Brumlik

Hartmut Barth-Engelbart, Bachgasse 1, 63584 Gründau, Grundschullehrer

An die Redaktion Erziehung und Wissenschaft
Stellungnahme zu den Ausführungen des Herrn Brumlik in E&W 2/2000

Wie der Herr Brumlik die deutschen Stammtische „intellektuell“ aufrüstet

Eigentlich ist es schade und schädlich, daß die Replik des Kollegen Klaus Liebe-Harkort in der Märzausgabe der E&W so mager präsentiert wurde im Gegensatz zu dem mit gutem Layout verarbeiteten und an bester Stelle positionierten Brumlik-Interview. Vielleicht aber auch gut so, man sollte den Herrn Brumlik nicht so wichtig nehmen.
Oder doch? Als postfordistisch sich gerierender Protagonist des Wendezeitgeistes mit grünlicher Patina kann der Herr gefährlich werden.

DIE Emigrationssoziologie des Herrn Brumlik

Wann wurde der muttersprachliche Unterricht (neudeutsch: herkunftssprachlich, um die alleinerziehenden Väter nicht zu benachteiligen!) eingerichtet und warum und auf wessen Initiative und nach welchen harten Auseinandersetzungen? Was ist muttersprachlicher Unterricht?
Brumlik weiß nicht wovon erspricht.
Oder er weiß es und stellt es absichtlich falsch dar, um auf den selbsterzeugten Popanz einzudreschen.
Um im bündnisgrünen Outfit des Einwanderungsland-Befürworters den muttersprachlichen Unterricht im Mainstream des Kultussparbürokratismus abzuschaffen.
Empfiehlt sich hier etwa nach dem Holz-Appel ein Holz-Ei als hessischer Kultussparkommissar?
Erziehungswissenschaftler sind bisweilen Schwätzer, die von allem ein wenig gelesen aber nix kapiert haben, Produzenten populärwissenschaftlich klingender schädlicher Sprechblasen:

„..die Emigrationssoziologie teilt uns mit, daß in aller Regel die kräftigsten und dynamischsten auswanderten…..“

Was bitte ist DIE Emigrationssoziologie?
Was heißt wissenschaftlich „in aller Regel“?
Ein verzeihlicher Brumlik-Lapsus? Mitnichten. Die „kräftigsten und dynamischsten“ wurden bei gründlich deutscher Anwerbung von Arbeitskräften immer herausselektiert, bei Zwangsarbeitern aus Polen und Russland, bei Fremdarbeitern aus Mussolinis vorkriegs-Ausverkaufskontingent, das die VW-Werke bauen durfte (Räder müssen rollen für den Sieg!) und den nachkriegs-mezzogiorno Anwerbungen.

Wo Fluchtursachenbekämpfer bekämpft werden, gibt’s noch mehr Fluchtursachen

Sehr geehrter Herr Brumlik, erkenntnisleitendes Interesse, schon mal gehört?
„Es waren immer die Starken? …“
„Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Krombach…“ dieses Dorfes im Oberhessischen?. Die Dorfarmut und die städtische Armut ist massenweise ausgewandert, wurde z.T sogar dazu gezwungen (in Deutschland, in England, in Frankreich, in Spanien). Entweder Zuchthaus oder auswandern! Die verarmten und verfolgten Landjuden mussten auswandern. Von Gallizien nach, von Polen nach, von Deutschland nach, von Spanien nach den USA und Kanada, nach Brasilien und Chile usw.. Die Starken und Stärksten? Ganze Landstriche wurden per Auswanderung, Ausweisung, Vertreibung entvölkert. Besonders als die weidererstarkten Fürsten nach 1813, nach 1849, nach 1871 ihre verlorenen Ländereien zurückforderten bzw. nahmen. Natürlich waren auch Starke dabei. Aber das waren die wenigsten und sind es heute auch: ehemalige SAVAK-Agenten, Shah-Freunde, Unita-Häuptlinge und andere, die z.T locker mit ihren Auslandskonten über die Runden kämen.
(hier folgt im Original eine längere Abhandlung über Flucht, Fluchtursachen, Fluchtursachenbekämpfung, Bekämpfung der Fluchtursachenbekämpfer, viele von ihnen landeten entweder im Zuchthaus, im KZ, im Krematorium, am Galgen oder wieder im Exil.)

Der Brumlik’sche „Solidaritätsbedarf“

Und was ist der Brumlik’sche „Solidaritätsbedarf einer pluralen Gesellschaft“ ? Nicht nur verbale Tünche für das Vorwärts in europäisch und weltweit agierendes High-tech-Manchestertum sondern Krisenmanagement zur Entschärfung der menschlichen Zeitbomben, die dieses System produziert, damit den Herrschaften bei vorhersehbaren gesellschaftlichen Explosionen nicht der ganze Kram um die Ohren fliegt.

Brumliks Beweis-Türken

Der Kieler Autor Feridan Zaimoglu -meiner Kenntnis nach Kurde mit muttersprachlich höchst elaborierter Sprachkompetenz- hat mit auf diesem Hintergrund möglichen Transferleistungen sich zu einem auch deutschsprachig deutschschreibenden hervorragenden Schriftsteller entwickelt.
Rafik Shami ist syrischer Intellektueller. Für ihn gilt Ähnliches.
Brumlik soll doch einmal deutschsprachige Schriftsteller und Wissenschaftler der 1., 2. oder 3. Immigrantengeneration bäuerlich-subproletarischer Herkunft nennen. Fehlanzeige.
Wer nicht in der Muttersprache die notwendige Semantik, semantischen Fähigkeiten entwickelt hat, der schafft es auch nicht in der Zweitsprache. Die entscheidenden sprachlich-kognitiven Grundzüge und Fundamente, die entscheidenden Prägungen und Entwicklungen des Hirns geschehen entlang und in der Muttersprache im weitesten Sinn. Wer diese Basis nicht gesichert entwickelt, bleibt auch und noch mehr in der Zweitsprache ein (relativer) Analphabet.

Bei „Mischslang“ hat der Blockwart schlechte Karten

Was soll die diskriminierende Bemerkung Brumliks bei der Unterscheidung zwischen „fließend Deutsch“ und „irgendeinem Mischslang“,
ist jede sogenannte Hochsprache nichts anderes als ein amtlich anerkannter „Mischslang“, der zur Sprache der Herrschaft, zur Herrschaftssprache erhoben wurde, die in Folge viel an semantischen Differenzierungen, Schattierungen eingebüßt hat, ausdrucksärmer wurde.
Es gibt z.B. „irgendeinen Mischslang“ der ob seines semantischen Reichtums allenthalben beneidet wird und in seiner Schutzfunktion hervorragend war und z.T. noch ist – das „Jiddisch“.
Niemals wird es der sog. deutschen Hochsprache gelingen semantische Feinheiten so auszudrücken wie es derzeit Mundstuhl mit seinen deutsch-türkisch-marrokanisch etc. Sprachmixen, Syntaxmixen gelingt.

Was bleibt bei Brumliks Thesen an Substantiellem?

Brumlik befürwortet einen Angebotsbauchladen mit 32,5 verschiedenen Migranten-Fremdsprachen-Gelegenheitsangeboten, wo die Türkin Polnisch, die Russlanddeutsche Griechisch usw. nur eben nicht obligatorisch die Muttersprache lernen darf. das schafft dann gleich drei- bis vierfach gehobenen Analphabetismus, weil die fehlenden Grundlagen der Muttersprache keinen fundierten instieg in eine Fremdsprache zulassen.

Ach ja, sozialstaatlich ist es auch noch und plural und „solidaritätsbedarf“s-deckend. . Schön! Das sichert dem Standort Deutsch-Europa langfristig billige Arbeitskraft, so weit alphabetisiert, dass sie in der Lage ist, einfache Anweisungen, Anlernbefehle und für das einfache Volk bestimmte ordnungstechnische Verbots- und Erlaubnismitteilungen zu lesen und zu verstehen und bei Missachtung auch strafmündig zu sein.
Ob sie dann als konjunkturelle Schiebemasse, als überschüssige Reservearmee hier bleibt oder zurückkehrt ist bei der angepeilten Angleichung der europäischen Sozialstandards auf südspanisch/portugiesisch/westanatolischem Niveau völlig wurscht.

Wo Brumlik Schaum schlägt ist auch Seife im Wasser

Micha Brumlik ist bekannt dafür, daß er sich mit tabubrechenden Headlines im „eigenen Lager“ und anschließender dünner Luft in Szene setzt und dabei ein gutes Gespür für Mainstream-Tendenzen hat.
Es drängt sich der schon angedeutete Verdacht auf, dass er sich den hessischen Bündnisgrünen als kommender Kultusminister empfehlen will. Nach der Wolff im Schafspelz werden Leute wie er gebraucht. w.g. Kontinuität.
In punkto wissenschaftlicher Unseriosität kann er vielen Kultusministern das Wasser reichen. In Skrupellosigkeit auch. Er ist ein prominenter mediengeiler Schocker und die SPD hat derzeit niemanden auf diesem Sektor zu bieten.
Sein herausposaunter Angriff auf die „Gastarbeiterpädagogik“ der siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist eine üble Denunziation der apostrophierten „Sozialromantik“ der Alt-68er, jenes letzten Restes, bei dem sie noch etwas mit dem gemeinen Volk zu tun haben wollten.

Brumlik dient sich zum Xten Mal als völlig geläutert und konvertiert dem ehemaligen Aggressor als gut bezahlter Büttel an.

Der Schreiber dieses Briefes hat 1968 bis 1974 Pädagogik bei Heydorn und Koneffke, Soziologie bei Ernest Jouhy, Psychologie, Geschichte und Deutsch studiert, war als Tutor bei Heydorn tätig, entschied sich 1971 gegen eine „wissenschaftliche“ Laufbahn, von 1971 bis 78 Grundschullehrer, dann de facto Berufsverbot, anschließend 17 Jahre in der „freien“ Wirtschaft, Ex-Personalratsmitglied und Betriebratsvorsitzender, seit 1991 wieder Lehrer an Hanauer Grundschulen mit jeweils 75 bis über 85% SchülerInnen nichtdeutscher Muttersprache, ist Chorleiter und schreibt Kinderbücher und -Lieder zusammen mit seinen SchülerInnen. (und manchmal auch andere Texte).