Presseinformation zum Hanau-Unterscuhungsausschuss
Presseinformation 31.03.2022
Erstmals hört Untersuchungsausschuss zum rassistischen Terroranschlag in Hanau Verantwortliche aus Polizei und Justiz u.a. zum Einsatz in der Tatnacht
Am 1. April sind beim Untersuchungsausschuss zum rassistischen Terroranschlag in Hanau erstmals Verantwortliche aus Polizei und Justiz als Zeug*innen geladen, die zum konkreten Einsatz in der Tatnacht und den anschließenden Ermittlungen aussagen sollen. „Wir hoffen, dass es nun endlich erste Antworten auf die vielen offenen Fragen zum Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft am 19. und 20. Februar 2020 geben wird,“ sagt Newroz Duman von der Initiative 19. Februar Hanau.
Als Zeug*innen geladen sind: Oberstaatsanwältin a.D. Gabriele Türmer von der Staatsanwaltschaft Hanau (Verantwortliche in der Tatnacht ab 23Uhr als Vertreterin der Staatsanwaltschaft Hanau, als stellvertretende Leitung sowie Dezernentin für politisch motivierte Kriminalität in der Einsatzzentrale); Polizeidirektor Dirk Fornoff vom Polizeipräsidium Mittelhessen (Verantwortlicher in der Tatnacht ab 1.00 Uhr u.a. auch für den Einsatz am Haus des Attentäters). Ebenfalls als Zeug*innen geladen sind Richterin Roggendorf und Polizeihauptkommisar Stiels, die im Nachgang zum Attentat für die Generalbundesanwaltschaft zum Attentäter ermittelt haben.
Oberstaatsanwältin Türmer und Polizeidirektor Fornoff waren in der Tatnacht mitverantwortlich für Abläufe, die wir in unserem Text zur „Kette des Versagens“ hinterfragt und kritisiert haben. Newroz Duman führt dazu aus: „Wir wollen von den Zeug*innen im UNA wissen: Ab wann gingen Polizei und Staatsanwaltschaft von einem rassistisch motivierten Attentat aus? Welche Hypothesen über mutmaßliche Täter und Tatmotive waren bis zur Erstürmung des Hauses des Attentäters leitend für Polizei und Staatsanwaltschaft? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass die Obduktionen der Getöteten ohne Einwilligung der Angehörigen vorgenommen und – wahrheitswidrig – auf den Obduktionsdokumenten vermerkt wurde, eine Zustimmung der Angehörigen läge vor bzw. Angehörige seien nicht bekannt? Warum wartete die Einsatzleitung des SEK Frankfurt mehrere Stunden bis zur Erstürmung des Hauses des Attentäters? Zu welcher Uhrzeit hatten Staatsanwaltschaft, Polizeieinsatzleitung und Generalbundesanwaltschaft erstmals Kenntnis vom Manifest des Attentäters?“
„Es ist unverständlich, dass der Ausschuss die wichtigsten Zeug*innen des Tages – Oberstaatsanwältin Türmer und Polizeidirektor Fornoff – erst für den Freitagmittag bzw. Nachmittag geladen hat“, kritisiert eine Sprecherin vom VBRG. „Durch die verweigerte Akteneinsicht und Aussagebegrenzung für den vom Ausschuss in der Sitzung am 18.3.2022 geladenen Sachverständigen Prof. Feltes vermitteln Landesregierung und der Ausschuss schon jetzt den Eindruck, parteipolitische Interessen über die Aufklärung zu stellen.“
Zur Erinnerung für Abgeordnete und Journalist*innen haben wir die wichtigsten Fragen an die für Freitag geladenen Zeug*innen hier zusammengestellt:
- Ab welchem Zeitpunkt wussten die Zeug*innen, dass es sich um einen rassistischen Terroranschlag handelt?
- Um welche Uhrzeit war nach Kenntnis der Zeug*innen wem in welcher Behörde erstmals die Webseite des Täters sowie sein darauf veröffentlichtes Manifest bekannt?
- Um welche Uhrzeit und durch wen wurden die Informationen zur Website des Täters und zum Manifest nach Kenntnis der Zeug*innen an welche Personen in- und außerhalb der Einsatzleitstelle kommuniziert?
- Wann haben die Zeug*innen Türmer, Fornoff, Stiels und Roggendorf erstmals persönlich Kenntnis von der Website des Täters und dessen Manifest?
- Um welche Uhrzeit, über welche Kanäle und durch wen in der Einsatzleitstelle wurde diese Informationen an das SEK, an die Einsatzleitung beim Haus des Attentäters und an die an den Tatorten befindlichen Polizeieinsatzleitungen kommuniziert?
- Hat Oberstaatsanwältin Türmer die Entscheidung getroffen, vor der Anordnung der Obduktionen der Ermordeten die Totensorgeberechtigten nicht anzuhören? Wenn ja, warum? Wenn nicht die Zeugin diese Entscheidung getroffen hat, wer ist dann dafür verantwortlich gewesen?
- Gab es andere Vertreter*innen in der Staatsanwaltschaft, die die Entscheidung getroffen und/oder mitverantworten? Wenn ja, wann und durch wen wurden sie in die Entscheidung miteinbezogen?
- Warum hat die Zeugin Türmer eine Zuständigkeit verneint, als es um die staatsanwaltschaftliche Anordnung der Schmauchspurenuntersuchung beim Vater des Attentäters ging?
Der am Nachmittag geladene Polizeidirektor Dirk Fornoff sollte Antworten zu den nachfolgenden Fragen zu den Einsatzstrukturen der Tatnacht, zum Tathintergrund und der Kenntnis der Polizeibehörden in Frankfurt und Hanau über die Motivation des Anschlags, zum Einsatz beim Täterhaus und zu den Informationen der Einsatzkräfte am Tatabend und in der Folgezeit geben können.
- War – als das Polizeipräsidium Frankfurt die Führungsübernahme erklärte – die rassistische und rechtsextreme Motivation des Täters bereits bekannt?
- Wenn nein, wann wurde diese bekannt und wie wurde sie an die sich im Einsatz befindlichen Kräfte kommuniziert?
Zudem richten sich an ihn konkrete Fragen zur Einsatzstruktur und zum Einsatzgeschehen:
- Wann und wie wurde das Täterhaus so abgesichert, dass ein Entkommen des sich im Haus befindlichen Täters nicht mehr möglich war?
- Wie erklärt sich die zeitliche Verzögerung? Scheinbar war über mehr als eine Stunde das Täterhaus nicht entsprechend gesichert.
- Nach der Erstürmung des Täterhauses um 3:03 Uhr verging noch etwa eine Stunde bis im Keller des eher kleinen Reihenhauses die Leiche des Täters gefunden wurde. Wie lässt sich das erklären?
Zudem stellen sich weitere Fragen:
- Wer war ab wann Einsatzleiter für den Einsatz am Täterhaus?
- Welchen Einfluss hatte der Einsatz der 13 rechtsextremen SEK Beamten aus seiner Sicht auf den Einsatzablauf am Täterhaus?
Da er in leitender Funktion für die Hessische Polizeibehörde auch für die Zeit nach der Tatnacht blieb, stellen sich ebenfalls Fragen in Bezug auf den Vater des Täters:
- Wurde gegen den Vater ein polizeirechtliches Gefahrenabwehrverfahren betrieben? Aus welchem Anlass?
- Wenn ja, wann wurde dieses eingeleitet? Vor oder nach der durch den Spiegel und danach die Mahnwache durch Überlebende und Familienangehörigen hergestellten Öffentlichkeit?
Für diese und weitere Fragen erhoffen wir uns am Freitag erste konkrete Antworten und gegebenenfalls klare Aussagen dazu, wer in der Befehlskette von Polizei und Justiz genauere Antworten geben kann.
Kontakt: Initiative 19. Februar Hanau
Hagen Kopp 0172-4008990
Podcast-Hinweis:
Untersuchungsausschüsse zu #Rechtsterrorismus #Rassismus #NSU #Antisemitismus in Hessen, Berlin, Bayern müssen Auftrag zur Aufklärung ernst nehmen!
Hört Said Etris Hashemi, RAin Antonia von der Behrens https://verband-brg.de/folge-25-vor-ort-gegen-rassismus-antisemitismus-und-rechte-gewalt-die-podcastserie-von-nsu-watch-und-vbrg-e-v-2/