Musik, Polytechnik, bildende / darstellende Kunst & (kindliche) Entwicklung 4: sozialpädagogische Nachmittagsbetreuung

“Die Lamboy-Kids”

(nicht zu verwechseln mit dem Schulchor und der Trommelgruppe, die Kids aus der Nachmittagsgruppe haben den Namen erst für sich entwickelt und dann den Chor und die TrommlerInnen so getauft)

Sozialpädagogische Nachmittagsbetreuung an der Gebeschusschule

Zur Entstehung, zur Notwendigkeit, zu den Auswirkungen, den Möglichkeiten, den Rahmenbedingungen und zu notwendigen Entwicklungsperspektiven

Auf Initiative des Staatlichen Schulamtes, der Schulleitung der Gebeschusschule und des Sozialen Dienstes/Jugendamtes der Stadt Hanau wurde das Projekt der sozialpädagogischen Nachmittagsbetreuung und der aufsuchenden Familienerziehungshilfe in Gang gesetzt.

Seit einem 3/4 Jahr werden nun 10 Kinder der Schule an zwei Nachmittagen zwischen 14 und 17 Uhr betreut.

Es handelt sich um Kinder, die aufgrund ihrer schwierigen familiären, Wohnungs- und sonstigen sozialen Bedingungen, aufgrund ihres auffälligen Sozialverhaltens und teils auch ihrer mangelnden schulischen Leistungen von Klassenlehrerinnen und Schulleitung sowie durch den Sozialen Dienst der Stadt nach intensiven Elterngesprächen für diese Gruppe ausgesucht wurden.

Der Bedarf für eine solche Betreuung im Stadtviertel ist schier endlos. Bei den Kindern handelt es sich so zu sagen um die Spitze der Spitze des Eisberges, wobei das Bild eines Vulkanes besser geeignet wäre und doch den Kindern im Viertel nicht gerecht wird.

Eigentlich ist eine solche Betreuung für die Mehrheit der Kinder im Stadtviertel notwendig, zumindest aber sehr sinnvoll, um Spiel- und Lerngruppen zu initiieren, die Integration in solche Gruppen zu fördern, Kreativität und Leistungsvermögen, Kommunikationskompetenzen, Selbstwertgefühle, Selbstbewusstsein und Frustrationstoleranzen zu entwickeln.

Jedes einzelne Kind ist es wert, das wenige Mögliche zu tun, von dem das Meiste oft genug ungetan bleibt. Jedes einzelne Kind ist es wert, zu versuchen, es gegen die allgegenwärtigen Bedrohungen zu stärken und Räume zu schaffen, in denen es diesen Bedrohungen nicht unmittelbar ausgesetzt ist, in denen es diese Bedrohungen vergessen und sich einigermaßen frei entwickeln kann.

Die Nachmittagsgruppe “Lamboy-Kids” ist für viele Kinder oft die einzige Möglichkeit positiver und konstruktiver Gruppenerfahrung. Hier sind die Kinder wenigstens an zwei Nachmittagen von häuslichem Druck entlastet, der durch Arbeitslosigkeit und/oder Schichtarbeitsstress, durch Sozialhilfeabhängigkeit, durch Beziehungs- und (andere) Folgeprobleme entsteht und durch das enge Einpferchen traumatisierter Opfer von Krieg, Hunger und politischer Verfolgung.

Viele Kinder sind wegen der Abwesenheit der Eltern (Abwesenheit in vielfältigster Form) völlig auf sich selbst gestellt, verbringen ihre Freizeit in wenig anregender Umgebung, in zu engen Zimmern mit zu hoher “Belegung”, sind den Eltern bewusst oder unbewusst im Wege. Sie sind als Dolmetscher, physische und psychische Stützen ihrer Eltern oft heillos überfordert und müssen in meist nicht sehr freundlicher Umgebung nach außen stark, locker und überlegen wirken. Nur keine Schwäche zeigen, keine Träne, wer weint scheint schon verloren.

Ihnen fehlt oft ein positives Beispiel, der Spielraum, die Zeit und der Raum und der Schlaf zum Träumen und eine relativ sichere Perspektive. Trauer und Schmerzen verdrängen die Meisten. Ihnen wurde Heimat und Geborgenheit genommen, ihnen wird sie verweigert in ihren Herkunftsländern und in ihrer neuen Heimat- Fastheimat.

Das gilt zunehmend für alle Kinder des Viertels egal welcher Herkunft. Die über 20 prozentige Arbeitslosigkeit im Lamboy macht nicht an ethnischen Grenzen halt.

In dieser Lage erhalten die Kinder wenig Selbstbestätigung, sie erleben sich oft als Versager, als Problemverursacher, als minderwertig. Oftmals verstärken die schulischen Anforderungen noch dieses Sich-so-erleben.

Hier soll und kann die sozialpädagogische Nachmittagsbetreuung für die Kinder ein weites Feld für gemeinsame kreativ-konstruktive Betätigung bieten. Selbstverständlich auch für individuelle Aktivitäten. Sie bietet für die Kinder auch Rückzugsmöglichkeiten.
Es gibt kein allgemeinverpflichtendes Programm.
Eine Umgebung mit einer Fülle von Anregungen und Materialien, Bewegungsräumen und Angeboten für gemeinsame Unternehmungen und Projekte:

  • Gemeinsam (oder alleine) Musik machen,
  • Musikinstrumente bauen,
  • Basteln, Werken,
  • Malen, Drucken und Zeichnen
  • Fahrradwerkstatt
  • Maschinen, Spielzeug, Unterrichtsmaterial und Möbel reparieren
  • Trommelkurs und Chor
  • gemeinsam Hausaufgaben machen
  • Sport und Spiele (Turnhalle, Sportplatz, Schwimmbad)
  • Erkundung der Stadt und ihrer Einrichtungen
  • stressfreie Erkundung der Nahumgebung
  • nicht in Stundentakt gezwungener kreative Umgang mit “schulischen” Materialien

Besonderer Schwerpunkt sind Bewegungsaktivitäten (kein Leistungssport), konkurrenzarme Spiele, aber auch Frustrationstoleranz fordernde Wettspiele.

Die Vielfältigkeit der Angebote lässt mit ihren diversen Möglichkeiten für Erfolgserlebnisse das Wachsen von Frustrationstoleranzen zu.
Besonders im musisch-kreativen Bereich, der sich den starren Erfolgs- und Misserfolgskategorien entzieht, ist das der Fall. Deshalb nimmt dieser Bereich auch großen Raum ein.
Bilder, Töne machen, Rhythmen finden und Formen bilden.

Erzählen, Sich-mitteilen lernen

Erzählen ist ein wichtiger Bestandteil der Nachmittage.
Hier gibt es zwei Menschen, die zuhören, hier kommen die Kinder zum Erzählen untereinander ohne große Konkurrenzangst.
Die Gruppe muss klein bleiben, obwohl der Bedarf so groß ist. Sie muss klein bleiben, um Stresssituationen zu minimieren, um intensive Kontaktaufnahme jederzeit -auch zu den Bezugspersonen zu ermöglichen, zumindest aber um die bei den Kindern noch niedrige Frustrationstoleranz nicht zu überfordern.
Nur unter solchen Bedingungen kann sich Vertrauen und Selbstvertrauen entwickeln.

Positive Rückmeldungen und Auswirkungen auf Familien und Unterricht

Unmittelbar wirkt sich das in der Nachmittagsgruppe entwickelte Selbstwertgefühl auf den Unterricht aus. Produktiv ausgelebte Aggressionspotentiale müssen nicht mehr destruktiv ausgetobt werden, die Kinder werden friedlicher und verträglicher, geduldiger im Umgang miteinander (auch mit den Lehrerinnen).
Erfolge im “Nachmittagsbereich” auch auf unterichtlich nicht abgefragten Terrains strahlen aus in die klassischen Leistungsbereiche. Die Kinder teilen sich mehr mit.
Es entwickelt sich ein gewisser Stolz zu den “Lamboy-Kids” zu gehören. Andere Kinder wollen die berichteten Erfahrungen miterleben. Die “Lamboy-Kids” haben etwas zu berichten, haben etwas gelernt, um das die anderen sie beneiden und diese lassen sie großzügig daran teilhaben. (Z.B. Trommeln u.a. die haben wir gebaut! oder die Druckergebnisse usw. Erfahrungen und Anregungen, neuerlernte Techniken gehen in den Vormittagsunterricht mit ein)

Autor: Hartmut Barth-Engelbart

Autor von barth-engelbart.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert