CORONA-Briefe 6: Die gelbe Gefahr

Die neuen globalen Gesundheitsmächte

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Berlin und Brüssel werfen China wegen seiner Covid-19-Hilfen einen „Kampf um Einfluss“ mit einer „Politik der Großzügigkeit“ vor.

BERLIN (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung und die EU-Kommission bringen sich gegen chinesische Hilfsaktionen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie in Stellung. Mit Blick darauf, dass beispielsweise Italien systematisch Unterstützung aus Beijing bekommt, nachdem die EU ihm Hilfen verweigert hat, heißt es im Bundesverteidigungsministerium, es stünden „kontroverse Debatten zum Umgang mit … China“ bevor. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell diagnostiziert eine „globale Schlacht der Narrative“: Beijing führe einen „Kampf um Einfluss“ mit einer „Politik der Großzügigkeit“; dem müsse die Union nun entgegentreten. Hintergrund ist, dass China, seit es ihm gelungen ist, das Covid-19-Virus einzudämmen, einer wachsenden Zahl an Staaten weltweit zur Seite springt, während die Mächte des Westens, die traditionell mit Hilfsleistungen ihren globalen Einfluss zementiert haben, das Virus nicht unter Kontrolle bekommen und teils selbst von Hilfe abhängig werden. Experten prognostizieren für die Zeit nach dem Ende der Pandemie „eine veränderte Weltordnung“ mit den Ländern Ostasiens als „neue globale Gesundheitsmächte“.

Chinas Hilfsaktionen

China baut seine internationalen Hilfsaktionen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie immer weiter aus. Nach einer Reihe von Lieferungen medizinischer Schutzausrüstung unter anderem nach Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland und in weitere europäische Länder ist am Mittwoch das inzwischen dritte chinesische Ärzteteam zu einem Hilfseinsatz nach Italien aufgebrochen. Darüber hinaus unterstützt Beijing nicht nur Iran und den Irak, sondern inzwischen auch die Länder Afrikas. Zum einen geben chinesische Mediziner in Videokonferenzen systematisch ihre Kenntnisse und Erfahrungen an Kollegen aus afrikanischen Staaten weiter; zum anderen sind erste Hilfslieferungen auf dem afrikanischen Kontinent eingetroffen. Am Sonntag etwa kamen in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba mehr als 100 Tonnen Hilfsgüter für die Afrikanische Union (AU) an, darunter 1,5 Millionen Testkits. Jeder der insgesamt 55 AU-Mitgliedstaaten soll daraus 20.000 Testkits, 100.000 Schutzmasken, 1.000 Schutzanzüge und weitere Materialien erhalten. Die Ausrüstung werde, hieß es, mit Hilfe von Ethiopian Airlines auf dem gesamten Kontinent verteilt. Auf chinesischer Seite wird die Aktion von der Jack Ma Foundation und der Alibaba Foundation durchgeführt.[1]

Erstmals keine US-Führung

Über die chinesischen Hilfslieferungen ist inzwischen im Westen eine heftige Debatte entbrannt – insbesondere, da die Mächte Westeuropas und Nordamerikas mangels Vorbeugung sogar tiefer in die Krise geraten sind als China und, völlig anders als gewohnt, teils selbst Hilfe benötigen. Noch vor wenigen Jahren hätten den weltweiten Kampf gegen die Ebola-Epidemie die Vereinigten Staaten angeführt, rief in der vergangenen Woche Rush Doshi, ein Experte der Washingtoner Brookings Institution, in Erinnerung. Jetzt hingegen erlebe man „die erste große globale Krise seit Jahrzehnten ohne aussagekräftige US-Führung und mit bedeutender chinesischer Führung“.[2] In Europa stößt besonders auf, dass die EU, die sich stets ihrer angeblichen „Solidarität“ brüstet, bis heute nicht einmal den am schwersten betroffenen Ländern – insbesondere Italien und Spanien – Unterstützung zukommen lässt. „Wir merken uns das“, schrieb erst kürzlich der stellvertretende Chefredakteur der traditionell loyal EU-orientierten italienischen Tageszeitung La Repubblica.[3] Italien erhält inzwischen Unterstützung vor allem aus China, aber auch aus Russland und Kuba.

„Nur bedingt verlässlich“

Die Entwicklung wird in Berlin mit Sorge registriert. „Italiens Zuwendung zu China und Russland erfolgt auch, da sich die EU und deren Mitgliedstaaten aus italienischer Sicht als nur bedingt verlässlich … zeigen“, heißt es in einem Lagebericht des Bundesverteidigungsministeriums: Man könne einen „zunehmenden Einfluss der Gesundheitsversorgung und -politik“ konstatieren.[4] Die Bundesregierung sucht gegenzusteuern, hat inzwischen eine Hilfslieferung nach Italien auf den Weg gebracht und eine kleinere Zahl an Betten auf Intensivstationen deutscher Krankenhäuser für Covid-19-Patienten aus den am schwersten betroffenen Regionen Frankreichs und Italiens zur Verfügung gestellt. Mit Blick auf Beijings Hilfsaktivitäten in Afrika verlangt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller neue Maßnahmen, um die Covid-19-Pandemie auch in „Entwicklungsländern einzudämmen und zu bekämpfen“ [5]; darüber hinaus berichtet Außenminister Heiko Maas, die G7-Außenminister seien sich einig, man solle „Unterstützung für die gegen den Virus am schlechtesten gewappneten Länder der Welt“ leisten [6]. Konkrete Maßnahmen, die mit denjenigen Chinas auch nur annähernd mithalten könnten, sind freilich nirgendwo in Sicht.

„Eine veränderte Weltordnung“

Experten sagen mit Blick auf die Pandemie mittlerweile ernstzunehmende Machtverschiebungen voraus. „China und andere asiatische Länder“, etwa Südkorea und Singapur, hätten „einen Weg gefunden, das Virus einzudämmen und jeden neuen Ausbruch zu kontrollieren“, konstatiert der Politikwissenschaftler Maximilian Mayer von der University of Nottingham Ningbo China, die von der britischen University of Nottingham gemeinsam mit chinesischen Stellen betrieben wird.[7] In Europa sei das Covid-19-Virus „quasi als Naturgewalt kommuniziert“ worden, „die wir nur noch abmildern können“. In Asien hingegen, so berichtet Mayer, „hat man von Anfang an gesagt: ‚Wir stoppen das aktiv!'“ Nach dem Ende der Pandemie werde es „eine veränderte Weltordnung“ geben – „und innerhalb dieser Ordnung könnte man die ostasiatischen Länder als die neuen globalen Gesundheitsmächte bezeichnen“, urteilt Mayer: „Schon jetzt bietet China europäischen Ländern die eigene Expertise an. Daran zeigt sich, wie sich die internationale Ordnung verändert.“

„Schlacht der Narrative“

In Ermangelung der Fähigkeit, auf dem Feld der Hilfsleistungen im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie mit Beijing gleichzuziehen, setzen Berlin und die EU-Kommission jetzt auf politischen Druck und ideologische Kampagnen. In nächster Zeit sei in der EU wie auch in der NATO mit „kontroversen Debatten zum Umgang mit Russland und China“ zu rechnen, heißt es mit Blick auf Italien und andere europäische Empfänger chinesischer – und russischer – Hilfe drohend in dem erwähnten Lagebericht des Bundesverteidigungsministeriums.[8] Eine weitere Kampfansage kam zu Wochenbeginn aus Brüssel. In einer Stellungnahme erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell: „Covid-19 wird unsere Welt neu formen.“[9] Zwar müsse die EU noch beweisen, „dass Solidarität keine hohle Phrase ist“, sowie im Kampf gegen die Pandemie „mit Partnern auf der ganzen Welt“ kooperieren. Doch sei zugleich „eine globale Schlacht der Narrative“ im Gang: „China verbreitet aggressiv die Botschaft, dass es – anders als die USA – ein verantwortungsvoller und zuverlässiger Partner ist.“ Dem „Kampf um Einfluss“ durch eine „Politik der Großzügigkeit“ müsse man entgegentreten.

„Fake News“

Die EU tut dies unter anderem, indem sie ihre East StratCom Task Force gegen China in Stellung bringt. Die East StratCom Task Force wurde seit 2015 aufgebaut, um tatsächliche oder angebliche Desinformationskampagnen aufzuspüren und offenzulegen. In den vergangenen Jahren war dabei gewöhnlich von „Pro-Kreml-Propaganda“ die Rede (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Jetzt nimmt die East StratCom Task Force auch die Volksrepublik ins Visier. In einem aktuellen „Special Report“ listet die Einrichtung angeblich „falsche Narrative“ im Zusammenhang mit dem Covid-19-Virus auf. Als „Fake News“ werden dabei auch folgende Aussagen klassifiziert: „Die EU ist nicht bereit, ihren Mitgliedstaaten dringende Hilfe zu leisten – stattdessen müssen sie sich auf äußere Hilfe verlassen“, etwa aus China; und: „China kommt der EU zu Hilfe, während Brüssel die EU-Mitgliedstaaten im Stich lässt.“[11] Erste Berichte in Leitmedien greifen die beiden Aussagen inzwischen als Beispiele für angebliche „Fake News“ auf.[12]

Mehr zum Thema: Annahme verweigert.

[1] Edith Mutethya: Africa’s fight against COVID-19 receives major boost with Alibaba’s donation. chinadaily.com.cn 24.03.2020.

[2] Steven Lee Myers, Alissa J. Rubin: Its Coronavirus Cases Dwindling, China Turns Focus Outward. nytimes.com 18.03.2020.

[3] Lässt Europa Italien im Stich? Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.03.2020. S. auch Die Solidarität der EU und Die Solidarität der EU (II).

[4] Alexander Sarovic: Europa verliert den Kampf der Bilder. spiegel.de 25.03.2020.

[5] Tobias Heimbach: Wehe, wenn Corona die ärmsten Länder erreicht – Entwicklungsminister Müller sieht die Welt in der größten Krise seit Jahrzehnten. businessinsider.de 25.03.2020.

[6] Außenminister Maas nach dem virtuellen Treffen der G7-Außenminister. Pressemitteilung des Auswärtigen Amts. Berlin, 25.03.2020.

[7] Judith Görs: „Wir befinden uns im Propagandakrieg“. n-tv.de 19.03.2020.

[8] Alexander Sarovic: Europa verliert den Kampf der Bilder. spiegel.de 25.03.2020.

[9] The Coronavirus pandemic and the new world it is creating. eeas.europa.eu 23.03.2020.

[10] S. dazu Kalter Medienkrieg.

[11] EEAS Special Report: Disinformation on the coronavirus – short assessment of the information environment. euvsdisinfo.eu 19.03.2020.

[12] Thomas Gutschker, Friederike Böge: Globale Schlacht der Narrative. Frankfurter Allgemeine Zeitung 26.03.2020.

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

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