Einen -diesmal nicht AgitProperen – lyrischen sondern einen prosaisch-(eher)
wissenschaftlichen – aber nicht minder agitatorischen Text-Vorschlag zur Vorbereitung der Frankfurter Contra-Bertelsmannia-Tagung („Bertelsmannkritische Tagung“) am
Samstag, 27.10.2007, 10.00 – 18.30 Uhr Fachhochschule Frankfurt/Main
Gebäude 2, Nibelungenplatz 1 / findet Frau/Mann auch unter dieser Adresse http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1650 und für, die das nicht öffnen können, folgt hier der Versuch einer Kopie aus der Neuen Rheinischen Zeituing:
Kultur und Wissen / Musik macht Kinder intelligenter und sozial kompetent
Wider die Privatisierung von Bildung Von Hartmut Barth-Engelbart
Der folgende Text enthält eine Reihe wissenschaftlich abgesicherter Argumente für die Beibehaltung und den weiteren Ausbau eines musischen Schwerpunktes in den allgemeinbildenden Schulen. Der Beitrag ist nach Innen wie nach Außen gerichtet. Er soll bestärken und ermutigen, besonders dann, wenn versucht wird Kernunterricht und Leistungsfächer auf der einen, musische Fächer, AG’s und entsprechende außerunterrichtliche Aktivitäten auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen.Mit dem Kampfruf nach dem „schlanken Staat“ werden Schulen, aber auch schon
Kindertagesstätten und Kindergärten die notwendigen Stellen, die notwendigen
Qualifizierungen, die notwendigen Ausstattungen für die musische Bildung der
Kinder verweigert und gestrichen. So wie in Hessen unter den Wolffs-Gesetzen
der gleichnamigen Kultusministerin die Mogelpackung
Unterrichtsgarantie/Vertretungspool/Unterricht-PLUS mit Hilfe von
unqualifiziertem und/oder unterbezahltem Personal voll gepackt und zu 50%
mit heißer Luft gefüllt wird – so wird auch in anderen Bundesländern kräftig
an allen Ecken gekürzt, besonders an denen, die als „nicht zum Kerngeschäft
gehörig“ deklariert werden: Musik, Bildende Kunst, Sport, Theater und viele
Kreativ-AGs, soweit sie davor in der von den Kultusministern organisierten
Unterbesetzung überhaupt noch zu realisieren waren.
Besonders deutlich wird das am Beispiel des Musikunterrichts, der oft in
Ganztagsangeboten – als Kompensation für vormittägliche Streichungen –
nachmittags von Ehrenamtlern, Musikvereinen, Musikschulen auf Honorarbasis
(oder auch gar nicht) angeboten wurde. Eltern, die auf Musikunterricht
bestehen, werden dann – soweit es ihr Einkommen zulässt – das aus den
Schulen heraus gekürzte Angebot privat aufsuchen: private Musikschulen, die
JugendKunstschule usw.
Musiker HaBE im Kindergarten
Foto: www.barth-engelbart.de.vu
Es ist überall das Gleiche: Gute (Aus-)Bildung gibt es nur für Reiche!
Die zu „events“ (kommt von eventuell) verkommenen Kurzauftritte der Musik-
und KunstpädagogINNen, die in der Lokalpresse stürmisch zwecks
Punktsiegergatterung im Schulranking von den Schulleitungen (= Management
eines Dienstleistungsunternehmens) präsentiert werden, haben für
KleinKunstunternehmer im Werkauftrag den Vorteil, dass sie in den
staatlichen BasisVersorgungsschulen ihre Bezahlkundschaft akquirieren
können. Dafür müssen sie aber auch zum Dumpingpreis in der Schule auftreten!
In absehbarer Zeit wird sich dann wohl eine nach Sparten sortierte private
Bildungsversicherung (mit Musik wird’s etwas teurer) auf dem Bildungsmarkt
tummeln: nach obligatorischer Haftpflicht, kommt demnächst die zur
Schulpflicht passende private Bildungspflichtversicherung bestimmt.
Die folgenden Zitate beweisen, was das Kürzen bei Musik und die geschilderte
Privatisierung des Musikunterrichts für die Entwicklung der Kinder bedeuten:
„Der Paderborner Musikpädagoge Hans Günther Bastian hat in einer
wissenschaftlichen Langzeitstudie herausgefunden, dass intensives Musizieren
in den ersten vier Schuljahren die Intelligenz steigern kann. Während sich
die ABC-Schützen bei ihrer Einschulung nicht wesentlich in ihren
Intelligenzquotienten unterschieden, erzielten über 50% der
musikorientierten Schüler eineinhalb Jahre später überdurchschnittliche
Ergebnisse bei Intelligenztests. In der Vergleichsgruppe waren es nur 38%.“
(aus „Amadeo“ F/S 1998, Gruner&Jahr)
„Der Abbau des Musikunterrichts an deutschen Schulen ist eine
bildungspolitische Bankrotterklärung mit schlimmen mittel- und langfristigen
Folgen für den Wirtschafts- und Kulturstandort Deutschland.“ (Dr. Peter
Hansen-Strecker, Präsident des deutschen Musikverlegerverbandes in der
Zeitschrift „Das Musikinstrument“)
„Musik macht Kinder intelligenter und sozial kompetent.“
„Verstärkte Musikerziehung hilft vor allem Schülern mit hohen
Konzentrationsdefiziten. Kreativität und Leistungsvermögen steigen
signifikant bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen.“
Trotz des zu Ungunsten der klassischen „Leistungsbereiche“ verschobenen
Stundendeputats geht der für Musik vermehrte Zeitaufwand „ganz eindeutig
nicht zu Lasten der allgemeinen schulischen Leistungen.“
Im Gegenteil: „Der prozentuale Anteil der Kinder mit überdurchschnittlich
guten Leistungen ist in der musikbetonten Grundschule sogar oft höher als in
der herkömmlichen Grundschule. Dies gilt für die Fächer Mathematik, Deutsch,
Englisch.“
Und die zuletzt zitierten Sätze, die sich lesen wie Wunschträume einer
Notgemeinschaft deutscher MusikerzieherInnen, die angesichts der
Stundenreduzierungen in ihrem Bereich nach Argumenten gegen den herrschenden
kultusministeriellen Trend suchen, stammen aus einer vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung mitfinanzierten Langzeitstudie. Unter der Leitung
von Prof. Dr. Hans Günther Bastian (Universität Frankfurt/ Main und
Paderborn) untersuchte ein Forscherteam an 30 Berliner Grundschulen die
„Musik (-erziehung) und ihre Wirkung“ (als Buch erschienen bei Schott Musik
International /2001).
Bastian steht mit seinen Forschungsergebnissen und seinen Forderungen nicht
allein und fordert deshalb, dass in allen Bundesländern Grundschüler die
Chance erhalten, neben einem mindestens zweistündigen Musikunterricht in der
Schule ein Instrument zu erlernen und in einem Ensemble zu musizieren.
Lamboy-Kids – Musik macht intelligenter
Foto: www.barth-engelbart.de.vu
Schulversuchs-Ergebnisse aus der Schweiz
Unterstützt werden seine Thesen und Forderungen durch die Psychologin Maria
Spychiger, vom Pädagogischen Institut der Universität Freiburg (Schweiz) Sie
begleitete einen eidgenössischen Schulversuch, in dem der
Hauptfachunterricht zugunsten des Musikunterrichts um mehrere Wochenstunden
reduziert wurde. Im Abschlußbericht schreibt Spychiger: „Über alle Klassen
gemittelt, erbrachten die ‚musikalischen Versuchskaninchen‘
trotz eingesparter Hauptfachstunden keine geringere Leistung als die
Kontrollklassen. Im Gegenteil: Beim Lesenlernen in der Grundstufe zeigte
sich ein besonders deutlicher positiver Zusammenhang.“ (aus
„Persönlichkeitsentfaltung durch Musikerziehung“, Josef Scheidegger / Hubert
Eiholzer)
Ergebnisse langjähriger Praxis an Wiener Hauptschulen
Ähnlich lautende Ergebnisse werden aus den Wiener Hauptschulen mit
besonderem musikalischem Schwerpunkt berichtet, die seit über 24 Jahren
erfolgreich arbeiten. Der Leiter einer solchen Hauptschule, Direktor Walter
Kern, verglich mehrere Jahre lang die Leistungen von SchülerInnen in Klassen
mit und ohne musikalischen Schwerpunkt. In einem detaillierten Bericht
schreibt er: „Nach vier Jahren war der Notendurchschnitt in den
Musikklassen – bei gleichen Lehrern – um 0,7 bis 0,8 besser, und das, obwohl
die Kinder hier durch den Schwerpunkt Musikunterricht zwei Wochenstunden
mehr Unterricht hatten und zusätzlich Übungszeit für das Instrument, das für
diesen Schultyp Pflicht ist, aufwenden mussten.“
( Psychologie heute, 7/97)
Forschungsergebnisse aus den USA
Amerikanische Wissenschaftler um die Psychologin Dr. Frances Rauscher
(University of Wisconsin) und den Physiker Dr. Gordon Shaw (University of
California) haben herausgefunden, dass Musikunterricht die Intelligenz von
Kindern um ein Vielfaches besser fördert als EDV-Unterricht (ohne damit
etwas gegen frühe Informatik-Übungen zu sagen):
„Wesentliche Grundlagen für mathematisch-naturwissenschaftliche Schulfächer,
nämlich Abstraktionsvermögen und die Fähigkeit analytisch zu denken, sind
allein durch Musik eindeutig verbessert worden“, heißt es dazu in einem
Bericht der renommierten US-Zeitschrift für Musikerziehung, NAMM Playback
(4/97). Und weiter: “ Ihren Studien zufolge wird bereits durch frühe
Erfahrungen bestimmt, welche Gehirnzellen sich mit anderen vernetzen, bzw.
welche absterben werden. Diese neuronalen Verbindungen sind für alle Formen
der Intelligenz verantwortlich. Daher wird das Intelligenzpotential eines
Kindes nur dann ausgeschöpft, wenn es bereits in der frühen Kindheit die
notwendigen stimulierenden Erfahrungen macht. Kultusminister und Pädagogen
sollten in ihren Lehrplänen berücksichtigen, dass Musikerziehung und
Musizieren den Intellekt stimulieren und langfristig eine akademische
Leistungssteigerung herbeiführen.“
Soziale Kompetenz und Reflexionsfähigkeit erheblich verbessert
Die oben genannten Studien in Berlin, in der Schweiz und in Österreich haben
außerdem ergeben, dass Kinder mit ausgedehnter Musikerziehung besser in der
Lage sind, aus Erfahrungen zu lernen, Transferleistungen zu erbringen und
Situationen des Alltags adäquat zu erfassen und zu beurteilen. In den
Grundschulen mit musisch-musikalischem Schwerpunkt ist die Zahl der
ausgegrenzten Kinder deutlich geringer als in den über 6 Jahre mit
erforschten konventionellen Grundschulen. Und schließlich beweisen die
Studien eine Erhöhung der kommunikativen Kompetenz durch erweiterte
Musikerziehung in ethnisch einheitlichen wie in multi-ethnischen Schulen.
Nicht selten sind Musik und das Musizieren in allen seinen Formen (wie auch
die Ausdrucksmöglichkeiten im Bereich der bildenden Kunst) die ersten und
oftmals einzigen Wege, die unsere Kinder miteinander wie mit LehrerInnen
ohne große Schwellenängste gemeinsam begehen können. Hier gehen sie die
ersten Schritte aufeinander zu. Dieses Medium ermöglicht die unmittelbare
emotionale Erfahrung von Selbstwert, von Akzeptanz, von Aufgehobensein und
Aufgefangenwerden in einer sonst (oft noch) fremden und nicht selten
bedrohlich wirkenden Umgebung.
Ergo: wer im kreativ-musischen Bereich den Unterricht, die Mittel, die
Stellen für FachlehrerInnen und die Fortbildungsmöglichkeiten streicht, der
verhindert letztendlich Entwicklung und Entfaltung von Begabung bei unseren
Kindern, der raubt ihnen bewusst Lebenschancen, die dann nur denen
vorbehalten bleiben, deren Eltern das nötige Kleingeld haben.
Unser BürgerReporter HaBE ist Grundschullehrer und Kinderchorleiter,
außerdem Schriftsteller, Lyriker, Musiker, Liedermacher, Sänger und
Grafiker – siehe auch unter Gedichte.
Online-Flyer Nr. 48 vom 14.06.2006