernjunge, dem er sagte: „Um deine Zukunft brauchst du dir keine Sorgen machen: die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln!“ oder der Metzgersjunge, der „ruhig so blöd bleiben“ kann, er bräuchte „nur zu wissen, was in die Leberwurst kommt!“.  Eine solche Aussage aus dem Mund des Grund-und Hauptschulleiters O. prägt fürs Leben. Bis auf den Friedhof. „Was brauchst du zu lesen? Was brauchst du zu schreiben ? Dir wird einfach vorgeschrieben! Du machst das, was dir gesagt wird. basta!“  Nicht wenige der noch lebenden O.-Schüler/innen haben Mühe, diesen Text zu lesen, selbst wenn sie ihn in Großdruck vor sich haben. Man muss mit ihnen drüber reden. Aber das getrauen sich viele aus Scham nicht.

Nun, O. ist nicht Mixa und auch nicht Gerold Becker von der OdenwaldSchule, nicht Papst oder pädophil,  aber  er hat – wie damals 1945 bis hoch in die 70er nicht unüblich „mit harter Hand“ unterrichtet und die Schule geleitet. Es ging auch anders. Aber das waren eher die Ausnahmen.  Das muss man ihm zugestehen. Klassengrößen von unter 50 waren 1945 bis hoch in die 60er Luxus und zwei Klassen gleichzeitig mit über 100 Kindern zu unterrichten, war eine Meisterleistung – und das alles bei Kohleöfen und Minustemperaturen und ohne Bücher und Schreib-Hefte oder Tafeln – schlimmer als in allen Frankfurter oder Hanauer sozialen Brennpunkten. Klar wurde da geschlagen ! Da wurde hart bestraft,   doch aus der Persprektive der Kinder und Familien, die am meisten unter der Armut und dem entsprechenden Schulsystem zu leiden hatten, hört sich die Beurteilung des „guten Lehrers und Schulleiters O.“ ganz anders an. Der Mann hatte mindestens zwei Seiten und musste sie damals von 45 bis weit in die 70er auch haben. Nur, wenn sich O. – wie er in seinen Memoiren schreibt- mit dem „Ortsbauernführer“ abspricht, dass die Kinder statt in den Sportunterricht zum Kartoffelkäferlesen gehen mussten, dann spricht so was eben Bände: gerade waren dem Ortsbauernführer und dem Fürstlichen Gutsverwalter die preisgünstigen Zwangsarbeiter ausgegangen und schon wurde mit Schulkindern Ersatz geschaffen. Logisch. Musste sein. Sonst gabs doch keine Kartoffeln! Oder ? Die Mittel-Gründauer Kleinbauern-, Handwerker- und ProletenKinder waren ja schon über 1000 Jahre an nix anderes gewöhnt. Schon als HJ-Pimpfe gings zwangsweise zuerst in die fürstliche Erntehilfe, weil die älteren Brüder und die Väter gerade den Endsieg erkämpften…. Und nach 1945 gings fast so weiter wie zuvor, da warens erst die Schulkinder und dann die Flüchtlinge und dann wieder die polnischen Saisonarbeiterinnen  ….

Einige im Dorf verschließen davor die Augen, aber viele ExSchülerINNEN haben heute noch an dem zu beißen, was sie unter O. auszuhalten hatten, auch das, wofür der selbst nichts konnte.

Es war schwierig als „Vertriebener“ dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge hier im Ort integriert werden: noch heute wird man von nicht wenigen „Altbürgern“ als „Neubürger“ diskriminiert: „Der soll doch wieder wegziehen, wenns ihm hier nicht passt!“  Übele Erfahrungen machten in O.s Zeit die katholischen Flüchtlinge, es gab auf dem Schulhof viele Schlägereien bis Oswalt eingriff und meistens war der Schlüssel zum Jugendtreff weg, wenn sich die katholischen Kinder und Jugendlichen dort treffen wollten, auch der tauchte erst dann wieder irgendwo auf, wenn O. einschritt. Aber die Steinwürfe ehemaliger Schüler von der Gaststätte Kuhl aus (heute  Stenger/Heiß), die gab es tatsächlich genauso wie die schlagende Hand des Lehrers und die Dresche mit dem Fidelbogen auf den Hintern und die Fingerspitzen. Für so was müssen heute schon fast Päpste zurücktreten. Aber es gab in den Schulen von damals und auch später noch Schläge, die hinterließen keine Striemen: wenn Mitschüler einem Bauernjungen die Jacke ins Klo stopfen und dann drüberpinkeln und draufscheißen und er dann stinkend mit seiner beschissenen Jacke aus dem Klo kommt  und dann von seiner/m Lehrer/in mit den Worten begrüßt wird: „Du bist und bleibst ein Puddelbauer“, dann kann man Steinwürfe schon fast verstehen. Auch heute noch, nach über 30 Jahren. Nur der redet aus Scham noch heute nicht öffentlich darüber. Und Steine geworfen hat er nicht. Zumindest nicht auf O. Auch nicht auf andere Lehrer. Möglicher Weise auf sich selbst.

Und das ist nur einer von vielen.
Und jetzt melden sich auch immer mehr.
Und es wird berichtet.
Das (Volksschul-)Lehrergehalt war nach dem Krieg sehr sehr schmal. Und manchmal macht Not auch etwas käuflich.
So weit ich das jetzt überblicke, war es in Mittel-Gründau auch nicht viel anders als in Bruchköbel, wo ich als Lehrer noch 1974 anfänglich von Issigheimer Bauern mit Naturalien versorgt wurde. Mit einem Referendarsgehalt konnte man kaum eine Familie gründen (obwohl es sehr sehr viele Familien gab, die weniger, viel weniger hatten). Ich habe die Dosenwurst, die Kartoffeln, das selbst gebackene Brot und das Gemüse freundlich abgelehnt und versucht, es in eine Koch-AG umzuleiten, die aber am damaligen Rektor, einem stadtbekannten Kinderquäler gescheitert ist.
Die Issigheimer Bauern haben nicht schlecht gestaunt, dass ihre Kinder bei mir auch ohne Worschd aus Hesse gute Noten bekamen und gern zu mir in die Schule gingen. Sie haben auch mitbekommen, dass ich den Rektor direkt nach einer seiner Quälereien aus meinem Unterricht geworfen habe. Nach über 10 Jahren ist es mir zusammen mit mutigen Eltern gelungen, diesen Kinderquäler in den vorzeitigen Ruhestand versetzen zu lassen. Er hatte da schon eine gute Strecke von Kinderselbstmordversuchen hinter sich gebracht. Wie viele verschwiegene psychisch verletzte und von einer guten Ausbildung ausgeschlossene Kinder er auf dem Gewissen hat, kann man nur ahnen.

Noch mehr MISSBRAUCH gibts hier:

SPIEGELonline Brot und Spiele . “Ein Glück, dass es den MIXA gibt!” und vergessen Sie dabei nicht Luftschlag – Oberst – Klein – My-Lai

Sind die Missbrauchsopfer Kinder kleiner Leute
intressierts die Großen heute
nicht die Bohne

oder doch

vielleicht noch:
triebs der Pfarrer ohne
mit Genehmigung aus Rom
oder trieb ers mit Kondom ?

(Ohne -weiß mann- hat mehr Reiz
doch nur mit schützt es vor AIDS
will mann kein AIDS – auch nicht verbreiten
muss mann mit dem Ratzi streiten
und wer sich damit versündigt
kriegt gekündigt)

Hatte ers mit Ministranten
und mit Firmlingen getrieben
wollt er sich an Knaben laben
oder lieber Mädels haben
warens welche von den Frommen
Lasst die Kindlein zu mir kommen
oder ham die abgetrieben ?

Ja, der Tagesschauer lauert
auf den Missbrauchssupergau
Hessenwetter- Tagesschau
welchen solln wir heute nehmen
Tatort, Anne Will und hofft
wenigstens die Tagesthemen
sichern Missbrauchseinschaltquoten
bringen Striemen auf den Pfoten
Handarbeit bringt gute Noten
Missbrauch möglichst auch mit Toten

Oder war es wie so oft
nur Missbrauch
soft ?

Weitere politische Lieder und gedichte, prosaisch-lyrische AgiPropoleme sind in „unter-schlag-zeilen“ enthalten, der 312Seitige Grafik- und Gedichtband erschien 2005 mit der ISBN 3-88975-107-5 im Frankfurter ZAMBON-Verlag und kostet 15,-€. mit einem Vorwort von Ingrid und Gerhard Zwerenz und einem Nachwort von Kurt Sänger, sowie einem Nachruf auf Wolfgang Stryi, den Komponisten des ensemble modern FFM, einem der besten europäischen Saxophonisten, der alle Texte des Bandes in Musik umgesetzt hatte und über 150 Lesungs-Konzerte damit bestritt.

Herausgegeben wurde der Band vom Polizeipräsidium Südhessen nach öffentlicher Entschuldigung des Oberstaatsanwaltes und auf dessen Anweisung. Das Land Hessen musste die Produktion des Buches weitgehend bezahlen, weil die hessische Polizei die zentralsten Texte über 6 Wochen in Untersuchungshaft genommen hatte „wegen des Verdachts auf Volksverhetzung“.. aber das steht alles  in dem Buch, dessen grandioses Layout Jürgen Tauras gemacht hat. Bei der Arbeit entstanden noch viele Texte, die in das Buch aufgenommen wurden..
Die meisten Texte des Buches sind bei Widerstandslesungen in Hanau, FFM, Halle, Leipzig, Berlin-OstWest, Aschaffenburg, Offenbach, Mörfelden -Walldorf, Wiesbaden-Erbenheim, Kesterbach, Fulda, Schlüchtern, Gelnhausen, Erlensee, Gründau, Döbeln, Dresden, Weimar, Köthen, Herleshausen, Forst, Eisenach, Opole, Krakow, Wrozlaw, Warschawa, Gdansk, Zopot, Gdynia, Lodz, Milano, Ancona, Venecia, Patras, Athen, Monemvasia, Sparta, Gythio, Vesani, Kalamata, Areopolis, Tripolis, Mellrichstadt, Mannheim, Schwarzenborn, Bonn, Köln, Ludwigshafen, Karlsruhe, Wien, München, Stuttgart, Fellbach, Vaihingen, Neckarsulm, Weinsberg, Ober-Ramstadt , Darmstadt, Groß-Umstadt, Höchst, Neustadt, Görlitz, Zwickau, Freiberg, Michelstadt, Erbach, Almeria, Cournil, Sevillia, Barcellona, Madrid, Granada,  Zaragossa, San Sebastian, Larzac,  Nante und in Stubbendorf (bis 2004)…. entstanden,bei Kundgebungen, Streiks, Besetzungen und was alles so notwendig ist… oder auch bei der Arbeit auf Baustellen, am Fließband, in Montage- & in Lagerhallen, in Büros, im „Führerhaus“ vieler LKWs auf Raststätten und an Grenzübergangsstellen während der Zollabfertigung.. oder bei fröhlicher Landschaftsgärtnerei … aber auch mit Schnellnotizen in Lehrerzimmern oder auf  Schulhöfen, in JVAs oder davor, in Polizeigewahrsam oder in damals noch grünen Minnas …

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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