mitten in den Vorbereitungen zum Weihnachtsstreik bei amazon in Europa.
Christian Krählings Tod an seinem 43. Geburtstag kam für amazon wie bestellt: der diesjährige Weihnachtsboom sollte corona-Lockdown-verstärkt der Boom aller Boome werden. Da kommt eine „Decapitation“ der Streikbewegung -gleichgültig ob mit oder ohne Pinkerton- sehr gelegen. Ob und in welcher Bezzos-Etage Champagner- oder in Sub-Unternehmen Sekt-Korken knallten, ist unklar.
Klar ist aber, dass alle „Decapitation“-Kalkulatoren die Rechnung ohne die dadurch aufgeweckten bisherigen Schläfer machen. Tote Helden haben eine unheimlich langandauernde Kraft. Besonders jene, deren Lieder man über Hunderte von Jahren noch unheimlich singt. Und das gemeine Volk hat ein unheimlich gut verstecktes Gedächtnis, das in Notzeiten mobilisierbar ist:
Joe Hill
Im Traum hab ich Joe Hill gesehn
so wie ich euch jetzt seh
Ich sage: “Joe, du bist doch tot!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
“Zehn Jahre warns, in Salt Lake, Joe,
da standst du vor Gericht.
Nen Mord ham sie die angehängt,
Gott weiß, du warst es nicht!
Gott weiß, du warst es nicht!
Die Kupferbosse haben, Joe,
dich selber umgebracht
aus Angst vor dir, aus Angst vor uns,
aus Angst um ihre Macht!
Aus Angst um ihre Macht!”
“Der Kugelhagel traf nicht mich,
sie ham es nicht geschafft,
sie trafen meinen Körper nur,
sie trafen nicht die Kraft!
Sie trafen nicht die Kraft!
Die Kraft lebt weiter, hält im Streik
mit Macht die Räder still,
deshalb, wo die Gewerkschaft kämpft,
da findest du Joe Hill!
Da findest du Joe Hill!”
Von San Diego bis nach Maine,
in Bergwerk und Fabrik,
wo Arbeiter nach vorne gehn,
da kommt Joe Hill zurück!
Da kommt Joe Hill zurück!
Wo Arbeiter für Lohn und Recht
den Kampf organisiern,
da ist Joe Hill, du hörst sein Lied
und siehst ihn mitmarschiern!
Und siehst ihn mitmarschiern!
Im Traum hab ich Joe Hill gesehn,
so wie ich euch jetzt seh,
Ich sage: “Joe, du bist doch tot!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
Joe sagt: “Ich sterbe nie!”
Am 19. November 1915 wurde Joseph Hillström -wegen eines angeblichen Mordes verurteilt- hingerichtet. So hatten die US-Behörden den ihnen unbequemen Gewerkschaftsführer und Liedermacher ausgeschaltet, der bei den Arbeitern als Joe Hill bekannt war.
Quelle: http://www.barth-engelbart.de/?p=224869
Ach, Christian, sie hatten Dich doch schon vor Jahren für tot erklärt zusammen mit dem Arbeiter-Lied, der Arbeiterklasse, der Arbeiterbewegung … und da stehst Du auf und singst -gegen päpstliche Bann-Bullen, Buffet-Soros-Gates-Bezzos-Zuckermann-Musk & Cie – : „Und sie bewegt sich doch!“
Trauerrede für Christian Krähling
(10.12.1977 bis 10.12.2020)
– gehalten am 29.12.2020, Friedhof Molkenpfad, 34582 Borken
Die Stärksten kämpfen ein Leben lang
Von Ernesto Schwarz
Liebe Frau C. K., liebe J., liebe C., lieber M., liebe I., liebe Angehörige, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen von Christian, sehr geehrte Trauergäste! Wir trauern um Christian Krähling. Die Familie trauert um ihren liebevollen Vater, Sohn und Bruder. Wir trauern um einen lieben Freund, Kollegen und Genossen, wie wir uns kaum einen besseren wünschen konnten. Wir trauern um einen Kämpfer für eine wirklich menschliche, eine sozialistische Gesellschaft, in der den Arbeitern, den angeblich kleinen Leuten, die Früchte ihrer Arbeit zugute kommen, in der sie selbst gemeinsam ihr Leben und ihre Arbeit organisieren, in der sie selbst gemeinsam die Macht besitzen und ausüben, die sich nicht länger in den Händen einer winzigen Minderheit von schwerreichen Ausbeutern befindet, wie es hier und heute noch immer der Fall ist.
Ernesto Schwarz hält die Trauerrede (Foto: arbeiterfotografie.com)
Unser großer Dichter Bert Brecht sagte:
„… die Stärksten kämpfen ein Leben lang. Diese sind unentbehrlich.“
Seit fast drei Wochen spüren wir nun jeden Tag, dass uns so ein Unentbehrlicher fehlt. Wir alle hatten uns gewünscht und gehofft, dass er uns, besonders seinen Kindern und den Jüngeren unter uns wenigstens noch ein gutes halbes Jahrhundert erhalten bleibt. Diesen Wunsch, diese Hoffnung müssen wir heute zu Grabe tragen.
Christian wurde am 10. Dezember 1977 in eine Arbeiterfamilie hinein geboren. Er fand dort schon schon seinen älteren Bruder M. vor. Seine Mutter war Näherin, der Vater Maurer, sein Großvater Bergmann. Seine Zuneigung zu seiner Gesellschaftsschicht, seiner Klasse, seine Einstellung für soziale Gerechtigkeit, sein starkes Gefühl für Solidarität mit seinesgleichen hat er wohl schon sogleich mit der Muttermilch eingesogen.
Mit seinen Freunden M. und T., die er schon seit dem ersten Schultag kannte, mit C. und dann J., die später hinzukamen, verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Humorvoll, pfiffig, einfallsreich, zu Streichen aufgelegt, war er ein hochwillkommener Spielkamerad, der stets für die Benachteiligten, jeweils Schwächeren Partei ergriff.
Mit seinen Freunden spielte er ab der E- bis zur C-Jugend im Verein Grün-Weiss Borken Fussball, mit C. dann noch bis zur A-Jugend, u.a. sogar auch in der Hessenliga.
Seine Hauptleidenschaft im Sport galt aber der Selbstverteidigung Wing Chun (Wingtsun), einem chinesischen Kung-Fu Kampfkunststil, den er sich in vielen Jahren durch intensives Training erarbeitete und gern durch komödiantische Einlagen und Akrobatik bereicherte. Eine Wingtsun-Schule wollte ihn schließlich als Ausbilder engagieren.
Er und seine Freunde M., T. und J. entwarfen Sketche und drehten Videos, in denen sie Comedy-, Slapstick- und Stunteinlagen kombinierten. Dabei stand der große Spaß an der Sache im Vordergrund. Erst nach seinem Tod habe ich von seinen Freunden folgendes erfahren: Er war einer der ganz wenigen Menschen hierzulande, die ohne Anlauf ohne Hilfsmittel aus dem Stand einen Salto rückwärts springen konnten.
Zwei philosophische Prinzipien aus dem asiatischen Kampfsport hat er verinnerlicht und auch später bei den Kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen, für ein besseres Leben angewendet:
- das gegenseitige Helfen und Verstehen
- den Schwung eines Gegners zu nutzen und gegen diesen selbst zu wenden.
Das war Christian, der Sportler.
Trauernde auf dem Weg zur Urnen-Bestattung (alle Fotos: arbeiterfotografie.com)
Blumen für Christian
Trauernde auf dem Feld für anonyme Urnenbestattung
Im Gedenken an Christian – Werner Rügemer (Vorsitzender von „Aktion gegen Arbeitsunrecht“)
Das Feld für anonyme Urnenbestattung – im Hintergrund der Bestattungsort von Christian
„Du fehlst“
In Kassel studierte er Wirtschaftswissenschaften und Politik, in Heidelberg
Geschichte. Seit 2009 arbeitete er bei Amazon
Jetzt zu Christian, dem Dichter.
Ich weiß nicht, wann er sein erstes Gedicht geschrieben hat. Mit 16, 17 Jahren hatten sein Freund Marco und er Spaß daran, in den Schulpausen Schüttelreime zum Besten zu geben. Dann folgten weitere, auch ernste Gedichte. Erstaunlich, dass keine Lehrerin, kein Lehrer auf dem Gymnasium sein großes Talent erkannt geschweige denn gefördert hat, seine treffsicheren Formulierungen, sein Gefühl für Rhythmus in der Sprache.
Einige von uns wissen, dass er in den letzten Jahren großartige Gedichte gereimt hat, darunter auch sehr anrührende über und für seine Töchter J. und C., die beide seine große Liebe waren.
Nie werd ich den Tag vergessen, als ich die erste Mail von Christian bekam. „… Ich habe zwei Gedichte verfasst …“
Das eine hieß: „Ihr könnt …“ diese Zeilen daraus haben mir‘s ganz besonders angetan:
Da war diese Kraft und Entschlossenheit. Ich war begeistert.
Erstens begeistert, weil sie es wagten, sich weiter unbeirrt mit dem reichsten Mann der Welt anzulegen, mit dem »schlimmsten ‚Arbeitgeber‘ der Welt«, wie ihn der Internationale Gewerkschaftsbund nannte.
Begeistert zum Zweiten über seine beiden Gedichte. Er war der beste lebende Beweis, wie falsch doch das Lamento der Kapitulanten war und ist, das Arbeiterlied sei tot. Hätte Christian sonst nichts, nur dieses eine Lied geschrieben, hätte er die Jammerlappen allein damit schon vollständig widerlegt.
Aber es war nicht sein erstes gewesen, und Dutzende weitere schrieb er noch bis zu seinem frühen Tod. Und so, wie er sich selbst inspirieren ließ, so inspirierte er auch andere zum Lieder Schreiben, Fotografieren, Plakate Gestalten und Videos Aufnehmen. Die Ideen für neue Lieder, neue Parolen, Aktionsformen, Fotos und Videos sprudelten in Borken, Bad Hersfeld und Umgebung. Es war, als hätte jemand einen Korken aus einer Flasche gezogen, die das Etikett trug: Kultur der Arbeiterbewegung.
Es folgten spannende Lichtbildervorträge über die Entwicklung der Streikbewegung bei linken Gewerkschaftsinitiativen, Kulturzentren, beim Festival des politischen Liedes am österreichischen Attersee, regelmäßig beim linken Liedersommer der Freidenker, immer waren seine Lieder dabei, und nichts passte besser zu den Videos.
Die Amazon Workers International, (AWI – Internationale Amazon Arbeiterinnen und Arbeiter) schreiben in ihrem Nachruf: „Wenn er von Arbeiter*innen hörte, die sich lokal organisierten und Unterstützung brauchten, sprang er einfach ins Auto und tauchte da auf“.
Hörte er z.B. rechtzeitig von einem Streik in Frankreich oder den USA, schrieb er noch in der Nacht davor ein Lied in französisch oder englisch und schickte es ab.
Diese zu Herzen gehenden, meist humorvollen, oft aufrüttelnden Texte können nun nicht mehr gelöscht werden, sie können mit dem Tod des Dichters nicht mehr zum Schweigen gebracht werden, zu spät!
Lasst uns sie weiter verbreiten, rezitieren, singen!
Wir sind bei Christian, dem Musiker.
Stolz erzählte er mir im letzten Winter, dass seine Tochter J. ihm die Noten beigebracht hatte. Er hätte mit seinen großartigen treffsicheren Texten, seinem Ideenreichtum, seiner schnellen Auffassungsgabe auch als Liedermacher und Sänger mit Sicherheit noch eine große Entwicklung hingelegt. Einen wertvollen Schatz hat er uns hinterlassen: seine Gedichte und Lieder.
Christian, der Gewerkschaftsaktivist, der Klassenkämpfer.
Jede, Jeder kann sich ausrechnen, dass die Konzernführung der Firma, die ihr Boss „Unbarmherzig“ nennen wollte, bevor er sich für den Namen „Amazon“ entschied, versuchte, gewerkschaftliche Aktivitäten in ihren Lagern zu stoppen oder genauer: auszumerzen.
Am 23. November 2020 enthüllte eine Journalistin auf vice.com, dass Amazon per Annonce für sein Global Security Center Leute gesucht hatte, die „Erfahrung aus dem Geheimdienstwesen des Militärs oder der Strafverfolgung mitbringen“ um „gewerkschaftliche Bedrohungen“ in ihren Lagern zu bekämpfen.
Siebzehn Tage später, an seinem 43. Geburtstag war der fähigste Organisator der Kämpfe um bessere Arbeitsbedingungen tot.
Ohne Übertreibung kann ich sagen: Sein Tod ist ein schwerer Schlag für die Arbeiterbewegung hierzulande und international.
Der Dichter Erich Fried wurde einmal gefragt, was er den Armen wünschen würde. Seine Antwort:
„… daß sie im Kampf gegen die Reichen so beständig, so intelligent und so bewußt sind, wie es die Reichen im Kampf gegen die Armen sind.“
Mit anderen Worten, er hat uns das gewünscht, was Christian Krähling verkörperte.
Er war ideenreich, offen für Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen, immer bereit, zu lernen, er hatte Mut und keine Scheuklappen, war freundlich, beharrlich, witzig, äußerst schlitzohrig im Umgang mit Chefetagen, beleidigte niemanden, war sachlich und, wenn erforderlich, in der Sache knallhart. Er war taktisch gewieft und strategisch klar. Er forderte und nutzte Mitbestimmung im Betrieb, aber er sah diese niemals als höchste Erfüllung, immer orientierte er auf Selbstbestimmung und Selbstorganisation. Mit Brecht fragte er:
„Gut, das ist das Stück Brot, aber wo ist der ganze Laib?“
In Polen sagte er 2015: „Wir erbringen die ganze Leistung, wir bringen den Erfolg. Deswegen wollen wir auch der bestimmende Faktor sein. Wir wollen unsere Arbeitsbedingungen selber bestimmen“
Er hatte den langen Atem, den wir brauchen, und nutzte vorurteilsfrei alle Möglichkeiten, um auch im Kleinsten Stück für Stück voranzukommen. Christian passte in keine Schublade, und ich glaube, er versuchte nie, jemanden in eine hineinzustecken.
Riesengroß war seine Freude, wenn Kollegen, die anfangs noch die Streikenden angepöbelt oder ihn auch schon mal auf die Motorhaube genommen hatten, später selbst streikten und zu seinen zuverlässigen Kumpels wurden.
Mit seinen engsten Mitstreitern D. und A. und noch einer Reihe Anderer, tatkräftig von Gewerkschaftsseite unterstützt von M. und H., gelang es ihm und ihnen, einen großen Kampf um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu beginnen und weiter zu entfalten, viele andere, wenn nicht alle Lager in Deutschland schlossen sich Bad Hersfeld und Leipzig an, eine beispielhafte Vernetzung mit dem Ausland und sogar Übersee wurde seit fünf Jahren etabliert.
Damit hat Christian, damit habt Ihr uns ermutigt und unzähligen Menschen hier und in der Welt ein großes Beispiel geliefert und liefert es noch, dass man den Kampf aufnehmen kann und muss, dass es sich lohnt, aufzubegehren gegen die Kannibalen und ihr Ausbeuterregime.
Viele wunderbare Nachrufe aus dem In- und Ausland haben diese Erfolgsgeschichte beschrieben.
Ich glaube, niemand aus den Amazon-Belegschaften wird mir widersprechen, wenn ich unseren immer bescheidenen, humorvollen Freund Christian innerhalb der Amazon-Belegschaften weltweit als den wahrscheinlich fähigsten, weitblickendsten und für den Milliardär und seine Profitgier gefährlichsten Gegenspieler der letzten acht Jahre bezeichne.
Joe Hill, ein großer Arbeiterführer, Gewerkschaftsaktivist, Dichter und Sänger, wurde nur 36 Jahre alt. Er wurde nach einem konstruierten Prozess unter falscher Anklage vor hundertfünf Jahren ermordet. Seine letzten Worte waren:
„Don’t mourn – organize!“ „Trauert nicht, organisiert euch!“
Wen wundert‘s, dass Christian zu dem Thema ein passendes Lied geschrieben hat:
Aber wir brauchen auch die Trauer. Sie ist unsere seelische Reaktion auf Verlust, ein wichtiges Mittel, um unsere innere Welt der Realität anzupassen.
Einige von uns waren traurig, dass Christian hier anonym beigesetzt wird. Doch ich glaube inzwischen, er selbst hätte es sich gerade so gewünscht.
Der Friedens-Nobelpreisträger Albert Schweitzer sagte dazu:
„Das schönste Denkmal, das ein Mensch bekommen kann, steht in den Herzen der Mitmenschen.“
Christian hat unser Leben außerordentlich bereichert.
Er bleibt unvergessen.
Wir sind ihm sehr dankbar.
Lasst uns von ihm lernen!
Zum Schluss ein Lied frei nach John Lennon:
Siehe auch:
Nachrufe auf Christian Krähling
Der Joe Hill von Amazon ist tot
Von Ernesto Schwarz, Hartmut Barth-Engelbart und „Amazon Workers International“
NRhZ 759 vom 18.12.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27178
Online-Flyer Nr. 760 vom 31.12.2020