*PRESSEMITTEILUNG*
*Niedersächsische Staatskanzlei lehnt „Antrag auf erneute Überprüfung" des
Berufsverboteverfahrens u. a. wegen vernichteter Akten ab*
*Zwei Dankesurkunden für hannoverschen Lehrer Matthias Wietzer - aber Kürzung des Ruhegehaltes offenbar bis zum Lebensende !*
„Respekt und Anerkennung“ sprach der Niedersächsische Landtag 2016 den
Betroffenen des sogenannten Radikalenerlasses in einem auch bundesweit viel
beachteten Beschluss (Drucksache 17/7131) aus. Dass dieses positive verbale
Bekenntnis nicht gleichzusetzen ist mit der tatsächlichen Beendigung
fortdauernder Diskriminierung, verdeutlicht auch ein Briefwechsel zwischen dem
vom Berufsverbot betroffenen Lehrer Matthias Wietzer und dem Niedersächsischen
Ministerpräsidenten, Stephan Weil (SPD): In diesem wurde Wietzers Anliegen nach
vollständiger Rehabilitierung (ohne materielle Benachteiligung) mit
vordergründigen und schwachen Argumenten zurückgewiesen.
Nach über 12-jährigem Berufsverbot, verbunden mit fast fünfjähriger
Arbeitslosigkeit und insgesamt fünf Gerichtsprozessen, durfte der Grund- und
Hauptschullehrer Matthias Wietzer (70) aus Hannover-Linden doch noch seinen
Beruf ausüben. Nach dem Wechsel der Landesregierung konnte der ehemalige
hannoversche Ratsherr (DKP) ab 1991 über 20 Jahre unbeanstandet im
Beamtenverhältnis an einer Langenhagener Schule unterrichten – anerkannt u. a.
auch als Personalratsvorsitzender und Leiter der Fachbereichskonferenz
Geschichtlich-soziale Weltkunde und Religion.
Versehen mit zwei Dankesurkunden des Landes Niedersachsen („Dank und
Anerkennung“; „langjährige treue Dienste“) ging er 2014 in den Ruhestand. Von
der in der Landtagsentschließung bekundeten Verlautbarung „Respekt und
Anerkennung“ war und ist allerdings beim Blick auf seine Ruhegehaltsabrechnung
nichts zu erkennen. Im Gegenteil: Bedingt durch die Berufsverbotszeit beträgt
sein Ruhegehaltssatz lediglich 50,03 Prozent – fast ein Drittel weniger als üblich.
Zwar ist von Seiten des Ministerpräsidenten von einer „aus heutiger Sicht zu
bedauernden und nach heutigen gesellschaftlichen Maßstäben schwer zu
rechtfertigenden Vorgehensweise“ die Rede und auch die Feststellung, es seien
„entsprechende Entschädigungsregelungen natürlich keineswegs ausgeschlossen“,
wird getroffen. Zudem wird erklärt, dass die Landesregierung nicht gedenke, die
Thematik durch „ein Aussitzen“ mit „biologischer Erledigung“ lösen zu wollen –
wobei dieser Verdacht offenbar nahe genug liegt, um dementierend auf ihn
einzugehen.
Die Zurückweisung des von Matthias Wietzer gestellten „Antrages auf Überprüfung
einer voll umfassenden Rehabilitierung nach heutigen Maßstäben“ erfolgt im
Wesentlichen mit drei „Argumenten“.
*1.* fehlende bzw. vernichtete Aktenbestände, die eine Rekonstruktion des
Verfahrens verhindern;
*2.* alles basiere auf „rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren“ mit
gerichtlicher Überprüfung;
*3.* es gäbe keine Rechtsgrundlage für Entschädigung bzw. Nachteilsausgleich.
*Zu 1:*Das ist nicht richtig. Sämtliche für ein erneutes Verfahren relevanten
Akten (siehe Anlage 5) sind im Original bei dem damals abgelehnten Bewerber noch
vorhanden und können der Landesregierung problemlos für die beantragte erneute
Überprüfung zur Verfügung gestellt werden.
Aber es war deutlich einfacher, dieses von Matthias Wietzer gemachte Angebot zu
ignorieren und den gestellten Antrag stillschweigend zu übergehen.
*Zu 2:*Auch der Niedersächsischen Landesregierung sind die beiden
höchstrichterlichen, bindenden Urteile zu den Berufsverboten bekannt:
Schließlich wurde sie schon im Jahr 1987 von der Internationalen
Arbeitsorganisation (ILO) verurteilt, ihre Praxis zu ändern. Ebenso urteilte der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 1995, dass die Berufsverbote
gegen die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit verstoßen. Übrigens
musste damals auch eine Entschädigung gezahlt werden.
Diametral entgegengesetzt wird aber immer noch die nachweislich unsinnige
Behauptung aufgestellt, dass es sich bei den Berufsverboteverfahren um
„rechtsstaatlich einwandfreie Verfahren“ mit gerichtlicher Überprüfung handeln
würde. Überhaupt nicht wahrgenommen wird dabei die Tatsache, dass ein Großteil
der bundesrepublikanischen Rechtsprechung zu den Berufsverboten unter aktiver
Mitwirkung und Prägung von bereits in der Nazi-Zeit aktiven Juristen vorgenommen
wurde. So wirkte beispielsweise an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum
„Radikalenerlass“ Dr. Willi Geiger maßgeblich mit, der sich bereits im NS-Staat
für Berufsverbote gegen Juden, Marxisten und andere „Schädlinge an Volk und
Staat“ eingesetzt hatte.
*Zu 3:*Selbst wenn es nach dem derzeit geltenden Beamtenrecht keine Grundlage
für Entschädigung und Nachteilsausgleich geben mag, so gibt es doch zumindest
bereits jetztdie Möglichkeit, die rechtlichen Grundlagen zu ändern anstatt sie
auf kommende Legislaturperioden und/oder damit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu
verschieben. Schneller ginge es da wahrscheinlich mit einer
öffentlich-rechtlichen Stiftung, die aus ihrem Finanzfond nach zu bestimmenden
Kriterien Unterstützung leisten könnte. Auch könnte die Landesregierung
unkompliziert die bereits vorliegenden konstruktiven und realisierbaren
Vorschläge der Gewerkschaften DGB und GEW umsetzen.
*Matthias Wietze*r: „Ich stehe der Landesregierung nach wie zur „Überprüfung
einer voll umfassenden Rehabilitierung nach heutigen Maßstäben“ zur Verfügung.
Die jetzt erhaltenen Antworten bedeuten für mich ein starres Festhalten an einer
lebenslangen Bestrafung und Diskriminierung wegen meiner vor über 40 Jahren
erfolgten Wahrnehmung demokratischer Rechte.
Bereits in der Antike stellte Mark Aurel fest: ,Oft tut auch der Unrecht, der
nichts tut ...ʼ“