Breite Abhör-Spionage-Kooperation zwischen NSA und BND – das belegt ein gfp-Bericht

http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58724
Beredtes Schweigen

31.10.2013

BERLIN

(Eigener Bericht) – Neuen Hinweisen aus den USA zufolge nehmen die Geheimdienste Deutschlands und anderer europäischer Staaten aktiv und im großen Stil an der NSA-Spionage teil. Demnach forscht nicht nur der Bundesnachrichtendienst (BND) E-Mails von US-Bürgern aus; auch haben Geheimdienste mehrerer NATO-Mitglieder spezielle Kooperationsvereinbarungen mit Washington geschlossen, die den Austausch abgefangener Kommunikationsdaten beinhalten. Ob all dies nur mit den NATO-Kriegen in Zusammenhang steht, ist unklar. Das westliche Kriegsbündnis operiert keineswegs nur in Afghanistan, es befindet sich seit dem 4. Oktober 2001 auch im „Bündnisfall“ („Anti-Terror“-Krieg); doch häufen sich Anzeichen, dass die westlichen Dienste – deutsche inklusive – verbündeten Spionageorganisationen Zugang zu Kommunikationsdaten aus dem eigenen Land bieten, um ihnen die Auswertung von Materialien zu überlassen, die ihnen selbst untersagt wäre. Ein Experte für IT-Sicherheit weist darauf hin, dass deutsche Gesetze es dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik explizit gestatten, bekannte Sicherheitslücken zu verschweigen; das erleichtert Zugänge für deutsche sowie auswärtige Dienste. Wie der Experte vermutet, führen die Dienste zumindest der G20-Staaten sämtlich eine Totalüberwachung der Kommunikation durch – also auch deutsche Stellen.

Verabredung zum Datentausch

Neue Hinweise aus den USA bestärken die Vermutung, dass die Geheimdienste Deutschlands und anderer europäischer Staaten aktiv und im großen Stil an den weltweiten Überwachungspraktiken der NSA teilhaben. So berichtet die Washington Post, die Geheimdienste Frankreichs und Spaniens hätten umfassende, langfristige Kooperationsvereinbarungen mit den USA geschlossen, in deren Rahmen Millionen von Kommunikationsdaten geteilt würden.[1] Dies entspricht Recherchen deutscher Medien, die bereits letzte Woche berichteten, es gebe eine Übereinkunft zwischen den Geheimdiensten Frankreichs und denjenigen der „Five Eyes“ [2], die unter dem Codenamen „Lustre“ („Kronleuchter“) geführt werde und unter anderem die Weiterleitung von Kommunikationsdaten durch die französischen Dienste an die NSA vorsehe.[3] In Washington heißt es nun, die Daten würden in Operationsgebieten der NATO und im Rahmen des „Anti-Terror“-Krieges gesammelt. Wie das Wall Street Journal schreibt, räumen spanische Stellen die Kooperation offen ein.[4]

Der NATO-Bündnisfall

Tatsächlich entspricht dies präzise den Kooperationspraktiken des BND. Bekannt ist, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst unter anderem im afghanischen NATO-Einsatzgebiet das Internet ausspioniert; davon ist – auf Weisung des Bundeskanzleramts – die gesamte Regierung in Kabul betroffen.[5] Im August wurde bekannt, dass die dabei gesammelten Daten an die NSA weitergeleitet werden. Dies gilt auch für Funkzellendaten, wie sie von der CIA zur Vorbereitung tödlicher Drohnenattacken auf tatsächliche oder mutmaßliche Aufständische genutzt werden. Ob der BND wie sein französisches Pendant ebenfalls ein Kooperationsabkommen mit US-Stellen unterhält, ist nicht bekannt. Möglich ist allerdings, dass die Spionage-Zusammenarbeit schlicht im NATO-Rahmen stattfindet und sich aus der Ausrufung des NATO-Bündnisfalls am 4. Oktober 2001 ergibt. Dies vermutet der frühere Sonderermittler des Europarats Dick Marty (Schweiz), der die Folterkooperation der NATO-Geheimdienste untersucht hat.[6] Dazu passt, dass die Spionage-Zusammenarbeit sich US-Stellen zufolge auf die Interventionsgebiete der NATO und den „Anti-Terror“-Krieg konzentriert. Der Deutsche Bundestag hat im Dezember 2012 bestätigt, dass der Bündnisfall bis heute in Kraft ist.[7]

Ausforschung der eigenen Bevölkerung

Jenseits der Spionage-Kooperation in den Interventionsgebieten und Interventionsbereichen der NATO (der „Anti-Terror“-Krieg ist nicht regional eingegrenzt) ist unklar, wie weit die Zusammenarbeit auch die Ausforschung der eigenen Bevölkerung umfasst. Mit Blick auf den üblichen Austausch der Geheimdienste kam im September eine deutsch-amerikanische Untersuchung zu dem Schluss, es bestehe für jeden an der Kooperation teilnehmenden Staat die Möglichkeit, verbündeten Diensten den Zugriff auf Daten aus seinem Territorium zu gestatten und sich auf ihre Tätigkeit „zu verlassen, um die Kommunikation im eigenen Land zu überwachen“ (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Dem entsprechen Berichte, denen zufolge der britische GCHQ in Italien spioniert, im Gegenzug aber italienischen Diensten die dabei gewonnenen Daten zur Verfügung stellt.[9] Ihrerseits betonen deutsche Dienste immer wieder, sie verdankten Erkenntnisse über terroristische Gefahren in der Bundesrepublik US-amerikanischer Spionage. Der Historiker Josef Foschepoth weist seit Monaten darauf hin, dass alte, in die frühen Jahre der Bundesrepublik zurückreichende Abkommen den Geheimdiensten der Weltkriegs-Alliierten umfassende Spionagerechte einräumen.[10] Ob diese Abkommen ihrem Gehalt nach denjenigen entsprechen, die etwa Frankreich („Lustre“) und Italien mit den „Five Eyes“ geschlossen haben und die jeweils für beide Seiten spionagetechnisch äußerst nützlich sind, ist wegen der strikten Geheimhaltungspraxis der deutschen Behörden nicht bekannt.

Datenknoten Frankfurt am Main

Bekannt ist hingegen, dass der BND schon seit mindestens zwei Jahren Kommunikationsleitungen deutscher Internet-Provider anzapft. Spiegel Online zitierte kürzlich aus einer vom BND versandten Anordnung, die beim Verband der deutschen Internetwirtschaft eingegangen sei. Sie trage, heißt es, Unterschriften aus dem Bundesinnenministerium und dem Bundeskanzleramt. In ihr liste der Geheimdienst „25 Internet-Service-Provider auf, von deren Leitungen er am Datenknotenpunkt De-Cix in Frankfurt einige anzapft“. Aufgelistet seien auch sechs Firmen aus der Bundesrepublik – 1 und 1, Freenet, Strato, QSC, Lambdanet und Plusserver -, über deren Leitungen „nach Einschätzung von Experten (…) fast ausschließlich innerdeutscher Datenverkehr“ laufe. „Der BND kopiert den Datenstrom und wertet ihn mit Schlagworten zu Themen wie Terrorismus oder Proliferation aus“, heißt es in dem Bericht. Besondere Sorgfalt widme der Dienst der Angelegenheit offenbar nicht: „Immer wieder trafen die vierteljährlichen Abhöranordnungen verspätet beim Internetverband ein.“ Der Verband habe im letzten Quartal sogar damit gedroht, „die Abhörleitungen zu kappen, weil die Papiere (des BND, d.Red.) um Wochen verspätet waren.“[11]

Verschweigen erlaubt

In der Gesamteinschätzung gehen Experten ohnehin davon aus, dass die Praktiken des BND sich nicht signifikant von denjenigen der NSA unterscheiden. Dies bestätigt nicht nur die erwähnte, im September publizierte Studie.[12] Der Informatik-Professor Hartmut Pohl, der bei der deutschen Gesellschaft für Informatik den Präsidiums-Arbeitskreis Datenschutz und IT-Sicherheit leitet, geht davon aus, „dass alle in der Bundesrepublik Deutschland vollständig abgehört werden“. Er ist zudem davon überzeugt, dass „alle die Staaten weltweit, die es sich finanziell leisten können“, derlei Totalüberwachung durchführen – „mindestens die G20 oder die 35 finanzstärksten Staaten dieser Welt“, also auch Deutschland. Pohl weist darüber hinaus auf einen bemerkenswerten Umgang des deutschen Staates mit Sicherheitslücken hin. Demnach hat „der Gesetzgeber (…) beim BSI-Gesetz klar entschieden“, dass „unveröffentlichte Sicherheitslücken (…), die dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bekannt sind (…), von ihm nicht veröffentlicht werden müssen“.[13] Die Weigerung, deutschen Internet-Nutzern bestmöglichen Schutz zu gewähren, eröffne nicht nur dem Bundeskriminalamt Zugriffsmöglichkeiten, sondern auch fremden Diensten, erklärt Pohl; zugleich benötige „der BND im Ausland gleichermaßen derartige unveröffentlichte Sicherheitslücken“.

Keine Aufklärung in Berlin

Aufklärung in all diesen Fragen könnte ohne weiteres Berlin gewähren – in aktuellen Fragen die noch amtierende Bundesregierung, zumindest in den Fragen, die den NATO-Bündnisfall von 2001 betreffen, auch die einstige rot-grüne Koalition. Bei beiden herrscht allerdings beredtes Schweigen.

Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur Thematik finden Sie hier: Befreundete Dienste (I), Befreundete Dienste (II), Die westliche Wertegemeinschaft, Bei Freund und Feind, Kein Rechtsstaat, Der NATO-Bündnisfall, Weiterhin im Dunkeln, Feindliche Kämpfer und Befreundete Dienste (III).

[1] NSA chief says NATO allies shared phone records with the U.S. spy agency; www.washingtonpost.com 29.10.2013
[2] Zu den „Five Eyes“ gehören die anglophonen Staaten USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland.
[3] Frankreich spitzelt offenbar für die NSA mit; www.n-tv.de 26.10.2013
[4] Europeans Shared Spy Data With U.S.; online.wsj.com 29.10.2013
[5] s. dazu Weiterhin im Dunkeln und Feindliche Kämpfer
[6] s. dazu Abgleiten in die Barbarei, Oktober 2001 und Schweigeboykott
[7] s. dazu Der NATO-Bündnisfall
[8] s. dazu Befreundete Dienste (III)
[9] Briten betrieben Wirtschaftsspionage in Italien; www.spiegel.de 25.10.2013
[10] s. dazu Befreundete Dienste (I) und Befreundete Dienste (II)
[11] BND lässt sich Abhören von Verbindungen deutscher Provider genehmigen; www.spiegel.de 06.10.2013
[12] s. dazu Befreundete Dienste (III)
[13] Das Geschäft mit dem Abhören; www.dradio.de 26.10.2013

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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