2 Widerstandskämpferinnen, ein Ehrengrab einerseits, ein Armenbegräbnis andrerseits. Warum?

Wie der Widerstand gegen die NAZIS staatsraisonabel selektiert wird, z.B. in Hanau. Ein Lehrstück:

Vor 20 Jahren wäre die Klärung dieser Frage noch ein Thema für ein Gesellschaftslehre-Leistungskurs-Projekt geworden (heute passt sowas nicht mehr zwischen die Module im PoWi-Korsett): Die Schülerinnen hätten dazu die Entstehung des NS-Faschismus, seine Förderer und seinen Zweck für die deutsche Großindustrie und die Großbanken erarbeiten müssen. Dazu die unterschiedlichen Widerstandsbewegungen, deren Ziele und Motivation .

Auf diesem Hintergrund hätte die Antwort auf die Frage nach dem möglichen Zusammenhang zwischen Ehrengrab, Schul- & Bibliotheks-Namensgebung, Festakten  einerseits und Wiedergutmachungsverweigerung, Zwangsenteignung und Armenbegräbnis andrerseits und der Art, der politischen Ausrichtung des Widerstandes gesucht werden müssen.

 

Zwei Hanauer Widerstandskämpferinnen:

Dr. Elisabeth Schmitz

(* 23. August 1893 in Hanau; † 10. September 1977 in Offenbach am Main)

https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Schmitz

 

und

Louise Bröll, geb. Schnitzer

29.03.1905 – 11.12.1985.

Hanaus Mitschuld am Tod der Widerstandskämpferin Louise Bröll

 

Zum 125 Geburtstag der protestantischen Widerstandskämpferin Elisabeth Schmitz schreibt der FR-Redakteur Gregor Haschnik  am 23.08. 2018 einen 2/3 seitigen Artikel. Zum 100., zum 110. Geburtstag, zum 30. Todestag Louise Brölls erschien weder in der Frankfurter Rundschau noch im Hanauer Anzeiger auch nur eine Silbe.

Warum ?

 

Elisabeth Schmitz stammt aus dem evangelischen Bildungsbürgertum, das mehrheitlich eher deutschnational orientiert war. So wie große Teile der bekennenden Kirche zumindest anfänglich auch – was man an der Biografie Martin Niemöllers gut nachvollziehen kann. Die Biografie Elisabeth Schmitzs zeigt das ebenfalls anhand ihrer Ausbilder und Freundschaften. In diesen Kreisen, selbst bei jüdischen und „halbjüdischen“ Teilen dieser Kreise  herrschte auch die Auffassung, dass die Umerziehung von extrem „vaterlandslosen Gesellen“ (linken Sozialdemokraten), Gewerkschaftern und Kommunisten  in den anfänglich auch als „Umerziehungslager“ bezeichneten KZs eine angemessene Maßnahme der Regierung sei. Martin Niemöller hat sogar als Mitglied der Freicorps an der Verfolgung und Erschießung von Kommunisten im Ruhrkampf teilgenommen und war NSDAP-Mitglied.

Von Widerstand der Elisabeth Schmitz gegen die Folterungen der Hanauer Kommunisten und ihre Verschleppung in die KZs  ist in den Jahren 1933/34/35 nichts bekannt. Die Hanauer Kommunisten kamen nach den SA-Folterungen in die als KZ genutzte „Besserungsanstalt“  Breitenau/ Guxhagen, ein KZ das nach seiner Auflösung 1934 zum Arbeitserziehunglager „umgewandelt“ wurde 

 

 

Louise Bröll stammt aus einer Hanauer Handwerkerfamilie, der Kunstschmiedefamilie Schnitzer. Vater Schnitzer ist wie viele Handwerker Freimaurer und Sozialdemokrat.

Neben  und nach der Realschulausbildung ist die Tochter Louise bei den Falken, der Naturfreunde-Jugend und spätestens ab 1920 gegen den § 218 aktiv. Sie orientiert sich immer weiter nach links, wird im KJVD, dem Kommunistischen Jugendverband aktiv und lernt dort ihren späteren Mann, den kommunistischen Schreiner Karl Bröll kennen. Ihr antifaschistischer Widerstand beginnt also weit früher als der der Elisabeth Schmitz und erkennt schon früh die Wurzeln des Faschismus im deutschnationalen Milieu und dessen Kooperation mit dem Klerus. Sie erkennt die Förderung, Finanzierung der NSDAP durch die mächtigsten Hanauer Unternehmer. Für sie ist der Faschismus, ist der Krieg eine Ausgeburt des Kapitalismus. Und die Verfolgung der Juden ein vom Finanzkapital und dessen Vertretern gerne in Kauf genommener „Kollateralschaden“, der zudem noch gehasste Konkurrenten aus dem Weg und nahezu kostenlose Arbeitsheere schaffte.

Während ihr Mann im Strafbataillon 999 am Don bei Brückenkopfeinsätzen auf dem Don bei der Rückkehr von SS-Leuten erschossen wird, lässt sich Louise Bröll von der RAF (Reichs-Arbeits-Front) und dem RAD (Reichs-Arbeits-Dienst) als Arbeiterin bei Heraeus einsetzen. Sie verpflegt dort bei der Arbeit nicht nur illegal Zwangsarbeiter-innen, sabotiert zusammen mit Kolleginnen die Heraeus-Rüstungsproduktion und schleust ebenfalls illegal am Frankfurter Tor die dort in Baracken eingepferchten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in den großen Luftschutzkeller ihres Elternhauses. Die mussten nämlich bei Luftangriffen oben bleiben

Nach der Kapitulation baut Louise Hanau wieder mit auf, errichtet mit Hilfe vieler von ihr geretteter DPs, wie die befreiten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen jetzt genannt werden, Notunterkünfte. unter anderem auch auf ihrem Grundstück im Garten der Kunstschmiede an der Grenze zum St. Vinzenz-Krankenhaus. Den Betreibern, den „barmherzigen Schwestern“ aus Fulda war die Familie Bröll  seit den 1920ern nicht nur wegen ihrer Gegnerschaft zum § 218 im Wege . Die Ordensgemeinschaft war scharf auf das Schnitzer-Bröll’sche Grundstück. Nach der Bombennacht 1944 verweigert die Ordensgemeinschaft der schwerkranken Frau Schnitzer und ihrer Tochter den einzig gangbaren Weg über das Krankenhaus-Grundstück zu ihrem teilgetroffenen Haus.

Ende der 1970er wird Louise Bröll zugunsten des St. Vinzenz-Krankenhauses im öffentlichen Interesse zwangsenteignet. Die minimale Entschädigung landet dann mit öffentlich-unrechtlicher Hilfe auf den Konten eines stadtbekannten  kleinen Immobilien-Haies, der Louise Bröll in ihrem Exil in der Hanauer Gärtnerstraße in den Tod „pflegt“. Auch dieses Exil hat er sich längst unter den Nagel gerissen. Auf welchen verschlungenen Pfaden es dann schließlich in den Händen der Gülen-Bewegung landete, habe ich noch nicht recherchiert. Das tut aber auch hier nichts zur Sache.

Louise Bröll „organisiert “ ab 1945 zusammen mit Hanauer Kommunistinnen, Sozialdemokratinnen und den DPs  (Displaced Persons) Möbel für die schnell errichteten  Not-Unterkünfte, unter anderem aus den ausgebombten Gebäuden des Landgerichtes und der verhassten Hanauer Staatsanwaltschaft. Dafür wird sie als „Rädelsführerin“ (im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Transport ging meistens per Fahrrad durch die notdürftig freigeschaufelten Pfade zwischen den Trümmern) von 1000jährig bewährten Polizisten festgenommen und von ebenfalls 1000jährig bewährten Ex-Blockwarten angezeigt.  Nur mit Hilfe einiger sozialdemokratischer Stadtpolizisten (besonders eines Polizisten namens Jäger) kommt sie wieder frei und die Anzeige wird fallengelassen.

Auf die Hanauer Parteitags-Delegierte der KPD warten weitere Anzeigen, Hausdurchsuchungen, Festnahmen: weil sie zusammen mit vielen anderen -meist linken – Frauen „Hungerzüge“ für  die ausgemergelten Kinder aus den zerbombten westlichen Industriestädten in die Magdeburger Börde und nach Mecklenburg-Vorpommern in die „Kornkammern“ in der „Sowjet-Zone“ zum Durchfüttern organisiert, wird sie wegen „organisierter Kindesentführung“ angezeigt und festgenommen.

Die nächsten Hausdurchsuchungen und Festnahmen erfolgen wegen ihrer Unterschriftensammlungen gegen die Teilung Deutschlands, für ein entmilitarisiertes, neutrales Gesamtdeutschland nach österreichischem Vorbild und wegen ihrer Unterschriftensammlung gegen die Wiederbewaffnung und ihrer Proteste gegen die Wiedereinstellung alter Nazis in der Justiz, bei der Polizei, in der Landes- & Bundesregierung, in den Schulen und Universitäten, in den Gesundheitsämtern. Da sie über ihre Freunde bei den DPs (Displaced Persons) von der Aufstellung polnischer, ukrainischer, russischer, baltischer, tschechischer, bulgarischer, rumänischer, ungarischer, jugoslawischer Einheiten erfährt, die nach „intensiver Befragung“ der DPs mit ausgewählten Kräften gefüllt werden, die bis zum Ostblock-Einsatz Jobs in der US-Army erhalten, macht sie sich mit der Veröffentlichung dieser Praxis auch bei der US-Militärregierung und der US-Kommandantur keine Freunde. Besonders stören die Veröffentlichung der Erpressungsmethoden bei den Befragungen durch die US-Dienste: die DPs werden darauf hingewiesen, dass nach einer Rückkehr in den Osten, der sowjetische Geheimdienst in Kenntnis der Gespräche mit Army-Stellen alle Rückkehrer als US-Spione behandeln und mindestens in Arbeitslager schicken würde.

Dem Hanauer Magistrat ist Louise Bröll mit alledem ein permanenter Dorn im Auge und im Sitzfleisch.

Besonders wirkungsvoll sind die Inhaftierungen und Verhöre von Kommunistinnen nach 1945 in der Polizeistation Marienstraße am Hanauer Schlossplatz. Einige der Polizisten kennt man schon von 1933 bis 1945 und die Zellen am Fronhof ebenfalls. Die Erinnerungen an die Folter dort machen den Aufenthalt  erholsamer, die Verhöre bisweilen erheblich einfacher und die Verhörten teilweise geständnisfreudiger.   Man wird als alter Bekannter begrüßt mit „The same procedure as last year!“ und wenn man dann auch noch ein roter Zigeuner aus dem Lamboy-Viertel ist, heißt es schon bei den ersten Schlägen: „Du weißt, wir machen gerne Zigeunerschnitzel!“

Nicht nur wegen der unablässigen Suche nach den Mördern ihres Mannes ist Louise Bröll für die Hanauer Justiz und das Bundeswehr Offizierscorps ein rotes Tuch. Da sie über die -wenn nicht illegale so doch illegitime Übernahme des „Hanauer Anzeiger“ durch den Nachkriegs-„Eigentümer“ aus dem Besitz der evangelischen Waisenhausstiftung Bescheid weiß und die politische Ausrichtung dieser ältesten deutschen Tageszeitung  spätestens seit dem stramm rechts ist, kann sie nach dem FDJ-Verbot 1952 und noch mehr nach dem Verbot der  KPD und ihrer Zeitungen 1956  dazu  nichts mehr publizieren. Ja, auf Flugblättern, selbst geschriebenen Plakaten …  das gibt dann Anzeigen wegen Sachbeschädigung, Volksverhetzung, Vorbereitung zum Hochverrat.

Die Frankfurter Rundschau? Sie stand dafür auch nicht mehr zuverlässig und journalistisch neutral zur Verfügung, nachdem die US-Militärregierung mit Hilfe des Sozialdemokraten Karl Gerold die beiden kommunistischen Mitherausgeber und Redakteure Arno Rudert und Emil Carlebach aus dem Herausgeberkreis und der Redaktion der FR hinausgesäubert hatten.

 

Louise Brölls Widerstand wird von der Stadt Hanau mit Wiedergutmachungsverweigerung, Nachkriegsfestnahmen, Zwangsenteignung und einem Armenbegräbnis 1985 belohnt.

Auf dem von jungen Hanauern gespendeten Grabstein sollte ein Brecht-Zitat stehen, das auf die Umstände ihres bis heute nicht geklärten Todes hinweist:

„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ Bertolt Brecht (Werk: Me-Ti. Buch der Wendungen)

Die Stadt Hanau verbietet diese Inschrift

Nachtrag zum Frauentag: LOUISES LISTEN – zum Gedenken an die Hanauer Widerstandskämpferin Louise Bröll

 

Louise Bröll, wurde ihr Mann in der Ukraine durch die SS-Division Galizien ermordet ? Frankfurter Rundschau ließ Spuren verschwinden

 

Louise Brölls Mann wurde in der Ukraine erschossen

 

Stadt Hanau verbietet ein Bertolt Brecht Zitat , der Widerstandskämpferin Louise Bröll zum 105. Geburtstag, zum 65. Überlebenstag, zum 25. Todestag

 

Der antifaschistische Widerstand der kleinen Leute: LOUISES LISTEN , die Urfassung von 1995

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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