Liebe KollegInnen,
am Freitag, 26.01.01 werde ich zwischen 10 und 12 Uhr
am Brüder Grimm
DENK MAL
wieder
MAL DENKen (laut)
und lesen (auch laut)
zum Thema Abschiebung,
auch etwas zum Thema Demokratie, weil gerade von diesem Platz entscheidende Initiativen für die demokratisch-republikanischen Verfassungen Hessens und Deutschlands ausgingen.
Ich tue dies wieder in meiner Freizeit.
Da die meisten eh wissen, wo ich arbeite, werde ich es auch weiterhin nicht herausposaunen. Weil es die meisten wissen, wollen sie auch bei noch „so viel Freizeit“ nicht mit mir tauschen und im Lamboy Lehrer werden. Sollte doch jemand dabei sein, werde ich ihn/sie schnellstens an die Schulleitung weitervermitteln.
Bei einer Diskussion in Hanau ist ein Satz gefallen
, der hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt: „Sinti und Roma“ hätten „im Jugoslawien-Krieg Leichenfledderei begangen.“ So lautete eine Erwiderung auf meine Schilderung der Angst geflohener jugoslawischer Sinti und Roma vor der Abschiebung in die ex-jugoslawischen Republiken und bestimmter ihrer Regionen, wo sie nachweislich rassisch verfolgt werden.
Mit dem Ausruf „Die Juden haben Christus ermordet“
, „Jesusmörder“ wurde über Jahrhunderte die rassische Verfolgung und Vernichtung der Juden „christlich“ begründet.
Wenn es so gewesen wäre
, waren es dann „die“ Juden? Vielleicht waren es 5 oder 10 oder 100. Wenn es so gewesen wäre! Kann das ein Grund, eine Begründung, eine Rechtfertigung für die Judenverfolgung sein?
Wenn einige
Sinti und Roma tatsächlich Leichen gefleddert haben sollten und es sich nicht wieder um manipuliertes Bildmaterial handelt wie bei dem angeblichen Massaker, das zur Begründung der Bombardierung Belgrads benutzt wurde, wenn es wirklich so gewesen sein sollte, dann sollte die erste (auch christliche) Überlegung doch sein, ob nicht in extremen Situationen wie Flucht, Vertreibung, Hunger, Krieg, Internierung, Lagerhaft .. so mancher zivilisierte Deutsche indogermkeltslawriesischer Mischung ob blond, ob braun einem gestorbenen Mitgeflohenen, Mitgefangenen, Mitverhungernden die noch tragbaren Schuhe, den wärmenden Mantel, den letzten Proviant abgenommen hat.
Ist das dann Fledderei und moralisch höchst verwerflich?
Ich glaube
NEIN !
Ein gut volksgenossenschaftlich eingefleischtes rassistisches Vorurteil gegenüber Sinti und Roma ist der Satz: „Zigeuner klauen (die Wäsche, die Kinder, die Hühner..) und zünden dann noch die Häuser an!“ (Wie viele Warmsanierungen , verwandt- und nachbarschaftliche Rachefeldzüge mit “ Das waren die Zigeuner!“ vertuscht worden sind, kann ganze Bibliotheken füllen.).
Dieses rassistische Vorurteil kann noch gesteigert werden
mit der Behauptung „Sinti und Roma haben im Jugoslawien-Krieg Leichenfledderei begangen.“
Denn die Behauptung der Leichenfledderei setzt stärkste irrationale aggressive Potenzen frei, Leichenfledderei begehen „nur Tiere oder der absolute Abschaum der Menschheit“, „Untermenschen“. Es geht an über Jahrtausende tradierte Tabus. Das fordert alttestamentarische Rachefeldzüge und tödliche Strafen bis ins letzte Glied und zumindest den Wunsch der Exkommunizierung: „Ihr Katholizismus ist dabei doch nur Schutzbehauptung, trickreiche Zweckassimilation, Tarnung, übertünchtes Heidentum!“
Ein solcher Satz
schürt den latenten und den offenen Rassismus.
Und die Bevölkerung z.Zt besonders auf dem Balkan, selbst in Trauer, Not und Wut, die mit solchen Sätzen gefüttert wird, wird die zurück kommenden Sinti und Roma eher mit Steinhageln und Drahtschlingen empfangen als mit offenen Armen.
Dieser Satz darf nicht so im Raum stehen bleiben.
Chr. und M. und ihre Eltern haben keine Leichen gefleddert
aber man wird sie „zu Hause“ so empfangen.
Davor habe ich Angst
Privat
habe ich mit dem Vorstand der Roma-Union in Frankfurt gesprochen, um mich ebenfalls privat zu erkundigen, ob die von mir geschildertenn Lebensumstände der Sinti und Roma im Ex-Jugoslawien so stimmen. Ich habe dem Vorsitzenden der Roma-Union am Telefon gesagt, dass unter meinen SchülerInnen auch Sinti- und Roma-Kinder sind. Der Vorstand hat mir vorgeschlagen, in Hanau eine Informations- und Fortbildungsveranstaltung bezüglich der aktuellen Lage und der Geschichte der Sinti und Roma unter besonderer Berücksichtigung der Lage im ehemaligen und heutigen Jugoslawien zu machen, mit verschiedenen Medien, ReferentInnen etc. an der sich auch gerne außer Lehrern betroffener Schulen Mitarbeiter der Stadt und des Schulamtes beteiligen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Barth-Engelbart