Irgendwie habe ich den Titel falsch geschrieben: bei der schon lange anhaltenden Entwicklung der sozialen Lage in Frankfurt müsste es im Titel eigentlich heißen: Es geht zur Not mit Petra Roth (wobei man Claudia auch für Petra einsetzen könnte). Jetzt aber zum Festival:
Wer der Nichtankündigung durch die FR folgend, das erste Europäische Poesie-Festival im Frankfurter Römer, im Plenarsaal vor der Kulisse der Paulskirche verpasst hat, der hat Einiges vom Besten nicht miterleben können, was es an aktueller Lyrik/Posie in Europa gibt. Vorgetragen durch die meist mehrfach national und international ausgezeichneten AutorINNen aus Italien, Griechenland, Rumänien, Spanien und Deutschland. Unter der künstlerischen Leitung der italienischen Lyrikerin -Frau Dr. Marcellas Continanza – stellte der Präsident der Deutsch-Italienischen Gesellschaft und Frankfurter Romanistik-Professor Salvatore Sanna das Konzept des Festivals vor mit seinem großen Anteil politischer Lyrik. Gegen die Tendenz in weiten Teilen von Kritik und Literaturwissenschaft betonte er dabei die Interdependenz von Biographie und lyrischem Schaffen am Beispiel der rumänischen Lyrikerin und frühen Ceausescu-Kritikerin Daniela Crasnaru, am Lebenslauf des Widerstandskämpfers und Jannis Ritsos-Gefährten Titos Patrikios, der der Exekution durch deutsche Nazi-Offizier als Jugendlicher nur knapp etkam und später von griechischen Faschisten auf KZ-Inseln interniert und ins Exil gezwungen wurde. Auch an der Vita und dem Jannis Ritsos gewidmeten Text „Keinen Abend ohne Morgen“ des deutschen Lyrikers/Liedermachers und Schriftstellers Hartmut Barth-Engelbart zeigte Professor Sanna den konstituirenden Zusammenhang von lyrischer Dichte und Biographie auf.
Die nach den zahlreichen Grußworten beginnenden Lesungen von insgesamt 15 bisher unveröffentlichten Gedichten der 5 AutorINNen wurden durch die Rezitationen der kongenialen deutschen Übersetzungen und Nachdichtungen auch für die nur deutschsprachigen Eingeborenen im Publikum deshalb zu einem besonderen Erlebnis, weil sich dadurch mit Sprachmelodie der Originale, Körpersprache und Mimik der AutorINNen, der gesamte Inhalt erschloss. Um Welten mehr als nur bei der Lektüre einer noch so guten deutschen Übersetzung. Die Annäherung an die Originale von der Körpersprache bis hin zum Tonfall ermöglichte der kongeniale Vortrag der Übersetzungen durch die Schauspielerin Frau Ingrid El-Sigai. Den musikalischen Beitrag der Künstler der Kammeroper Frankfurt kann man nicht nur als Rahmenprogramm oder Begleitung bezeichnen. Er war die angemessen glänzende musikalische Response auf den literarischen Teil des Festvals. Ihr Spiel allein wäre Anlaß genug gewesen, diesen Tag im Römer zu verbringen. Eine mehr als gelungene Einladung in die Kammeroper.
Bedauerlich lediglich, dass bei allen Texten nur die deutschen Übersetzungen vorgetragen werden konnten (zumindest sollten beim nächsten Festival Übersetzungen alle Texte in alle Sprachen der teilnehmenden AutorINNen / Länder zumindest zum Nachlesen vorliegen.)
Beim grenzenlosen Jubel über dieses gelungene Festval soll nicht unerwähnt bleiben, dass es ohne die Hilfe verschiedener Institutionen und Sponsoren nicht stattgefunden hätte:
ideell und materiell haben das Festival unterstützt: das Generalkonsulat der Republik Italien, das griechische Generalkonsulat, die Deutsch-Italienische Gesellschaft, die Sifra e.V., die Stadt Frankfurt, RA.-Societät Dolce & Lauda, United Colors of Benetton, Ferrero, Alitalia, Fresenius Medical Care, Intesa SanPaolo; WOOG-Communication & design
Etwas mehr von der Athmosphäre des Festivals können zwei Schlaglichter vermitteln:
beim Vortrag Carmelo Vera Sauras Gedicht „Mauthausen“ fingen die Domglocken an zu läuten. Und Carmelo fragt, ob nicht doch hinter den Hinweisen auf das eine Mauthausen derer viele sattfinden. Und Titos Patrikios hasst die Abbilder der Despoten mehr als sie selbst, die Nachahmer unter neuen Masken. Die Mitläufer ins Verderben mit offenen Augen, wo sich der Seher mit Federhaltern die Auge aussticht, weil er das alles nicht länger mitansehen kann, Und dann blind mit bloßen Händen gegen seinen Willen noch das Unheil begreift, das die Anderen nicht sehen wollen. Wir wählen pro sieben Tage 8 Mal das dolle Dorf, den Spuerstar und beim EurovisionsContest auch noch das allerletzte Lied. und lassen uns daneben ganz ungefragt die schlechteste Verfassung europaweit verpassen. Das Barth-Engelbart’sche „Liebesgedicht für Ulrike und ihre Schwestern“ konnte mit seinen EingangsHomage an die 1848er Heldin Hennriette Zobel keine bessere Kulisse haben als den in den Römer-Plenarsaal hineinmahnenden Turm der Paulskirche. Steht etwa doch nur noch die Hülle, während hinter der Kulisse bereits die Abrissbagger für Entkernung sorgten ?
Daniela Crasnarus-Eingangsworte vor ihrem ersten Text „Sunset Boulevard“ über die nach-wie-vor-Wende-Unterdrückung und Diskriminierung der Menschen in Osteuropa und anderen Peripherien – von den Tränen über die weitentfernte Armut und das Willkommen mit der Bemerkung über die schmutzigen Füße – diese Worte passten zu dem von ihr sarkastisch kommentierte fakt, dass bei der Plenarsaal Beflaggung neben der deutschen, sowohl die italienische, die spanische als auch die griechische Flappe gehisst waren – nur die rumänische fehlte. Ebenso wie die Oberbürgermeisterin unter den Gästen.
Wie schrieb sie im Programm des Festivals als Schimherrin ? „Frankfurt am Main ist die internationalste Stadt Deutschlands und eine Stadt der Begegnungen. …“
Nach einem Konzert mit dem Alt-68er und ex SDS-Vorsitzenden Frank Wolf sagte Frau Roth ungefähr Mitte der 90er über den etwas wölfisch verfremdeten Chello-Vortrag der deutschen National-Hymne: „Herr Wolf, jetzt haben sie aber doch eher affirmativ gespielt!“ – signalisierend, dass auch sie einen Fundus an Adorno-Zitaten beherrscht. Angesichts des heuer leergebliebenen Platzes der Oberbürgermeisterin von Frankfurt stellt sich mir als am Festival beteiligter Lyriker die bange, existentielle Frage: War ihr es jetzt zu affirmativ oder etwa zu wenig? Die Antwort wird hoffentlich das 2. Europäische Poesie-Festival in Franbkfurt am Main 2009 bringen. Ich freue mich schon heute drauf.