Stand Goethe auf der Seite der rebellischen Mittel-Gründauer Bauern?

Bei Schiller wäre eine solche Frage überflüssig. Der hätte seinen Wilhelm Tell auch im Gründautal handeln lassen können. Die Räuber ebenfalls.

Bei Goethe ist diese Frage nicht so schnell zu beantworten. Doch bei seiner Sympathie für die Herrnhuter Untertanen-Eid-Verweigerer könnte der junge Goethe nicht nur auf der Seite der rebellischen Bauern gestanden haben. Möglich, dass er 1769 von Marienborn/Eckartshausen aus einen Abstecher nach Mittel-Gründau machte. Denn es bestanden enge Beziehungen zwischen den Langenbergheimer, Eckartshäuser, Altwiedermuser und den Mittel-Gründauer Bauern und Marienborn lag am direkten Verbindungsweg zwischen diesen Dörfern. Seine Sympathien für rebellische Bauern, die „wider den Stachel löcken“, zeigte Goethe in seiner „Sturm und Drangzeit“ mit seinem Bauernkriegs-Theaterstück „Götz von Berlichingen“, in dem seine damalige Haltung zum Feudaladel auch zum Ausdruck kommt. In seiner Frühzeit versteht sich Goethe durchaus als Dissident der herrschenden Kreise, was sich mit seinem Weimarer Hofamt und dem Adelstitel jedoch weitgehend legte. Den von den Mittel-Gründauer Bauern angeführten Oberhessischen Bauernaufstand mit seinen radikal-sozialen und demokratischen Forderungen hat Goethe im nahen Weimar sicher mitbekommen. Jedoch anders als bei Georg Büchner, der direkten Kontakt zu den Aufständischen sucht und ihre Forderungen mit seinem 1834 erscheinenden HESSISCHEN LANDBOTEN unterstützt, gibt es aus Goethes Spätzeit keine solchen Unterstützungs-Belege.  Seine „Kriegsberichterstattung“ von der Belagerung und Bombardierung des demokratisch-republikanischen Mainz belegt das gerade Gegenteil: http://gutenberg.spiegel.de/buch/belagerung-von-mainz-3641/1

 

Dass der junge Goethe ein Sympathisant der Herrnhuter war, geht aus einem Zitat aus „Dichtung und Wahrheit“ hervor: „Die trefflichen Männer, die ich auf dem Synodus zu Marienborn, wohin mich Legationsrat Moritz, Geschäftsträger des Grafen Ysenburg, mitnahm, kennen lernte, hatten meine ganze Verehrung gewonnen und es wäre nur auf die angekommen, mich zu den Ihrigen zu machen.“.

Da er durch den Geschäftsträger der Ysenburger Grafen mit den Herrnhutern in Kontakt kam, muss sein erster Kontakt mit Zinsendorf noch vor der endgültigen Vertreibung der Herrnhuter durch die Ysenburg-Büdinger Grafen  zwischen 1753 und 1769 zustande gekommen sein.

 

Johann-Wolfgang von Goethe war  1769 im ehemaligen  Kloster und späteren Schloss Marienborn bei Eckartshausen. Keine 10 Kilometer über die Hohe Straße, den Herrnhuter Herrnhaag und Vonhausen von Mittel-Gründau entfernt. Die Herrnhuter Brüdergemeine hielt dort unter der Führung des Grafen von Zinsendorf ihre Synoden ab, bei denen der junge Goethe zu Gast war. Das Zimmer, in dem er wohnte und theologisch-philosophische und naturkundlich-wissenschaftliche Studien betrieb, ist noch erhalten.

In diesem an die Kirchenruine angrenzenden Haus (links) befindet sich das Zimmer, in dem Goethe während der Synoden der Herrnhuter wohnte

Hier muss Goethe auch von den zum Teil sehr militanten Streitigkeiten der Herrnhuter mit den einheimischen Bauern und Handwerkern erfahren haben, die den vom Büdinger Grafenhaus privilegierten Neusiedlern feindlich gesonnen waren.

Zinsendorf und seine Herrnhuter waren im 18. Jahrhundert nach dem 30jährigen Krieg weniger als Glaubensflüchtlinge vom Büdinger Grafen aufgenommen worden, eher als dankbare Neubesiedler “ihrer Dörfer” und Güter, die von überlebenden Eingeborenen und “Einwanderern” aus dem Hanauer Land, aus Thüringen usw. instandbesetzt wurden. Sie waren  wie auch die Hugenotten und die Waldenser nicht nur als Begründer von Frühindustrie und Manufakturen willkommen., sondern auch als Geldbeschaffer, besonders die Herrnhuter.Siedlung Herrnhaag 1745

Zinsendorf  war – da war der Name Programm- ein glänzender Finanzmann und die Herrnhuter hatten hochentwickelte landwirtschaftliche, bewässerungstechnische, manufakturelle, handwerkliche Fähigkeiten und Techniken entwickelt. Sie wurden weitgehend von Steuern und Abgaben an den Feudalherren befreit…..  Der Büdinger Graf war mit der Vertreibung der Herrnhuter und des Grafen von Zinsendorf – wozu er den Wasserkrieg der Lorbacher Kleinbauern gegen die Herrnhuter und die “Fremdenfeindlichkeit” der “Eingeborenen” geschickt ausnutzte – alle seine Schulden bei Zinsendorf los ….

Das „Konfliktmanagement“ des Grafenhauses funktionierte wie geschmiert: die Herrnhuter erhielten Wasserrechte für Fischzucht, für die Bewässerung ihrer Barock-Ziergärten und Obst- und Gemüse-Kulturen, die den Bauern ringsum versagt blieben, bzw. wurde das Wasser aus dem Lorbach auf den Herrnhaag gepumpt und fehlte besonders bei Dürreperioden den Bauern für ihre Almendemühlen und die Viehtränken usw… deshalb gab es u.a.  Sprengstoffanschläge gegen das Pumpenhaus der Herrnhuter.  Es gab Strafexpeditionen der fürstlichen Jäger gegen die Lorbacher Bauern, aber die rächten sich dann nicht etwa am Fürsten sondern an den Herrnhuter „Fremden“. Das änderte sich erst im Vorfeld der Oberhessischen Bauernaufstände 1830, die sich gegen die Fürsten richteten.

Mit ihren Schutzjuden in der Ronneburger Vorburg  sind die Büdinger Grafen nicht viel anders umgegangen, auch mit den Inspirierten nicht, die schließlich wie viele Juden, die es bezahlen konnten, auch in die USA auswandern mussten…. wer nicht auswandern konnte, war den Racheaktionen der „Eingeborenen“ ausgeliefert. … Nach der Vertreibung der Zinsendorfianer machte das Büdinger Grafenhaus, das sich im 19. Jahrhundert den Fürstentitel zulegte, weil der Grafentitel zu niedrig klang, nach einem verheerenden Großbrand des Schlosses und dem weitgehenden Abriss der übriggebliebenen Bausubstanz aus dem Anwesen einen rein landwirtschaftlichen Betrieb.

 

Die Vertreibung der Herrnhuter lässt sich nicht nur mit dem solcherart günstigen Abbau der gräflichen Verschuldung erklären. Der mindestens ebenso wichtige Grund war die Verweigerung des Untertaneneides durch die Herrnhuter. Die erkannten nämlich zwischen sich und ihrem Herrgott keinen weiteren Herren an. Diese Haltung drohte sich bei den widerspenstigen Bauern und Handwerkern im gräflich/fürstlichen Hoheitsgebiet auch breit zu machen. Schon vor dem 30jährigen Krieg klagte der Gelnhäuser „Teutsch-Ordens-Castner“ Johan Georg DÖRWALDT in einem Bericht an seinen „hochwürdigen, wohledelen geborenen gestrengen Herrn, Johann Joachim von Eyhb, des Hochlöblichen Teutschen Ordens Ritter und Cementhum zu Frankfurt“ am 15. Januar 1652, dass die Mittel-Gründauer „sich zu einer Pachtzahlung  nicht verstehen wollten, noch viel weniger die Zinß noch Federvieh zu geben.“

Der Deutsch-Herren-Orden beziffert seinen Grundbesitz in Mittel-Gründau in einem Brief des Herrn von Eyhb an den Ysenburger Grafen am 17. Mai 1652 mit 2 Hofgütern „von 286 ½ Morgen Äcker und Wiesen zu Mittel-Gründau … welche für die jährliche Pacht von 27 ½ Malter …  verpachtet wurden.   Von den 286 Morgen Fläche waren lediglich „70 bis 80 Morgen“ bebaubar. Daraus mussten jährlich zwischen 4.000 und 4.600 Liter Getreide allein für die Pacht abgeführt werden – ohne Zinszahlungen, Zicklein, Ferkel, Lämmer, Federvieh, Wein usw. ….

Am 28. April 1752 bitten die drei Pächter / Beständer des Hofgutes Mittel-Gründau, Johann Conrad Schmidt, Johannes Wolf, und Joh. Heinrich Neuman die drei Ysenburger Grafen in einem langen Bericht um Pachtreduzierung, denn sie müssen alle Arbeit auf den wenigen bebaubaren Flächen und auf dem Hof alleine bewältigen, weil die Mittel-Gründauer nicht nur die „Zehnten“ sondern auch die Fronarbeit verweigern.

Gegen den Land-, Wald-, Weinberg- und Vieh-Raub durch die Ysenburger Grafen legen die Mittel-Gründauer Bauern schon 1711 bei den höchsten Reichsgerichten, dem kaiserlichen Hofgericht in Wien und beim Reichskammergericht in Wetzlar Beschwerde ein. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen dauern bis über 1770. Der Streit um die Wälder und die Waldnutzungsrechte  zieht sich hin bis ins 20. Jahrhundert  und bei den Nachbargemeinden Gründaus sogar bis ins 21. Jahrhundert.

Die von Kaiser Friedrich „Barbarossa“ den Dörfern vertraglich gesicherten Waldrechte galten bis ins 21. Jahrhundert und waren bis zum 20. Jahrhundert deren „Sozialetat“ aus dessen Erträgen die Dorfarmut über Wasser gehalten werden konnte, zusammen mit den „Holzrenten“, die bei Arbeitsunfällen & Invalidität infolge von gemeindlicher wie fürstlicher Waldarbeit in Naturalien gezahlt wurde. Das lief, bis die Fürsten und die hessischen Landesregierungen die Rechte „ablösten“ , bzw. die Gemeindevertretungen und Bürgermeister der betroffenen Dörfer und Städte sich durch „Schuldenschirm“, „Schuldenbremse“ und Finanzaufsicht dazu zwingen ließen, die Gemeinde-Wälder zu verkaufen (z.B. an CONSTANTIA) und ihre Waldrechte in den barbarossischen Reichsforsten gegen Einmalzahlungen ablösen zu lassen.

 

Wenn Goethe nicht schon vom Geschäftsträger der Ysenburger Grafen über die juristischen Auseinandersetzungen um Mittel-Gründau informiert wurde, oder während seines Aufenthaltes in Marienborn 1769 von diesen spektakulären Streitigkeiten erfahren hat, in die der Prämonstratenser Orden, der Deutsch-Herren-Orden, das Arnsburger Kloster, der Fürstbischof von Mainz, die Ysenburger Grafen und die rebellischen Bauern von Mittel-Gründau verwickelt waren, so muss er spätestens  bei seiner juristischen Ausbildung 1772 am Reichskammergericht in Wetzlar davon erfahren haben, wo die Angelegenheit über Duzende von Jahren verhandelt wurde.

Wie Goethe sich in den Prozessfluten im Reichskammergericht in Wetzlar positionierte ist nicht überliefert. Wer Recht hatte aber oft keines bekam, war den Juristen klar. Der Feudaladel schmierte, kaufte, bestach was das Zeug hielt, um Urteile zugunsten der Bauern zu verhindern oder bereits gefällte zu Fall zu bringen. Gelang das doch nicht, ignorierten die Feudalherren die Urteile und versuchten die Bauern mit Hilfe ihrer Jäger und Soldaten zu unterwerfen. Hunderte Beispiele bäuerlichen Widerstands beschreibt Werner Troßbach in seinem Buch „Soziale Bewegung und politische Erfahrung – Bäuerlicher Protest in hessischen Territorien 1648-1806“. Das Buch liest sich wie ein Krimi und schafft völlig neue Bezüge zu den zu Schlafsiedlungen verkommenden hessischen Dörfern. Besorgen, entleihen und lesen! (erschienen im Drumlin-Verlag 1987 ISBN 3 924027 46 3 / Dank an den Frankfurter Historiker Dr. Manfred Köhler für diesen Hinweis!)

Aber vielleicht hat sich Goethe, der Alt-1748er bzw. Alt-1768er  aus der bürgerlichen Oberschicht nach heftigem „Sturm & Drang“ auch wieder anders orientiert ? ….  Während er das Land der Griechen mit der Seele suchte, suchten es seine Brötchengeber spätestens ab 1821 militärisch heim im Auftrag der westlichen Heiligen Allianz mit einer Troika unter Führung des bayrischen Finanzministers von Assmansperg und 3.600 „Strafbayern“, die den republikanischen Griechen die Monarchie und eine für die westlichen Großmächte profitable Finanzordnung aufzwangen. Geschickt hatten die damaligen Westmächte den Aufstand der Klephten auf der Mani gegen die griechische Nationalversammlung in Monemvasia und später in Argos angefeuert wie heute die „bunten Revolutionen“, die „arabischen Frühlingsrollen“ und die eher östlich gelegenen Maidane. Angeblich erschossen die Klephten  den republikanischen Parlamentspräsidenten. Hätte ein Auftragsmord oder auch eine False-Flag-Aktion der Westmächte gewesen sein, um Griechen gegen Griechen aufzuhetzen und dann als Ordnungsmacht die Lage zu „befrieden“. Den damaligen Großmächten ging es niemals um die Freiheit Griechenlands, es ging ihnen um die Schwächung des osmanischen Reiches um (Boden-)Schätze (neben den archäologischen versteht sich) und um vorgeschobene Stützpunkte i m östlichen Mittelmeer Richtung Mesopotanien . Zurück nach Oberhessen

Die Mittel-Gründauer Bauern wurden in Wetzlar wie in Wien wegen ihrer lautstark vorgetragenen Forderungen und Proteste dringend aufgefordert, doch endlich nachhause zurückzukehren, sie bekämen ja ihr Recht. So steht es in einem Brief eines hohen Hofgerichtsrates des kaiserlichen Wiener Hofgerichtes. Wer die Quelle kennt, soll sie mir bitte mailden! (sie ist mir bei einem Festplattencrash abhandengekommen).

Wahrscheinlicher ist es jedoch , dass dieser Brief anlässlich der in Gründau-Lieblos vorgenommenen Zeugenvernehmungen der Mittel-Gründauer Bauern geschrieben wurde. Denn Reisen von vier oder fünf Bauern nach Wetzlar und gar nach Wien, waren zu dieser Zeit und bei der herrschenden Armut m.E.  kaum möglich.

Ob Goethe nach Mittel-Gründau kam, um sich vor Ort selbst ein Bild von der Lage zu machen, darüber wurden jedoch bisher keine Aufzeichnungen gefunden. Dokumentiert ist aber sein kurzer Aufenthalt in Gründau-Rothenbergen bei einer Reise nach Leipzig 1775, den er ebenfalls zu naturkundlichen Studien nutzte.

Die hohe Zustimmung im Gründautal beim Volksentscheid für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten (als Kriegstreiber und Kriegsgewinnler des ersten Weltkrieges) 1926 kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf das gute kollektive Gedächtnis der Mittel-Gründauer zurückzuführen sein: für sie hätte diese Enteignung lediglich die längst überfällige Rückgabe der seit über 200 Jahren geraubten Wälder, Äcker und Wiesen bedeutet. 

 

 

Alle Daten und Zitate stammen aus den Artikeln  des Lokalhistorikers Heinrich P. Göbel in „Grindaha 7“, 1997, den Veröffentlichungen des Geschichtsvereins Gründau e.V.

Besonders über den Land- und Waldraub der Ysenburger werden hier noch weitere Artikel folgen.

Auf welche Seite sich der gerade mal 45 jährige Goethe in der Nähe eines ganz anderen Marienborn geschlagen hatte, beschreibt er ausführlich während der Belagerung und Bombardierung des republikanischen Mainz 1793 durch österreichische und preußische Truppen: 

http://gutenberg.spiegel.de/buch/belagerung-von-mainz-3641/1

Hier , bei der begeisterten Beobachtung des Kriegsgeschehens aus komfortablen Adelsquartieren zeigt sich der Geheime Rat Goethe ganz offen als treuer Diener seiner feudalen Herren und verlässlicher Gegner der demokratischen Republik.

 

 

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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