Peter Hacks Rede 1961 zum Vorschlag in der BRD die DDR-Literatur zu verbieten
Wunderbar: Peter Hacks Rede anlässlich der Forderung in der BRD, die DDR-Literatur nach dem Mauerbau von 1961 zu verbieten. Wirklich toll. Passt bestens zu den aktuellen neuen Denkverboten, dem staatlich verordneten Putin- u. Russland-Bashing u. der Diffamierung u. Verfolgung von NachDenkSeiten durch den grünen Thinktank LIBERALE MODERNE (noch rechter u. bellizistischer als die Heinrich-Böll-Stiftung) mit Steuergeld aus dem Bundesfamilienministerium.
Aus JW: Ausgabe vom 02.09.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage
Ein Hitler ohne Deutschland ist kein Hitler
(dumme Zwischenfrage von harrisürth: vielleicht ist ja ein Deutschland ohne Hitler auch kein Deutschland?)
Nach dem 13. August 1961 wurde in der Bundesrepublik gefordert, DDR-Literatur zu verbieten. Peter Hacks äußerte sich dazu auf einer Tagung der Akademie der Künste
Peter Hacks: Rede in der Deutschen Akademie der Künste (August 1961). Hier zitiert nach: Heinz Hamm (Hrsg.), Peter Hacks: Marxistische Hinsichten. Politische Schriften 1955–2003. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2018, Seiten 77–80
Die Diktatur der westdeutschen Bourgeoisie ist in ein neues Stadium getreten. Hinter dem goldenen Vorhang der Konjunktur hat das Finanzkapital, beobachtet von wenigen, in aller Ruhe die Hebel der Macht besetzt. Ihm gehören die Posten des Staats, des Heers, der Polizei, der Justiz; ihm gehören die publizistischen Apparate. Der Prozess der gesellschaftlichen Gegenrevolution ist abgeschlossen. Jetzt hebt sich der goldene Vorhang, und über die Szene geht, als scheußliches Satyrspiel, die ideologische Gegenrevolution.
Die Maulfreiheit, dieser schöne Luxus, ist zu Ende. War es längst erlaubt, Verbrechen zu begehen, so ist es von nun an untersagt, Verbrechen Verbrechen zu nennen. Die sozialistische Literatur ist zu einem Ressort der Büttel geworden.
Nicht mehr hinlänglich ist deshalb die Feststellung, dass in beiden deutschen Staaten die Freiheit der Äußerung relativ sei; dass es überall möglich sei, einiges zu sagen, und unmöglich, alles zu sagen. Die sozialistische Literatur ist doch kein beliebiger, quantitativ fassbarer Teil der Literatur. Die sozialistische Literatur ist doch die wahrhaftige Literatur. Unterdrückung der sozialistischen Literatur, das heißt doch: Alles darf gesagt werden, nur, was stimmt, nicht. (…) Im Rheinstaat ist der Zustand eingetreten, den Helvetius formuliert: Man findet nur in verbotenen Büchern noch Wahrheit; in den andern wird gelogen. (…)
Der Nazikapitalismus hinterließ auf deutschem Boden zerfetzte Leiber, zerschmissene Brücken, verdorbene Gehirne. Die Menschen sind wieder nachgeboren, die Brücken wieder errichtet. Aber die Gehirne? Können wir feststellen, dass die Gehirne aller Deutschen gereinigt sind? In den Köpfen der westdeutschen Schriftsteller wirkt das schlimmste Nazigift: die Unfähigkeit, politisch zu denken. Die intellektuelle Opposition hat sich wieder formiert, aber sie hat den Gebrauch ihrer besten Waffen verlernt. (…) Wir haben keinen Grund, die subjektive Ehrlichkeit unserer linkselbischen Kollegen zu bezweifeln, wohl aber die objektive Beschlagenheit. Ihr Mut ist oft groß, ihre Kenntnisse sind stets klein. Es ist nicht ihr Gewissen, womit es hapert, es ist ihr Wissen. Sie hören die Glocke der Menschlichkeit läuten und glauben, sie hänge in Schöneberg. (…)
Das Los der Heimatlosigkeit ist hart. Am härtesten ist es, wenn ich nicht irre, für den Schriftsteller. Wie alle hochkomplizierten Maschinen ist der Schriftsteller hochempfindlich für äußere Erschütterungen. Er ist für den Kampf gemacht, nicht aber für den Existenzkampf. Er ist das Wesen, das sich von allen am schwersten verständlich machen kann; wie sehr quält ihn die Unvollkommenheit der Kommunikationsmittel; wie verlassen ist er, wird ihm auch noch sein armes Werkzeug geraubt, die Sprache. Das Los der Heimatlosigkeit ist hart für den Schriftsteller, und keinen trifft es schneller als ihn. Die Not kommt über ein Land; über ihn kommt sie zuerst. Diese Leute ziehen das Unglück an wie die Weide den Blitz.
Mit Freude also kann ich hier, und nicht nur in meinem eigenen Namen, sagen: Schriftsteller deutscher Sprache, ihr habt eine Heimat. Es gibt ein Land, das eure Sprache redet, das eure Ziele billigt und eure Leiden versteht. (…) Auch die Rechte, mit der der Schriftsteller in angeborener Feindschaft lebt, hat ihren Machtbereich: Aber der ist merklich eng geworden. Der nächste Reichskanzler, mag sein Name Strauß oder Brandt oder wie immer lauten, wird nur noch ein halbierter Tyrann sein. Ein Huhn ist kein Vogel, und ein Hitler ohne Deutschland ist kein Hitler.
Wir geben allen deutschen Schriftstellern, die nicht die Menschlichkeit verraten haben, eine Heimat. Was kann das heißen, wenn es etwas heißen soll? Es heißt, dass wir ihnen eine Resonanz geben, dass wir sie drucken und lesen. (…)
Ich meine, wir sollten ihnen diese Hilfe ohne Bedingungen antragen, also nicht als Belohnung für vorhergegangene Reue oder Sinnesänderung. Sie verlangen Geistesfreiheit; das ist fast zu viel in unserer Barrikadenzeit. Ich würde anraten, sie ihnen in möglichst reichem Maße zu gewähren: mit der Großmut des Siegers und mit der Geduld des Listigen. Erfahrungen überzeugen, Ermahnungen verhärten.
Die westdeutschen Schriftsteller sind von uns eingeladen. Sie und wir sind eine Literatur, auch wenn sie und wir im Moment zwei Literaturen schreiben. Wir werden uns von ihnen nicht trennen, auf die Gefahr hin, dass ihnen unsere Gesellschaft unangenehm ist. Wir achten auch die unter ihnen, die uns noch missachten. Fragen Sie einen betrogenen Liebhaber nach dem Grund seiner zähen Anhänglichkeit an eine Treulose, sagt Diderot, und Sie werden erfahren, warum ein Schriftsteller so zäh an einem anderen Schriftsteller von hervorragendem Talent hängt.