Angriffsübung & nix „DEFENDER“!

Angriffsübung
Seit Ende Januar und noch bis Mai ist Deutschland einer der zentralen Schauplätze und Akteure bei „Defender 2020“, dem größten US-Manöver seit 25 Jahren. Deutschland ist dabei im doppelten Sinne Täter: als logistischer Knotenpunkt für die „Durchreise“ von Soldaten gen Osten und bei der Aufstellung von Großverbänden, die im NATO-Rahmen im Falle eines Krieges mit Russland zum Einsatz kommen würden. Denn dass sich „Defender 2020“ gegen Russland richtet, wird teils auch ganz freimütig eingestanden, wenn zum Beispiel Christian Mölling von der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ zum Besten gibt: „Es ist eine Demonstration der Stärke. Das Signal ist: Die Nato ist in der Lage, einen Krieg zu führen – man sollte sich also besser nicht mit ihr anlegen. Damit will man Russland klar machen, dass es keinen Sinn macht zu versuchen, politische Ziele mit militärischen Mitteln durchzusetzen.“  

Russland: Neuer alter Feind

In den USA rückte spätestens mit der Ende 2017 veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie und der Nationalen Verteidigungsstrategie des folgenden Jahres die Vorbereitung auf Auseinandersetzungen mit China und Russland ins Zentrum der Pentagon-Planungen. In diesem Zusammenhang ist auch das aktuelle Großmanöver zu sehen, was auch aus dem Defender-2020-Factsheet der US-Armee klar hervorgeht, das explizit Bezug auf die Nationale Verteidigungsstrategie nimmt: „In Zukunft muss das US-Militär in der Lage sein, gegen einen annähernd gleichstarken Gegner verlege- und kampffähig zu sein, um in einem mehrere Ebenen umfassenden hochintensiven Konflikt klar zu gewinnen. Defender Europe 2020 baut auf strategischer Schnelligkeit auf und operationalisiert die Ziele der Nationalen Verteidigungsstrategie wie auch die der NATO-Abschreckung, indem die Fähigkeit des US-Militärs demonstriert wird, schnell eine große kampffähige Truppe zusammen mit Verbündeten und Partnern zu verlegen, um rasch auf eine Krise zu reagieren.“   Die gegenwärtigen Planungen von USA und NATO bauen auf einem Planspiel der RAND Corporation aus dem Jahr 2016 auf. Es kam zu dem Ergebnis, Russland sei in der Lage, die baltischen Staaten innerhalb kurzer Zeit zu erobern. Tunlichst vermieden wurde dabei die Frage, weshalb Moskau sich hierzu hinreißen lassen sollte, dennoch dienten die RAND-Ergebnisse als Rechtfertigung für die im selben Jahr beschlossene Stationierung der „Enhanced Forward Presence“ – also von vier NATO-Bataillonen à 1.000 Soldaten in den baltischen Staaten und Polen.   In den Vorstellungen der westlichen Militärs sind diese Truppen nicht dazu gedacht, eine ernsthaft angreifende russische Armee besiegen zu können. Sie sollen sie aber im Ernstfall solange aufhalten können, bis Verstärkung vor Ort ist – aus diesem Grund wird dem Verlegetempo entscheidende Bedeutung beigemessen. Als erste Verstärkungswelle ist die bereits 2014 beschlossene, eine Landkomponente von 5.000 Soldaten umfassende Ultraschnelle NATO-Eingreiftruppe (VJTF) vorgesehen.   Als Zeithorizont für eine VJTF-Verlegung gibt die Bundeswehr an: „Die als NATO-Speerspitze bekannte Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) ist Teil der NATO Response Force. Die Anforderung: innerhalb von 48 bis 72 Stunden einsatzbereit an jedem Ort zu sein, wo die Truppe jeweils benötigt wird.“ Ab Tag fünf soll dann mit der Verlegung der restlichen, insgesamt 40.000 Soldaten umfassenden „NATO Response Force“ begonnen werden. Und spätestens ab Tag 30 nach Beschluss sollen dann auch die zusätzlichen Truppen der im Juli 2018 beschlossenen und seit 1. Januar 2020 aktivierten NATO-Bereitschaftsinitiative („Nato Readiness Initiative“, NRI) mit 30.000 weiteren Soldaten im Krisengebiet präsent sein. Summa summarum basieren die NATO-Planungen also darauf, dass es zwingend erforderlich ist, innerhalb von 30 Tagen ein Streitkräftedispositiv von etwa 70.000 Soldaten an die Grenze zu Russland verlegen zu können.   Deutschland steht hier stramm an der Seite des US-Verbündeten und steuert sowohl logistisch als auch personell einen erheblichen Teil bei.  

Deutsche Rolle: Großverbände und logistische Drehscheibe

Am 20. Juli 2018 wurde die Konzeption der Bundeswehr veröffentlicht, mit der die Aufstellung von Großverbänden gegen Russland zur obersten Priorität erklärt wurde – bei gleichzeitiger Beibehaltung der Fähigkeit von Militärinterventionen im Globalen Süden: „Die Bundeswehr muss (…) in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden.“   Eine Feinausplanung, wie sich diese Ambitionen direkt in den Strukturen der Bundeswehr abbilden sollen, lieferte dann das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr vom 3. September 2018. Im Wesentlichen soll der Umbau der Bundeswehr in drei Schritten erfolgen: 2023 soll ein VJTF-Brigadeäquivalent im besagten Umfang von etwa 5.000 Soldaten mit voller Bewaffnung in die NATO eingebracht werden können. Der zweite Schritt soll dann 2027 folgen, da will die Bundeswehr dann eine Division (zwischen 15.000 und 20.000 Soldaten) beisteuern. Das Ende des im Fähigkeitsprofil beschriebenen Planungshorizontes ist schließlich 2032 erreicht: Mit drei Divisionen (Heer), vier gemischten Einsatzverbände (Luftwaffe), 25 Kampfschiffen (davon elf Fregatten) und 8 U-Booten (Marine) sowie Kapazitäten zur Erlangung der Hoheit im Informationsraum (Cyber) will die Bundeswehr dann für einen Krieg mit Russland gerüstet sein.   Doch nicht nur als Truppensteller, auch als Logistikknoten will sich Deutschland den USA und der NATO andienen. Schon in der Konzeption der Bundeswehr hieß es dazu: „Die Rolle Deutschlands als mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung stellt Anforderungen an den Nationalen Territorialen Befehlshaber (NatTerrBefh), die insbesondere im Hinblick auf Reaktionsfähigkeit, Führungsorganisation, Abstimmung mit und Unterstützung durch Dritte, Resilienz des Gesamtsystems sowie die Kräfte für den Heimatschutz einschließlich der territorialen Reserve zu erfüllen sind.“   Wesentlich zur „Verbesserung“ der schnellen Verlegefähigkeit beitragen soll dabei nicht zuletzt das 2018 beschlossene und in Ulm beheimatete NATO-Logistikkommando (Joint Support and Enabling Command, JSEC), das sich aktuell im Aufbau befindet, aber bereits in „Defender 2020“ eingebunden sein wird.  

Kosten – Routen – Ruheplätze

Was die schnelle Verlegefähigkeit anbelangt, wurden wiederholt eklatante Defizite beklagt, die im Rahmen von Defender 2020 adressiert werden sollen. Im Rahmen der Übung soll eine US-Division (20.000 Soldaten) von den USA bis an die Grenze Russlands verlegt werden. Bereits Ende Januar 2020 landeten die ersten US-Schiffe in belgischen, niederländischen, französischen und auch deutschen Häfen an, wobei sich die meisten Aktivitäten hierzulande auf die Monate April und Mai konzentrieren werden.   Insgesamt wird von 37.000 beteiligten Soldaten ausgegangen, wobei vermutlich noch einmal 7.000 US-Nationalgardisten hinzuzurechnen sind, die in diesen Zahlen wohl nicht enthalten sind. In jedem Fall soll dabei mit 33.000 Stück Material im Gepäck etwa 4.000 Kilometer quer durch Europa manövriert werden. Eine erste Kostenschätzung der militärnahen Internetseite „Breakingdefense“ geht unter Berufung auf US-Offizielle von 340 Millionen Dollar aus – dies bezieht sich allerdings allein auf den US-Anteil.   Denn bei „Defender 2020“ handelt es sich zunächst einmal um ein reines US-Manöver, weshalb hier noch die (bislang unbekannten) Kosten für die angegliederten „NATO-Beimanöver“ hinzuzurechnen wären: Astral Knight; Allied Spirit XI; Dynamic Front; Joint Warfighting Assessment; Saber Strike; Swift Response; Trojan Footprint; Combined Defender. Da die US Army angibt, es wären zusätzlich auch 9.000 in Europa stationierte US-Soldaten involviert, ergibt sich daraus, dass andere Verbündete die restlichen 8.000 Militärs über diese ergänzenden Manöver beisteuern (sofern die plausible Annahme zutrifft, dass die Nationalgardisten in den Gesamtangaben tatsächlich nicht mitgerechnet werden), eine Zahl, die auch in einem Artikel bei „Stars & Stripes“ (22.1.2010) auftaucht.   Die durch Deutschland führenden Routen finden sich in einem an die Mitglieder des Verteidigungsausschusses versandten Schreiben aus dem Verteidigungsministerium (BMVg) vom 13. Januar 2020. Zu den Häfen, an denen Gerät und/oder Soldaten anlanden, zählen Bremerhaven, Bremen, Duisburg, Krefeld und Mannheim. Als Flughäfen werden sich Berlin, Bremen, Hamburg, Frankfurt, München, Nürnberg, Ramstein und Bremen verdingen.   Von besonderem Interesse sind die geplanten Straßenrouten – als „Hauptstrecken“ nennt das BMVg-Schreiben vom 13. Januar 2020 (etwas abweichend zu vorherigen Informationen) „von Venlo und Aachen über Dortmund – Hannover – Berlin – Frankfurt/O“ sowie „Bremerhaven – Hamburg – Berlin – Stettin“. Außerdem dabei sind die Strecken „Mannheim – Hannover“ und „Mannheim – Nürnberg – Dresden – Görlitz“.   Geschlafen wird laut BMVg in den „Rasträumen“ Rheindalen, Augustdorf, Burg Lehnin, Oberlausitz, Garlstedt, Stadtallendorf und Frankenberg (in der „Rhein-Neckar-Zeitung“, 28.1.2020) ist zusätzlich auch die Rede von den Coleman Baracks in Mannheim), während „Convoy Support Center“ in Garlstedt, Burg und Oberlausitz sowie eine im Zuge des Manövers aufzubauende Tankanlage in Bergen Logistikunterstützung bieten sollen.   Gefahren werden soll vor allem nachts, wobei – mutmaßlich, weil auch die Bundeswehr Proteste erwartet – die Planungen unter Änderungsvorbehalt stehen: „Es kann – kurzfristig – zu Änderungen kommen“, schreibt das Verteidigungsministerium.  
Transitland – Truppensteller – Logistiker

Aus einem anderen Schreiben der Bundesregierung geht hervor, dass auch das Ulmer JSEC in das US-Manöver involviert sein wird: „Auch das sich in Ulm im Aufbau befindliche Joint Support and Enabling Command (JSEC) der NATO durch die Übung Combined Defender (CODE) eingebunden.“   Zur konkreten Rolle des JSEC als eine Art Generallogistiker bei Defender 2020 heißt es in der Januar-Ausgabe der „Europäischen Sicherheit und Technik“: „Das JSEC ist eine Art NATO-Streitkräftebasis. Es legt die genauen Märsche durch die Nationen fest, regelt die Grenzübertritte und sorgt für eine realistische Planung. Es bestimmt aufgrund der Angaben der US-Streitkräfte, wann diese wo welche Grenze überschreiten. Die nationalen Kräfte, in Deutschland die Streitkräftebasis, organisieren dann die Unterstützung im jeweiligen Land.“   Was die Gesamtzahl involvierter deutscher Soldaten anbelangt, wird in einem von der Bundeswehr geschnürten „Informationspaket“ angegeben, an den NATO-Manövern seien „bis zu 4.000 Soldaten der Bundeswehr“ beteiligt. Hinzu kämen allerdings noch die Soldaten der Streitkräftebasis: in „Spitzenzeiten“ seien „bis zu 1.500 Soldatinnen und Soldaten in Form von Unterstützungsleistungen“ eingebunden.   Die Kräfte der Streitkräftebasis sind unter anderem für den sogenannten „Host Nation Support“ (HNS) und damit die Unterstützung der US-Truppen innerhalb Deutschlands zuständig. Die diesbezüglichen Kernaufgaben beschreibt die Bundeswehr wie folgt: „Host Nation Support ist die Unterstützung ausländischer Streitkräfte in Deutschland. Das geht beispielsweise von der Planung und Genehmigung von Durchfahrten über deutsche Straßen oder Gewässer bis hin zum Bereitstellen von Unterkünften oder Betankungsmöglichkeiten an unseren Standorten. Wenn Unterstützung gefragt ist, beauftragt das Bundesministerium der Verteidigung hiermit die Streitkräftebasis.“   Folgerichtig nennt die Bundeswehr folgende Wohltaten, die sie den US-Truppen im Rahmen ihres Manövers angedeihen lassen möchte: „Absicherung und Begleitung“, „Routenplanung“, „Betankung“, „Unterkünfte“, „Verpflegung“ und „IT-Anbindung“.  

Gefährliches Säbelrasseln

Nicht zuletzt angesichts einer mit über 1.000 Mrd. Dollar im Jahr 2019 gegenüber Russlands Militärhaushalt von etwa 60 Mrd. Dollar völlig hochgerüsteten NATO handelt es sich bei „Defender 2020“ um nichts anderes als ein gefährliches Säbelrasseln.   Der ehemalige US-Marineinfanterist Scott Ritter, der sich schon als UN-Waffeninspekteur kritisch im Vorfeld des US-Angriffs auf den Irak äußerte, meldete sich mit Blick auf das Manöver folgendermaßen zu Wort: „Die bevorstehende Militärübung ‚US Defender Europe 2020‘ unter der Führung der USA soll ‚durch Abschreckung‘ angeblich den Frieden sichern. Sie verringert jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit Russland auf europäischem Boden nicht, sondern erhöht sie nur. (…) Diese Übung mit dem Codenamen US Defender Europe 2020 stellt den Höhepunkt der mehr als sechsjährigen Arbeit des US-Militärs zum Wiederaufbau seiner Fähigkeit zu Bodenoffensiven in Europa dar, die mit dem Abzug der letzten schweren Waffen der US-Streitkräfte im Jahr 2013 verloren ging. (…) Ein großer Bodenkrieg in Europa wurde im russischen Militärdenken nicht mehr berücksichtigt. Dies änderte sich jedoch, als die NATO mit dem Ausbau ihrer Streitkräfte in Polen und im Baltikum begann. Russland reaktivierte die 1. Gardepanzerarmee und die 20. Gardearmee und schuf damit einen mächtigen Offensivmechanismus, der darauf ausgerichtet war, alle möglichen aggressiven Vorstöße der NATO in den Westen Russlands zu vereiteln. Die russischen Streitkräfte in der Exklave Kaliningrad wurden ebenfalls verstärkt.“   Dennoch soll das Großmanöver künftig regelmäßig abgehalten werden – es steht deshalb zu hoffen, dass es der Friedensbewegung mit ihren Protesten gelingt, ein deutliches Zeichen gegen diesen martialischen Aufmarsch zu setzen.  

Jürgen Wagner, der Autor, ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI)  

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Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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