Warum nennt Putin einen polnischen Botschafter „antisemitisches Schwein“?

Der folgende Artikel stammt aus dem „Anti-Spiegel“. Nach seiner Lektüre begreife ich besser, warum die jüdische Polin, meine mütterliche Freundin Hannia Wiatrowski nach ihrer Befreiung aus dem KZ Auschwitz durch die Rote Armee nicht in Polen bleiben wollte, zunächst nach Palästina auswanderte und dann wegen des in Israel herrschenden Rassismus noch vor dem „6 Tage-Krieg“ mit Mann und Kind 1963 in die Bundesrepublik kam. Dazu später mehr und Genaueres. (Sie war bereits 82-jährig bei mehreren Hilfstransporten für Krankenhäuser in Lodz, Warschawa, Opole, Wroclaw, Gdansk, zwischen 1981 und 1988 meine LKW-Beifahrerin und Übersetzerin. Zweitens sind die Differenzen zwischen Hitler und seinem ukrainischen Verbündeten Massenmörder Stefan Bandera auf dem Hintergrund dieses Artikels erst richtig zu verstehen. Auch dazu später mehr und Genaueres. Und wer gleich dazu was wissen will:

Was sind die Gründe für den Eklat wegen Putins Äußerungen über den Zweiten Weltkrieg?

Polen hat den russischen Botschafter einberufen, weil Putin den polnischen Botschafter der 1930er Jahre in Deutschland, Jozef Lipski, ein „antisemitisches Schwein“ genannt hat. Was sind die Hintergründe?

Ich habe immer mal wieder aufgezeigt, dass die Geschichtsschreibung in Russland ganz anders auf die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges blickt, als wir es aus Deutschland kennen. Und da derzeit im Westen Versuche gemacht werden, die Kriegsschuld nicht nur bei Deutschland zu suchen, sondern auch bei der Sowjetunion, die in dem Krieg so viele Menschen verloren hat, wie alle anderen Kriegsteilnehmer zusammen, stößt das in Russland auf sehr deutliche Reaktionen.

Zuletzt hat Putin selbst mitgeteilt, sich die Akten aus den Archiven bestellt zu haben, um sich mit dem Originaldokumenten ein eigenes Bild zu machen. Die Ergebnisse hat er präsentiert und er hat angekündigt, selbst einen Artikel über das Thema schreiben zu wollen. Ich habe darüber vor einigen Tagen bereits berichtet.

Ich mache mir hier ausdrücklich keine Sicht zu eigen, mein Fachgebiet ist die aktuelle Politik, nicht die Geschichte. Aber ich habe zumindest die Behauptungen, die in Russland aufgestellt werden, überprüft, soweit mir das möglich war. Und wenn Russland zum Beispiel Polen vorwirft, dass es sich an der Zerschlagung der Tschechoslowakei beteiligt und zusammen mit Deutschland Teile des Landes annektiert hat, dann stellt sich das als wahr heraus. Nur steht das nicht in deutschen Geschichtsbüchern, aber wer zum Beispiel über die Geschichte des Teschener Gebietes recherchiert, der findet heraus, dass es tatsächlich so war. (Richtig, hf)

Meine Aufgabe ist es als Journalist, der sich für die Wahrheit interessiert, auch darüber zu berichten, wie Russland auf die Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges blickt, wenn dieses Thema Teil der aktuellen Tagespolitik wird. Und das ist geschehen, denn die Versuche des Westens, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges umzuschreiben, haben in Russland dazu geführt, dass das Thema auf der aktuellen Tagesordnung gelandet ist. Und nun hat auch der Spiegel darüber berichtet, dass Polen den russischen Botschafter einberufen hat.

Die deutschen Medien können mit dem Thema bisher nicht viel anfangen und entsprechend kurz war der Artikel im Spiegel. Aber da ich vermute, dass wir davon demnächst noch mehr hören werden, will ich zum besseren Verständnis die russische Sicht wiedergeben, die deutsche ist ja allgemein bekannt. Ich mache mir die russische Sicht wie gesagt nicht zu eigen, sondern übersetze dazu heute zwei Berichte aus der Sendung „Nachrichten der Woche“, die am Sonntag im russischen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Auf einen Kommentar des Moderators folgte noch eine Reportage aus Polen, die Sie beide hier in einem Stück lesen können.

Beginn der Übersetzung:

Vor dem 75. Jahrestages des Sieges über den Faschismus müssen wir alle zumindest ein bisschen Historiker werden, damit niemand uns oder unsere Kinder durch den böswilligen Unsinn über die Gründe für den Beginn des Zweiten Weltkriegs und die Beiträge verschiedener Staaten und Völker zum Sieg täuschen kann.

Präsident Putin begann bei sich selbst und studierte historische Dokumente, um noch einmal die Details zu verstehen und Akzente zu setzen. In letzter Zeit hat sich das Staatsoberhaupt zweimal mit dem Thema befasst, zuerst auf der Großen Pressekonferenz und dann bei einem informellen Treffen der GUS-Staats- und Regierungschefs in St. Petersburg. Auch bei der Sitzung des Verteidigungsausschusses und – mit vielen Details – bei einem Treffen mit der Führung der Kammern der Föderalversammlung sprach er über die Vorkriegszeit.

Seine Aussagen fanden eine große Resonanz, es ging so weit, dass der russische Botschafter in Warschau ins polnische Außenministerium geladen wurde, um den polnischen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Warum regt sich in erster Linie Polen auf? Weil Putin Polens Rolle bei der Zusammenarbeit mit Hitler einen Großteil seiner historischen Ausführungen gewidmet hat.

Warum Polen? Weil es heute Polen ist, das aktiver als andere die These vertritt, die UdSSR und Hitler-Deutschland seien gleichermaßen für die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. In einer kürzlichen Entschließung des Europäischen Parlaments wurde das zu einer fast heiliggesprochenen Position der Europäischen Union. (Leider haben die beiden Vertreter der „Partei“, Sonnenborn u. Semsroth, einer dahingehenden blöden EU-Parlamentsentschließung zugestimmt, hf) Putin entschied, dass es so nicht geht. Russland hat ein riesiges Archiv aus Trophäendokumenten, Botschafterberichten, Aufzeichnungen von Gesprächen und Augenzeugenberichten aus dem Zweiten Weltkrieg, mit dem Putin zwei wesentliche Punkte belegt hat.

Erstens: Polen bildete vor dem Krieges tatsächlich ein militärisches Bündnis mit Hitler-Deutschland und agierte koordiniert mit Deutschland, als es darum ging, Teile fremder Staaten zu erobern. (Ja, das wahr, hf)

Zweitens: Der Antisemitismus war in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg zu einer Staatsideologie geworden, die in der Gesellschaft weit verbreitet war. Ideell war die damalige polnische Führung Hitler sehr nahe.

Daraus folgt, dass, wenn man jemandem die gleiche Verantwortung für die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs in Europa geben möchte, das zweite Land nach Deutschland Polen und nicht die UdSSR ist. Schließlich war es Polen, das Deutschland 1938 die sichere Zerstückelung der Tschechoslowakei garantierte und sich sogar an diesem Raubzug beteiligte, indem es zuerst das schlesische Teschen besetzte, das waren 800 Quadratkilometer Territorium, was die Schwerindustrie Polens verdoppelt hat und später nahm Polen sich auch Orawa und Spisch, Gebiete der Nordslowakei.

Geblendet von räuberischem Nationalismus genoss die polnische Presse die Triumphe und Perspektiven. Zum Beispiel schrieb die Gazeta Polska am 9. Oktober 1938: „Der Weg zu einer mächtigen Führungsrolle in unserem Teil Europas ist offen und er erfordert in naher Zukunft enorme Anstrengungen und die Lösung unglaublich schwieriger Probleme.“

Hitler berauschte Polen in der Zwischenzeit mit der Aussicht auf Zugang zum Schwarzen Meer auf Kosten des Territoriums der Sowjetukraine In Polen sprach man vom Polen von einem Meer bis zum anderen Meer, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer.

Unterdessen war die Sowjetunion bereit, der Tschechoslowakei gemeinsam mit Frankreich zu helfen (die Sowjetunion schickte sogar Dutzende von modernen Kampfflugzeugen, die aber nie eingesetzt wurden, hf), aber Polen weigerte sich – mit Garantien aus Deutschland – die sowjetischen Truppen passieren zu lassen und drohte, sowjetische Flugzeuge abzuschießen. Frankreich traute sich im Alleingang nicht, sich Hitler entgegenzustellen. So wurde das Schicksal der Tschechoslowakei entschieden.

„Verfestigt“ wurde diese Barbarei in der sogenannten Münchner Verschwörung. Wichtig ist: Ohne Polen hätte Hitler diese Expansion nicht gewagt. Es war Polen, das es geschafft hat, Frankreich und danach auch Großbritannien zu lähmen. Damit begann der Krieg. So müsste eigentlich das Münchner Abkommen den Beginn des Krieges in Europa markieren. Unmittelbar danach begannen die Truppenbewegungen. Diese Chronologie macht die Ereignisse verständlich. Und Putin lenkt die Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Ereignisse.

„Während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse antwortete Feldmarschall Keitel auf die Frage, ob Deutschland 1938 die Tschechoslowakei angegriffen hätte, wenn die Westmächte Prag unterstützt hätten: „Nein. Wir waren militärisch nicht stark genug“, erklärte der Präsident.

Und jetzt kommt das, was die nervöse Reaktion des polnischen Außenministeriums ausgelöst hat. Putin sprach über den Antisemitismus, der die Bande der damaligen Führung Polens mit Hitler zementierte.

„Hitler sagte dem Außenminister und dann dem polnische Botschafter in Deutschland unverblümt, dass er eine Idee hätte, nämlich die Juden nach Afrika zu vertreiben, in eine Kolonie. Stellen Sie sich vor, 1938 wollten sie Juden aus Europa nach Afrika schicken. Zum Sterben, um sie zu vernichten. Darauf antwortete ihm der polnische Botschafter, und das schrieb er auch in seinen Bericht an den polnischen Außenminister Beck: „Als ich das hörte, sagte ich ihm, dass wir ihm ein großartiges Denkmal in Warschau setzen würden, wenn er das täte.“ Er war ein antisemitisches Schwein, man kann es nicht anderes sagen. Er stimmte Hitler in seinen antisemitischen Gefühlen voll und ganz zu und versprach außerdem, Hitler für die Vertreibung des jüdischen Volkes in Warschau ein Denkmal zu setzen. Und er schreibt das an seinen Chef, den Außenminister, offenbar in der Hoffnung auf Zustimmung. Einfach so hätte er das kaum geschrieben“, sagte Putin.

Putin nennt den polnischen Botschafter Jozef Lipski ein „antisemitisches Schwein“ und gibt eine Einschätzung des damaligen polnischen Antisemitismus ab. Natürlich waren nicht alle Polen Antisemiten, aber aus irgendeinem Grund funktionierten sozialen Lifte, wie man sagt, besser für Antisemiten. Ein Beispiel ist Botschafter Jozef Lipsky. Und die wichtigsten Todeslager für Juden hat Hitler, wahrscheinlich nicht zufällig, aus irgendeinem Grund in Polen platziert und nicht irgendwo im besetzten Dänemark oder im besiegten Frankreich. Ihre Namen lassen einen heute noch erschaudern: Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Maidanek. Und in Polen wurden nicht nur Juden aus Osteuropa, sondern auch aus dem Westen – aus Italien, Frankreich, Österreich – vernichtet.

Natürlich gab es auch Konzentrationslager in Deutschland, aber das waren keine Todeslager. Und während die Berichte über die in Polen vernichteten Holocaust-Opfer in die Millionen gehen, lag die Zahl der Todesopfer in so schrecklichen Lagern wie Buchenwald, Sachsenhausen, Neuengamme, Ravensbrück oder Dachau in den Zehntausenden. Ganz andere Maßstäbe. Natürlich wurden Gefangene dort erschossen oder für medizinische Experimente missbraucht, aber der Hauptzweck der Lager in Deutschland war ein anderer. Es waren Lager zur Zwangsarbeit, ob in den Waffenfabriken oder für Deutsche Unternehmen, die die Wehrmacht beliefert haben.

Die Deutschen nutzten den polnischen Antisemitismus buchstäblich aus. Nach Hitlers Invasion und der Eroberung Warschaus fühlten sich die Juden in der Hauptstadt nicht nur von den Deutschen, sondern auch von den Polen selbst bedroht.

Das Buch des Historikers Valentin Alekseev, herausgegeben von der Gesellschaft „Memorial“, erzählt die Geschichte des Warschauer Ghettos. Er spricht auch über die Situation gegen Ende des Jahres 1939: „Das nationale Unglück brachte Juden und Polen Ende 1939 näher zusammen, aber der Antisemitismus, der eine Weile in den Hintergrund getreten war, begann nach der Niederlage Polens wieder den Kopf zu erheben. Antisemiten halfen den Deutschen, Juden zu fangen, die der Zwangsarbeit zu entgehen versuchten, zeigten deutschen Soldaten und Beamten Wohnungen und Geschäften wohlhabender Juden. Die pflichtbewussten Denunzianten zeigten mit den Fingern auf die Juden, die es trotz des Verbots wagten, in Züge einzusteigen. Die Banditen brachen in die Häuser ein, jagten Juden, die traditionelle Bärte und Kippas trugen, auf der Straße und brachten diese Unglücklichen zu den Deutschen, die unter dem Kichern und Lachen des versammelten Mobs den Juden mit Messern die Haare oft bis ins Fleisch abschnitten.“

Man muss es noch einmal sagen: Nicht alle Polen haben sich so verhalten. Aber das schrieb der polnische jüdische Historiker Emmanuel Ringelblum kurz vor seinem Tod. Sein Versteck wurde den Deutschen übrigens Anfang 1944 von einem polnischen Teenager verraten und Ringelblum wurde erschossen.

„Niemand, niemand wird das polnische Volk für diese ständigen Exzesse und Pogrome an der jüdischen Bevölkerung verantwortlich machen. Die große Mehrheit der Nation und ihre bewusste Arbeiterklasse und die Intelligenz verurteilten zweifellos diese Exzesse und sahen sie als deutsches Instrument zur Schwächung des Zusammenhalts der Gesellschaft. Unser Vorwurf ist jedoch, dass niemand ein Wort des Widerspruches sagte, nicht einmal in Predigten in Kirchen, und dass es keinen Widerstand gegen das antisemitische Tier gab, das mit den Deutschen zusammenarbeitete, dass es keinen wirksamen Widerstand gegen die unaufhörlichen Exzesse gab, so dass nichts den Eindruck abschwächen kann, dass die gesamte polnische Bevölkerung die Antisemiten unterstützte“, schrieb Ringelblum.

In dieser Situation wurden im Herbst 1940 Hunderttausende Juden in einem Ghetto im Norden Warschaus zusammengetrieben. Das Gebiet war von einer Backsteinmauer umgeben. Anfangs lag die Bevölkerung des jüdischen Ghettos bei knapp einer halben Million, mehr als ein Drittel der Bevölkerung von ganz Warschau. Offiziell bekamen die isolierten Juden nur 184 Kilokalorien pro Tag. Nur der Schwarzmarkt und illegale Lieferungen halfen zu überleben.

Ab Januar 1942 wurden Juden aus dem Warschauer Ghetto in Güterwagen nach Treblinka gebracht, um in Gaskammern getötet zu werden. Die Razzien im Ghetto wurden von deutschen Gendarmen geleitet, vor allem aber von lettischen und litauischen SS-Truppen und mit aktiver Unterstützung der polnischen Polizei.

Nicht einmal Kinder wurden verschont. Der berühmte Lehrer Janusz Korczak ging freiwillig mit seinen Schülern ins Lager. In Treblinka wurden Menschen in Gruppen in gemauerte Räume getrieben und Abgase vom Motor eines schweren Panzers hineingepumpt. Nach einer halben Stunde waren alle tot. Danach kam die nächste Gruppe. So funktionierte das Holocaust-Fließband in Polen. Als im Warschauer Ghetto weniger als 30.000 Juden übrig waren, weniger als ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung, brach ein Aufstand aus. Es war im April-Mai 1943. Die Kräfte waren ungleich. Die Rebellen hatten nur Pistolen und improvisierte Sprengsätze. Und ihr Gebiet war mit einer Mauer umgeben. Die Nazis gingen brutal vor, etwa 7.000 wurden erschossen, weitere 6.000 Juden verbrannten in ihren Häusern. Die restlichen 15.000 wurden eingefangen und nach Treblinka gebracht. So endete das Warschauer Ghetto. Das war Ostern.

Und so beschreibt der Historiker Valentin Alekseev diesen Horror in seinem Buch „Das Warschauer Ghetto gibt es nicht mehr“: „Der Beginn der Kämpfe im Ghetto fiel mit Ostern zusammen. Die Nazis, die übrigens eine „große Aktion“ planten, rechneten damit, dass die gläubigen Katholiken an den Feiertagen abgelenkt seien und sich die Ereignisse im Ghetto nicht zu Herzen nehmen würden. Und tatsächlich überschatteten diese Ereignisse den Feiertag nicht. Massen von Schaulustigen versammelten sich in der Nähe der Mauern des Ghettos, um das ausgefallene Spektakel zu beobachten: die brennenden Straßen, verkohlte Leichen, die von Balkonen hingen, lebende Fackeln, die von den Dächern fielen. Die Deutschen vertrieben die Zuschauer nicht und manchmal wiesen diese die Maschinengewehrschützen auf Rebellen hin, die außerhalb der Mauern des Rebellenghettos erschienen. Andere, die nicht wussten, was im Ghetto geschah, feierten in der Nähe ein Straßenfest mit festlichen Karussells.“

Heute erscheinen uns solche Berichte unvorstellbar. Die Europäer versuchen, historisch gut auszuschauen, sie sagen, ihr Totalitarismus sei nicht schuld. Eine extreme Vereinfachung.

Aus Polen berichtet unser Korrespondent.

Das polnische Dorf Jedwane liegt 2 Stunden Fahrt von Warschau entfernt. Im Zentrum steht die Kirche, der Platz ist nach Papst Johannes Paul II. benannt. Gepflegte Bauernhäuser und Gemüsegärten. Die Bevölkerung von Jedwane beträgt weniger als zweitausend Menschen, meist sind es Polen. Das scheint schon ewig so zu sein. Tatsächlich waren vor 80 Jahren die meisten hier Juden und die Siedlung war ein jüdischer Ort.

All dies geriet schnell in Vergessenheit, aber hier fand einer der blutigsten Pogrome in der Geschichte Polens statt. Am 10. Juli 1941 wurden hier mehr als anderthalbtausend Juden getötet.

An der Stelle, an der sich die Tragödie ereignete, wurde ein Denkmal errichtet. Es zeigt verkohlte Bretter als Symbol für eine schreckliche Erinnerung an den Schuppen, in dem Hunderte von Menschen bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Jahrzehntelang glaubte man, das Massaker sei von den deutschen Soldaten verübt worden, doch dann wurde bekannt: Der Massenmord an Juden im polnischen Dorf Jedwane war das Werk der Polen selbst.

Der Princeton-Professor Jan Tomasz Gross führte eine Untersuchung durch und schrieb ein Buch mit dem Titel „Nachbarn“, in dem er den gesamten Verlauf der Zusammenarbeit der Polen mit den Deutschen dokumentierte.

„Am Morgen des 10. Juli 1941 kamen acht Personen von der Gestapo, um sich mit den örtlichen Behörden zu treffen. Als die Gestapo sie fragte, was sie mit den Juden machen würden, antworteten sie einstimmig, dass alle Juden getötet werden sollten. Als die Deutschen vorschlugen, eine jüdische Familie aus jedem Beruf am Leben zu lassen, antwortete der örtliche Zimmermann Bronislaw Schlesinski, der bei dem Treffen anwesend war: Wir haben genug eigene Meister, wir müssen alle Juden vernichten, niemand darf am Leben bleiben. Bürgermeister Karolak und alle anderen stimmten seinen Worten zu. Zu diesem Zweck stellte Schlesinski seinen Schuppen zur Verfügung, der in der Nähe stand. Nach diesem Treffen begann das Blutbad“, heißt es in dem Buch.

Wie Gross schreibt, drückten die Polen in Jedwane den Juden die Augen aus und schnitten ihnen die Zungen ab, schlugen ihnen mit Äxten die Köpfe ab und prügelten sie mit Stöcken mit Nägeln zu Tode. Weder alte Männer noch Kinder wurden verschont, so dass die Mütter selbst ihre Babys im Teich ertränkten, damit sie nicht in die Hände der Schlächter fielen. Für diese Ereignisse bat Präsident Kwasniewski offiziell um Verzeihung, obwohl er dafür keine breite Unterstützung in der polnischen Gesellschaft fand.

In Jedwane gibt es die bis heute nicht.

„Das war ein Befehl der Deutschen, die Polen waren gezwungen, ihn auszuführen. Es stimmt nicht, dass die Bewohner von Jedwane das selbst getan haben. Ich hatte sogar einmal Probleme an der schwedischen Grenze. Der Grenzbeamte nahm meinen Pass und sah, dass ich aus Jedwane komme und sagte: Wie viele Juden hast du getötet? Ich sagte ihm unhöflich: „Da muss ich erst zählen.“ Und er: Soll ich dich sofort wieder nach Hause schicken? So etwas ist mir passiert“, sagte ein Anwohner.

In den 1930er Jahren lebten in den Gebieten, die Polen durch den Versailler Vertrag bekommen hatte, Millionen von Juden, die Warschau gerne loswerden wollte. Die Idee war, die Juden an einen Ort zu schicken, von dem sie nie zurückkehren würden. Zum Beispiel nach Afrika. Polen fand im Dritten Reich Verständnis für die Idee. Deshalb versprach der polnische Botschafter in Berlin, Jozef Lipsky, dem Führer ein „schönes Denkmal“ zu bauen.

„Wir wissen, dass Hitler nicht sofort auf die Idee einer endgültigen Lösung der Judenfrage gekommen ist. Aber solche, wie Polens Botschafter in Deutschland, Lipski, gab es viele in der Führung Polens und in den meisten polnischen Kreisen waren solche Ideen weit verbreitet und sie drängten Hitler allmählich zu der Idee einer endgültigen Lösung der Judenfrage. Als Hitler darüber nachdachte, wie man die Juden in Europa loswerden könnte, sagten die europäischen Länder: Wir bewundern Ihren Umgang mit Juden. Das bestärkte den Kriminellen sicherlich in seinem Verbrechen“, sagte Alexander Boroda, Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in Russland.

Mit Kriegsbeginn errichteten die Nazis Todeslager in Polen: Auschwitz, Treblinka, Maidanek, Chelmno, Belzec, Sobibor. Millionen ermordeter und brutal gefolterter Juden, Zigeuner, Russen und Polen selbst, was viele der lokalen polnischen Bevölkerung nicht daran hinderte, mit den Henkern zusammenzuarbeiten.

„Die Polen brachten die Kinder in diese Konzentrationslager, wie mir Henry Guberman, ein alter Jude in New York, erzählte. Ich erinnere mich sehr gut an ihn. Er wurde von russischen Soldaten gerettet, aber die Polen hatten ihn ins Lager gebracht und sich gefreut, dass andere mit den Juden in Polen Schluss machten“, sagte Dr. Natalia Narochnitskaya, Präsidentin der Stiftung für historische Perspektiven.

Es gab auch heldenhafte Polen, die die Juden retteten. Mitglieder der „Jegota“-Bewegung, der Codename des Untergrundrates für die Unterstützung von Juden, schützten sie in sicheren Häusern, versorgten sie mit gefälschten Dokumenten und brachten Kinder in Pflegefamilien unter. Aber die Zahl der Geretteten ist natürlich viel geringer als die, die in den sicheren Tod geschickt wurden. In Polen gab es viele, die sich an dem unmenschlichen Leid bereichert haben.

„Es gab massenhaft Jagd auf Juden und es gab dafür sogar einen Begriff „Schmalzniks“. Das heißt, den Schmalz, also das Geld, von diesen Flüchtigen, von diesen verzweifelten Menschen zu einzusammeln. Sie wurden ausgeraubt, getötet, den Deutschen übergeben und ihr Eigentum gestohlen. Für die Auslieferung von Juden wurden festgelegte Belohnungen ausgeschrieben, die die Deutschen bereitwillig bezahlten“, bemerkte der Historiker Aron Schneier.

Das Thema ist für die polnische Regierung so unangenehm, dass im vergangenen Jahr ein Gesetz verabschiedet wurde. Es drohte jedem eine Haftstrafe an, der Polen der Beteiligung an den Verbrechen des Nationalsozialismus beschuldigt. Es drohten bis zu drei Jahre Haft. Nach einer Welle von Protesten, vor allem durch Israel, wurde die Haftstrafe wieder abgeschafft, jetzt ist es eine Ordnungswidrigkeit. Aber das Gesetz tut seine Wirkung.

„Forscher können jetzt vor Gerichte gezogen werden und Gott weiß, wie viel sie für ihre Verteidigung ausgeben müssen, nur um nach der Wahrheit zu suchen. Nicht jeder Jude in Polen wurde von den Nazis getötet, es wurden auch viele von Polen getötet. Das ist eine Tatsache, die man unmöglich leugnen kann. Es gab viele Fälle, in denen Polen Juden der Gestapo übergeben haben: zwischen 130.000 und 200.000 wurden nicht von den Deutschen getötet oder den Deutschen von Polen zur Ermordung übergeben“, sagte Ephraim Suroff, Leiter des Jerusalemer Zweigs des Simon Wiesenthal Zentrums.

Im Juli 1944 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Maidanek. Im Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten Warschau und Auschwitz. Im Mai 1945 folgte der Sieg. Aber auch nach der Niederlage des Faschismus war die Gefahr für Juden in Polen nicht zu Ende.

„Der einzige Land auf der Welt, wo es nach dem Krieg noch anti-jüdische Pogrome gab, ist Polen. Als die Juden, die auf wundersame Weise überlebt hatten, in ihre Häuser zurückkehren wollten, lebten dort Polen, die sie töteten . Das sind Dinge, die geschehen sind.“, sagte Alexander Boroda.

Im August 1945 gab es ein anti-jüdisches Pogrom in Krakau. Es wurde durch Gerüchte provoziert, dass Juden katholische Kinder für rituelle Tötungen entführten. Im Juli 1946 gab es ein Pogrom in einer anderen polnischen Stadt, in Kielce (wo Moczar Polizeipräsident war, hf). Wegen des gleichen Gerüchtes. Es gab aber auch andere Gründe.

„Etwa 1.500 Juden wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Polen getötet. Es ging um ihr Eigentum. Die Menschen waren in ihre Häuser gezogen und waren überhaupt nicht glücklich, Juden zu sehen, die den Holocaust überlebt hatten und in ihre Häuser zurückkehren wollten. Ihnen wurde oft gesagt: Schade, dass Hitler dich nicht getötet hat“, sagte Ephraim Suroff.

Und in den 60er Jahren gab es in Polen noch eine Massenvertreibung. Die einst größte jüdische Gemeinde in Europa, die polnische, hat sich nie wieder erholt. Anstatt drei Millionen leben heute nur noch 30.000 Juden in Polen.

Ende der Übersetzung


Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Auch über Putins Sicht auf den Zweiten Weltkrieg gibt es in dem Buch ein Kapitel.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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